Urheberrechtsnovelle - Das Urheberrecht in der Wissenschaft, oder „The Dirty Way Of Information“ (Steinhauer)

Von
Eric W. Steinhauer, Universitätsbibliothek Ilmenau, Technische Universität Ilmenau

Es war eine schwere Geburt, die mit der 836. Sitzung des Bundesrates zu einem vorläufigen Abschluss gekommen ist. Das „Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“, besser bekannt unter seinem Spitznamen „Zweiter Korb“, kann nun ausgefertigt und verkündet werden und damit Anfang 2008 in Kraft treten.

Die Regelungen des Zweiten Korbes sind vor dem Hintergrund einer EU-Richtlinie aus dem Jahre 2001 zu sehen. Dieser angesichts der rasanten Entwicklungen im digitalen Raum des Internet schon fast als „antik“ zu bezeichnende Text macht dem nationalen Gesetzgeber Vorgaben für ein „zeitgemäßes“ Urheberrecht in der Informationsgesellschaft. Während in einem Ersten Korb bestimmte zwingende Regelungen im Jahre 2003 bereits fristgerecht umgesetzt wurden, widmete sich der Gesetzgeber im Zweiten Korb weniger eiligen Themen.

Es war hierbei das erklärte Ziel der Bundesregierung, ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Und tatsächlich enthält der Zweite Korb einige Ansatzpunkte, die als Zeichen guten Willens gelten können.

So ist es zu begrüßen, wenn der seit Jahrzehnten klaglos praktizierte und gewohnheitsrechtlich anerkannte Postversand von Aufsatzkopien durch Bibliotheken nun auch ausdrücklich gesetzlich erlaubt wird, den „innovativen“ Versandweg des FAX gleich miteingeschlossen (§ 53a UrhG). Selbst eine elektronische Dokumentenlieferung soll erlaubt sein, wenngleich hier nur graphische Dateien verschickt werden dürfen. Die Sache hat allerdings einen Haken. Der elektronische Lieferweg ist nur insoweit gestattet, als nicht die Verlage selbst entsprechende Angebote offensichtlich und zu angemessenen Bedingungen vorhalten. Für den Bereich der Natur- und Technikwissenschaften mit ihrem sehr hohen Anteil an elektronischen Zeitschriften und ihrem enormen Bedarf an aktueller Information wird dies durchgängig der Fall sein. Die einfache Aufsatzbestellung durch Dienste wie Subito wird es daher für den elektronischen Lieferweg in Zukunft nicht mehr geben. Die Leser müssen die Beiträge bei den Verlagen erwerben. Literaturversorgung wird teurer.

Das neue Urheberecht erlaubt den Bibliotheken, ihre Bestände zu digitalisieren und ihren Nutzern auch in dieser Form zugänglich zu machen (§ 52b UrhG). Es ist zu begrüßen, dass nunmehr wichtige Werke direkt am Bildschirm einsehbar sind. Medienbrüche können geglättet werden. Aber auch hier hat die Sache einen Haken. Die digitalisierten Titel dürfen nur in den Räumen der Bibliothek und dort nur an speziellen Leseplätzen eingesehen werden. Das sind Benutzungsmodalitäten, wie man sie sonst nur im Handschriftenbereich oder bei gefährdeten Altbeständen findet. Es ist im Zeitalter von netzwerkbasiertem Arbeiten sicher kein Fortschritt, zur Einsichtnahme von Digitalisaten persönlich in die Bibliothek gehen zu müssen. Welchen besonderen Nutzen sich der Gesetzgeber von dieser Regelung verspricht, bleibt unklar.

Besieht man sich beide Neuerungen, so sind sie nach dem gleichen Muster gestrickt: ein Schritt nach vorn - neue Dienstleistungen werden gesetzlich erlaubt -, zwei Schritt zurück - die konkreten Modalitäten sind so restriktiv und unpraktisch, dass von Fortschritt für Wissenschaft und Bildung nur der reden kann, der in diesen Bereichen ansonsten nicht sehr beheimatet ist.

