Religion und Männlichkeit in der Moderne. Neue interdisziplinäre und transnationale Forschungsperspektiven (18. bis 20. Jahrhundert)

Religion und Männlichkeit in der Moderne. Neue interdisziplinäre und transnationale Forschungsperspektiven (18. bis 20. Jahrhundert)

Organisatoren
Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.09.2011 - 16.09.2011
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Von
Ole Fischer, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Ausgehend von der Annahme einer Feminisierung von Religionen und Kirchen seit dem späten 18. Jahrhundert führte die Konzentration auf Frauen als religiöse Subjekte zu einer weitreichenden Vernachlässigung des Forschungsfeldes „Religion und Männlichkeit in der Moderne“. Männer sind und waren jedoch nicht von religiösen Aktivitäten ausgeschlossen. Auch in modernen Gesellschaften kann Religiosität ein wichtiger Faktor männlicher Identitätsbildung sein, ohne notwendigerweise im Widerspruch zu einem Streben nach Autonomie und Rationalität zu stehen.

Die dreitägige Tagung, die vom Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena veranstaltet und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde, widmete sich den Forschungsdesideraten des Themenkomplexes „Religion und Männlichkeit in der Moderne“ und thematisierte in internationaler Perspektive aktuelle Forschungen zu religiösen Aktivitäten von Männern, aber auch zur Bedeutung von Religion bei der Bildung männlicher Identitäten sowie zur Konstruktion von Männlichkeiten und männlichen Rollenbildern in den verschiedenen Konfessionen und Religionen in der Zeit vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.

Der Eröffnungsvortrag von BJÖRN KRONDORFER (Maryland) fokussierte das Forschungsspektrum auf mehreren Ebenen. Der Vortrag betonte die vielfältigen Möglichkeiten des Mann-Seins im Christentum und Judentum und bot eine thematisch zugespitzte Einführung in die Erforschung von Männlichkeiten. Während die men's studies die Bedeutung religiöser Traditionen erkannt hätten und sich besonders in den USA seit über 20 Jahren zunehmend etablieren konnten, beklagte Krondorfer die geringe Rezeption der Kategorie Gender in der „innovationsresistenten“ deutschsprachigen Theologie. Darauf eingehend stellte Krondorfer sein Konzept der critical men's studies in religion vor. Männer seien nicht nur als geschlechtliche Wesen zu erfassen, sondern es gelte auch danach zu fragen, inwieweit Religion als ein Produkt von Männern geschlechtsspezifisch reflektiert werden muss. Thematisiert werden müsse aber auch die Frage, welche alternativen Formen des Mann-Seins durch Religion zur Verfügung stehen. Dabei könne es aber nicht um eine positivistische und heteronormative Deutung oder den Versuch einer neuen diskursiven Privilegierung von Männern gehen, sondern primär um eine „Kritik aus Neugierde und Empathie“, so Krondorfer.

Die erste Sektion „Religiöse Männlichkeit zwischen Kultur- und Geschlechtergeschichte“ gab weiterführende Einblicke in konzeptionelle und methodologische Überlegungen zu einer Erforschung des Zusammenhangs von Religion und Männlichkeit seit dem 18. Jahrhundert. Die Vorträge präsentierten Ansätze und Überlegungen zu einer Überwindung der Feminisierungsthese. MARTIN DINGES (Stuttgart) betonte, dass es grundsätzlich darum gehe, der Bedeutung transzendenter Sinnsuche im Leben von Männern nachzuspüren. Dabei gelte es, sich von zu eingeschränkten Religionsdefinitionen zu verabschieden. In diesem Sinne müsse die Forschung bei ihrer Suche nach Religiosität im Leben von Männern auch individuelle und kollektive außerkirchliche Praktiken berücksichtigen. Dinges vermutete, dass entsprechende Untersuchungen zunehmend auf eine Vielzahl ganz unterschiedlich konstruierter Männlichkeiten verweisen werden. Auch GISELA METTELE (Jena) machte deutlich, dass entsprechende Forschungen zunächst vor der zentralen Frage stünden, wie sich männliche Religiosität sichtbar machen lasse, wenn diese nicht über statistische Untersuchungen zur Gottesdienstteilnahme zu erheben sei. Erste Hinweise, wie diesem Problem in der Praxis begegnet werden könnte, gab YVONNE MARIA WERNER (Lund), die einen Einblick in ihre mehrjährige Forschungserfahrung im Rahmen des von ihr seit 2004 an der Universität Lund geleiteten Projekts „Christian Manliness – a Paradox of Modernity“ gewährte. Insgesamt betonte sie, dass das gesellschaftliche Engagement auf christlichem Grund ein wichtiger Bestandteil der Konstruktion christlicher Männlichkeit gewesen sei. Auch UTE GAUSE (Bochum) betonte die Besonderheiten dezidiert religiöser Männlichkeit, die sie am Beispiel von Briefen protestantischer Wehrmachtssoldaten herausstellte. In diesen Briefen werde, so Gause, eine christliche Alternative zur soldatischen Männlichkeit erkennbar, die sich besonders durch ein ausgeprägtes Schuldbewusstsein, aber auch durch eine tendenzielle Bevorzugung der communio sanctorum vor der Gemeinschaft der Kameraden auszeichne. Einen eher ideengeschichtlichen Ansatz verfolgte hingegen ULRIKE BRUNOTTE (Maastricht), die anhand der Kulturtheorien Sigmund Freuds und Hans Blühers beispielhaft den Einfluss eines Männerbund-Diskurses um 1900 auf religionsgeschichtliche Ursprungstheorien darstellte.

