Anhand von sechzehn Alltagsobjekten erzählt die Ausstellung „Strandgut am Berg. Dinge und ihre Geschichten am Rande der Seidenstraßen“ im Völkerkundemuseum vPST in Heidelberg vom Leben in den Bergregionen Asiens. Mithilfe von Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens werden so historische und zeitgenössische Verflechtungen mit verschiedenen Nationen, politische und wirtschaftliche Ambitionen in der Region, aber auch familiäre Geschichten von Migration und persönliche Erinnerungen nachgezeichnet.
Die einzelnen Objekte stammen aus Nepal, Tadschikistan, Myanmar, China, Afghanistan, Tibet und Kirgistan. Trotz des lokalen Bezugs der einzelnen Gegenstände und der Einbindung in den konkreten Alltag vor Ort machen ihre Geschichten auch überregionale Erfahrungen und Prägungen deutlich: So gewähren eine verrostete Schreibmaschine oder eine ausgediente Atemmaske Einblicke in den Arbeitsalltag von Schlossern in Tadschikistan und Minenarbeitern in Kirgistan, verweisen aber beide gleichzeitig auch auf den Zerfall der Sowjetunion und dessen wirtschaftliche Konsequenzen.
Abb. 1: Objekt „Schreibmaschine“
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
Abb. 2: Objekt „Maske eines unbekannten Kumpels“
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
Unter den Objekten ist auch zurückgelassener Müll, etwa verrostete Konservendosen der russischen Armee, aber auch Alltagsgegenstände der Ausstellungsmacher:innen selbst, wie eine Armbanduhr, und neu gekaufte Objekte, wie ein geknüpfter Teppich. Während einige von ihnen auf historische Ereignisse verweisen, repräsentieren andere zeitgenössische Entwicklungen.
Abb. 3: Objekt „Konservendosen der russischen Armee“
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
Abb. 4: Objekte „Uhren in Silber“ und „Uhr in Gold“
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
Abb. 5: Objekt „Teppich der Zukunft“ mit Stadtmotiv und Spielautos
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
Nach nur wenigen Treppenstufen hinunter in den Keller des Museumsgebäudes treffen Besuchende auf eine Art Atrium aus beleuchteten Vitrinen. Lässt man von der Treppe aus zunächst einmal den Blick durch den kleinen Raum schweifen, entdeckt man Bilder von kargen Berglandschaften und eine große Landkarte. Aber schnell fällt der Blick auch auf folgende Worte an der Wand:
„Remote areas are full of innovators.
Remote areas are full of ruins of the past.
Remote areas are in constant contact with the world.
Edwin Ardener“
Besuchende werden hier mit potenziellen Stereotypen über die Bergregionen Asiens und ihre oft entlegene Umgebung konfrontiert. Das ist auch die explizit formulierte Intention der Ausstellungsmacher:innen – Vorstellungen von „Abgeschiedene[r] Peripherie, ursprüngliche[r] Natur [und] zeitlose[n] Traditionen […] etwas entgegen[zu]setzen“ (S. 5). An dieser Stelle wird der gewollte Bruch nochmal genauer ausgeführt: Ziel ist „ein anderer Blick auf die Bergregionen Asiens und unsere eigenen Vorstellungen“ (ebd.).
Was auffällt, ist die doppelte Richtung des Blicks. Dieser führt zunächst in die Ferne, ins Hochland Asiens, dann aber auch zurück in den Ausstellungsraum, wo kritisch auf die Rolle des Museums und die Besuchenden mit ihren Vorstellungen der Region geblickt wird. Die Spannung zwischen diesen beiden Polen – dem Blick nach außen und dem Blick nach innen – prägt die gesamte Ausstellung. Stereotype und exotisierende Vorstellungen werden gezielt aufgegriffen, widergespiegelt und gebrochen. So werden Besuchende dazu eingeladen, sich selbst mit ihren Imaginationen der Region auseinanderzusetzen und sie kritisch zu reflektieren.
