HT 2018: Rat und Resilienz. Krisenbewältigung in der Stadt des 14. bis 16. Jahrhunderts

HT 2018: Rat und Resilienz. Krisenbewältigung in der Stadt des 14. bis 16. Jahrhunderts

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Eric Burkart, FB III – Mittelalterliche Geschichte, Universität Trier

Die hier beschriebene Sektion mit ihrem Fokus auf der Stadtgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit erscheint als Ausdruck eines sich weiter ausdifferenzierenden Forschungsdiskurses zur Resilienz. Sie erprobte die Tragfähigkeit des Konzepts im Rahmen von vier Analysen zu politischen Maßnahmen im Umfeld städtischer Ratsherrschaft, mit denen auf tatsächliche oder empfundene Vulnerabilitäten sowie existenzielle Krisen reagiert wurde.

In ihrer thematischen Einleitung stellte die Leiterin der Sektion, PETRA SCHULTE (Trier), die Frage, ob sich Historikerinnen und Historiker einen Gefallen erwiesen, wenn sie den Begriff der Resilienz aufgriffen, also der Widerstandsfähigkeit angesichts von chronischen, (vermeintlich) drohenden oder akuten Gefährdungen. Sie vermerkte kritisch, dass im 21. Jahrhundert angesichts von technischen Störfällen, Naturkatastrophen sowie sozialen, politischen und ökonomischen Unsicherheiten die Tendenz bestehe, die politischen Freiheitsrechte der Bürger zu beschneiden. Gleichzeitig werde ihr Denkhorizont auf Bedrohungen und Verletzlichkeiten sowie die Notwendigkeit verengt, eigenverantwortlich und auf eigene Kosten für ihre mentale und körperliche Gesundheit sowie die materielle Existenz Sorge zu tragen und somit „resilient“ zu werden. Resilienz sei damit Schulte zufolge zugleich ein Schlagwort, ein (gesellschaftspolitisches) Programm wie auch ein wissenschaftliches Thema, das in erster Linie in der Ökologie und der Urbanistik, aber auch in Psychologie, Politologie, Ökonomie und Soziologie behandelt werde. Damit stelle sich jedoch die Frage, ob die Geschichtswissenschaft zu den in der Gesellschaft und in diesen Disziplinen geführten Auseinandersetzungen etwas beitragen könne.

Schulte bejahte dies unter drei Prämissen: Um in der Geschichtswissenschaft mit dem Begriff der Resilienz über Resilienzphänomene zu arbeiten, sei es erstens notwendig, sich der eigenen Zeitgebundenheit und des eigenen Standorts bewusst zu werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskurse dürfe Resilienz als historischer Untersuchungsgegenstand daher weder positiv noch negativ konnotiert sein. Zweitens dürften sich Historikerinnen und Historiker nicht auf die Resilienzforschung beschränken, deren Fokus weniger auf der Entstehung von bestands- und existenzbedrohenden Situationen als vielmehr auf dem Umgang mit diesen liege. Und drittens gelte es Schulte zufolge im Rahmen jeder historischen Untersuchung festzulegen, welches Individuum, welche Gemeinschaft, welche Institution, welches Unternehmen oder welches System unter dem Aspekt der Resilienz analysiert und anhand welcher Kriterien diese Resilienz gemessen würde. Hier sei zwischen zwei Zugängen zu wählen: Entweder ließe sich aus einer emischen Perspektive herausarbeiten, welche Deutungsmuster und Ordnungskonzepte das Handeln der in den Blick genommenen resilienten Einheit lenkten und auf welche Ziele es dementsprechend ausgerichtet war, oder es ließen sich aus einem etischen Blickwinkel Kriterien festlegen, nach denen die Erforschung des historischen Gegenstandes ausgerichtet werde.

Für den ersten Zugang stellte Schulte in Bezug auf den städtischen Rat ein Analyseraster vor, dass den Denkhorizont, die Ressourcen und die entsprechenden Strategien der Absicherung ebenso einbezog wie die Beschreibung der Krise und die Untersuchung von Formen der Bewältigung, Adaption und Transformation.

