HT 2006: Wissenschaftsfinanzierung als Programmförderung - Chancen und Probleme (Experten- und Streitgespräch)

HT 2006: Wissenschaftsfinanzierung als Programmförderung - Chancen und Probleme (Experten- und Streitgespräch)

Organisatoren
Rudolf Schlögl, Universität Konstanz; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2006 - 22.09.2006
Von
Philip Hoffmann, Universität Konstanz; Marcus Sandl, Universität Konstanz

Der Anteil, den so genannte „Drittmittel“ am Gesamtvolumen der Haushalte deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen haben, ist im Vergleich zur Grundausstattung der jeweiligen Einrichtungen in den letzten Jahren stetig gestiegen. Weite Bereiche der Forschung und mittelbar auch der Lehre basieren mittlerweile auf projektbezogenen, d.h. zeitlich befristeten und (kurz- und mittelfristig) erfolgsorientierten Mitteleinwerbungen. Diese Tendenz dürfte sich in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach noch verstärken. Die Weichen hin zur Drittmitteluniversität scheinen wissenschaftspolitisch unwiderruflich gestellt. Den Fragen, welche Folgen dies für die Wissenschaften, speziell für die Geistes- und Kulturwissenschaften, für ihre Fragestellungen, Organisationsformen und Perspektiven hat, widmete sich die Sektion „Wissenschaftsförderung als Programmförderung“, die unter der Leitung von Rudolf Schlögl (Universität Konstanz) im Rahmen des Historikertages 2006 stattfand. An der Diskussion beteiligten sich Vertreter verschiedener Stiftungen, der DFG, von Ministerien und Universitätsverwaltung.

Rudolf Schlögl eröffnete die Sektion mit einer Einführung, in der er pointiert und thesenhaft Strukturen, Perspektiven und mögliche Folgen einer zunehmend drittmittelbasierten Forschung skizzierte. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Gegenüberstellung der die Universität ursprünglich auszeichnenden „Gelehrsamkeit“ einerseits und projektbezogener „Betriebsmäßigkeit“ der Wissenschaft, die sich durch die steigende Bedeutung der Drittmittelförderung einstelle, andererseits. Drittmittel einzuwerben bedeute Anträge zu schreiben und sie zu begutachten, wissenschaftliche Fragen in Projektform zu entwerfen und Zeithorizonte zu markieren, interdisziplinäre Verbünde zu organisieren und Forschungsergebnisse griffig und schnell zu präsentieren. In dem zunehmenden „betriebsmäßigen Charakter“ der Wissenschaft erkannte Schlögl einen grundsätzlichen Strukturwandel, der sowohl hinsichtlich der Vorgaben und Rahmenbedingungen des Forschens als auch im Hinblick auf ihre inhaltlichen Schwerpunktsetzungen zu konstatieren sei. Drittmittel, so Schlögls Ausgangsthese, stellten den fundamentalen Begründungszusammenhang von Forschung um: immer weniger werde dieser ein Vertrauenszuschuss gewährt und die Mittelvergabe an die Ergebnisse der Forschung geknüpft; vielmehr würden die Mittel nun konditional und von externen Stellen auf der Grundlage von Forschungsplanung und -organisation vergeben und damit an bestimmte inhaltliche und strukturelle Auflagen gebunden.

Strukturell seien die Förderinitiativen zurzeit zum einen auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gerichtet, zum anderen deute sich die Tendenz an, institutionell etablierten Wissenschaftlern vor allem durch Freisemester die Zeit zurückzugeben, die sie durch die Administration drittmittelgeförderter Projekte verlören. Die „strukturierte Nachwuchsförderung“ habe, so Schlögl, zur Folge, dass die Promotion von einer Zeitspanne offener Bildungsmöglichkeiten zu einer Etappe der Ausbildung geworden sei; gleichzeitig werde ein Überschuss an Post-Docs produziert, der angesichts der momentanen Stellenstruktur an deutschen Universitäten nicht mehr untergebracht werden könne.

Subtiler als die strukturellen Vorgaben wirke, so Schlögl, allerdings die inhaltliche Steuerung. Dazu sei zunächst die Forderung nach thematischer Kohärenz als zentrales Förderungskriterium zu zählen, deren Folgen sich u.a. darin manifestierten, dass thematische „Moden“ ganze Alterskohorten von Doktoranden prägten. Von noch größerer Relevanz sei jedoch, so Schlögl, die „epistemische“ Rahmung, die z.B. darin bestehe, dass „Schlüsselthemen“ (wie im Falle der VW-Stiftung) identifiziert und Maßgaben festgelegt würden, nach denen sich die „Passfähigkeit“ von Projekten bestimme. Dazu gehörten Interdisziplinarität, internationale Vernetzung, Anwendbarkeit oder zumindest Relevanz der Ergebnisse für aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen, nicht zuletzt die Forderung nach methodischer und organisatorischer Kooperation mit den Technik- und Naturwissenschaften.

