Ärztinnen im Kaiserreich

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Titel
Ärztinnen im Kaiserreich.
Herausgeber
Jutta Buchin, Jutta <buchin@medizin.fu-berlin.de>
Veröffentlicht durch
Institut für Geschichte der Medizin [FU Berlin] <http://www.ukbf.fu-berlin.de/igm/index.htm>
Enthalten in
Von
Alexander Neumann

Erst 1901 durfte mit der 24-jährigen Ida Democh die erste Frau an einer deutschen Universität das medizinische Staatsexamen ablegen. Sie war damit Vorreiterin einer zunehmenden Zahl von Medizinstudentinnen an deutschen Universitäten, die im Laufe ihres Berufslebens als praktizierende Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen hart um ihre Anerkennung kämpfen mussten. Trotzdem wurden sie in der Geschichtswissenschaft lange Zeit kaum beachtet. Erst ab Ende der 1980er Jahre begannen Wissenschaftlerinnen am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Berlin mit der Sammlung und Dokumentation der Lebenswege dieser Akademikerinnen. Das Ergebnis der Recherchen von Jutta Buchin (Bibliothekarin am Institut für Medizingeschichte der FU-Berlin) und eines in den Jahren 1996-1999 von Johanna Bleker geleiteten Projekts wurden im Jahre 2000 der interessierten Öffentlichkeit in Buchform präsentiert 1.

Nun steht zusätzlich ein erweitertes Datenmaterial auf der Website http://userpage.fu-berlin.de/~elehmus zur Verfügung. Darauf finden sich rund 1000 Biografien von Ärztinnen, die im Kaiserreich approbiert wurden und später in diesem Beruf arbeiteten. Darunter finden sich auch berühmte Wissenschaftlerinnen aus der Zeit der Weimarer Republik wie etwa die Tuberkulose-Spezialistin Lydia Rabinowitsch-Kempner, die von 1894 bis 1903 als Assistentin von Robert Koch arbeitete und 1912 als erste Frau zur Professorin der Medizin ernannt wurde. Die weitere Ergänzung der Biografien ist vorgesehen. Das erklärte Ziel der Berliner Medizinhistorikerinnen ist es, schließlich alle Medizinerinnen zu erfassen, die ihre Ausbildung bis 1933 in Deutschland abgeschlossen haben.

Die übersichtlich gestaltete Site bietet auf der Startseite vor allem Hinweise zum Projekt und nützliche Bedienungshinweise. Darüber hinaus steht den Usern ein äußerst umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis zur Verfügung, das für weitere Recherchen hilfreich ist. Als Ergänzung sind auch Links zu anderen Websites mit frauen- und genderspezifischem Inhalt (z.B. zum Archiv der deutschen Frauenbewegung) aufgeführt. Diese Links sind jedoch nicht sehr zahlreich und deshalb noch ausbaufähig.

Um zu den Biografien der einzelnen Ärztinnen zu gelangen, stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: entweder über den Index oder über das Personenverzeichnis, die beide miteinander verbunden sind. Im Index (http://userpage.fu-berlin.de/~elehmus/indices/indmain.html) kann mit Hilfe mehrerer Register nach den Medizinerinnen gesucht werden: Dabei kann entweder über den Namen oder bestimmte Daten (wie z.B. Geburts- und Todesjahr oder auch Jahr der Promotion) sowie über ein Ortsregister (auch hier Geburts- oder Todesort oder Orte der wissenschaftlichen Prüfungen) recherchiert werden. Durch dieses Hilfsmittel können wichtige Informationen z.B. für die Regional- oder Universitätsgeschichte gewonnen werden, auch wenn es für den Rezensenten nicht ersichtlich ist, warum manche Orte mehrmals im Ortsregister aufgeführt werden (Frankfurt a.M. und Freiburg i.Br. beispielsweise drei Mal), was die Benutzung etwas umständlich macht. Außerdem wäre zu überlegen, ob nicht auch die Tätigkeitsorte im Register aufgeführt werden sollten, denn sie sind es ja, die häufig den Bezugspunkt für Untersuchungen und Nachforschungen bilden.

Den Hauptteil der Site bilden die Biografien der Medizinerinnen, die vierfach unterteilt wurden. Zunächst finden sich allgemeine Angaben in Kurzform, danach die Daten zur Ausbildung und zum Berufsleben. Dabei werden u.a. die Tätigkeitsorte, die Art der Tätigkeit und das Schicksal nach 1933 dokumentiert, soweit es bekannt ist. Je nach Quellenlage sind diese Biografien unterschiedlich ausführlich, bieten aber auf jeden Fall einen hervorragenden Überblick und Einstieg in die jeweilige Biografie. Ergänzt werden diese Angaben durch zusätzliche Literatur- und Quellenangaben, so dass die Benutzerinnen und Benutzer weitere Untersuchungen anstellen können.

