Konzeptionelle Überlegungen zur Edition von Rechnungen und Amtsbüchern des späten Mittelalters

Konzeptionelle Überlegungen zur Edition von Rechnungen und Amtsbüchern des späten Mittelalters

Organisatoren
Jürgen Sarnowsky / Cordula Franzke, Historisches Seminar, Arbeitsbereich Mittelalter, Universität Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.02.2015 - 03.02.2015
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Von
Joachim Laczny, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Am 2. und 3. Februar 2015 fand an der Universität Hamburg eine Tagung im Rahmen des seit 2013 durch die DFG finanzierten Projekts „Quellen zur Wirtschaftsführung untergeordneter Amtsträger des Deutschen Ordens in Preußen“ unter Leitung von Jürgen Sarnowsky über „Konzeptionelle Überlegungen zur Edition von Rechnungen und Amtsbüchern des späten Mittelalters“ statt. Die Schwerpunkte lagen vor allem auf Zielsetzung, Herangehensweise und Herausforderungen, auch in technischer Hinsicht, in laufenden oder abgeschlossenen Editionsprojekten, sowie bei Auswertungsmöglichkeiten, unter anderem bei den Schwerpunkten Prosopografie, Netzwerk, sprachliche Aspekte und digitale Editionen.

Zur Begrüßung betonten Werner Rieß (Hamburg) und Jürgen Sarnowsky (Hamburg) vor den sechs Vortragenden und rund 15 Teilnehmenden einstimmend die Bedeutsamkeit von Editionen und digitalen Editionsstrategien für die Geschichtswissenschaft, die neue Formen der Datenanalyse und Datenvisualisierung eröffneten, um hierbei gleichzeitig die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit angemessenen Editionsgrundsätzen zu unterstreichen.

Den Auftakt der zweitägigen Tagung bildete der Vortrag von GEORG VOGELER (Graz) „Über die Rolle von Technologien des Semantic Web bei der Edition von Rechnungen und Amtsbüchern“, um anhand der digitalen Edition der Basler Jahrrechnungen des 16. Jahrhunderts (1535/36–1611) neue technische Ansätze exemplarisch aufzuzeigen. Strukturierte Daten können nicht nur nach dem Standard TEI, sondern auch nach dem W3C-Standard RDF (Resource Description Framework) ausgezeichnet werden, um damit komplexe Abfragen mittels der Abfragesprache SPARQL (SPARQL Protocol and RDF Query Language) zu ermöglichen.1 Zudem können aufgrund dieses Ansatzes auch Linked Open Data – wie online verfügbare Informationen zu Maßangaben, Geldbeträgen, Gütern und Berufsbezeichnungen – in die Auswertung des Datenbestandes eingebunden werden.

CARSTEN JAHNKE (Kopenhagen) schloss mit seinen Ausführungen über „Die Edition der Hamburgischen Pfundgeldlisten 1485–1486. Möglichkeiten und Gefahren moderner Editionen“ unmittelbar an2, wobei zunächst Vor- und Nachteile von sprachlichen Standardisierungen sowie von anderen Texteingriffen in einem gedruckten Editionswerk Erläuterung fanden, gefolgt von einer kritischen Auseinandersetzung der Verknüpfung zwischen Editionstext und Registereintrag. Besondere Aufmerksamkeit sei bei der Edition serieller Quellen auf die Editionsgrundsätze zu legen, um nicht den Aussagewert zu verfälschen, welches anhand des vergleichenden Beispiels der Zollliste von 1481 mit Petty Customs Account vertieft wurde. Abschließend seien zwar moderne Editionen rechnergestützt oftmals auswertbar, doch wirken diese durch die unzureichende Nachhaltigkeit bzw. technische Nutzbarkeit meist stark beschränkend.

Zwischen dem Fund der Handlungsbücher und -briefe eines Kaufmanns im Stadtarchiv Reval „unter einer dicken Schicht Pfeffer“ und der Herausgabe der dreibändigen Edition verstrichen insgesamt 135 Jahre. ALBRECHT CORDES (Frankfurt am Main) würdigte in seinem Beitrag „Die Briefe und Bücher des Hildebrand Veckinchusen. Das größte hansische Kaufmannsarchiv und die Geschichte seiner Edition“ zunächst dieses Vorhaben durch biographische Ausführungen zur Person Hildebrand Veckinchusen (um 1370–1426), gefolgt von Einblicken in die Wissenschaftsgeschichte der drei Editionen von 1921, 1973 und 2013.3 Beispiele inhaltlicher Auswertung wie Warenkunde, Buchführungstechnik, Nebenkosten oder Handelsgesellschaften schlossen den Vortrag ab.