Auch als Verfechter der disziplinenübergreifenden Kooperation müsse man deshalb konstatieren, dass mit der Drittmittelfinanzierung eine Konstellation entstehe, die von außen auf die Gegenstandskonstitution der Geistes- und Kulturwissenschaften einwirke. Durch die zunehmende Bedeutung der Drittmittelförderung bilde nicht mehr der „Eigensinn“ und die Eigenlogik der disziplinären Diskurse den Orientierungspunkt von Forschung, sondern der Ausweis gesellschaftlicher Relevanz und „technisch-ökonomischer Verwertbarkeit“. Institutionell verlagerten sich die Entscheidungen zunehmend an Institutionen außerhalb der Universität, was zu einer zunehmenden Beteiligung „bürokratischer Verwaltungsstäbe“ führe.

Schlögl beendete seine Einführung mit der Zusammenfassung seiner Überlegungen in sechs Thesen, mit denen er die Podiumsdiskussion eröffnete. Erstens, so Schlögl, finde in den Geisteswissenschaften Forschung mittlerweile zum größten Teil auf der Basis von eingeworbenen Drittmitteln statt; sie vollziehe sich also zweitens in Projekten und Verbünden, die mit erheblichen Kosten für ihre Organisation verbunden seien. Dies habe, drittens, strukturelle Folgen sowohl für die personelle Situation – die vor allem den wissenschaftlichen Nachwuchs beträfe –, als auch – auf epistemischer Ebene – für die Gegenstandskonstitution der Forschung. Im Ergebnis führe dies viertens dazu, dass Entscheidungen über die personelle Struktur der universitären Wissenschaft und über die Gegenstände der Forschung in erheblichem Umfang aus den Wissenschaften verlagert und wissenschaftsorganisierenden „bürokratischen Verwaltungsstäben“ überantwortet würden. Damit verbunden stelle sich fünftens die Frage, inwiefern Wissenschaft diese Externalisierung von Entscheidungsvorgängen benötige, sich möglicherweise gerade dadurch zur Wissenschaft als organisationsfähigem Zusammenhang herausbilde – um dann zu klären, wie sie an dieser Entscheidungsfindung beteiligt werden müsse. Damit sei sechstens die Frage der Legitimation der Entscheider und des Entscheidungshandelns nicht nur für die „bürokratischen Verwaltungsstäbe“, sondern auch für die wissenschaftlichen Mitglieder in den Beiräten und Kommissionen angesprochen, die bislang in der Regel nicht gewählt, sondern kooptiert würden. Die zunehmende Bedeutung der Projektförderung, so Schlögl abschließend, müsse also in den Wissenschaften mit einer Selbstreflexion verbunden werden, in deren Verlauf zu klären sei, in welchen Formen man Wissenschaft organisieren könne und was wissenschaftstaugliche Legitimitätsmuster für Entscheidungen seien.

Anschließend an die Ausführungen von Rudolf Schlögl hatten die eingeladenen Vertreter der Stiftungen, der DFG, des hessischen Wissenschaftsministeriums und der Münchner Universitätsverwaltung die Möglichkeit, sich mit kurzen Stellungnahmen vorzustellen und auf die Thesen zu reagieren.