Hinter deckenhohen Glasvitrinen entlang der Wände strukturiert sich die Ausstellung in großformatige Fotos, hinter denen auf von der Decke hängenden weißen Stoffbahnen Bildüberschriften in roter Farbe zu lesen sind. Besuchende folgen so einer Art Rundgang durch den Raum entlang der Außenwand. Ergänzt wird dieser Weg durch Objekte, die exponiert auf unterschiedlich hohen weißen Sockeln im Raum verteilt stehen. Die Höhe der Sockel variiert entsprechend der Höhenmeter des Ortes, an dem das jeweilige Objekt gefunden wurde, die auch nochmal auf einem roten Band angegeben werden. Besuchende haben durch QR-Codes die Möglichkeit, mit einem Smartphone den Ort des Objektfunds auf Google Maps zu betrachten. Häufig liegen die Objekte frei auf dem Sockel; gerade dann entfalten sie durch die Abwesenheit von zusätzlichen Glaskästen eine unmittelbare Präsenz. Die Architektur des Raumes mit den hohen Glaswänden entlang der Außenwand als Kontrast zu den meist ungeschützt präsentierten Objekten verstärkt diesen Eindruck und rückt sie in den Fokus.
Abb. 6: Objekt „Futterball“
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
In der Mitte des Rundgangs, an der Innenwand, befindet sich eine Galerie der Ausstellungsmacher:innen. In den Kurzbiografien erzählen sie aus der Ich-Perspektive ihren Bezug zur Thematik und zur Region. Besuchenden wird hier Einblick in zugrundeliegende Prozesse der Forschungs- und Museumsarbeit und die Verwobenheit der involvierten Akteur:innen gewährt. Durch Lichtdesign und Farbkonzept wird hier eine klare Differenz zur restlichen Ausstellung geschaffen. Während die Fotografien und die Objekte auf den Sockeln stark in Szene gesetzt werden und rot und weiß als Farben des Grafikdesigns dominieren, ist die ästhetische Gestaltung hier sehr schlicht gehalten: jeweils zwei schwarz-weiß Portraits hängen auf schwarzen Tafeln und sind dezent beleuchtet. Die im Einführungstext angeklungene doppelte Blickrichtung sowie das Aushandeln der Frage nach Akteurspositionen in musealen Kontexten spiegelt sich so auch in der Gestaltung des Ausstellungsraums wider. Der Blick schweift von Wand zu Wand, von außen nach innen, und die Grenzen zwischen diesen vermeintlichen Gegensätzen verschwimmen.
Museen werden oft in erster Linie als Ausstellungsräume wahrgenommen, wenngleich die Praktik des Ausstellens, neben Sammeln, Forschen, Bewahren und Vermitteln, nur eine der zentralen Aufgaben ist, der sich Museen widmen.1 Die Ausstellung bricht mit diesem einseitigen Blick auf Museumsarbeit und gewährt Besuchenden Einblicke in die Praktik des Sammelns. Dabei werden die darin involvierten Akteur:innen ganz explizit gezeigt und ihre Verbindungen zum und Verwobenheit mit dem Feld thematisiert. Dadurch entstehen neue Perspektiven auf die Entstehung und Produktion von Wissen im Museum. Es wird ein Eindruck davon vermittelt, wie Objekte teils gezielt, teils zufällig ihren Weg ins Museum finden und wie ihre Kontextualisierung geschieht.
Viele Ausstellungstexte sind aus der Ich-/Wir-Perspektive formuliert und lesen sich wie Einträge aus einem Reise- oder Forschungstagebuch: „Ein kalter Wind bläst durch die Straßen und wir betreten eines der spärlichen Teehäuser, die hungrige Reisende bewirten.“ (Martin Saxer, Traumbilder an der Wand; S. 71) Dadurch wird mit der distanziert anmutenden Stimme eines vermeintlich „allwissenden Museums“ gebrochen. Gleichzeitig wird dadurch sehr deutlich, dass Museen nicht neutral Fakten aufzeigen, sondern durch die von ihnen präsentierten Perspektiven und gewählten Erzählweisen immer aus einer bestimmten Position heraus sprechen.