Vor diesem theoretischen Hintergrund beschäftigten sich die vier Beiträge der Sektion mit konkreten Resilienzphänomenen des 14.–16. Jahrhunderts. GERRIT JASPER SCHENK (Darmstadt) untersuchte die Reaktionen des Rats der Republik Florenz auf ein verheerendes Hochwasser des Arno im Jahre 1333, das neben anderen Brücken auch den zu dieser Zeit noch hölzernen Ponte Vecchio zerstörte. In Anlehnung an den in der Katastrophenforschung geprägten Begriff der Kritikalität identifizierte er diese verkehrstechnisch zentrale Brücke als „kritische Infrastruktur“, deren Zerstörung in Verbindung mit der politischen Spaltung der Stadt in Guelfen und Ghibellinen zu einer politischen Krise führte. Anhand des Wiederaufbaus des Ponte Vecchio in den Jahren 1333–1345 machte Schenk deutlich, dass Brücken als öffentliche architektonische Zeichen im Stadtraum einen wichtigen Gegenstand kommunaler Machtkämpfe darstellten, zugleich aber auch als die Stadtviertel der Kommune verbindende Infrastruktur ganz konkret politisch umkämpft waren. Der von weißen Guelfen dominierte Rat beschloss vor diesem Hintergrund einen Neubau des Ponte Vecchio, der auf Grundlage platonischer Zahlentheorie als repräsentativer Steinbau der Renaissance rational geplant und ausgeführt wurde. Die Brücke, geschmückt mit an Zerstörung und Wiederaufbau erinnernden Inschriften und Reliefs, wurde so zu einem politischen Monument des Sieges der Republik über adelige Familienclans, das in der zeitgenössischen Stadtchronik des Giovanni Villani auch mit einem republikanisch motivierten Mythos zum Sieg der Gottesmutter Maria über den mit dem zerstörten Vorgängerbau assoziierten Kriegsgott Mars verknüpft wird.

Die Maßnahmen des Basler Rates im Angesicht einer Serie von Hungerkrisen im Zeitraum von 1450 bis 1550 standen im Zentrum des Vortrags von GERHARD FOUQUET (Kiel). Fouquet identifizierte die städtische Armut und das Phänomen der working poor als Massenphänomen spätmittelalterlicher Städte, das durch die in Krisenzeiten in die Städte ziehende Landbevölkerung zusätzlich verschärft wurde. Die Haushalte dieser von der „Hand in den Mund“ lebenden armen Arbeiter verfügten über nahezu keine eigenen Getreidevorräte, weshalb sie besonders schwer von Preissteigerungen nach Missernten betroffen waren. Da nur das regelmäßige Einkommen eine Versorgung mit Brotgetreide sicherstellen konnte, wirkten sich steigende Preise unmittelbar auf die zur Verfügung stehende Nahrungsmenge aus. Zur Identifizierung von Hungerkrisen erarbeitete Fouquet für Basel einen Lohn-Getreideanteil-Indikator, der für den Untersuchungszeitraum die unter Berücksichtigung von Kursschwankungen bereinigten Reallöhne der im Basler Bauhof gezahlten Tagessätze in Relation zum durchschnittlichen Verbrauch eines idealtypischen vier Personen Haushaltes an Getreide setzte und dabei die im Zuge von Teuerungen schwankenden Preise für Dinkel berücksichtigte. Fouquet identifizierte einen tipping point, der für die Hilfsarbeiter des Basler Bauhofs erreicht wurde, wenn die Versorgung mit Brotgetreide eine Aufwendung von mehr als 30 Prozent ihres Reallohns erforderte. Diese Schwelle wurde im untersuchten Zeitraum insgesamt sechsmal überschritten.

Im Anschluss nahm Fouquet die Reaktionen des Basler Rates auf die mithilfe des Index identifizierten Hungerkrisen in den Blick und fragte am Beispiel der Teuerungsjahre 1481/82 und 1500/01, ob die beschlossenen Maßnahmen ein aktives resiliencing erkennen ließen. Er kam zu dem Ergebnis, dass mit Vorschriften für private Vorratshaltung, dem Betrieb städtischer Kornhäuser, der Schließung des Getreidemarkts zur Abwehr von Spekulanten sowie anhand von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zwar durchaus Interventionen des Rates zur Bewältigung des Problems erkennbar seien, effektive Möglichkeiten zur Entlastung der armen Haushalte wie eine Senkung oder Aufhebung des Mühlgeldes wurden jedoch nicht umgesetzt, da dies die Einnahmen der Ratsherrschaft aus dieser Verbrauchssteuer geschmälert hätte. Fouquet zufolge ließe die Politik des Rates zudem eine performative Ausgestaltung des gemeinen Nutzens durch städtische Eliten erkennen, etwa über die Einrichtung von Notbacköfen und das Verteilen von Brot im Krisenjahr 1482. Diese Maßnahmen dienten aber in erster Linie einer Vermeidung von Unruhen und nicht der systematischen Bekämpfung der Krisenursachen. Die Ratspolitik habe damit auf eine Resilienz der Ratsherrschaft selbst gezielt, die sich über die Intervention in Krisenjahren unter Rekurs auf den gemeinen Nutzen legitimierte, und nicht auf die Vermeidung von Vulnerabilitäten für die Stadt als übergreifende soziale Gemeinschaft.

