Die Gegenwart der Imperien. Kolloquium aus Anlass des achtzigsten Geburtstags von Klaus Schwabe

Die Gegenwart der Imperien. Kolloquium aus Anlass des achtzigsten Geburtstags von Klaus Schwabe

Organisatoren
Historisches Institut der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.03.2012 - 27.03.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Katharina Grannemann / Anne Günther, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Imperium – das ist ein Begriff, der die Geschichte bis heute durchzieht (man denke nur an das "Imperium Romanum"), der die Geschichtswahrnehmung prägt und aktueller denn je scheint. Eine Tagung des Historischen Institutes der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, mitfinanziert von Pro RWTH, beleuchtete daher am 26. und 27. März 2012 „Die Gegenwart der Imperien“ und würdigte mit Vorträgen und Diskussionen einen der international bekanntesten Historiker der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Klaus Schwabe. Anlass war Klaus Schwabes 80. Geburtstag, den die Ausrichter mit dieser Tagung „wissenschaftlich“ begleiteten.

Am ersten Tag begrüßte HARALD MÜLLER (Aachen) Klaus Schwabe und seine Gäste und würdigte ihn als aktiven Teil der Lehrenden am Historischen Institut, von dessen Erfahrungen das Institut noch heute profitiere. Harald Müller skizzierte Klaus Schwabes Lebensweg, seine Kinder- und Jugendzeit in Berlin unter der nationalsozialistischen Diktatur und im zerstörten Nachkriegsdeutschland, seine berufliche Karriere, die ihn an zahlreiche renommierte Institute in der ganzen Welt bis nach Aachen führte, wo er 17 Jahre lang Neuere Geschichte lehrte. Schier unüberschaubar sei die Anzahl seiner Publikationen, viele von ihnen auch englisch- und französischsprachig.

Der Titel „Die Gegenwart der Imperien“ charakterisierte die Fragestellung der Tagung. Gibt es heute noch Imperien? Sind es heute ganz neue Mächte, die imperial agieren? Können wir noch von „imperialem Agieren“ sprechen?

ARMIN HEINEN (Aachen) eröffnete am ersten Tag die Vortragsreihe mit der Frage „Restitutio Imperii? Über die Wiederentdeckung eines Begriffes“. Heinen verfolgte in seinem Vortrag die Entwicklung des Imperiumsbegriffes, seine neugewonnene Attraktivität in den letzten Jahren und seine Umdeutung nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems 1989/90. Heinens zentrale These beruhte auf der Annahme, dass die Veränderungen des internationalen Systems seit 1989 den Wunsch erkläre, die Welt neu zu ordnen und Lösungen zu finden, diese friedlich zu strukturieren und zu zivilisieren. Mit Hilfe der Begriffsgeschichte zeichnete er die Bedeutungsentwicklung des Imperiumsbegriffes seit der Antike nach und fragte, wie es zu den unterschiedlichen Bedeutungen des „Imperiums“ kam. Zugleich schlüsselte Heinen verschiedene Definitionen von Imperien auf, beleuchtete Verlaufszyklen und Arten von Imperien, hinterfragte das Verhältnis von Demokratie und Imperien, schließlich den Zusammenhang zwischen informellem und formellem Imperialismus. Abschließend bettete er die Europäische Union in den Kontext der „neuen, alten Weltordnung der Imperien“ und folgerte, dass es keinen Ausweg aus der Geschichte und Politik gebe und deshalb jeder falsche Vergleich zu vermeiden sei.

Der zweite Redner des Tages war JAN KUSBER (Mainz), der Russland und die Last des Imperiums aus den Perspektiven des 21. Jahrhunderts beleuchtete. Kusber zeichnete verschiedene Darstellungstraditionen von russländischer Geschichtswahrnehmung nach, die Kontinuität und imperiale Dimension Russlands ebenso wie die Verbindung von zaristischen, sowjetischen und heutigen Elementen widerspiegelten. Schlüsselbegriffe waren und sind „Vaterland“ und „Heimat“, die auch heute wieder von Putin verwendet werden. Die orthodoxe Kirche entwickelte sich zu einem politischen Machtakteur, die auch über die „russische Welt“ hinaus in die „Diaspora“ hineinreichte und die Vorstellung von Russland als Imperium förderte.