Die an Hand der Website gewonnenen individuellen Daten bedürfen natürlich der Einordnung in den historischen Kontext, der notwendigerweise bei einer knappen lexikalischen Auflistung zu kurz kommt. Die oben erwähnte Monografie kann jedoch für eine erste statistische Auswertung und für den Vergleich der einzelnen Städte und Universitäten als Hilfe herangezogen werden. Wünschenswert und für die Arbeit äußerst zeitsparend wäre es, wenn die in Buchform abgedruckten Statistiken noch zur Site hinzugefügt oder in sonstiger Form elektronisch zugänglich gemacht würden.

Der große Verdienst der Website-Gestalterinnen aus dem Berliner medizinhistorischen Institut ist es, die Lebensläufe einer mutigen Generation von Frauen dem Vergessen entrissen zu haben und im Zeitalter der elektronischen Medien nun auch auf diesem Wege der Wissenschaft und der interessierten Allgemeinheit zugänglich gemacht zu haben. Dies gilt nicht zuletzt für die jüdischen Ärztinnen, die nach 1933 aus ihrem Beruf gedrängt und zur Emigration gezwungen oder in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet wurden. Als kleine semantische Kritik, die aus der Schwäche einer schematischen Erfassung resultiert: Die Rubrik "gestorben" hätte in diesen Fällen ersetzt werden müssen durch "ermordet", um die Todesumstände zu dokumentieren.

Interessantes erfahren die User auch über die zahlreichen Emigrantinnen, wie z.B. der kommunistischen Ärztin Martha Ruben-Wolf, die sich in den 1920er Jahren für die straffreie Abtreibung einsetzte und nach ihrer Emigration schließlich in Moskau als Ärztin arbeitete. Nachdem ihr Mann in der stalinistischen Haft starb, nahm sich Martha Ruben-Wolf 1939 selbst das Leben. Aus diesem kleinen Beispiel ist ersichtlich, welche spannenden Geschichten mit Hilfe dieser biografischen Datenbank zu recherchieren und welche Anstöße für weitere Forschungen von ihr zu erwarten sind, denn noch immer fehlen für viele Frauen wissenschaftliche Biografien sowie vergleichende und überblicksartige Darstellungen für einzelne medizinische Fachbereiche, Universitäten oder Regionen.

Getrübt wird die Freude an der Benutzung durch zahlreiche Tippfehler, die durch ein besseres Lektorat der erstellten Biografien leicht zu korrigieren wären, sowie einiger kleinerer Fehler, die ebenfalls bei der Erfassung aufgetreten sind. So findet sich beispielsweise bei der in Auschwitz ermordeten Else Weil der Zusatz "geborene Tucholsky", obwohl ihr Vater Weil hieß, (Else Weil war kurze Zeit mit Kurt Tucholsky verheiratet gewesen). In anderen Fällen fehlt etwa der Name des Vaters, obwohl der Beruf aufgeführt ist. Ob dies mit der schlechten Quellensituation zusammenhängt, ist nicht ersichtlich.

Trotz solcher kleineren - und auch behebbaren - Mängel kann die Benutzung dieser Biografie-Datenbank nur empfohlen werden, zumal sie nach den Angaben der Betreiberinnen erweitert werden soll. Mit Hilfe der Site können nun wichtige Angaben zur geschlechtsspezifischen Perspektive in der Medizingeschichte elektronisch recherchiert werden.

Anmerkungen:
1 Bleker, Johanna/Schleiermacher, Sabine, Ärztinnen aus dem Kaiserreich. Lebensläufe einer Generation, Weinheim 2000.

Kommentare

Anmerkung zur Rez. WWW: Aerztinnen im Kaiserreich

Von Sauerteig, Lutz29.09.2003

Alexander Neumann schrieb in seiner Rezension über die sehr nützliche Berliner Datenbank von Humanmedizinerinnen, daß Ida Democh 1901 als erste Frau an einer deutschen Universität das medizinisch Staatsexamen abgelegt habe. Das ist nur bedingt richtig. Denn die erste Frau, die an einer deutschen Universität das medizinische Staatsexamen abgelegte, war die gebürtige Engländerin Hope Bridges Adams, und zwar bereits 1880 an der medizinichen Fakultät der Universität Leipzig. Allerdings legte sie die schriftliche wie mündliche Prüfung ohne offizielle Erlaubnis ab, jedoch unter den gleichen Bedingungen wie ihre männlichen Kommilitonen. 1904 wurde ihr das Staatsexamen durch einen Beschluß des Bundesrates nachträglich anerkannt und Hope Adams erhielt die Approbation. Verwehrt wurde ihr in Leipzig lediglich zu promovieren. Dies gestattete man Hope Adams jedoch in Bern in der Schweiz. Das überaus spannende Leben der lange Zeit in München praktizierenden Ärztin Hope Bridges Adams Lehmann ist jetzt ausführlich in der Biographie von Marita Krauss nachzulesen 1.

1 Marita Krauss: Die Frau der Zukunft. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, 1855-1916. Ärztin und Reformerin, München: Buchendorfer Verlag, 2002, 204 S., Ill. ISBN 3-93036-910


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