Unternehmenskontrolle und Politik in der Bundesrepublik. „Deutschland AG“ – Ein Governance-Modell?

Unternehmenskontrolle und Politik in der Bundesrepublik. „Deutschland AG“ – Ein Governance-Modell?

Organisatoren
Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU); Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.11.2011 - 12.11.2011
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Von
Christoph Bartmann, Abteilung Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Die „Deutschland AG“ lässt sich in struktureller Perspektive als (west-)deutsche Spielart eines „koordinierten Kapitalismus“ interpretieren, deren Wesensmerkmal wechselseitige Personal- und Kapitalverflechtungen zwischen Großbanken, Versicherungen und Industrieunternehmen waren, die vor allem den Banken eine dominante Stellung ermöglichten.

Diese Verflechtungsarrangements und ihre journalistischen wie sozialwissenschaftlichen Deutungen kritisch zu historisieren, mithin die „Deutschland AG“ auf ihre Verwertbarkeit als analytische Kategorie der Geschichtswissenschaft hin zu befragen; dieser Aufgabe stellten sich die Teilnehmer einer Konferenz, zu der der Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU) und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) geladen hatten. Die von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung geförderte Tagung „Unternehmenskontrolle und Politik in der Bundesrepublik. ‚Deutschland AG‘ – Ein Governance-Modell?“, verstand sich, wie RALF AHRENS (Potsdam) und BORIS GEHLEN (Bonn) einleitend referierten, insofern als ein erster Versuch, ein nationales ökonomisches Steuerungsmodell in unternehmenshistorischer und gesamtgesellschaftlicher Perspektive zu analysieren. Wie manifestierte sich die „Deutschland AG“ konkret in den einzelnen Unternehmen und inwieweit sind Einzelfallbefunde für unterschiedliche Unternehmenstypen generalisierbar? Wie korrespondiert das Konzept mit anderen Paradigmen wie dem „Rheinischen Kapitalismus“?

Die erste Sektion suchte in weit ausgreifender theoretischer wie historischer Perspektive eine erste analytische Annäherung zu leisten. Dass frühe historische Vorläufer der Kapital- und Personenverflechtungen in der späteren „Deutschland AG“ nicht erst im Kaiserreich, sondern bereits in der deutschen Frühindustrialisierung zu entdecken seien, postulierte einleitend ALFRED RECKENDREES (Kopenhagen). Eine Analyse der Eigentümer früher Aktiengesellschaften der Rheinprovinz ergebe, dass diese sich hauptsächlich aus einem begrenzten Kreis von Unternehmern „traditioneller“ Gewerbezweige wie der Tuch- und Nadelindustrie rekrutierten, die ihre akkumulierten Gewinne als Investition in die neuen Industriebranchen einbrachten. Derart entstandene langfristige Investitions- und Verflechtungsarrangements zwischen „alten“ Branchen und neuen Industriegesellschaften hätten bereits früh einen vor allem vom amerikanischen Aktienmarkt zu unterscheidenden Entwicklungspfad begründet, dessen konkreter Zusammenhang mit den Verflechtungen im Kaiserreich freilich noch zu eruieren sei.

JÜRGEN BEYER (Hamburg) umriss Grundstrukturen und Transformationen der „Deutschland-AG“ zwischen 1950 und 2000. Der auch intersektoral hohe Verflechtungsgrad von Personen und Kapital in einer „geschlossenen Komponentenstruktur“ und die intensive Einbindung wie starke Stellung der Großbanken habe Unternehmens- und Branchenkrisen beherrschbar gemacht, unwillkommene Unternehmensübernahmen abgewehrt und Konkurrenz durch Verdrängungswettbewerb deutlich reduziert. Mit der Entflechtung der „Deutschland AG“ und der Ausrichtung deutscher Großunternehmen an den Handlungsrationalitäten eines globalen „Finanzmarktkapitalismus“ seit den neunziger Jahren sei diese Form nationaler Unternehmenskontrolle zunehmend erodiert.