Zunächst gab Frank Suder als Vertreter des Vorstandes der Fritz-Thyssen-Stiftung einen Einblick in Strukturen der Stiftungs-Förderung. Schwerpunkt der Fritz-Thyssen-Stiftung sei die „fördernde“ Form, d.h. die Förderung auf Antrag einzelner Wissenschaftler, weswegen sie auch mit vergleichsweise wenig Personal auskomme. Aber auch mit der operativen Förderung, also Programmförderung, habe die Fritz-Thyssen-Stiftung Erfolge gehabt, vor allem mit dem jedoch bereits Anfang der 1980er Jahre ausgelaufenen „Forschungsunternehmen 19. Jahrhundert“: Hier, so Suder, wurde ein Stein ins Wasser geworfen, der weite Kreise gezogen habe. Auch wenn der Schwerpunkt nicht auf der Programmförderung liege, so gäbe es doch „implizite Programme“ durch thematische Schwerpunktbildung. Hierauf besäßen die mit Wissenschaftlern besetzten Beiräte einen maßgeblichen Einfluss, auf deren Expertise die Stiftungsverwaltung wesentlich angewiesen sei. Dennoch zeichne sich die Förderungspraxis in den Geisteswissenschaften gerade im Vergleich mit den Naturwissenschaften und insbesondere der Medizin durch ihr hohes Maß an thematischer Offenheit aus. Da aber in den letzten Jahren durch die Vervielfachung der Anträge die Ablehnungsquote auf etwa 85 Prozent gestiegen sei, werde nun auch im Bereich der Geisteswissenschaften diskutiert, ob als Reaktion auf diese als unglücklich wahrgenommene Entwicklung eine Schwerpunktbildung erfolgen solle, um so die Ablehnungsquote wieder zu senken. Solche Vorschläge seien jedoch bisher vor allem deswegen abgelehnt worden, weil man die Entwicklung der Forschungsthemen nicht antizipieren und noch weniger steuern könne. Zuletzt wies Suder noch darauf hin, dass, auch wenn vornehmlich Grundlagenforschung gefördert werde, die Stiftung aus Gründen der Außenwirkung und der Legitimierung des Umgangs mit den Geldern die Frage der Relevanz der geförderten Forschung nicht beiseite schieben könne.

Hierauf berichtete Axel Horstmann (Universität Hamburg/Leiter der Abteilung für Geistes- und Gesellschaftswissenschaften der VW-Stiftung) in aller Kürze über Geschichte und Gegenwart der von ihm vertretenen VW-Stiftung, die sich durch ihren traditionell hohen Anteil der Geisteswissenschaften bei der Förderung von circa 50 Prozent auszeichne. Seit 1971 gebe es Programmförderung in Form von Förderinitiativen. Damit verfolge man das Ziel, die Ablehnungsquote und den durch eine hohe Ablehnungsquote verbundenen Abschreckungseffekt möglichst niedrig zu halten, aber auch zu verhindern, dass sich Schwerpunkte quasi im Wildwuchs ausbilden, wie dies zuvor der Fall gewesen sei. Nach Horstmann sprechen daher strukturelle Gründe für Programmförderung. Die Entscheidung darüber, welche Schwerpunkte verfolgt würden, ergebe sich aus dem Wechselspiel zwischen den Stiftungen und den Wissenschaftlern; sie würden also nicht an den Schreibtischen der „Bürokraten“ ausgetüftelt. Daneben gebe es aber auch die Möglichkeit der individuellen Förderung; Horstmann verwies hierbei auf die Dilthey-Fellowships sowie das Opus-magnum-Programm, das sich an etablierte Wissenschaftler richte. Die Einrichtung dieser Instrumente sei eine Reaktion auf die Kritik an der Projektförderung gewesen, dass diese, so Horstmann, nicht zum „Stil“ der Geisteswissenschaften passen würde. Als zentrales Defizit sah Horstmann die Außenwirkung und die Vermittlung in der Öffentlichkeit und forderte Programme, um dies zu fördern. Auch die Geisteswissenschaften müssten ihrer Legitimationsverpflichtung nachkommen, das heißt Antworten auf die Frage geben, was die Perspektive der jeweiligen Forschungen sind. Zudem forderte er mehr Transparenz ein, wobei er dabei vor allem die Stiftungen selbst adressierte. Auch gelte es die Vorstellung, es gebe zwei Pole – Bürokratie auf der einen, die Wissenschaft auf der anderen Seite – zu relativieren.

Die Gerda-Henkel-Stiftung, so erläuterte Andreas Tönnersmann (ETH Zürich/Universität Basel/Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Gerda-Henkel-Stiftung) habe ihren Förderungsschwerpunkt in den historischen Wissenschaften. Darüber hinaus besäße sie aber keine programmatische Ausrichtung, was er als Stärke sehe. Die Bewilligungsquote liege bei etwa 15 Prozent. Eine Besonderheit bilde die Doktoratsförderung, wobei hier auch biografische Aspekte der Antragssteller eine wichtige Rolle spielten. Hier spiegle sich das Credo der Stiftung wider, dass bei wissenschaftlicher Förderung gerade im Fall des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht nur die Forschungsthemen, sondern auch die Person des Antragsstellers und geförderten Wissenschaftlers in den Blick zu kommen habe. Die Gerda-Henkel-Stiftung verstehe sich als nachführende, helfende und auch improvisierende Einrichtung, nicht als eine an fixen Institutionen und Verfahren orientierte Bürokratie, was auch der Logik der Wissenschaft entspreche.