Anschließend an die Ausführungen zu diesem abgeschlossenen Editionsprojekt ging ANNA PAULINA ORŁOWSKA (Kiel) in ihrem Vortrag auf die „Herausforderungen bei der editorischen Bearbeitung von pragmatischer Schriftlichkeit am Beispiel des Rechnungsbuches des Hansekaufmanns Johan Pyre“ ausführlich ein. Das 113 Blätter umfassende Kaufmannsbuch des Danziger Kaufmanns Johan Pyre (1421–1454) zeichnet sich zunächst durch die Dynamik des Schriftgebrauchs, unter anderem durch neuartige Buchungstechniken hervorgerufen, aus. Neben zahlreichen Herausforderungen, der individuellen Buchführung bzw. Handschrift oder dem Umgang mit Kaufmannszeichen geschuldet, galt es, entsprechende Editionsgrundsätze zu definieren4, um unter anderem den in drei Teile gegliederten Aufbau des Rechnungsbuchs gebührend in der Transkription erfassen zu können.

GUDRUN GLEBA (Osnabrück) richtete in ihrem Beitrag „Die Visualisierung der ‚Ordnung im Kopf des Schreibers‘. Editorische Herausforderungen am Beispiel westfälischer Rechnungsbücher und -fragmente“ das Augenmerk auf die Medialität von Rechnungsbüchern und auf Differenzen der Textgestalt und Text-Bild-Gestalt, wobei durch die standardisierte Transkription Prozessualität sowie Temporalität des Geschriebenen oftmals nicht hinreichend ausgezeichnet würden. Zudem konnten mittels zahlreicher Beispiele die Differenzen der Nutzungsintention von Rechnungsbüchern als öffentliches Dokument, wie bei Rechnungen des Klosters Gertrudenberg5, oder für die private Handhabung, wie durch das private Rechnungsbuch des Kaufmanns Cord Kerkering6, herausgearbeitet werden, um abschließend die Notwendigkeit einer Transkription und gleichzeitigen Text-Bild-Dokumentation aufzuzeigen, welches die inhaltliche sowie mediale Ebene des Originals berücksichtigt.

Im die Tagung abschließenden Vortag „Die Edition der Quellen zur Wirtschaftsführung untergeordneter Amtsträger des Deutschen Ordens. Neue Wege der analogen und digitalen Publikation“ erörterte CORDULA FRANZKE (Hamburg) die Ergebnisse des durch die DFG finanzierten, zweijährigen Projektes, in welchem Amtsbücher von ca. 1450 aus dem Pflegeramt zu Seehesten, der Komturei Balga (436 Seiten) zugehörig und der Vogtei Leipe und Schönsee (102 Seiten) in einer Edition erschlossen wurden, um diese unter Open-Access-Bedingungen in analoger und digitaler Form zu publizieren.7 Die Bücher dienten in ihrer Zeit als Amtsbücher über Einnahmen und Ausgaben der Pflegerämter und Vogteien. Die Veröffentlichung der Edition wird als gedrucktes Buch und digital als PDF- sowie als XML-Datei in TEI ausgezeichnet unter einer Creative Commons-Lizenz, die das Teilen und Weiterverarbeiten der Daten gewährleistet, erfolgen. Anhand einer sozialgeschichtlich begründeten, exemplarischen Fragestellung zum Bienenraub im Pflegeramt Seehesten konnte die Auszeichnung des digitalen Editionstextes mit Hilfe der TEI-spezifischen tags8, gefolgt von technischen Abfrage- bzw. Auswertungsmöglichkeiten (XQuery), demonstriert werden.

Der Gedankenaustausch der Diskutantinnen und Diskutanten im Verlauf der thematisch spezifisch ausgerichteten Veranstaltung zeichnete sich durch rege und oftmals kontrovers geführte Diskussionen aus. Besondere Bedeutung wurde während der Abschlussdiskussion, neben den Fragen zu Editionsgrundsätzen von Rechnungsbüchern, auch den Fragen zum Aufbau von den Universitäten angegliederten digitalen Repositorien zwecks Nachhaltigkeit und zur Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Archiven und Forschungseinrichtungen beigemessen. Althergebrachte Editionsvorhaben seien zwingend für die Geschichtswissenschaft zu vollenden und zu publizieren, doch ebenso sei digitalen Editionsprojekten Aufmerksamkeit zu widmen und deren Mehrwert durchaus erkennbar.