Dass auch die Diskussion um die unterschiedlichen Spielarten einer koordinierten Steuerung der Wirtschaft eine weit zurückreichende Geschichte besitzt und dass diese Diskussion nicht zu trennen sei von zugrundeliegenden entwicklungstheoretischen Perspektiven auf den Kapitalismus, unterstrich ROMAN KÖSTER (München). Bis in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts habe in Deutschland das maßgeblich von Max Weber und Werner Sombart grundgelegte „großtechnische“ Paradigma die Kapitalismusdeutung bestimmt. Dessen leitende Vorstellung einer fortschreitenden Dominanz koordiniert agierender industrieller Großunternehmen sei dabei in positiver wie negativer Weise rezipiert worden. Der realwirtschaftliche Strukturwandel seit den siebziger Jahren habe dann im Zuge der Neudeutungen des Kapitalismus (Netzwerkordnungen und Flexibilisierung statt integrierter Großstrukturen) alternative Wertungen unternehmerischer Verflechtung hervorgebracht.

In seinem Kommentar plädierte WERNER PLUMPE (Frankfurt am Main) dafür, quantitative und funktionale Befunde durch stärker historisierende Perspektiven auf die „Deutschland AG“ zu ergänzen. Dies gelte insbesondere, da dieser kein intentionaler Gründungsakt vorausgegangen, die „Deutschland AG“ vielmehr „historisch passiert“ und insofern erklärungsbedürftig sei. Dass sich im Rahmen einer solchen kritischen Historisierung die scheinbare Eindeutigkeit des Konzepts schnell relativiert, verdeutlichte die anschließende Diskussion. Strittig war insbesondere, ob die im Kaiserreich dauerhaft institutionalisierten Kapitalbeziehungen zwischen Universalbanken und Industrieunternehmen das Produkt einer Krise an den Kapitalmärkten seit 1873 waren oder ob die geringe Kapitalmarktvolatilität nicht Ursache, sondern vielmehr Ergebnis einer bereits in der Frühindustrialisierung grundgelegten spezifisch deutschen Aktionärsstruktur gewesen sei.

Eng damit zusammen hängt die Diskussion um die bereits durch den Begriff suggerierte Einzigartigkeit des Phänomens. Ob die Merkmale der „Deutschland AG“, wie kritisch angemerkt wurde, weniger spezifisch deutsch, als vielmehr typisch für kapitalistisch verfasste Systeme seien, kann letztlich nur die Detailforschung erweisen. Gleiches gilt für Fragen nach den vielfältigen Funktionen des Staates sowie nach dem Verhältnis von Großbanken und Industrieunternehmen, das heißt wer „schuf“, wer „dominierte“ und wer „transformierte“ die „Deutschland AG“?.

Die zweite Sektion thematisierte die Rolle wirtschaftspolitischer Regulierung für Herausbildung und Funktionieren der „Deutschland AG“. Wie GEROLD AMBROSIUS (Siegen) in seinem Vortrag herausstellte, war die Bundesrepublik entscheidend geprägt von der bereits früh einsetzenden Verdrängung des ordoliberalen Leitbilds durch ein „sozial-marktwirtschaftliches“ Paradigma. Nicht erst in den 1960er-, sondern schon seit den 1950er- Jahren habe die puristische ordoliberale Wettbewerbskonzeption, die den freien Wettbewerb als Zentralelement der Wirtschaftsordnung konzipierte, in der theoretischen Diskussion wie in der praktischen Politik zunehmend an Boden verloren gegenüber einer mehr pragmatischen „sozial-marktwirtschaftlichen“ Herangehensweise. Dieser pragmatische Grundansatz habe auch die – die Formierung der „Deutschland AG“ befördernde – Aktienrechtsreform von 1965 geleitet.