Wolfgang Rohe vom Wissenschaftsrat betonte in seiner anschließenden Stellungnahme zunächst, dass es keine „unbefleckte Förderung“ gebe, sondern dass materielle Rahmenbedingungen und Einflüsse eine wichtige Rolle spielten. Es stelle sich die Frage, ob diese zugenommen hätten. Auf inhaltlicher Ebene sei dies zwar zu verneinen; dagegen sei eine solche Entwicklung auf struktureller Ebene durchaus zu beobachten. Die Gründe sehe er in allgemeinen Entwicklungen des Wissenschaftssystems. Zum einen habe die Verknappung der Grundmittel zu einer zunehmenden Abhängigkeit von Drittmitteln geführt, wobei dies noch viel mehr für die Natur- und Ingenieurwissenschaften zutreffe als für die Geisteswissenschaften. Zum anderen sei zu beachten, dass mit bestimmten Maßnahmen der Drittmittelförderung wie der Exzellenzinitiative wissenschaftspolitische Ziele verfolgt würden. Die damit verbundenen Folgen wie etwa Konzentrationsprozesse oder eine Stärkung der Autonomie der Universitäten seien politisch gewollt. Rohe diskutierte daran anschließend Möglichkeiten, wie die Geisteswissenschaften hierauf reagieren könnten. Er nannte vier Punkte: Erstens seien Förderungsformen zu entwickeln, die für die geisteswissenschaftliche Forschung adäquat seien wie z.B. die neu entwickelten Forschungskollegs. Zweitens – und hier sah Rohe besonderen Handlungsbedarf – seien von den Geisteswissenschaften selbst vermittelbare Qualitätskriterien zu entwickeln, die es nachzuvollziehen erlauben, wie Qualität von Forschung bemessen werden könne, um diese sowie die Forschungsförderung transparenter zu machen. Dies sei von daher wesentlich, weil die Konkurrenz unter den Disziplinen zunehme. Drittens sei eine thematische Engführung der Forschung zu vermeiden, vor allem um zu verhindern, dass ganze Kohorten des wissenschaftlichen Nachwuchses zu demselben Themenfeld arbeiten. Schließlich plädierte Rohe dafür, alle Formate der Forschungsförderung, gerade auch die umstrittene Großforschung und die oftmals denunzierte koordinierte Programmförderung, für die Geisteswissenschaften offen zu halten. Abschließend warnte Rohe davor, dass die Geisteswissenschaften sich in einer grundsätzlichen Alterität zu anderen Wissenschaften definierten; es gelte vielmehr, die Besonderheiten der Geisteswissenschaften nach rationalen Kriterien zu kommunizieren.

Peter Funke (Universität Münster/Mitglied des Senats der DFG), Vertreter der Deutschen Forschungsgemeinschaft, schloss in seinem Referat an die Positionen Rohes an. Er schilderte Entwicklungen und Probleme der Wissenschaftsförderung der DFG. Zum einen ändere sich der Charakter der Förderung, die ursprünglich als Hilfestellung der durch die Grundausstattung geleisteten Forschung konzipiert worden sei. Zum anderen wies er auf das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen den beiden Säulen der Förderung hin: der Programmförderung durch koordinierte Verfahren einerseits, den Einzelverfahren andererseits. Jedoch gelinge es (noch) gut, beide auszutarieren. Die thematische Offenheit sei in der Diskussion; es werde immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit eine – bisher noch abgelehnte – stärkere Engführung und Steuerung der Forschungsförderung notwendig und sinnvoll sei. Ebenso werde diskutiert, inwieweit die Programmförderung ein geeignetes Instrument für die Geisteswissenschaften darstelle. Die Vorschläge, die die AG „Förderinitiative Geisteswissenschaft“ vorgelegt habe, koinzidiere in vielen Punkten mit den Vorstellungen des Wissenschaftsrats: So sei das Instrument der Forschergruppen neu eingerichtet worden. Eine weitere Antwort bilde das Konzept des Forschungskollegs, das zwischen den beiden Säulen der Programm- und der Individualförderung liege. Es ist zum einen auf die individuelle Forschungsförderung ausgerichtet, gehe mit ihren größeren Förderzeiträumen aber auch auf den besonderen Zeitbedarf geisteswissenschaftlicher Forschung ein. Als neues Problem trete zunehmend die Frage in den Vordergrund, wie Grund- und Ergänzungsausstattung miteinander verknüpft werden könnten und welche Folgen die neuen Besoldungskriterien besäßen, aufgrund derer sich die Höhe der Besoldung in Zukunft stärker an der Einwerbung von Drittmitteln ausrichte.