MECHTHILD ISENMANN (Leipzig) untersuchte in ihrem Vortrag das Verhalten oberdeutscher Kaufleute vor dem Hintergrund der politisch konfessionellen Konflikte des 16. Jahrhunderts. Am Beispiel der Vermittlung der Augsburger Fugger im Schmalkaldischen Krieg und der Imhoff-Gesellschaft, deren Heimatstadt Nürnberg sich im Rahmen des zweiten Markgrafenkriegs mit Markgraf Albrecht Alcibiades konfrontiert sah, fragte Isenmann nach der Existenz eines aktiven Resilienz-Managements der Unternehmer. Damit stand nicht primär der städtische Rat, sondern die frühneuzeitlichen Kaufmannsgesellschaften im Fokus, die in Kriegszeiten neben der Sorge um die Aufrechterhaltung ihrer Handelsbeziehungen auch die Interessen der ihre Unternehmen beherbergenden Städte im Blick haben mussten.

Am Beispiel des Schmalkaldischen Krieges (1546/47) trat der politisch ansonsten zurückhaltende Anton Fugger aktiv als Vermittler zwischen Kaiser Karl V. und der Stadt Augsburg auf. Angesichts der Weigerung Augsburgs, das mit dem schmalkaldischen Bund sympathisierte, die Truppen Karls V. einzuquartieren, drohte ein kaiserliches Strafgeld sowie die direkte militärische Konfrontation. Anton Fugger, der trotz der traditionell katholischen Haltung seiner Familie ein enges Verhältnis zum protestantischem Bürgermeister Augsburgs pflegte und der Stadt im drohenden Kriegsfall seine Unterstützung durch Getreide- und Silberlieferungen zusicherte, eignete sich als Schuldner Karls V. besonders gut als Vermittler zwischen den Konfliktparteien. Durch seine Intervention erreichte er eine Aussöhnung zwischen Stadt und Kaiser sowie die Abwendung des Strafgeldes, wodurch auch die seinen Augsburger Hauptsitz bedrohenden Kampfhandlungen verhindert wurden.

Mit dem Fall des Kaufmanns Endres Imhoff I., der als Vorderster Losunger zugleich zur Nürnberger Stadtregierung gehörte, verdeutlichte Isenmann zudem, wie sich eine Unterstützung der Stadt in Krisenzeiten mit einem lukrativen Finanzgeschäft verbinden ließ. Nach der erfolglosen Belagerung Nürnbergs durch Albrecht Alcibiades im Rahmen des zweiten Markgrafenkrieges (1552–1554) unterstützte Imhoff die Stadt mit einem hohen Darlehen, das den Ausbau der Stadtbefestigung und die Aufstockung der militärischen Ausrüstung ermöglichte. Die Konditionen dieses Darlehens zeigen jedoch, dass Imhoff bei Geschäftsabschluss keineswegs uneigennützig nur die Beförderung des gemeinen Nutzens der Stadtgemeinschaft zum Ziel hatte. Er sicherte sich vielmehr einen überdurchschnittlich hohen Zinssatz von zwölf Prozent, um neben der Nürnberger Stadtbefestigung auch zugleich das eigene Vermögen krisenfest zu machen.

Von diesen Fallstudien ausgehend argumentierte Isenmann für die Existenz eines aktiven Resilienzmanagements der Kaufleute, das in der ökonomischen und politischen Anpassung an interne und externe disruptive Rahmenbedingungen bestanden und unter anderem auf einem steten und präzisen Informationsaustausch verbunden mit der Intensivierung unternehmerischer wie persönlicher Netzwerks beruht habe.

