Sozialistische Mitteilungen - News for German Socialists in England

Cover
Titel
Sozialistische Mitteilungen (SM) - Newsletter des Exilvorstands der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE) 1939 - 1948.
Herausgeber
Lindner, Heiner <SPANIERH@fes.de>
Veröffentlicht durch
Friedrich-Ebert-Stiftung - Historisches Forschungszentrum: Bonn, DE <http://library.fes.de/history/index.html>
Enthalten in
Von
Julia Angster

Das Internet stellt längst auch für Historiker ein wichtiges Hilfsmittel dar. Nachdem sich die Literaturrecherche schon größtenteils ins Netz verlagert hat, beginnt sich hier allmählich auch die Quellensuche zu lohnen. Neben thematischen Quellensammlungen finden sich die ersten kompletten Editionen. So hat nun die Friedrich-Ebert-Stiftung mit den ‚Sozialistischen Mitteilungen' eine wichtige Quelle für die Geschichte des politischen Exils der 1940er Jahre als Online-Ausgabe vorgelegt. Dies ist eine in inhaltlicher wie formaler Hinsicht erfreuliche Entscheidung. Die Sozialistischen Mitteilungen waren das "wichtigste Organ der Exilsozialdemokratie während der Kriegszeit".1 In diesen hektographierten Rundschreiben informierte der Parteivorstand in London die Angehörigen der sozialdemokratischen Emigration in Großbritannien, aber auch in anderen Ländern wie den USA, den skandinavischen Ländern und in Südamerika über seine Ziele und seine Politik. Die Sozialistischen Mitteilungen erschienen zwischen 1939 und 1948, anfangs vierzehntägig, ab 1940 ungefähr monatlich, und hatten einen Umfang von durchschnittlich etwa 20 Seiten. Die eng beschriebenen, gefalzten und ungeheftet ineinandergelegten Blätter stellten in diesen Jahren trotz widriger Umstände wie Papiermangel, Geldnot und lange Transportwege das wichtigste Informationsmedium der Exilsozialdemokratie dar.

Herausgeber der Mitteilungen war Wilhelm Sander, Mitarbeiter des SPD-Parteivorstands und Leiter der Landesvertretung der SPD in Großbritannien sowie der sozialdemokratischen Flüchtlingsbetreuung. Sanders Funktion bei den Sozialistischen Mitteilungen war allerdings eher die eines Chefredakteurs, denn der Parteivorstand hielt die Kontrolle über Inhalt und Linie des Blatts in der Hand. Das Mitteilungsblatt, das im Grunde in knapperer Form die 1940 eingestellten Deutschlandberichte der SOPADE (Grüne Berichte) fortsetzte, vertrat die Linie des Londoner Parteivorstands und diente zudem seit 1941 als Organ der Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien (Union). In dieser Dachorganisation hatten sich im Frühjahr 1941 die Exil-Sozialdemokratie (SOPADE), der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK), die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und die Gruppe Neu Beginnen (NB) zusammengeschlossen. Das Ziel der Union war der gemeinsame "Kampf für die Niederlage Hitlers" und die Mitwirkung an der "Vorbereitung eines demokratischen Friedens" und am Wiederaufbau Europas. Der Krieg hatte das politische Exil vollends von allen Verbindungen ins Deutsche Reich abgeschnitten und dessen Mitglieder gezwungen, zu einer gemeinsamen Politik zu finden, wollten sie an der Nachkriegsplanung für Deutschland überhaupt noch beteiligt sein. Als einigendes Moment wirkte dabei der Antikommunismus, den Sozialisten und Sozialdemokraten seit dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Hitler-Stalin-Pakt teilten. Hartmut Mehringer hat auf die Bedeutung der Union hingewiesen, mit der die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung seit 1917 überwunden wurde - allerdings unter endgültigem Ausschluß der Kommunisten. Dieser Zusammenschluß und die programmatische Annäherung zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten, die er mit sich brachte, hatten weitreichende Folgen für das sozialistische Exil in anderen Ländern und vor allem für die Nachkriegs-Sozialdemokratie. Damit wurden Weichen gestellt, die schließlich zum Godesberger Programm von 1959 führten: Hier nahm die programmatische Umorientierung der deutschen Sozialdemokratie hin zu pluralistischen, liberaldemokratischen Ordnungsvorstellungen ihren Anfang - nicht zuletzt aufgrund der Exil-Erfahrungen in England.2

Aufgabe der Sozialistischen Mitteilungen war es, die Angehörigen des sozialdemokratischen Exils über die Lage in Deutschland zu informieren und sie über die Diskussionen auf dem Laufenden zu halten, die im Londoner Parteivorstand und in der Union über die Zukunft Deutschlands und der Deutschen Arbeiterbewegung geführt wurden. Daneben richtete sich das Blatt aber auch an eine englische Leserschaft. Vor dem Hintergrund einer wachsenden antideutschen Stimmung in der englischen Öffentlichkeit und in der Labour Party wehren sich die Herausgeber gegen den Vorwurf, alle Deutschen seien Nationalsozialisten. Auch der zunehmend kritischen Haltung der Labour Party, die der SPD Versagen gegenüber der nationalsozialistischen Bedrohung vorwarf, versuchte man mit einer Vielzahl von Artikeln zu begegnen, in denen der sozialdemokratische Widerstand gegen Hitler herausgestrichen und die Existenz eines ‚anderen Deutschland' beschworen wurde.

