Reassembling the Past?! Akteur-Netzwerk-Theorie und Geschichtswissenschaft

Reassembling the Past?! Akteur-Netzwerk-Theorie und Geschichtswissenschaft

Veranstalter
Dr. Tim Neu / Prof. Dr. Marian Füssel, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen
Veranstaltungsort
Vortragsraum des Historischen Gebäudes der SUB Göttingen, Papendiek 14, 37073 Göttingen
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.07.2014 - 05.07.2014
Von
Neu, Tim

Wenn von Akteur-Netzwerk-Theorie die Rede ist, dann dreht sich die Diskussion meist um das Für und Wider eines generalisierten und damit auch auf Dinge ausgeweiteten Akteursbegriff. Das hat dazu geführt, dass die Vielfalt der theoretischen Konzepte, die im Rahmen der ANT entwickelt wurden, bisher kaum diskutiert wurde. Die Frage aber, ob ‚Geschichte schreiben mit ANT‘ auch jenseits der Wissenschafts- und Technikgeschichte möglich und analytisch fruchtbar ist, wird sich nur beantworten lassen, wenn die ANT erstens als methodischer Zugang eigener Art umfassend rezipiert und zweitens mit ihren Konzepten in der empirischen Forschung tatsächlich ausprobiert wird.

Fokussiert man einmal nicht auf die Wirkungsmacht der Dinge und fragt allgemeiner, was die ANT als Ansatz insgesamt auszeichnet, so wird ihr analytisches Potential schnell deutlich. Sozialtheorien definieren in der Regel ein abgeschlossenes Set von Elementen und Wechselwirkungsmechanismen. Damit etablieren sie eine Art ‚Meta-Sprache‘, mit der jede noch so komplexe historische Situation beschrieben und erklärt werden kann. Komplexitätsreduktion ist zwar für Wissenschaft insgesamt konstitutiv, aber Historikerinnen und Historiker haben stets darauf hingewiesen, dass die Sozialtheorien in ihrem Bemühen um Universalität häufig über das Ziel hinausschießen und historische Komplexität dann nicht mehr strukturieren und handhabbar machen, sondern schlicht ignorieren oder in ihre Kategorien pressen.

Hier steht die ANT ganz auf Seiten der Geschichtswissenschaft. Ihrem Selbstverständnis nach stellt die ANT gerade keine weitere Sozialtheorie dar, sie versteht sich ‚nur‘ als ein methodischer Zugang; sie fragt ganz radikal danach, welche Elemente und Mechanismen in einer gegebenen historischen Situation wirksam waren. Dazu entwickelt sie eine „Infra-Sprache“ (Latour), die zum einen in der Lage ist, möglichst viel (auch: historische) Komplexität darzustellen, die zum andern aber auch „die Fortbewegung von einem Bezugsrahmen zum nächsten erlaubt“ (Latour) und auf diese Weise Analyse und Vergleich ermöglicht.

Da also das Grundanliegen der ANT weitgehend mit dem der Geschichtswissenschaft übereinstimmt, liegt Vermutung nahe, dass das von der ANT angestrebte Nachzeichnen von Assoziationen, Bruno Latours ‚reassembling the social‘, sich auch historisch wenden lässt – ‚reassembling the past‘. Daher erscheint die Frage lohnend, ob und wenn ja wie die ‚Infra-Sprache‘ der ANT für die Praxis historischen Forschens gewinnbringend genutzt werden kann. Hier setzt die Tagung an und versucht eine erste Bestandsaufnahme und Bündelung: Wer arbeitet in welcher Epoche mit welchen Konzepten an welchen Problemen? Versammelt werden daher Vorträge aus allen epochalen und thematischen Teilbereichen der Geschichtswissenschaft, die zeigen, wie man mit einem akteur-netzwerk-theoretischen Zugang empirisches Material so aufschließen und analysieren kann, dass ein analytischer Mehrwert entsteht, der mit anderen Herangehensweisen nicht zu erzielen wäre.