Am Beispiel der schnellen „Rückverflechtungen“ der Ruhrstahlindustrie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) skizzierte TOBIAS WITSCHKE (Brüssel) die geringen langfristigen Auswirkungen der wirtschaftlichen Neuordnungen der Alliierten auf den Verflechtungsgrad deutscher Großunternehmen der „Deutschland AG“. Die durch die Hohe Behörde der EGKS weitgehend konfliktfrei sanktionierte Re-Konzentration in der Ruhrstahlindustrie sei in vielen Fällen als rein formaler und rechtlicher Nachvollzug eines durch informelle Personal- und Kapitalbeziehungen eng verflochtenen, mithin de facto bereits konzentrierten Sektors zu betrachten.

BORIS GEHLEN (Bonn) relativierte abschließend die Bedeutung der Aktienrechtsreform von 1965, die in Kontinuität rechtlicher Regelungen vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik das „Insidersystem“ deutscher Banken und Industrieunternehmen unter Marginalisierung externer Kontrollmechanismen faktisch nur rechtlich nachvollzogen und damit zugleich perpetuiert habe. Indem das Aktienrecht die Kontrollkompetenz des Aufsichtsrats nach dem Grundsatz „regulierter Selbstregulierung“ lediglich abstrakt festschrieb, sei auch seine Wirkung auf die operative Unternehmensführung gering gewesen. Dementsprechend deutete Gehlen die formalrechtlichen Kontrollkompetenzen des Aufsichtsrats als untergeordnet gegenüber seinen faktischen Mitentscheidungs-Kompetenzen. Inwiefern sich der Aufsichtsrat als „Machtzentrum“ des Unternehmens realisierte, sei von Persönlichkeit und Führungsverständnis der beteiligten Akteure abhängig gewesen.

Die anschließende Diskussion unter der Leitung von ANDRÉ STEINER (Potsdam) machte deutlich, dass genaue Aussagen über die Unternehmensführung in der Deutschland AG weitere Forschung voraussetze. Nur so ließe sich entscheiden, ob, wie einige Diskussionsteilnehmer reklamierten, das Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat weniger durch die Persönlichkeit der beteiligten Akteure als vielmehr durch die involvierten Interessen und Machtasymmetrien bestimmt sei. Es bleibt freilich abzuwarten, inwieweit eine auf grundsätzliche Einsichten abzielende Forschung hier an ihre Grenzen stößt, und ob es letztlich, wie skeptisch angemerkt wurde, doch vor allem auf die „je individuellen Verhältnisse“ im Unternehmen ankomme.

Alternative unternehmerische Kooperationsformen außerhalb des Kernbereichs der „Deutschland AG“ waren Thema der von MICHAEL C. SCHNEIDER (Göttingen/Frankfurt am Main) geleiteten dritten Sektion. HEIKO BRAUN (Bonn) analysierte die vielfältigen, nicht auf Personal- und Kapitalverflechtungen basierenden, sondern informell wirksamen Kooperationsarrangements in der deutschen Pharma-Industrie. Gestützt auf informelle Kooperation im sogenannten „Freundeskreises“ sei es den Pharma-Unternehmen gelungen, tiefere staatliche Regulierungseingriffe bei Arzneimittelzulassung und Medikamentenpreisen abzuwehren und die eigene führende Marktposition zu behaupten. Erst durch die Internationalisierung der Branche seit den ausgehenden 1970er-Jahren sei es zu ersten Auflösungserscheinungen der nationalen „Pharma AG“ gekommen.

Am Beispiel der beiden Chemie-Unternehmen Hoechst und Akzo/Glanzstoff relativierte CHRISTIAN MARX (Saarbrücken) den Zusammenhang zwischen der Internationalisierung deutscher Großunternehmen und der Transformation bzw. Auflösung der „Deutschland AG“. Auch als multinationale Chemie-Konzerne blieben beide Unternehmen in die „Deutschland AG“ integriert. Internationalisierung sei mithin, wie Marx betonte, durchaus kompatibel mit nationalen Personal- und Kapitalverflechtungen und einer dominanten Rolle der deutschen Großbanken im Aufsichtsrat. Obwohl also nicht die Internationalisierung an sich für das Ende des spezifisch deutschen Industriesystems verantwortlich sei, habe die Entstehung von multinationals das Steuerungspotential der „Deutschland AG“ gleichwohl schleichend unterminiert.