Thomas May, Kanzler der LMU München, stellte in seinem pointierten Referat acht Thesen zu Chancen und Grenzen der Programmförderung vor allem aus Sicht der Universitätsverwaltung auf. Vor dem Hintergrund begrenzter Mittel sichere und erhöhe Programmförderung erstens die Rationalität von Allokationsentscheidungen an den Universitäten, indem diese vorzugsweise auf leistungsfähige Forschungsinitiativen verteilt werde. Die Existenz rationaler Kriterien für gute bzw. förderungswürdige Forschung sei daher essentiell. Zweitens unterstütze Programmförderung die institutionenübergreifende Kooperation und wirke damit der Versäulung und Abgrenzung entgegen. Programmförderung erhöhe drittens die Außenwirkung und insbesondere die Wahrnehmbarkeit im politischen Raum, was die Versuche, Mittel für Forschung zu akquirieren, unterstütze. Viertens sichere Programmförderung die Reform- und Innovationsfähigkeit einer Institution, indem sie den Institutionen innewohnenden Trägheitsmomenten entgegenwirke und an Beständen rüttle. Anstöße von außen seien hierfür oftmals notwendig, wie das Beispiel der Exzellenzinitiative zeige. Programmförderung dürfe, so die fünfte These Mays, nicht die Grundförderung gefährden. Da es immer einfacher sei, die Förderung von Neuem zu legitimieren, werde dadurch nicht nur die Tendenz zu kurzfristigem Denken und opportunistischem Verhalten erhöht, sondern dies gehe auch zu Lasten einer nachhaltigen Förderung von Bestehendem. Auch aus diesem Grund müsse Programmförderung sechstens bescheiden bleiben, denn allzu oft werde sie als Mittel ge- bzw. missbraucht, um strukturelle Veränderungen und partikulare Interessen durchzusetzen. Dies führe oftmals dazu, dass unter Einsatz erheblicher Finanzmittel Tendenzen gefördert werden, die sich als nicht nachhaltig herausstellten. Programmförderung müsse siebtens Wissenschaftsförderung bleiben, denn nicht jedes gesellschaftliche Problem lasse sich hierüber lösen. Schließlich müsse Programmförderung die jeweiligen Fächerkulturen und deren Unterschiede in ihrer Arbeitsweise respektieren.

Joachim-Felix Leonhard, Staatssekretär am Hessischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, referierte schließlich über das neue Rollenverständnis der Ministerien, das sich daraus ergebe, dass man dem Wunsch der Universitäten nach größerer Autonomie nachzukommen versuche, wie das Beispiel der TU Darmstadt zeige. Indem sich die Ministerien auf die strategische Steuerung beschränkten und nicht mehr in den operativen Bereich eingriffen, sei es zu einem Paradigmenwechsel im Verhältnis von Ministerien und Hochschulen gekommen. Dabei müsse jedoch auf die Probleme hingewiesen werden, die sich aus den leeren Haushaltskassen ergeben, vor allem den Investitionsstau. Die Politik verfolge auch eine Neustrukturierung der Universitätslandschaft, etwa durch die Konzentration von Forschungsrichtungen an einzelnen Standorten, so z.B. durch die Gründung des Osteuropa-Zentrums in Gießen. Nach Leonhard befinden sich die Geisteswissenschaften zurzeit auf einem verlorenen Posten, weil sie aufgrund ihrer Atomisierung ihre Interessen nicht artikulieren und durchsetzen könnten. Er forderte, dass sich die Universitäten insbesondere innerhalb der einzelnen Bundesländer besser abstimmen und kooperieren sollten anstatt miteinander zu konkurrieren, um auch im internationalen Wettbewerb besser zu bestehen. Zudem sei es notwendig, die Prozesse der Forschungsförderung durch eine Verschlankung des Apparats zu beschleunigen, sowie mehr Private-Public-Partnership-Projekte umzusetzen, etwa durch die Privatisierung von Universitätskliniken und mehr Stiftungsförderung.

Im Anschluss an die Stellungnahmen der Vertreter des Podiums wurde die Diskussion für das Plenum eröffnet. Danach erhielten die Podiumsteilnehmer die Möglichkeit, in einem kurzen Schlussstatement hierauf zu reagieren. Die Diskussion konzentrierte sich auf drei Themenbereiche: erstens auf die Logik und Postulate geisteswissenschaftlicher Forschung; zweitens auf die Situation universitärer Forschungsorganisation und deren Verhältnis zur Politik sowie drittens auf die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses.