Trotz des dezidierten Fokus auf die Gegenwart in dieser „Archäologie des Zeitgenössischen“ (S. 5) könnte eine weiterführende Kontextualisierung an manchen Stellen die Einordnung in historische und gesellschaftspolitische Zusammenhänge unterstützen. Der Fokus in den Objekttexten liegt in erster Linie auf der Gegenwart, also darauf, wie sich historische Erfahrungen in der Region im Hier und Jetzt auswirken. Die kurz gehaltenen Referenzen machen neugierig auf fundiertere Ausführungen der geschichtlichen Verstrickungen. Wenngleich also wie im Titel antizipiert die „Dinge“ durch die Inszenierung zur Geltung kommen und „ihre[n] Geschichten“ Platz eingeräumt wird, bleiben an einigen Stellen Fragen nach den übergeordneten Kontexten offen.
Gleichzeitig rückt der Fokus auf die Gegenwart die Rolle des Alltagslebens zum Verständnis von Objekten in den Blick. Das vermeintlich Selbstverständliche des Alltags wird hier zum Besonderen gemacht und ausgestellt. Die sechzehn Objekte bzw. Objektgruppen auf den Sockeln sind jeweils kombiniert mit großformatigen Fotografien im Hintergrund und der herabhängenden Stoffbahn mit entsprechendem Titel. In dieser Dreierkombination entfalten sie also ihre Wirkung. Die Fotos zeigen oft einen Blick in die Ferne, auf die karge Landschaft; gleichzeitig wird Besuchenden durch das Abbilden von Alltag in Form von Zuhause, von Menschen beim Nachgehen ihrer Arbeit, vom gemeinsamen Einnehmen von Mahlzeiten, Einblick in etwas Intimes gewährt. Auch hier entsteht durch die doppelte Blickrichtung – zwischen Ferne und Nähe – ein Spannungsverhältnis.
Abb. 7: Objekt „Dreirad“
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
Abb. 8: Objekt „Dreirad“, zugehörige Ausstellungsfotografien
(© Völkerkundemuseum vPST, Heidelberg. Foto: Lea Garcia, Juni 2024)
Wenn in vielen anderen Ausstellungen oft unklar bleibt, wem die gezeigten Objekte gehörten und aus welchem Kontext sie stammen, so stehen die ehemaligen Besitzer:innen und ihre Geschichten hier häufig im Vordergrund und die ursprüngliche Rolle im Alltag wird geschildert. Gleichzeitig stolpert man gerade aufgrund dieser transparenten Handhabe der Provenienz in manchen Fällen etwas über den Begriff „found“ auf den Objekt-Tags. Durch die große Bereitwilligkeit, diese Kontexte offenzulegen und in den Fokus zu rücken, stellen sich hier dann weiterführende Fragen nach Transaktionen, Erwerbs- bzw. Schenkungsbedingungen, die häufig im Zentrum von Debatten um Objektprovenienzen stehen. Es ist sozusagen klar wo, bei wem und von wem die Objekte „gefunden“ wurden; offen bleibt aber zum Teil, was die vormaligen Besitzer:innen für das Überlassen der Objekte erhalten haben.
Nichtsdestotrotz wird durch das Schildern unterschiedlicher Beispiele ein Bewusstsein dafür geschaffen, auf welch unterschiedliche Weisen Objekte ihren Weg ins Museum finden können. Insgesamt trägt das Sichtbarmachen von Sammlungspraktiken und der außergewöhnlich transparente Umgang mit Provenienz dazu bei, Besuchenden ein kritisches Verständnis für die Komplexität der Thematik zu vermitteln und sie dazu anzuregen, weitere Fragen zu stellen.
Anmerkung:
1 Deutscher Museumsbund, Museumsaufgaben, https://www.museumsbund.de/museumsaufgaben/ (31.07.2024).