Zeithistorische Regionalforschung bezieht sich auf geografische Einheiten, die in naturräumlicher, struktureller oder kultureller Hinsicht gemeinsame Merkmale besitzen. Dabei ist der Begriff „Region“ eher unscharf aufzufassen, es gibt sowohl Binnendifferenzierungen als auch fließende Übergänge zu anderen Räumen. Regionen sind synthetische Gebilde, sie dürfen weder naturalistisch noch essentialistisch verstanden werden. In der gegenwärtigen Regionalforschung, wie sie beispielsweise von Joachim Kremer für die Musikwissenschaft vertreten wird, ist daher zurecht der Begriff der Kommunikation bedeutsam, entsprechend wird die Region als „Lebens-, Handlungs- oder Erfahrungsraum“ verstanden. Es geht also nicht so sehr um geografische Begrenztheit oder gar um faktische, vermeintlich objektive regionale Prägungen, sondern ganz im Gegenteil um Austauschprozesse und Kulturtransfer. Dies gilt insbesondere für die Zeitgeschichte, in der europäische und außereuropäische/transatlantische Einflüsse das kulturelle Leben im gesamten deutschsprachigen Raum geprägt haben.
Fragt man im Rahmen des populären Musiktheaters nach regionalen Prägungen, können für die Vergangenheit wie für die Gegenwart drei Bedeutungsebenen herausgestellt werden: eine lokale, eine inhaltliche und eine formale. Die lokale Ebene bezieht sich auf die Herkunftsregionen der Werke und ihrer Aufführung, auch in struktureller und ökonomischer Hinsicht. Hierzu zählen regional verankerte Theaterszenen, etwa im Amateurbereich, oder Spielstätten wie die seit 1924 bestehende Freilichtbühne in Tecklenburg. Die inhaltliche Ebene thematisiert regionale Motive oder Stoffe, die auf der Bühne szenisch-dramaturgisch sichtbar gemacht und seit dem 19. Jahrhundert oft stereotyp dargestellt werden, beispielsweise in der Operette „Das Schwarzwaldmädel“ (Berlin 1917), dem Musical „The Fiddler on the Roof/Anatevka“ (New York 1964) oder in „Linie 1“ (Berlin 1986). Die formale Ebene schließlich bezieht sich auf bestimmte Merkmale der sprachlich-musikalischen Gestaltung (wie sie im Schweizer Mundart-Musical seit 1960 auftreten) oder in den regionaltypischen musikalischen Idiomen der Wiener und Berliner Operette.
Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass Regionalität im Musical bzw. in der Operette als Identitätsmarker genutzt wird. Einerseits geht es um die Besonderheit des Eigenen in der Vielfalt des Regionalen, andererseits um das Marketing: Das Regionale soll Besucher:innen anziehen und den Tourismus ankurbeln. Regional- und Lokalbezüge verbunden mit zeitkritischen Referenzen zählen seit Jacques Offenbachs ersten Pariser Operetten zu den publikumsattraktiven Erfolgsgaranten des populären Musiktheaters. National- und regionalunterschiedliche Unterhaltungstraditionen und Vorstellungen davon, was als komisch und „entertaining“ empfunden wird, haben sich im Zuge der Herausbildung des US-amerikanischen Musicals bzw. der ‚musical comedy‘ seit den 1920ern zusehends nivelliert und verändert. Beispielgebend war diesbezüglich sicher „Oklahoma!“ (1943) von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein.
In der jüngeren Genregeschichte, die von einer globalen Vermarktung vorwiegend anglo-amerikanischer Musical-Erfolgsproduktionen gekennzeichnet ist, haben Regionalität und regionale Musicalszenen indes auch in Deutschland wieder an Bedeutung gewonnen. Dies gilt insbesondere für Bühnenstücke mit lokalhistorischen Sujets und Bezügen, etwa „Der Watzmann ruft!“ 1972, „Bonifatius“, 2004, „Ludwig2“ 2005 oder aktuell „Abenteuerland“ 2023. Ebenso haben einige neue oder regional dauerhaft etablierte Spielstätten und Festivals zu einer Ausweitung und Dezentralisierung der deutschen Musicalszene geführt. Anzuführen sind etwa die Schlossfestspiele Biedenkopf, die Störtebeker Festspiele Insel Rügen, die Starlight Express Spiel- und Heimstätte in Bochum oder das DomplatzOpenAir Magdeburg.
Die Veranstalter hoffen, mit dem gewählten Tagungsthema einen breiten Kreis von Interessierten anzusprechen und würden sich besonders über eine rege Beteiligung von Nachwuchswissenschaftler:innen aus den Fächern Geschichts-, Theater- und Musik- und Kulturwissenschaft freuen.
Zusendungen von Vortrags-Exposés (max. eine Seite) werden bis spätestens 15. Dezember 2024 erbeten. Die jeweilige Vortragszeit ist begrenzt auf 30 Minuten und soll anschließend genügend Zeit (15 Min.) für Rückfragen und Diskussionen bieten. Die eingeladenen Referenten:innen erhalten vonseiten des ZPKM eine Erstattung der Reise- und Übernachtungskosten.
Das Jahresmeeting findet am Freitag und Samstag, 7. und 8. März 2025 in Essen-Werden statt; wir sind zu Gast an der Folkwang Universität der Künste.
Veranstaltungsadresse:
Folkwang Universität der Künste
Klemensborn 39
D-45239 Essen
Die Exposés werden per E-Mail erbeten an:
Prof. Dr. Thomas Krettenauer, Vorsitzender der Freunde und Förderer des Deutschen Musicalarchivs e.V.: info@freundeskreis-musicalarchiv.com
und
Prof. Dr. Dr. Michael Fischer, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik, Freiburg: michael.fischer@zpkm.uni-freiburg.de