Kusber zeichnete in seinem Vortrag die vielfältigen Wahrnehmungen eines russischen Imperiums nach und stellte die klassische Imperiumsforschung neuen kulturgeschichtlichen Ansätzen gegenüber. Er verfolgte die geschichtliche Dimension des Begriffs „Imperium“ für Russland; eine erste Begriffsverwendung findet sich mit dem Nordischen Krieg 1721, fest verankert wurde er mit der Krönung Peters des Großen, der sich 1722 als Imperator bezeichnete. Ebenso wie Heinen stellte Kusber fest, dass der Begriff des Imperiums im postsowjetischen Diskurs inflationär verwendet werde. Das Ende der Sowjetunion bedeutete einen tiefen Einschnitt: Die Sowjetunion fiel zusammen, obwohl es keine kriegerischen Auseinandersetzungen gegeben hatte; es kam zu territorialen und machtpolitischen Verlusten, für die keine militärische Niederlage verantwortlich gemacht werden konnte. Es wuchs die Sehnsucht nach dem Imperium, die bis in die Gegenwart hinein strahle und in den Medien sowie der Öffentlichkeit propagiert werde. Eine klare Definition eines Imperiums gab und gebe es indes nicht, vielmehr vereine der Begriff Imperium, in welcher Fassung auch immer, den Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer starken Gemeinschaft. Kusber sprach von einem “nostalgischen Alltagsbegriff“, der durch Putin in seiner postimperialistischen Vorstellung gefördert wurde. Typisch für den imperialen Diskurs sei die „gekonnte“ Ausblendung von Terror, Vertreibung und Ermordung aus den Geschichtserzählungen. Und auch wenn an manchen Stellen der Wunsch nach Reformen durchschien, so versuchten die Machtakteure in Moskau mit „Modernisierungsversuchen“ à la „Strategie 2020“ die Diskurshoheit zu behaupten.

Am zweiten Tag eröffnete DETLEF JUNKER (Heidelberg) die Vortragsrunde mit der Frage „Sind die USA (noch) eine imperiale Macht?“. Detlef Junker zeichnete in seinem Vortrag verschiedene Paradoxien der USA nach, die das Land und Kultur prägten, ja geradezu institutionalisierten und die Imperialsmusdiskussion mitbestimmten: Chancengleichheit und soziale Ungerechtigkeit, Versklavung und Rassismus sowie der Glaube an die unbegrenzte Freiheit für jeden. Die Imperialismusdebatte wurde und wird in den USA lebhaft geführt. Ein klares „Ja“ zum Imperialismus habe die Forschung nicht hervorgebracht, vielmehr zahlreiche Einschränkungen des Imperiumsbegriffes vorgeschlagen wie „überfordertes Imperium“, „zerfallenes“, „untergehendes Imperium“, „Imperium auf Probe“ und viele weitere. Junker legte seinen Überlegungen einen erweiterten Imperiumsbegriff zugrunde: „Danach muss eine imperiale Macht fähig sein, die Struktur der internationalen Ordnung über lange Zeit und große Gebiete nach eigenen Interessen und Werten zu gestalten, Systemfeinde zu bekämpfen, zumindest zu neutralisieren.“ Mit dieser erweiterten Definition des Imperiums verknüpfte Junker zwei Hauptursachen, warum die USA für ihn immer noch eine imperiale Macht sei: erstens „die globale Entgrenzung des nationalen Interesses der USA“ und zweitens „die zivilreligiöse, göttlich legitimierte Sendungsidee der Freiheit“.

Schließlich ging Junker der Frage nach, ob die USA wohl das Schicksal aller großen Imperien teile und ihre imperiale Macht durch innere Schwäche und stärker werdenden Rivalen verlieren werde. Auch hier trat die Paradoxie der USA zu Tage: Strukturschwächen der amerikanischen Innen- und Außenpolitik standen neben der konstanten militärischen Überlegenheit. Eine Antwort auf diese Frage kann noch nicht gefunden werden.