In seinem die Diskussion eröffnenden Beitrag hinterfragte Christof Dipper (Darmstadt) die gerade in der Drittmittelförderung zentralen Postulate der „Interdisziplinarität“ und „Internationalität“ der Forschung mit Hinweis auf die disziplinäre und nationale Eigenständigkeit und Eingebundenheit der Geschichtswissenschaften. Zudem, so Dipper, leuchte ihm nicht ein, inwiefern hohe Ablehnungsquoten ein Argument für Programmsteuerung seien, da diese doch auch als Indiz für Qualitätssicherung gewertet werden können. Bezugnehmend auf die letzte Bemerkung wies Suder darauf hin, dass die hohe Zahl der Anträge in hohem Maße den „Begutachtungs-Apparat“ beschäftige, und begründete mit dem steigenden Aufwand die Diskussionen über eine stärkere programmatische Steuerung. Mit der Frage nach den wissenschaftspolitischen Vorgaben, die im Rahmen der Programmförderung an die Forschung herangetragen würden, war ein Thema angesprochen, das in der weiteren Diskussion eine große Rolle spielte. Dippers Bemerkungen zur Interdisziplinarität und Internationalität kritisch aufnehmend betonte Jürgen Kocka (Berlin) die große Bedeutung der internationalen Vernetzung der Forschung. Dies begründete er u.a. mit dem Verweis auf neue Themen wie die Globalgeschichte oder die Erinnerungsgeschichte, die nur in internationalem Zusammenhang behandelt werden könnten. Kocka konstatierte hier für die deutsche Geschichtswissenschaft einen Nachholbedarf, der sich u.a. darin zeige, dass diese im europäischen Förderraum schlecht aufgestellt sei. Leonhard schloss sich der Position Kockas an, indem er unter Verweis auf den „Sinkflug“ der Afrika-Institute darauf verwies, dass gerade der Blick auf außereuropäische Kulturen in Deutschland unterentwickelt sei. Auch nach Tönnesmann könne sich die deutsche Forschung nicht auf den nationalen Rahmen beschränken, sondern müsse sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Zudem hob Kocka unter Verweis auf „Poetik und Hermeneutik“ die produktiven Möglichkeiten interdisziplinärer Forschung hervor. Auch Horstmann plädierte für verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit und verwies darauf, dass interdisziplinäre Forschungen etwa zu den Themen Bewusstsein und Gedächtnis besonders gefördert würden. Ebenfalls in Reaktion auf Dippers Stellungnahme betonte Martin Dreher (Magdeburg), dass die nationale Engführung des Blicks vor allem ein Problem der Zeitgeschichte sei, da die Forschung zu anderen Epochen von der Antike bis zur Frühen Neuzeit von jeher aufgrund ihres Gegenstandes auf internationale Vernetzung angewiesen gewesen sei.

Einen Teilaspekt der strukturellen und epistemischen Vorgaben durch die Programmförderung thematisierte schließlich Anne Nagel (Gießen), indem sie die im Rahmen der Exzellenzinitiative geforderte Englischsprachigkeit der Anträge kritisierte. Peter Funke wies in seiner Antwort als Vertreter der DFG darauf hin, dass letzteres aufgrund der internationalen Zusammensetzung der Gutachtergremien so entschieden worden sei, es jedoch durchaus auch ein Problembewusstsein gebe, das Deutsche als Wissenschaftssprache zu erhalten. Diese Bemerkung nahm Werner Paravicini (Paris) zum Anlass für ein emphatisches Statement, Deutsch als Wissenschaftssprache zu erhalten und auch in der projektbezogenen Forschung zu fördern. Auch Rohe schloss sich dieser Auffassung an: Nach seiner Überzeugung sei das Deutsche als Wissenschaftssprache keine konvertierbare Währung, sondern ein essentielles Konstituens wissenschaftlichen Denkens. Stärkere Beachtung müsse jedoch eine professionelle Übersetzung finden.
Tönnesmann trat schließlich dafür ein, dass die Geisteswissenschaften angesichts des hohen Grades an Visibilität und der Präsenz in den Medien und in der Öffentlichkeit ein größeres Selbstbewusstsein entwickeln könnten. Sich stärker auch in politischen Debatten zu Wort zu melden, maß er große Bedeutung zu.