Die Vorträge der Sektion „Religiöse Männlichkeitskonstruktionen in der Aufklärungszeit“ machten deutlich, dass im 18. Jahrhundert eine Vielzahl unterschiedlich konstruierter Männlichkeiten nebeneinander existierten und auch miteinander konkurrierten. OLE FISCHER (Jena) veranschaulichte dies am Beispiel der Biographie des protestantischen Theologen Adam Struensee (1708-1791), dessen Männlichkeitsentwurf stark von der pietistischen Theologie beeinflusst war und der während seines Lebens verschiedentlich in Konflikt mit Vertretern anderer Männlichkeitskonzepte geraten sei. PETER VOGT (Niesky) betonte, dass zwar in der Herrnhuter Brüdergemeine zur Zeit des Gründers Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs (1700-1760) eine feste Überzeugung von der Männlichkeit Christi bestanden habe und dass die Männlichkeit Jesu in der Brüdergemeine integraler Bestandteil eines theologischen Entwurfs gewesen sei. Da jedoch unklar blieb, welche Wesensmerkmale Christi als typisch männlich galten, sei die konkrete Vorbildfunktion des Zinzendorfschen Entwurfs religiöser Männlichkeit nicht unmittelbar gegeben. Auch in aufklärerischen spanischen Wochenzeitschriften seien ganz verschiedene Männlichkeiten konstruiert worden, so KRISTINA HESSE (Berlin). Gemeinsam sei diesen Männlichkeiten eine herausragende Bedeutung des katholischen Glaubens gewesen. Den Wandel von Männlichkeitskonstruktionen am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert machte KRISTIANE GERHARDT (Göttingen) am Beispiel der Konstruktion von Männlichkeit im Judentum deutlich. Während zunächst primär die religiöse Gelehrsamkeit als Ausdruck von Männlichkeit gegolten habe, sei zunehmend das Bild vom weltlichen Geschäftsmann relevant geworden. Dies stellte Gerhardt in den Zusammenhang der Bemühungen um eine „Zivilisierung des Judentums“.