Die genannten Regelungen wurden breit diskutiert. Wissenschaftsorganisationen, allen voran das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, haben immer wieder ein wirklich fortschrittliches und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht angemahnt. Gerade im Bereich der Dokumentlieferungen und damit der für die Wissenschaft so wichtigen Informationsversorgung wird es nach Inkrafttreten des Gesetzes aber zu massiven Einschränkungen der gewohnten Dienstleistungen kommen. Dennoch ging bislang kein Aufschrei durch die Wissenschaft. Warum, fragt man sich?

Eine mögliche Antwort kann im Stellenwert des Urheberrechts in der Wissenschaft selbst gesucht werden. Obwohl wissenschaftliches Publizieren und ein durch Publikationen geschaffenes Renommee für jeden ernsthaften Wissenschaftler sehr wichtig sind, ist das Interesse für die spezifisch juristischen Fragen des wissenschaftlichen Publizierens schwach bis gar nicht ausgeprägt. Da wird unbesehen der umfangreiche Verlagsvertrag mit seinen unbillig weiten Rechteübertragungen unterschrieben, schließlich soll das mit viel Mühe erarbeitete Papier endlich raus. Außerdem ist man ohnehin in Zeitnot und gedanklich schon beim nächsten Projekt. Und die Literaturversorgung? Merken die Wissenschaftler denn nicht, dass die Bibliotheken ihrer Hochschulen angesichts gestiegener Zeitschriftenpreise immer weniger anbieten können? Spüren sie denn nicht die wachsenden Kosten der Dokumentlieferung, die nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes für die bequeme und zeitgemäße elektronische Lieferung einen deutlichen Satz nach vorne machen werden?

Nein, sie nehmen es kaum wahr. Das liegt an dem weitverbreiteten „dirty way of information“, und der geht so: Irgendwer im Institut kennt immer Irgendwen, der von seinem letzten Aufenthalt in Sowieso noch ein sehr interessantes Passwort zu einem umfangreichen Angebot elektronischer Zeitschriften und Datenbanken besitzt ... Und wenn das nicht hilft, dann kann man immer noch den einen oder anderen Kollegen anrufen, der das gewünschte Dokument aus den ihm zur Verfügung stehenden Quellen schnell vermitteln oder liefern kann. Diese Netzwerke existieren. Und sie funktionieren wunderbar und erheblich besser als jede offizielle bibliothekarische Dienstleistung. Aus Sicht der Wissenschaftler ist diese Art der Informationsbeschaffung nur konsequent. Hier drückt sich die gleiche juristische Sorglosigkeit in Fragen des Urheberrechts und vertraglich vereinbarter Lizenzbestimmungen aus, die sie auch beim Abschluss ihrer Verlagsverträge an den Tag legen. Wir haben es hier im Grunde mit einem anarchischen System zu tun, in dem die für die Juristen ach so wichtigen Fragen des Urheberrechts schlicht nicht interessieren. Daher ist den meisten Wissenschaftlern die Reform die Urheberrechts auch ziemlich gleichgültig, denn an ihrem „dirty way of information“ und ihren Publikationsgewohnheiten wird sich nichts ändern. Das Nachsehen haben aber alle, die außerhalb etablierter Netzwerke arbeiten und forschen, wie Studierende, Diplomanden, externe Doktoranden, Privatgelehrte. Allesamt Leute ohne schlagkräftige Lobby.

Der Gesetzgeber hat im Zweiten Korb die Belange der Verwerter in den Vordergrund gestellt und ihre Rechtsposition gestärkt. Augenfällig wird dies in der weitgehenden Zuordnung der elektronischen Sphäre unter ihre Kontrolle. Sogar die Nutzungsrechte für eine Internetpublikation von älteren, vor 1995 erschienenen Werken werden den Autoren weggenommen und den Verlagen übertragen (§ 137l UrhG).

