Liebeserfindungen, Liebesempfindungen. Semantiken der Liebe zwischen Kontinuität und Wandel – vom Barock bis zur Gegenwart

Liebeserfindungen, Liebesempfindungen. Semantiken der Liebe zwischen Kontinuität und Wandel – vom Barock bis zur Gegenwart

Veranstalter
Prof. Dr. Frank Becker, Dr. Elke Reinhardt-Becker, Germanistisches und Historisches Institut der Universität Duisburg-Essen
Veranstaltungsort
Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, Glaspavillon der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen (Gebäude R12)
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.09.2017 - 22.09.2017
Deadline
20.08.2017
Website
Von
Prof. Dr. Frank Becker

Gegenwärtig ist viel von einem grundlegenden Wandel der (Vorstellungen von der) Liebe in der westlichen Welt die Rede. Schon die Anbahnung der Liebesbeziehungen verändert ihr Gesicht: Immer häufiger findet sie in den sozialen Medien statt. Ist die Beziehung einmal konstituiert, kann sie „offen“ oder „treuebasiert“, zusammen-lebend oder getrennt-lebend, unverheiratet oder verheiratet geführt werden. Der eine geht von lebenslangem Zusammensein aus, die andere von einer Lebensabschnittspartnerschaft. Was in der Beziehung stattfinden soll, wird ebenso unterschiedlich gesehen: Identitätsfindung und -stabilisierung durch vollständiges Verstehen des Partners, oder nur wechselseitige Unterstützung bei der Bewältigung des praktischen Lebens zwischen Sorgen und Vergnügungen? Und: Soll Nachwuchs gezeugt und/oder aufgezogen werden?

Weitere Faktoren verkomplizieren die Situation. Angesichts der hohen Anforderungen an die berufliche Mobilität können aus Lebensgemeinschaften schnell Pendlerbeziehungen werden – und umgekehrt; die ökonomische Basis des Zusammenlebens kann wegbrechen oder sich dramatisch zum Vorteil verändern; neue Freunde und KollegInnen tragen möglicherweise einen Veränderungsdruck in die Beziehungen hinein. Vermehrte Migration sorgt dafür, dass Partnerschaftsmodelle aus anderen Kulturen als zusätzliche Optionen im Raum stehen; ihre Verknüpfung mit westlichen Modellen kann zu interessanten Hybridformen führen. Mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften verbindet sich ebenfalls häufig die Erwartung, sie stellten Alternativen zu den gängigen Liebessemantiken bereit. Wie wirkt sich Transsexualität aus? Gibt es neue Regeln für die Liebe im Alter? Wie verändert sich generell die ‚Aufgabenverteilung‘ im Zusammenspiel von Liebe und Freundschaft? Derweil inszenieren die Medien permanent Liebesgeschichten, die als Leitbilder und/ oder als diskussionswürdige Angebote auf die Gesellschaft zurückwirken.

Im Ergebnis lässt sich eine extreme Pluralisierung der ‚lebbaren‘ Modelle für Liebe und Partnerschaft konstatieren. Dem Einzelnen vermittelt sich der Eindruck, er könne aus einem ganzen ‚Pool‘ von Angeboten auswählen. Festlegungen, die aus Milieuzugehörigkeiten, familiären Zwängen etc. hervorgehen, schwächen sich immer weiter ab. Im Grunde muss das Beziehungsmodell nur von den beteiligten Partnern ausgehandelt werden.

Diese ‚neue Unübersichtlichkeit‘ fordert die wissenschaftliche Analyse heraus. Welche Folgen hat das hohe Maß an Wählbarkeit für Individuum und Gesellschaft? Wie genau sind die Modelle beschaffen, die auf dem Markt zirkulieren? Wo sind tatsächlich Innovationen zu beobachten, wo entsteht Neues durch die Rekombination von Bekanntem, wo lässt sich das vermeintlich Neue gänzlich auf Altes zurückführen? Um solche Fragen beantworten zu können, ist die genaue Kenntnis der historischen Entwicklung der Liebessemantik nötig. Die aktuellen Konzepte werden unzutreffend beurteilt, wenn der Analyse die historische Tiefenschärfe fehlt. Deshalb sollen ‚Tiefenbohrungen‘ bis zu Empfindsamkeit und Romantik, ja bis ins Barockzeitalter erfolgen.

Die bisherige Forschung ist – natürlich mit Ausnahmen – durch einen tiefen Graben zwischen der Untersuchung historischer Liebessemantiken auf der einen, aktueller Tendenzen auf der anderen Seite gekennzeichnet. Es sind sogar unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen, welche die jeweiligen Felder bearbeiten – Geschichtswissenschaft und Literaturgeschichte die vergangenen Formen, Kultur-, Kommunikations- und Sozialwissenschaften die gegenwärtigen Ausprägungen. Die unterschiedlichen Fachvertreter kommen selten miteinander ins Gespräch. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, will die geplante Tagung gezielt unterschiedliche Fachvertreter und -kulturen zusammenführen. In diachronen und synchronen Vergleichen sollen unterschiedliche Liebes- und Lebensmodelle, Sozial- und Kulturmilieus sowie Medien behandelt werden.