Wie groß der Einfluss der erneuten Bemühungen um konfessionelle Identitäten auf die Konstruktion religiöser Männlichkeiten war, zeigten die Vorträge der Sektion „Konfessionell geprägte Männlichkeitsentwürfe des 19. Jahrhunderts“. Dabei fand besonders die Konstruktion katholischer Männlichkeiten oft ganz bewusst im Gegenüber zum Idealbild des bürgerlichen Mannes statt. Dies sei unter anderem auf einer diskursiven Ebene festzustellen, wie BERNHARD SCHNEIDER (Trier) am Beispiel von etwa 40 „katholischen Männerbüchern“ deutlich machte. Aber auch lebenspraktisch wurden die alternativen religiösen Männlichkeitsentwürfe bedeutsam. So beleuchtete LISA ZWICKER (Indiana) die Männlichkeit katholischer Studenten in Deutschland zwischen 1890 und 1814 und betonte, wie sehr von protestantischer Seite geschlechtlich codierte Argumentationsweisen verwendet wurden, um katholische Männer abzuwerten. CAROL ENGELHARDT HERRINGER (Dayton) zeigte am Beispiel englischer Kleriker, dass in diesem Zusammenhang auch optische Merkmale von Bedeutung waren. Während bürgerliche Männer zunehmend Bärte getragen hätten, seien die Kleriker immer rasiert gewesen. Wie sehr gleichwohl auf bürgerliche Werte und eine vermeintlich männliche Rationalität rekurriert wurde, um die Häufigkeit der Kirchenbesuche von Männern zu steigern, zeigte TINE VAN OSSELAER (Löwen). Gezielt seien in Belgien jungen Klerikern Anweisungen gegeben worden, wie sie auf eine Steigerung des männlichen Kirchenbesuchs hinzuwirken hätten. Es sollte an die „Vernunft“ der Männer appelliert werden, dass auch sie sich des Gottesdienstes zu bedienen hätten, wollten sie nicht ihr Seelenheil gefährden.

Diese Überlegungen leiteten über zur Sektion „Remaskulinisierung: Diskurse und Strategien“. Wie OLAF BLASCHKE (Trier) betonte, seien sowohl die Feminisierung als auch die Remaskulinisierung der Religion vor allem Phänomene auf der Ebene publizistischer Diskurse gewesen. Besonders in der Zwischenkriegszeit habe es einen „Wettlauf um die männlichste der Kirchen“ gegeben. Anhand statistischer Untersuchungen zum Abendmahlsbesuch von Männern und Frauen machte Blaschke deutlich, dass im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zwar durchgehend weniger Männer als Frauen am Abendmahl teilgenommen hätten. Gleichwohl sei die Anzahl der männlichen Abendmahlsbesucher insgesamt weitgehend konstant geblieben, weshalb zumindest der prozessuale Charakter einer fortschreitenden Feminisierung der Religionen infrage zu stellen sei. Zu den Strategien der Remaskulinisierung gehörte, wie HUGH McLEOD (Birmingham) zeigte, auch die Propagierung einer „muscular Christianity“. Sport sei als ein Mittel entdeckt worden, mit dem Männer zurück in die Kirche geholt werden konnten. In England habe sich im 19. Jahrhundert ein Ideal von Männlichkeit heraus entwickelt, dass von Männern sowohl körperliche als auch moralische Stärke forderte. Sport und Religiosität seinen eng miteinander verbunden und Sport selbst religiös gedeutet worden. Im 20. Jahrhundert hätten sich diese Tendenzen anfangs noch verstärkt, gleichzeitig sei der religiöse Aspekt sportlicher Betätigung aber zunehmend in Vergessenheit geraten. Dass eine Remaskulinisierung von Religion nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Konfessionen zu konkurrierenden Männlichkeitsentwürfen führte, veranschaulichte ANGELA BERLIS (Bern) am Beispiel der theologischen Auseinandersetzung um das Erste Vatikanum (1870) und den in diesem Zusammenhang ausgetragenen „Streit um die wahre Männlichkeit“. Während im Altkatholizismus die Anhänger des Ultramontanismus wegen ihrer Abhängigkeit von Rom als effeminiert gegolten hätten, habe der Ultramontanismus altkatholische, nicht zölibatäre Männer als unmännlich dargestellt, weil diese nicht fähig seien, ihre körperlichen Begierden zu kontrollieren. Auf die Extremformen einer Remaskulinisierung von Religion machte JANA HUSMANN (Berlin) aufmerksam, die den Zusammenhang von fundamentalistischer Bibelgläubigkeit (Literalismus) und (Re-)maskulinisierung des Christentums im frühen 20. Jahrhundert beleuchtete. Sie betonte, dass der Literalismus ein männlich codiertes Wissenssystem sei und von Männern gezielt zur Konstruktion eines religiösen Männlichkeitsideals eingesetzt worden sei. Auf diesem Weg sei nicht nur die moderne Geschlechterordnung sakralisiert, sondern seien auch ungläubige Männer in ihrer Männlichkeit abgewertet worden.