Der letzte Vortrag der Sektion thematisierte mit dem consiglio dei dieci ein Ratsgremium, das im Angesicht einer ganz konkreten Krise Venedigs mit dem Ziel geschaffen wurde, innere und äußere Gefahren von der Stadtrepublik abzuwenden. EILEEN BERGMANN (Trier) bezeichnete den 1310 zur Aufklärung eines Anschlags auf den venezianischen Dogen ins Leben gerufenen Rat der Zehn als einen „vormodernen Nachrichtendienst“ mit weitreichenden Befugnissen, der sich nach Aufklärung der akuten Bedrohungslage verstetigte und bereits 1335 auf Dauer gestellt wurde. Der Rat erweiterte dann parallel zur venezianischen Expansionspolitik auf der terra ferma und im Zuge der in Folge entstehenden Auseinandersetzungen sein Handlungsspektrum und reagierte zunehmend aggressiver auf als Bedrohung identifizierte Sachverhalte. Bergmann näherte sich der Politik des Rates über eine Auswertung der umfangreichen Register, wobei sie den Fokus auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts legte, für die eine lückenlose Überlieferung der Ratsprotokolle vorliegt. Die nur den amtierenden Mitgliedern zugänglichen Register beschrieb sie als das institutionelle Gedächtnis des Rats der Zehn, das durch die dauerhafte Sicherung der wichtigsten Beschlüsse einer Orientierung und Legitimation zukünftiger Entscheidungen gedient habe und als „Resilienzressource“ interpretiert werden könne. Von der aktiven Nutzung der Register, die aufgrund der Dokumentation aller verhandelten Fälle auch als Kartei für Rechtsbrecher und Verschwörer genutzt werden konnte, zeugen die internen Verweissysteme sowie zusätzlich angelegte Findbücher, die ein zuverlässiges Informationsmanagement bei stetig zunehmender Datenmenge sicherstellen sollten.

Den Umgang mit Informationen als Resilienzressource verdeutlichte Bergmann dann anhand der Spuren, die der Fall des Franziskus von Carrara und seiner zwei Söhne in den Registern des Rats der Zehn hinterlassen haben. Nach ihrer Festsetzung im Zuge des venezianisch-paduanischen Krieges übernahm der Rat im Jahre 1405 die der Hinrichtung vorausgehende Vernehmung der Gefangenen, um Hinweise auf mögliche Verbündete der Carrara in der venezianischen Bürgerschaft zu erhalten. Die Verhöre unter Einsatz von Folter führten dann auch zu Ermittlungen gegen drei hochrangige Venezianer und das Register des consiglio dei dieci dokumentiert, wie akribisch im Zuge von deren Verhaftung Umfeldrecherchen betrieben, Zeugen befragt und die gewonnenen Informationen aufgezeichnet wurden. Bergmann zufolge belegen die Register daher, wie eine sicherheitsrelevante Wissensproduktion vom Rat der Zehn als Instrument verstanden wurde, um auf wahrgenommene, potenzielle oder tatsächliche Bedrohungen der Stadtrepublik zu reagieren und Venedig so resilient zu machen.

In der von Petra Schulte eingeleiteten und moderierten Schlussdiskussion wurden die Komplexität und die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten des Resilienzkonzepts erörtert. Das methodische Instrumentarium ermögliche es, den Umgang früherer Gesellschaften mit Krisensituationen differenzierter in den Blick zu nehmen und die empirischen Ergebnisse einzuordnen. Zugleich wurde für seine variable, auf den historischen Untersuchungsgegenstand zugeschnittene Handhabung plädiert.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Petra Schulte (Trier)

Petra Schulte (Trier): Einführung: Resilienz der Stadt, Resilienzen in der Stadt – methodische Überlegungen

Gerrit Jasper Schenk (Darmstadt): Von Mars zu Maria. Stadtmythos, kritische Infrastruktur und öffentlicher Raum beim Wiederaufbau der Alten Brücke von Florenz 1333-1345

Gerhard Fouquet (Kiel): Rat, Gemeiner Nutzen und öffentliche Steuerung der Not - die Versorgung spätmittelalterlicher Städte mit Nahrungsmitteln

Mechthild Isenmann (Leipzig): Gab es im „langen 16. Jahrhundert“ ein aktives Resilienz-Management der politisch verantwortlichen oberdeutschen Kaufmann-Bankiers für ihre Stadt?

Eileen Bergmann (Trier): Pro bono status nostri. Der Consiglio dei dieci im Kampf gegen die Feinde der Republik Venedig

Petra Schulte (Trier): Schlusskommentar: Resilienz als Kategorie stadthistorischer Forschung