Inwiefern zwischen den Unternehmen der „Deutschland AG“ und gewerkschaftlichen Unternehmen Wechselbeziehungen bestanden, erläuterte PETER KRAMPER (Freiburg). Die nach 1945 zu nationalen Großkonzernen aufgerückten gewerkschaftseigenen Unternehmen (unter anderem „Neue Heimat“ und „Volksfürsorge“) pflegten intensive Geschäftsbeziehungen zur „Deutschland AG“, insbesondere zu den großen deutschen Banken. Der vergleichsweise geschlossene Kreis der Eigentümer der Gewerkschaftsunternehmen, das Überwiegen interner gegenüber externen, vermarktlichten Kontrollmechanismen und die wechselseitigen Kapitalverflechtungen seien zudem als Parallelen zu den Governance-Strukturen der „Deutschland AG“ zu interpretieren. Insofern seien die Krise und das Scheitern der gewerkschaftlichen Unternehmen seit den 1970er-Jahren als „Menetekel“ für die einige Jahre später vollzogene Auflösung des nationalen Gouvernance-Modells „Deutschland AG“ zu deuten.

Die anschließende Diskussion warnte allerdings davor, die vorgestellten alternativen Governance-Modelle unter dem Begriff der „Deutschland AG“ zu subsumieren. Strukturelle Ähnlichkeit oder nur Kreditbeziehungen zur „Deutschland AG“ allein begründeten keine Zugehörigkeit zum Phänomen. Der weitergehende Nutzen der Vorträge liege eher in einer schärferen Konturierung dessen, was die „Deutschland AG“ sei: das System wechselseitiger Verflechtung deutscher Großbanken und Industrieunternehmen – und was sie eben nicht sei. Dieses Plädoyer für thematische Engführung blieb nicht unwidersprochen: Ein tieferes Verständnis der „Deutschland AG“ setze voraus, dass sie in ihrem historischen Kontext analysiert und interpretiert werde. Die zeitliche Parallelität des Niedergangs der vorgestellten nationalen Kooperationsarrangements deute nicht nur auf ihre strukturelle Verwandtschaft mit der „Deutschland AG“, sondern auch auf die Bedeutung des sozio-ökonomischen Rahmens, in dem sich die „Deutschland AG“ formieren und reproduzieren konnte.

Die vierte Sektion diskutierte den Aufsichtsrat als zentrale Koordinierungsinstanz der „Deutschland AG“. Einleitend illustrierte ADRIAN JITSCHIN (Marburg) die ausgebliebene tiefgreifende personelle Neuordnung der deutschen Wirtschaft nach 1945 und die Wiederherstellung der deutschen Großbanken als wesentliche Konstitutionsbedingungen. Am Beispiel von Jürgen Ponto, dem erstklassig vernetzten Vorstandssprecher der Dresdner Bank, analysierte RALF AHRENS (POTSDAM) Wirken und Einflusschancen von Bankiers in den Aufsichtsräten deutscher Großunternehmen und relativierte populäre Vorstellungen von „Bankenmacht“. Eine mit dem präziseren Begriff der „Kontrolle“ operierende Analyse zeige, dass die Spielräume deutscher Großbanken, vermittels ihrer Aufsichtsratsmandate umfassende Kontrolle durch Überwachung („Monitoring“) oder formale Steuerung im Sinne der Durchsetzung eigener Interessen im operativen Geschäft auszuüben, begrenzt gewesen bzw. nur in unternehmerischen Krisensituationen mit akuten Finanzierungsproblemen wirklich zum Tragen gekommen seien.