Wie sollte demgegenüber ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht aussehen? Es sollte sich vor allem an der vornehmsten Aufgabe des Gesetzgebers orientieren, einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen (Verwerter, Urheber und Gemeinwohl) herzustellen und dabei die Schwachen schützen. Die Schwachen, das sind die wissenschaftlichen Urheber selbst, auch wenn sie es nicht immer merken. Zwar brauchen die Wissenschaftler im Prinzip kein neues Urheberrecht, denn nach geltendem Recht können sie als Autoren vollkommen souverän über die Reichweite und den Inhalt der den Verlagen einzuräumenden Nutzungsrechte an ihren Veröffentlichungen entscheiden. Doch setzt dies eine Verhandlungsposition der Augenhöhe und eine genaue Kenntnis der urheberrechtlichen Gegebenheiten voraus.

Beides überfordert die meisten Wissenschaftler. Zu Recht. Es kann nämlich nicht sein, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Urheberrechts im wissenschaftlichen Bereich auf diesen Punkt keine Rücksicht nimmt. Ein wirklich wissenschaftsfreundliches Urheberrecht sollte den Wissenschaftler bei der Publikation seiner Forschungsergebnisse von eigenen Verhandlungen mit den Verlagen weitgehend entlasten. Ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht sollte die Bedingungen gesetzlich verbindlich garantieren, die eine angemessene und leichte Verfügbarkeit der publizierten Information im Kontext wissenschaftlichen Arbeitens ermöglichen. Daher ist für eine künftige Reform des Urheberrechts in einem „Dritten Korb“ ein nicht abdingbares Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftler zu fordern, damit diese ihre Ergebnisse frei und ungehindert der Fachöffentlichkeit zur Verfügung stellen können. Eine spannende Frage wird sein, ob die Wissenschaftler zu motivieren sind, sich wenigstens für einen ganz den Belangen von Bildung und Wissenschaft gewidmeten „Dritten Korb“ laut und vernehmlich zu engagieren. Hier kann man nach dem oben Gesagten durchaus skeptisch sein. Aber kann es darauf ankommen? Es wäre ein schwaches Zeugnis für den Gesetzgeber, reagierte er nur auf hysterisches Geschrei und massiven Lobbyismus. Der Gesetzgeber sollte vielmehr seine Verantwortung für die Ausgestaltung angemessener Bedingungen einer in Forschung und Lehre freien Wissenschaft einfach ernst nehmen und ein transparentes und sachgerechtes Urheberrecht für die Wissenschaft machen. Der „dirty way of information“ hätte eine Ende und die Wissenschaftler können sich ohne schlechtes Gewissen auf das konzentrieren, was ihnen die Verfassung als ureigenen Handlungsraum garantiert, nämlich wissenschaftlich zu forschen, zu lehren und zu publizieren.

Was aber, wenn der Gesetzgeber dies nicht tut? Dann wird alles vom weiteren Handeln der Wissenschaftler selbst abhängen. Letztlich wird sich dasjenige Publikationsmodell durchsetzen, das einfach und sachgerecht ist, das Sichtbarkeit ermöglicht und Renommee erzeugt. Ob das auf lange Sicht die restriktiv verfügbare Verlagspublikation in ihrer heutigen Erscheinung sein wird, ist durchaus fraglich. Es kann sein, dass in einigen Jahren die heute hart umkämpften Verwertungsrechte der Verlage wie mittelalterliche Ablassbriefe erscheinen im Kontext einer wissenschaftlichen Publikationskultur, die auf Diskurs und Offenheit in selbstorganisierten digitalen Publikationsnetzwerken setzt mit innovativen und kooperativen kommerziellen Dienstleistern, den Verlagen der Zukunft, an ihrer Seite.

Es wird sich in den kommenden Jahren zeigen, ob die Politik in der Lage ist, die tiefgreifenden Wandlungen im wissenschaftlichen Publikationsprozess, die vor allem den Geisteswissenschaften noch weitgehend bevorstehen, angemessen und zukunftsoffen zu gestalten und zu moderieren. Soviel ist jetzt schon sicher: Das Thema „Urheberrecht in der Wissenschaft“ wird uns noch einige Zeit beschäftigen.