Ein zweites Themenfeld der Diskussion ergab sich durch die Frage nach der Mittelverteilung an den Universitäten vor dem Hintergrund der zunehmenden Verschiebung des Kräfteverhältnisses von Grund- und Drittmitteln und der damit verbundenen und von der Wissenschaftspolitik gewollten Stärkung der Autonomie der Hochschulen. Der Rückgang von Mitteln der Grundausstattung führe, so Bernd Dreher, gerade im Bereich der Bibliotheken zu Problemen, die die Arbeitsfähigkeit der Geisteswissenschaften beeinträchtige. So genannte „Globalhaushalte“, so wurde die Befürchtung geäußert, benachteiligten kleinere Fächer ebenso wie Bereiche, die auf langfristige Förderung angewiesen seien. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage nach dem aktuellen Verhältnis von Grundausstattung und Ergänzungsausstattung in absoluten Zahlen gestellt. Peter Funke erklärte, dass auch er angesichts der „Globalhaushalte“ die Finanzierung kleinerer Fächer als strukturell gefährdet betrachte. Joachim-Felix Leonhard ergänzte zur Frage nach den absoluten Zahlen, dass die Ausgaben für Wissenschaft sich in Hessen seit 1996 um 600 Millionen Euro gesteigert hätten. Die Verteilung zwischen Grund- und Ergänzungsausstattung werde zunehmend erfolgsgebunden organisiert, sprich nach dem Prinzip der Belohnung für Drittmitteleinwerbungen, wobei dies von Bundesland zu Bundesland verschieden sei. Außerdem plädierte Leonhard sowohl für eine stärkere Öffnung der Geisteswissenschaften hin zur Politik, etwa in Form der Politikberatung, als auch für eine bessere Kooperation über Ländergrenzen hinweg, um so der Verdrängung der Geisteswissenschaften entgegen zu wirken.
Grundsätzlich, so Kocka, sei jedoch zu konstatieren, dass die Logiken von Politik und Wissenschaft zunehmend auseinander klafften und dies letztlich die Eigenständigkeit der Wissenschaft gefährde. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es durch die von Seiten der Politik induzierte Tendenz zur Beschleunigung und der immerwährenden Produktion von Neuem zunehmend zu Dysfunktionalitäten und Diskrepanzen im Bereich der Wissenschaft komme. Auch May äußerte daran anschließend die Überzeugung, dass die immer stärker zutage tretenden Dysfunktionalitäten zwischen Politik und Wissenschaften, die sich gerade aus dem Problem der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ergäben, ein Problem seien, dem man sich in Zukunft stärker zuwenden müsse. Dieses Problem zu lösen besitze geradezu existentiellen Charakter für die Universitäten. Formen der Programmförderung seien dazu ein wichtiges Mittel. Zugleich gelte es, das Verhältnis von Drittmittelförderung und Grundfinanzierung neu zu justieren.

Zahlreiche Diskussionsbeiträge thematisierten schließlich die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses. Joachim Eibach (Bern) betonte vor dem Hintergrund der „Überproduktion“ von wissenschaftlichem Nachwuchs im Rahmen der Drittmittelförderung die Legitimität der Forderung jüngerer, insbesondere habilitierter Wissenschaftler nach kalkulierbaren Risiken und beruflichen Perspektiven. Als ein Lösungsmodell verwies er auf die Einrichtung von Assistenzprofessuren für sechs Jahre, wie sie in der Schweiz üblich seien. Auf die Probleme habilitierter Wissenschaftler, angesichts der bestehenden, im Wesentlichen auf Doktorandenförderung abgestellten Projektfinanzierung, wies auch Maren Lorenz (Hamburg) hin. Eine Ursache dafür, dass auch viele ins Ausland abgewanderte Wissenschaftler nicht mehr nach Deutschland zurückkämen, sei, dass es hierzulande keinen tenure track gebe. In diesem Zusammenhang kritisierte sie auch die Entscheidung der Henkelstiftung, ihren Förderpreis an einen emeritierten, finanziell abgesicherten Wissenschaftler zu vergeben, statt auch an dieser Stelle eine Politik der Nachwuchsförderung zu betreiben. Den letzten Punkt aufnehmend warnte Wolfram Siemann (München) davor, einen Gegensatz zwischen alten und jungen Wissenschaftlern aufzubauen. Die Defizite in der individuellen Forschungstätigkeit, die durch den hohen Zeit- und Arbeitsaufwand bedingt seien, den die Drittmittelförderung für Antragssteller bedeute und der dem wissenschaftlichen Nachwuchs zugute käme, müsse durch ergänzende Programme kompensiert werden. Zur Frage des tenure tracks ergänzte anschließend Ulrich Sieg (Marburg), dass diese Einrichtung nur dann funktioniere, wenn es insgesamt mehr Stellen gebe. Insofern sei hier die Politik gefragt.