Auf die Darstellung von Detlef Junker zu der imperialen Stellung der USA folgte RALPH ROTTE (Aachen) mit einem Überblick über Chinas Rolle als neue aufstrebende Weltmacht. Ralph Rotte diskutierte in seinem Vortrag die Frage, inwieweit China eine imperiale Macht darstelle und welche Faktoren die Entwicklung eines chinesischen Imperiums beeinflussten. China habe, so Rotte, zunehmend an Einfluss gewonnen, die aktuellen Diskussionen in der Öffentlichkeit über Chinas Machtstellung bezeugten dies. Die chinesische Wirtschaft habe sich rasant entwickelt und sogar die USA in einigen Bereichen überholt. Während China vor einigen Jahren selbst noch das Ziel von Investitionen war, ist China heute einer der größten Investoren weltweit geworden. Diese Entwicklung bringe allerdings auch Probleme mit sich: starke Verstädterung, eine zunehmende Stagnation des Wachstums und eine große Zahl von Wanderarbeitern. Mit US-Anleihen in der Höhe von 900 Millionen stelle China einen der größten Gläubiger der USA dar und sei damit gleichzeitig auch stark abhängig von den internationalen Finanzmärkten.

Für Rotte spielte bei der Frage nach einem chinesischen Imperium besonders das Selbstverständnis Chinas eine große Rolle. China sehe sich in der Tradition des „Reiches der Mitte“ und verfolge eine eigene politische Philosophie und Lebensweise. Daraus resultiere auch Chinas Wunsch nach einer multipolaren Weltordnung. China wolle keine Hegemonialmacht wie beispielsweise die USA, so Rotte, sondern fordere die Akzeptanz von individuellen kulturellen Werten. China wolle sich international etablieren und nutze die weltweit gegründeten Konfuzius-Institute zur Vermittlung der chinesischen Kultur und Sprache. Rotte betonte, dass China zwar das Konzept von „soft power“ anwende, jedoch nicht vor Konflikten zurückscheue. Daher kam Ralph Rotte zu dem Schluss, dass ein chinesisches Imperium nicht auf friedlichem Weg entstehen könnte.

Zum Abschluss blickte KLAUS SCHWABE (Aachen) in aller Kürze auf das Kolloquium zurück und dankte den Rednern für ihre fesselnden Beiträge. Darauf berichtete er in einer "Fußnote in eigener Sache" von seinem eigenen Werdegang als Historiker und skizzierte seine Vorstellung von der Aufgabe der Geschichte für deren jeweilige Gegenwart. Geschichte habe ihm seit früher Jugend immer einfach Spaß gemacht. Geprägt hätten ihn das Erlebnis der Folgen der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg, seine Verbindungen nach Amerika und die Ausbildung bei seinem Doktorvater, dem politischen Historiker Gerhard Ritter (Freiburg). Nach diesen Erfahrungen und diesem Vorbild sprach sich Schwabe für eine unbestechliche und auf Authentizität bedachte Geschichtswissenschaft aus. Diese dürfe sich weder durch äußeren Druck noch gar durch Gesetze zum Werkzeug der Politik machen lassen. Nur unabhängig in ihrer Fragestellung und in ihren aus der Überlieferung entnommenen Ergebnissen könnte sie eine befreiend-"emanzipatorische" Wirkung erzielen. Nur dann habe sie die Möglichkeit, das Geschichtsbild von Nationen und Gesellschaften von Vorurteilen zu befreien, zu nationaler Selbstkritik zu erziehen sowie zur Beilegung internationaler Konflikte beizutragen und damit Frieden stiften zu helfen. Ohne diesen Beitrag drohe die Wiederkehr von politischen Fehlurteilen und Fehlern früherer Generationen. Mit den Worten von George Santayana: „Those who cannot remember the past are condemned to repeat it“, schloss Schwabe seinen Rückblick.

Konferenzübersicht:

Harald Müller: Klaus Schwabe zum 80.Geburtstag: Sein Werk und das Thema der Konferenz

Armin Heinen: Restitutio Imperii – über die Wiederentdeckung eines Begriffes

Diskussion
Diskussionsleitung: Klaus Freitag

Jan Kusber: Russland und die Last des Imperiums. Perspektiven des 21. Jahrhunderts

Diskussion
Diskussionsleitung: Frau Roll

Detlef Junker: Sind die USA (noch) eine imperiale Macht?

Diskussion
Diskussionsleitung: Harald Müller

Ralph Rotte: Ein neues chinesisches Imperium? Strukturelle Konsequenzen des Wiederaufstiegs des Reichs der Mitte für das internationale System

Diskussion
Diskussionsleitung: Armin Heinen

Klaus Schwabe: Schlussbetrachtung und Diskussion


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