Mit dieser Online-Ausgabe wird ein wichtiger Quellenbestand für die Geschichte des politischen Exils und der Nachkriegsplanung der deutschen Sozialdemokratie allgemein zugänglich gemacht, der bislang - von einigen wenigen Bibliotheken abgesehen, die mit Originalen aufwarten können - nur als Mikrofilm-Ausgabe im Dortmunder Institut für Zeitungsforschung vorhanden war, jedoch ohne Register und Inhaltsverzeichnis. Wer schon einmal Tage oder Wochen an einem Mikrofilmlesegerät zugebracht hat, wird würdigen können, welche Erleichterung diese Edition bedeutet. Vor allem die Entscheidung der Friedrich-Ebert-Stiftung, anstelle der zuerst geplanten Buchfassung eine Online-Ausgabe einzurichten, kann nur begrüßt werden. Die Vorteile liegen zum einen in der besseren Zugänglichkeit und der kostenlosen Nutzung. Zum anderen ist der Suchlauf in einer Datei jedem Register einer Buchausgabe überlegen. Hier sind Volltextsuche und Personensuche möglich, Links innerhalb der Edition verknüpfen mit Annotierungen zu über 2000 Personen und mehr als 300 Organisationen und Institutionen, die in den Sozialistischen Mitteilungen Erwähnung finden. Damit ist, wie die Herausgeber in ihren editorischen Hinweisen zu Recht bemerken, "ganz nebenbei ein kleiner Personen- und Organisationsalmanach für die Exil- und frühe Nachkriegsgeschichte entstanden." Den Nachteilen einer Bildschirm-Version hat man versucht entgegenzuwirken. Die Wiedergabe ist ungekürzt und so authentisch wie möglich; ein Teil der Beilagenhefte liegen in einer Faksimile-Version vor. Die Vorteile dieser Fassung erleichtern die Arbeit: Sämtliche Texte - alle Ausgaben und Beilagen, ebenso alle Inhaltsverzeichnisse und Benutzerhinweise - sind als PDF-Dateien vorhanden und können so bequem heruntergeladen oder ausgedruckt werden.

Der Aufbau der Edition ist in zwei Ebenen gegliedert: Die "Recherche-Ebene", auf der sich die Sozialistischen Mitteilungen als Volltext finden, ebenso die Beilagenhefte, die Inhaltsverzeichnisse der einzelnen Ausgaben. Die "Meta"-Ebene wiederum bietet Sekundärtexte zur Online-Ausgabe. Hier finden sich die Einleitung, die editorischen Hinweise und die Benutzerhinweise. Der Wechsel zwischen beiden Ebenen ist etwas umständlich in der Handhabung, da der Weg jeweils über die Startseite führt; dafür sind die Benutzerhinweise jederzeit gut erreichbar. Die von Heiner Lindner verfaßte Einleitung ist mit gut 270 Seiten für den Internet-Gebrauch etwas lang geraten, wird jedoch auch als Kurzfassung "für eilige Leser" angeboten. Die ausführliche Version der Einleitung liegt zudem in Buchform vor: Sie ist unter dem Titel "Erkämpft Eure Freiheit! Stürzt Hitler!" als Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Reihe "Gesprächskreis Geschichte" (Bd. 52) erschienen. Die Bezugsquellen werden auf der Internet-Seite genannt. Lindner informiert detailliert über die Sozialistischen Mitteilungen, ihre Herstellung und ihr Umfeld und gibt eine kurze Einführung in die Geschichte des sozialdemokratischen Exils in London. Die Herausgeber des Blatts werden vorgestellt, wesentliche Themengebiete behandelt und die Entstehung und Entwicklung des Blatts im Einzelnen verfolgt. Aufgrund der großen Detailfülle kommt es allerdings ab und an zu Wiederholungen. Da die Online-Ausgabe der Sozialistischen Mitteilungen für ein breiteres Publikum zugänglich sein will, wird in der Einleitung weitgehend auf Jargon und auf fachliche Debatten verzichtet. Leider ist dabei auch die Einordnung des Themas in die größeren Zusammenhänge etwas in den Hintergrund geraten, etwa bei der Frage nach den Kontinuitäten zwischen Weimar und Bundesrepublik oder im Hinblick auf die Bedeutung des Exils für die deutsche Nachkriegsgeschichte. Hier hätten die Herausgeber ruhig etwas selbstbewusster auftreten können. Als Fazit: Diese Online-Edition eines wichtigen Quellenbestandes ist absolut begrüßenswert und wird hoffentlich zahlreiche Nachahmer finden.

Anmerkungen:
1 Werner Röder: Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Hannover 1969, S. 28
2 Ludwig Eiber: Die Sozialdemokratie in der Emigration. Die "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien" 1941-1946 und ihre Mitglieder. Protokolle, Erklärungen, Materialien, Bonn 1998, S. XXVf.; S. 18f.; Hartmut Mehringer: Widerstand und Emigration. Das NS-Regime und seine Gegner, München 1997, 260f.; Röder, Exilgruppen, S. 93f.; Julia Angster: Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB, München 2003.