Ein weiteres Problem, das dem wissenschaftlichen Nachwuchs durch die drittmittelfinanzierte Forschungsförderung in ihrer aktuellen Form entstehe, sprach dann Alexandra Wenck an. Passfähig, so Wenck, seien nur gerade Lebenswege, die Aspekte wie außeruniversitäre Tätigkeiten oder die Erziehung von Kindern ausschlössen. So habe sie in ihrem eigenen konkreten Fall festgestellt, dass es für Habilitanden in der Endphase kein Antragsformat für „Kinderbetreuung“ gebe. Die Frage der Förderung habilitierter Nachwuchswissenschaftler nahm noch einmal Heike Bungert (Bremen/Köln) auf, indem sie darauf hinwies, dass für diese Gruppe außer dem Heisenberg-Stipendium der DFG keine Förderinstrumentarien zur Verfügung ständen. Im Zusammenhang mit dem tenure track als US-amerikanischem Vorbild der Integration des Nachwuchses in die Universitätslaufbahn wies Bungert darauf hin, dass amerikanische Universitäten Volluniversitäten seien – ein Modell, das durch die Politik der Konzentration von Fächern an bestimmten Institutionen in Deutschland gerade abgeschafft werde. Werner Paravicini wandte sich dann vehement gegen den tenure track, da dieser mit der Tradition des Hausberufungsverbots, mit dem man nur gute Erfahrung gemacht habe, breche. Unterstützenswert jedoch sei die Forderung nach Förderinstrumentarien für die „Schreibphase“, wozu auch die Finanzierung von Kinderbetreuung zu zählen sei. Tönnesmann teilte die Bedenken gegenüber dem tenure-track, vor allem weil dessen Einführung für einen längeren Zeitraum die Kanäle verstopfen würde. Dahingegen unterstützte May die Idee des tenure-tracks; aus seiner Sicht müssten unbedingt Strukturen errichtet werden, um junge Wissenschaftler dauerhaft zu beschäftigen. Funke gab jedoch zu bedenken, dass das zentrale Problem, um den tenure-track umzusetzen, die fehlenden Stellen seien; notwendig seien zudem eine flexiblere Personalstruktur und die Möglichkeit, eigene Stellen zu beantragen. Grundsätzlich führe, so Funke, die Logik der Drittmittelforschung zu einer Überproduktion von hochqualifiziertem Nachwuchs ohne dauerhafte Perspektive. Auch in der Kinderbetreuung sah Funke ein zentrales Problem: Hier gebe es zwar schon Möglichkeiten, diese seien jedoch weiter auszubauen. Auch Suder betonte, dass es einen starken Nachholbedarf bei der Frage der Kinderbetreuung gebe und verwies darauf, dass biografische Aspekte zumeist bei der Forschungsförderung keine oder eine nur nachgeordnete Rolle spielten, was sich besonders an dem Problem der Altersbegrenzung zeige. Nach Rohe sei es notwendig, dass mit dem Antritt einer Post-Doc-Stelle die Entscheidung für eine wissenschaftliche Karriere getroffen wird, weswegen hierfür auch höhere Hürden und striktere Kriterien einzurichten sind.

Die begonnene Diskussion über die Folgen der Programmförderung, so schienen sich alle Teilnehmer einig, muss angesichts der Tatsache, dass die Drittmittelforschung eine immer größere Bedeutung bekommen wird, fortgesetzt werden. Die Vertreter der DFG und der Stiftungen signalisierten große Bereitschaft, die spezifischen Voraussetzungen und Bedingungen der Geisteswissenschaften hierbei zu berücksichtigen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrerseits, das wurde auch klar artikuliert, müssen auf die vergleichsweise neue Situation, die durch die steigende Bedeutung der Drittmittelförderung entsteht, angemessen und reflektiert reagieren. Das heißt vor allem, sich bewusst zu werden, dass diese Situation die Wissenschaften an die Handlungslogik der Politik und bürokratischer Verwaltungsapparate bindet. Drittmittelförderung ist ein Instrument der Forschungspolitik, ja gegebenenfalls der Gesellschaftspolitik im Allgemeinen, d.h. sie koppelt die Wissenschaften an außerwissenschaftliche Zielvorgaben und Konzepte. Schließlich wird es in Zukunft auch darum gehen müssen, dass die Geisteswissenschaften angemessene Strategien entwickeln, sich gegenüber mächtigen, z.T. selbstlegitimierten Akteuren (z.B. CHE) zu positionieren und d.h. auch die Frage der Legitimation dieser Akteure bewusst zu stellen.

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