Konferenzübersicht:

Werner Rieß/Jürgen Sarnowsky (Hamburg), Begrüßung

Sektion 1
Moderation: Jürgen Sarnowsky (Hamburg)

Georg Vogeler (Graz), Über die Rolle von Technologien des Semantic Web bei der Edition von Rechnungen und Amtsbüchern

Carsten Jahnke (Kopenhagen), Die Edition der Hamburgischen Pfundgeldlisten 1485–1486. Möglichkeiten und Gefahren moderner Editionen

Sektion 2
Moderation: Cordula Franzke (Hamburg)

Albrecht Cordes (Frankfurt am Main), Die Briefe und Bücher des Hildebrand Veckinchusen. Das größte hansische Kaufmannsarchiv und die Geschichte seiner Edition

Anna Paulina Orłowska (Kiel), Herausforderungen bei der editorischen Bearbeitung von pragmatischer Schriftlichkeit am Beispiel des Rechnungsbuches des Hansekaufmanns Johan Pyre

Sektion 3
Moderation: Joachim Laczny (Hamburg)

Gudrun Gleba (Osnabrück), Die Visualisierung der ‚Ordnung im Kopf des Schreibers‘. Editorische Herausforderungen am Beispiel westfälischer Rechnungsbücher und –fragmente

Cordula Franzke (Hamburg), Die Edition der Quellen zur Wirtschaftsführung untergeordneter Amtsträger des Deutschen Ordens. Neue Wege der analogen und digitalen Publikation

Abschlussdiskussion
Moderation: Joachim Laczny (Hamburg)

Anmerkungen:
1 Vgl.: Robert Kummer, Semantic Technologies for Manuscript Descriptions. Concepts and Visions, in: Franz Fischer / Christiane Fritze / Georg Vogeler (Hrsg.), Kodikologie und Paläographie im digitalen Zeitalter 2. Codicology and Palaeography in the Digital Age 2, Norderstedt 2011, S. 133–154.
2 Dennis Hormuth / Carsten Jahnke / Sönke Loebert (Hrsg.), Die hamburgisch-lübischen Pfundgeldlisten 1485–1486, Hamburg 2006.
3 Wilhelm Stieda (Hrsg.), Hildebrand Veckinchusen. Briefwechsel eines deutschen Kaufmanns im 15. Jahrhundert, Leipzig 1921; Michail P. Lesnikov (Hrsg.), Die Handelsbücher des hansischen Kaufmannes Veckinchusen, Berlin 1973; Michail P. Lesnikov / Walter Stark / Albrecht Cordes (Hrsg.), Die Handelsbücher des Hildebrand Veckinchusen. Kontobücher und übrige Manuale, Köln 2013.
4 Exemplarisch: Adam Wolff, Projekt instrukcji wydawniczej dla pisanych źródeł historycznych do połowy XVI wieku, in: Studia Źródłoznawcze 1 (1957), S. 155–180; Matthias Thumser, Zehn Thesen zur Edition deutschsprachiger Geschichtsquellen (14.–16. Jahrhundert), in: Matthias Thumser / Janusz Tandecki (Hrsg.), Editionswissenschaftliche Kolloquien 2005/2007. Methodik – Amtsbücher, digitale Edition – Projekte, Torún 2008, S. 13–19.
5 Gudrun Gleba / Ilse Eberhardt (Hrsg.), Summa summarum. Spätmittelalterliche Wirtschaftsnachrichten und Rechnungsbücher des Osnabrücker Klosters Gertrudenberg. Transkription und Kommentar, Münster 2011, S. 165–169.
6 Christian Reinicke, Das Fragment eines Rechnungsbuches des Osnabrücker Kaufmanns Cord Kerckering, in: Osnabrücker Mitteilungen 91 (1986), S. 49–83.
7 Cordula A. Franzke / Jürgen Sarnowsky (Hrsg.), Amtsbücher des Deutschen Ordens um 1450. Pflegeramt zu Seehesten und Vogtei zu Leipe, Göttingen 2015 [in Vorbereitung].
8 Vgl.: TEI Consortium, TEI P5: Guidelines for Electronic Text Encoding and Interchange. Version 2.7.0, Charlottesville, Virginia 2014. <http://www.tei-c.org/release/doc/tei-p5-doc/en/Guidelines.pdf> (11.3.2015).


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