KARL LAUSCHKE (Dortmund) beleuchtete die untergeordnete Rolle von Gewerkschaftsvertretern in den Aufsichtsräten der „Deutschland AG“. Sowohl gesetzlich – durch die sukzessive Reduzierung der gewerkschaftlich besetzten Aufsichtsratsmandate – wie mit Blick auf die operative Unternehmenskontrolle im Aufsichtsrat sei eine Tendenz der zunehmenden „Verbetrieblichung“ der Unternehmensmitbestimmung zu beobachten. Die externen Vertreter der Gewerkschaften hätten auf die operative Unternehmensführung nur geringen Einfluss besessen. Bedeutung sei ihnen in Krisensituationen zugekommen, in denen sie ihre politischen Kontakte aktivieren konnten und so flankierende politische Unterstützung für unternehmerische Entscheidungen mobilisierten.

Die anschließende Diskussion unter der Leitung von MARCEL BOLDORF (Bochum) warf die Frage auf, ob die „Deutschland AG“ nicht in erster Linie der Bewältigung gesamtwirtschaftlicher Krisen gedient habe. So verstanden wäre die „Deutschland AG“ Teil eines auf Einbindung konfligierender Interessen abzielenden, spezifisch deutschen sozio-ökonomischen Arrangements (des „Rheinischen Kapitalismus“). Hier stelle sich allerdings die Frage, wie innerhalb eines Verflechtungs-Netzwerks ohne operatives Zentrum koordiniertes Handeln überhaupt möglich war. Grundsätzlich seien daher die „Vorfeldorganisationen“ und informellen Gremien, welche die Entscheidungen der Aufsichtsräte gleichsam vorstrukturierten, stärker zu berücksichtigen. Dasselbe gelte für die Rolle des Staates, der durch Subventionspolitik Steuerungskompromisse der „Deutschland AG“ entscheidend flankiert, mithin durch die Entschärfung von Konfliktpotential koordiniertes Handeln ermöglicht habe.

Die Beiträge der abschließenden, von CHRISTIAN KLEINSCHMIDT (Marburg) moderierten Sektion, reflektierten die Frage nach dem Verhältnis der „Deutschland AG“ zu Politik und Gesellschaft. Insbesondere die Frage nach der „Macht der Banken“ habe, so FRIEDERIKE SATTLER (München), den öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik wiederholt geprägt. Sie skizzierte die fortwährend aktualisierte Diskussion um vermeintliche Vormacht und Machtmissbrauch der deutschen Großbanken am Beispiel Alfred Herrhausens. In der häufig polemisch geführten Diskussion habe er die starke Stellung der Banken als systemimmanente Konsequenz eines marktwirtschaftlich verfassten Wirtschaftssystems verdeutlichen wollen. Paradoxerweise habe, so Sattler, gerade der Diskurs über die „Banken-Macht“ in der „Deutschland AG“, indem er ihre Strukturen im Ergebnis wiederholt bestätigte, deren Arrangements zusätzlich stabilisiert.

DANIEL SCHMIDT (Münster) setzte sich mit den Strukturen und Wirkungen der (illegalen) finanziellen Verflechtungsbeziehungen zwischen der CDU, westdeutschen Unternehmen und wirtschaftlichen Spitzenverbänden zwischen 1969 und 1982 auseinander. Temporär und in Einzelfragen, wie bei der Mitbestimmung, zeitigte jenes finanziell flankierte Lobbying Erfolg. Grundsätzlich blieben personelle (der Aufstieg Helmut Kohls) und inhaltliche (wie das Ausbleiben der wirtschaftspolitischen „Wende“ 1982) Richtungsentscheidungen gleichwohl mehr von politischer denn monetärer Logik geprägt – die CDU sei nie „Marionette des Kapitals“ gewesen. Im abschließenden Vortrag skizzierte NORBERT GRUBE (Zürich) die von der bisherigen Forschung unterbelichteten Verflechtungsbeziehungen zwischen der Demoskopie einerseits und Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft andererseits. Am Beispiel Allensbach beleuchtete Grube den Zusammenhang zwischen informeller Finanzierung der Institute durch Politik und Wirtschaft und einer in Teilen interessengeleiteten demoskopischen Praxis.