Programm

Donnerstag, 03.07.2014

14:00-15:45 Sektion 1

Moderation: Marian Füssel, Göttingen

Tim Neu, Göttingen
Einführung

Carolin Stenz, Zürich
Zwischen Reassembling the past und coping with representation. Bruno Latour (als) Historiker

16:15-18:00 Sektion 2 – Das 20. Jahrhundert

Moderation: Sven Reichardt, Konstanz

Pascal Schillings, Köln
Die europäische ANTarktisexploration um 1900. Eine transnationale Vernetzungsgeschichte

Florian Neisser, Bonn
Mobile Risiken – Gefahrguttransporte(n) auf der Spur. Eine Betrachtung von Gefahrguttransportunfällen seit Ende der 1970er Jahre bis heute

Debora Gerstenberger, Berlin
Schwache Menschen, starke Maschinen. Das lateinamerikanische Militär und der Wille zur Computerisierung

Freitag, 04.07.2014

09:30-10:45 Sektion 3 – Mittelalter und Mittelalterrezeption

Moderation: Stefanie Rüther, Göttingen

Nanina Egli, Zürich
Latours Labor in der Krypta der Kathedrale: Geschichts-Dinge des Historismus erschufen die ANT

Jan Keupp, Münster
Damenwahl. Neue Allianzen auf und mit dem Schachspiel des Mittelalters

11:15-12:30 Sektion 4 – Medizin- und Technikgeschichte

Moderation: Stefanie Rüther, Göttingen

Katharina Kreuder-Sonnen, Bonn
Als Ameise durch die transnationale Geschichte gehen: Überlegungen zu jeux d’échelle und Akteur-Netzwerk-Theorie

Christian Vogel, Berlin
Struktur – Ereignis – Situation. Ethnomethodologie, ANT und das Problem des Kontexts in der Kulturgeschichte

14:00-15:45 Sektion 5 – Frühe Neuzeit

Moderation: Marian Füssel, Göttingen

Detlef Berghorn, Hannover
Reassembling Kinship – Bube, Dame, König, Assoziationen

Nadir Weber, Bern
Die Kuhrevolte oder die Kunst des Interessments. Überlegungen zu einer ANT-inspirierten politischen Geschichte des Ancien Régime

Stefan Droste, Göttingen
Die Materialität des Verlusts. Verlorene Dinge in Kleinanzeigen der Berlinischen Nachrichten (1764–69)

16:15-18:00 Sektion 6 – Globalgeschichte

Moderation: Marian Füssel, Göttingen

Tim Neu, Göttingen
Globales Geld. Lokale Praktiken und imperiale agency um 1700

Sven Petersen, Göttingen
Militärische Mimesis. Belagerungen als globalisiertes Setting im 18. Jahrhundert

Samstag, 05.07.2014

09:30-10:45 Sektion 7 - Zeitgeschichte

Moderation:Tim Neu, Göttingen

Bianca Achilles / Anne Günther, Aachen
Vom langsamen Bewusstwerden zum lautstarken Einfordern. Identitätswandel von Bürgerbeteiligung in den 1960er und 70er Jahren

Sebastian Klinge, Jena
Geschichtspolitik als Kosmopolitik - Eine Proposition

11:15-12:30 Sektion 8 - Wissensgeschichte

Moderation:Tim Neu, Göttingen

Ruben Marc Hackler, Zürich
Symmetrie beim Wort genommen: ANT und die Rechtsgeschichte der Moderne

Ernst-Christian Steinecke, Zürich
Monastische Wissensmaschinen oder: Ein Akteur-Netzwerk-Modell frühneuzeitlicher Klostergelehrsamkeit

12:30-13:30 Abschlussdiskussion

Kontakt

Dr. Tim Neu
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte
Georg-August-Universität Göttingen
Heinrich-Düker-Weg 14
37073 Göttingen
Telefon: 0551-39-24706
E-Mail: tim.neu@phil.uni-goettingen.de

http://www.uni-goettingen.de/de/tagung-akteur-netzwerk-theorie-und-geschichtswissenschaft/487563.html
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