Programm

Programm

21. September 2017

10.00-10.15 Begrüßung und Einführung (Dr. Elke Reinhardt-Becker und Prof. Dr. Frank Becker; beide Universität Duisburg-Essen)

Panel 1: Fortwirkende historische Modelle: Frühe Neuzeit und Romantik

Moderation: Prof. Dr. Jörg Wesche (Universität Duisburg-Essen)
10.15-10.40 Dr. Michael Beck (Universität Lbiv, Ukraine), Vom Ende der ewigen Liebe [in der Popliteratur]
10.40-11.05 Prof. Dr. Kirsten von Hagen (Justus-Liebig-Universität Gießen), Libre échange und libertinage: Formen von Liebe und deren Kommunikation im Briefroman des 18. Jahrhunderts und in aktuellen E-Mail-Romanen
11.05-11.30 Prof. Dr. Monika Wienfort (Bergische Universität Wuppertal), Die Romantik und ihre Folgen
11.30-12.30 Kommentar und Diskussion
Kommentar: Prof. Dr. Anne-Charlott Trepp (Universität Kassel)

12.30-14.00 Uhr Mittagspause

Panel 2: Klassische Moderne

Moderation: Dr. Liane Schüller (Universität Duisburg-Essen)
14.00-14.25 Dr. Lina Uzukauskaite (Universität Kaunas, Litauen), [Ein ikonisches Paar:] Mikalojus Konstantins Ciurlionis „Briefe an Sofija“
14.25-14.50 Prof. Dr. Monika Szczepaniak (Universität Kazimierza Wielkiego, Polen), Coole Romanzen als literarisches Programm
14.50-15.35 Kommentar und Diskussion
Kommentar: Prof. Dr. Henriette Herwig (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)

15.35-16.15 Kaffeepause

Panel 3: Gegenwartsliteratur

Moderation: Antonia Gießmann-Konrads, M.A. (Universität Duisburg-Essen)
16.15-16.40 Dr. Bärbel Westphal (Linné Universität Växjö/Kalmar, Schweden), Mit- oder ohne einander? Ehe und Liebe in ausgewählten Romanen von Martin Walser
16.40-17.05 Heinz Schumacher (Essen), Von großer Liebe, Liebesarchiv und Liebesblödigkeit – Zur Liebessemantik in der deutschsprachigen Literatur seit der Jahrtausendwende
17.05-17.50 Kommentar und Diskussion
Kommentar: Prof. Dr. Werner Jung (Universität Duisburg-Essen)

22. September 2017

Panel 4: Liebe in der Populärkultur

Moderation: Darius Harwardt, MA (Universität Duisburg-Essen)
10.00-10.25 Lisa Wille, M.A. (TU Darmstadt), Literarische Liebesvorstellungen im 21. Jahrhundert. Vampirismus, Sadomasochismus und das Narrativ der romantischen Liebe
10.25-10.50 Prof. Dr. Chiara Piazzesi (Universität Québec/Montréal, Kanada), Love, partnership, individuality, and other catastrophes: tensions between conflicting love semantics in a contemporary tv-series
10.50-11.15 Dr. Dominik Orth (Bergische Universität Wuppertal), Der Liebesfilm zwischen Innovation und Tradition. Zur Wiederbelebung eines Genres seit der Jahrtausendwende
11.15-12.15 Kommentar und Diskussion
Kommentar: Dr. Thomas Ernst (Universität Amsterdam, NL)

12.15-14.00 Mittagspause

Panel 5: Interkulturalität

Moderation: Jun.-Prof. Dr. Berna Pekesen (Universität Duisburg-Essen)
14.00-14.25 Dr. Christoph Lorke (Westfälische Wilhelms-Universität Münster), Von der „Würdelosigkeit deutscher Weiber“, „Rassenfetischismus“ und „Potenznachweisen“. Konstruktionen und Semantiken des Binationalen im 19. und 20. Jahrhundert
14.25-14.50 Prof. Dr. Elisabeth Beck-Gernsheim (München), Gemischte Paare
14.50-15.15 Dr. Mohamed Tabassi (Universität Gabes, Tunesien), Die dunkle Seite der Liebe. Von Liebe und Sexualität in der Migrationsliteratur
15.15-16.00 Kommentar und Diskussion
Kommentar: Dr. Stefan Hermes (Universität Duisburg-Essen)

16.00 bis 16.30 Kaffeepause

Panel 6: Perspektiven der Queerstudies

Moderation: Dr. Julia Amslinger (Universität Duisburg-Essen)
16.30-16.55 Dr. Esther K. Bauer (Virginia Tech, Blacksburg, VA, USA), Romantische Liebe auf dem Prüfstand: „Queere“ Liebesbeziehungen in Romanen von Alain Claude Sulzer
16.55-17.20 Dr. Corinna Schlicht (Universität Duisburg-Essen), Liebe und Begehren im Kontext von Crossdressing, Androgynie und Transgender
17.20-18.05 Kommentar und Diskussion
Kommentar: Dr. Christian Steltz (Universität Regensburg)

18.05-18.45 Abschlussdiskussion: Semantiken, Medien und Akteursgruppen im Vergleich

Studierendenpanel:
Moderation: Antonia Gießmann-Konrads, M.A. und Darius Harwardt, MA (beide Universität Duisburg-Essen)
14.00-14.15 Charline Porte, Romantische Liebe und neues Frauenideal in den Tagebüchern Ferdinand Benekes (1792-1801)
14.15-14.20 Kommentar: Gina Beckmann
14.20-14.35 Max Keilhau, Hybride Liebessemantiken. Das Funktionssystem Liebe in illustrierten Magazinen der Weimarer Republik
14.35-14.40 Kommentar: Sara Cisonna
14.40-14.55 Sophie Hohmann, Ein moderner Don Juan? Das Liebeskonzept von Barney Stinson aus „How I Met Your Mother“
14.55-15.00 Kommentar: Laura Lewald
15.00-15.30 Diskussion

Anmeldungen zur Teilnahme an der Tagung sind bis zum 20.08.2017 bei Stephanie Hück möglich.

Kontakt: stephanie.hueck@uni-due.de

Die Konferenz wird finanziell unterstützt vom Profilschwerpunkt „Wandel von Gegenwartsgesellschaften“ an der Universität Duisburg-Essen.