In der Abschlussdiskussion wurden die wesentlichen Diskussionspunkte, methodischen Überlegungen und Forschungsdesiderate noch einmal zusammengefasst. Es wurde deutlich, dass die Hypothese einer Feminisierung von Religiosität und Frömmigkeit als heuristisches Werkzeug fortwährend zu gebrauchen ist, da sie besonders in Diskursen des 19. Jahrhunderts ihre Bestätigung findet. Wie mehrere Vorträge deutlich machen konnten, muss diese These differenzierter betrachtet werden, da Religion im Leben vieler Männer einen herausragenden Stellenwert besaß. Auch Connells Konzept der Hegemonialen Männlichkeit wurde noch einmal diskutiert. Zwar sei es zu statisch, um die Menge verschiedener Männlichkeiten adäquat zu erfassen, dennoch sei in allen Beiträgen Hegemonie als konstitutives Element der Konstruktion von Männlichkeit deutlich geworden. Gerade die Vielschichtigkeit möglicher männlicher Identitäten allein im religiösen Kontext verweise aber auch hier auf die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung, die gezielt verschiedene zeitliche, räumliche und soziale Kontexte in die Analyse einbezieht. Gleichzeitig erschwere dies die Umsetzung einer Untersuchung auch transnationaler Prozesse. Weitgehende Einigkeit bestand darüber, dass eine jede Untersuchung über Religion und Männlichkeit auch den Aspekt der Körperlichkeit einbeziehen müsse. Als größte Desiderate im Rahmen der Tagung erschienen abschließend die Untersuchung außereuropäischer religiöser Traditionen sowie der konsequente Einbezug weiblicher Perspektiven auf den Zusammenhang von Religion und Männlichkeit.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Abendvortrag:
Björn Krondorfer (Maryland): Männer und Männlichkeiten in Christentum und Judentum

Sektion A: Religiöse Männlichkeit zwischen Kultur- und Geschlechtergeschichte

Gisela Mettele (Jena): Einleitende Überlegungen

Yvonne Maria Werner (Lund): Christliche Männlichkeit in Nordeuropa im Zeitalter des Konfessionalismus

Ute Gause (Bochum): Kirchengeschichte und Genderforschung; Religion und Männlichkeit

Ulrike Brunotte (Maastricht/Berlin): Brüderclan und Männerbund. Zur Rolle von imaginärer Ethnografie, Antisemitismus und Männlichkeit in modernen Kulturtheorien

Martin Dinges (Stuttgart): Kommentar zur Sektion

Sektion B: Religiöse Männlichkeitskonstruktionen in der Aufklärungszeit

Ole Fischer (Jena): Die Ohnmacht des frommen Mannes – Religion und Geschlecht im Leben Adam Struensees (1708-1791)

Peter Vogt (Niesky): Die Männlichkeit Jesu in der Herrnhuter Brüdergemeine

Kristina Heße (Berlin): Zwischen Vernunft und Religion: Männlichkeiten im Spanien der Aufklärung

Kristiane Gerhardt (Göttingen): Der Wandel von Männlichkeitskonzepten im Judentum in der Aufklärung

Sektion C: Konfessionell geprägte Männlichkeitsentwürfe des 19. Jahrhunderts

Bernhard Schneider (Trier): Konstruktion männlicher Ideale im deutschen Katholizismus

Lisa Zwicker (Indiana): Religiös-konfessionelle Männlichkeitskonstruktionen im Deutschen Kaiserreich

Carol Engelhardt Herringer (Dayton): Theology and Masculinity in the Victorian Church of England

Tine van Osselaer (Löwen): ‘Handle with Care’. The Catholic clergy and their male parishioners in Belgium (1800-1940)

Sektion D: Remaskulinisierung: Diskurse und Strategien

Olaf Blaschke (Trier): Remaskulinisierung und Konfessionalisierung im Deutschland des 19. Jahrhunderts

Hugh McLeod (Birmingham): Sport und Religion im England des 19. und 20. Jahrhunderts

Angela Berlis (Bern): Das Verlangen nach dem “ganzen Mann”. Der Streit um wahre Männlichkeit in der Auseinandersetzung um das Erste Vatikanum (1870)

Jana Husmann (Berlin): Christlicher Fundamentalismus in Deutschland: Aspekte der (Re-)maskulinisierung in der Moderne

Abschlussdiskussion