In seinem Schlusswort griff ALFRED RECKENDREES die mehrfach erhobene Forderung nach weiterer Forschung auf. Verdienst der Tagung sei, das Phänomen „Deutschland AG“ klarer konturiert zu haben. Der Auftakt sei damit gemacht; nun müsse die qualitative Erforschung der Verflechtungsbeziehungen auf Unternehmens- und Branchenebene einsetzen, ohne darüber die weiterhin offenen übergreifenden Fragestellungen zu vernachlässigen: Weder ihre Ursachen, noch die Funktion der „Deutschland AG“ innerhalb der deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung seien hinreichend geklärt: War sie Voraussetzung und Anker der bundesrepublikanischen Stabilität oder entwickelte sie sich als Produkt der „Boomphase“ zunehmend zu einem ökonomischen Anachronismus, der die deutsche Wettbewerbsfähigkeit hemmte?

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Die Deutschland AG und ihre theoretische Beschreibung
Moderation: Werner Plumpe (Universität Frankfurt am Main)

Alfred Reckendrees (Copenhagen Business School): Historische Wurzeln der Deutschland AG

Jürgen Beyer (Universität Hamburg): Die Strukturen der Deutschland AG, 1960-2000

Roman Köster (Universität der Bundeswehr, München): Die Deutschland AG im Lichte historischer Kapitalismustheorien

Sektion 2: Unternehmenskontrolle – Konzeptionen und Praxis
Moderation: André Steiner (Universität Potsdam/ZZF Potsdam)

Gerold Ambrosius (Universität Siegen): Der Wandel politischer Leitvorstellungen

Tobias Witschke (Brüssel): Alliierte Unternehmenskontrolle und ihr Scheitern: Entflechtung und Rückverflechtung der deutschen Montanindustrie

Boris Gehlen (Universität Bonn): Aktienrecht und Unternehmenskontrolle: Normative Vorgaben, unternehmerische Praxis und die Aktienrechtsreform 1965

Sektion 3: Unternehmenskooperation – Wachstumsmotor oder Wachstumshemmnis?
Moderation: Michael C. Schneider (Universität Göttingen/Universität Frankfurt am Main)

Heiko Braun (Universität Bonn): Die "Pharma AG". Netzwerke und Interessenpolitik forschender Arzneimittelhersteller in der Bundesrepublik (1950er bis 1970er Jahre)

Christian Marx (Universität des Saarlandes): Internationalisierung: Deutsche Multinationals „nach dem Boom“

Peter Kramper (Universität Freiburg): Die ungeliebte Verwandtschaft: Gewerkschaftliche Unternehmen und die „Deutschland AG“ 1960–1990

Sektion 4: Aufsichtsräte – Kontrollgremien oder Machtzentren?
Moderation: Marcel Boldorf (Universität Bochum)

Adrian Jitschin (Universität Marburg): Das Führungspersonal der Deutschland AG (1950er bis 1990er Jahre)

Ralf Ahrens (ZZF Potsdam): Bankenmacht im Aufsichtsrat? Jürgen Ponto und die Kontrolle deutscher Großunternehmen in den 1970er Jahren

Karl Lauschke (Universität Dortmund): Gewerkschafter in den Aufsichtsräten der Deutschland AG

Sektion 5: Politik und öffentliche Meinung
Moderation: Christian Kleinschmidt (Universität Marburg)

Friederike Sattler (Bayerische Akademie der Wissenschaften München): Alfred Herrhausen und die „Macht der Banken“

Daniel Schmidt: (Universität Münster): Parteienfinanzierung in der „Deutschland AG“: Das Beispiel der oppositionellen CDU 1969–1982

Norbert Grübe (Pädagogische Hochschule Zürich): Die Verflechtung privatwirtschaftlicher Umfrageinstitute mit Politik, Unternehmen, Verbänden und Wissenschaft


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