D. Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum

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Titel
Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur?


Autor(en)
Bores, Dorothée
Reihe
Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121
Erschienen
Berlin 2010: de Gruyter
Anzahl Seiten
XVI, 1087 S.
Preis
€ 179,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Ein beeindruckendes Werk und ein Forschungsprojekt, das viele Jahre in Anspruch genommen hat: die Geschichte des ostdeutschen P.E.N von den Anfängen 1946/47 bis zu seiner Auflösung 1998. Genauer gesagt: Die Geschichte von der Wiedergründung des P.E.N.-Zentrums Deutschland 1948 (der deutsche P.E.N.-Club hatte sich 1933 auf internationalen Druck hin selbst aufgelöst), über das P.E.N-Zentrum Ost und West 1953 (nachdem sich 1951 das Deutsche P.E.N-Zentrum Bundesrepublik abgespalten hatte), über das P.E.N.-Zentrum DDR seit 1967 und das Deutsche P.E.N-Zentrum (Ost) seit 1991 bis zur Verschmelzung zu einem P.E.N.-Zentrum Deutschland 1998. Verwirrend genug, sich schon in der Namensgebung zurechtzufinden. Gleichwohl wird hier ein Beitrag für eine deutsch-deutsche Kulturgeschichte mit all ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Zusammenhängen und Querelen geliefert. In dokumentarischer Fülle hat Dorothée Bores die Geschichte des ostdeutschen P.E.N. mit dem Ziel aufgearbeitet, weder von vornherein dessen Versagen zu postulieren, noch im Nachhinein dessen Ehrenrettung zu betreiben, sondern unvoreingenommen und detailgetreu die historischen Begebenheiten zu rekonstruieren. Sie promovierte mit dieser klugen Arbeit 2008 am Fachbereich Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Main.

Da die Charta des Internationalen P.E.N. die Mitglieder verpflichtet, sich gegen jegliche Zensur und für freie Kritik einzusetzen, aber gerade dies in der diktatorischen DDR, wenn überhaupt, nur begrenzt möglich war, stellte sich natürlich die Frage nach dem symptomatischen Versagen der Intellektuellen und nach der Rolle des P.E.N. im Staat DDR, zumal nach dem Mauerfall und dem Ende der DDR Autoren aus dem Osten als willfährige „Staatsdichter“ oder „Erfüllungsgehilfen“ einer Diktatur angegriffen wurden. Die Auseinandersetzungen waren heftig, und es brauchte acht Jahre bis die Teilung zwischen P.E.N. Ost und West überwunden war. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen, Dorothée Bores kommt zu dem differenzierenden Schluss: Zwar war das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum kein Ort eines kritisch-intellektuellen Diskurses, es hat als Institution versagt und gegen die Charta verstoßen, denn weder zeigte es nennenswerten Widerstand gegen die Zensur noch Einsatz für drangsalierte und inhaftierte Schriftsteller in der DDR. Aber „eine pauschale Verurteilung der einzelnen P.E.N.-Mitglieder und ihrer moralischen Befindlichkeit, wie sie zum Teil in der emotional geprägten Wiedervereinigungsdebatte nach 1989 erfolgt ist, verbietet sich“ (S. 990). Denn unter ihnen gab es, wie in der DDR insgesamt, verschiedene Verhaltensweisen zwischen ängstlicher Unterordnung und mutigem Dissens. Für letzteren sind die Zuwahl eines unliebsamen Autors wie Wolf Biermann 1965 oder die Resolution gegen die Inhaftierung Václv Havels im Frühjahr 1989 beispielhaft. Hierin offenbart sich auch der Ansatz von Dorothée Bores, eine Geschichte des ostdeutschen P.E.N. könne nicht allein als Institutionengeschichte „von oben“ geschrieben werden, sie sei immer auch eine Geschichte seiner Mitglieder. Da der ostdeutsche P.E.N. für das literarische Leben in der DDR wenig Bedeutung hatte, liegt der Fokus der Untersuchung zwangsläufig auf dieser erweiterten institutionellen Ebene. Einerseits gelang es der SED, den ostdeutschen P.E.N. zunehmend unter ihre Kontrolle zu bekommen und für ihre außenpolitischen Interessen zu instrumentalisieren, andererseits gab es im P.E.N. neben den Ideologen und Parteimännern der Führungsriege Autoren wie Jurek Becker, Christa Wolf, Stephan Hermlin oder Stefan Heym, die sich individuell für Kollegen einsetzten.

Dorothée Bores hat für diese Darstellung umfangreiches Quellenmaterial erschlossen. Als fundamentale Basis diente das Archiv des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West/ P.E.N.-Zentrums DDR/Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) im Archiv der Stiftung Akademie der Künste in Berlin sowie Nachlässe von Schriftstellern daselbst. Des Weiteren konnten relevante Akten aus dem Bundesarchiv der Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen der DDR, aus der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz sowie aus dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach eingesehen werden. Eine ganze Reihe von Interviews mit verschiedenen Mitgliedern und eine umfassende Auswertung vornehmlich bundesdeutscher Zeitungen und Zeitschriften lagen durch ein vorausgegangenes DFG-Projekt bereits vor. Darüber hinaus wurden auch Gespräche mit Akteuren geführt.

Die Arbeit ist von hohem dokumentarischen Wert, geradezu ein Handbuch zum ostdeutschen P.E.N., das seinesgleichen sucht. Nach einem einleitenden Kapitel, in dem der allgemeine und DDR-spezifische Intellektuellendiskurs ebenso problematisiert wird wie das Verhältnis von Schriftsteller und Moral, analysiert Dorothée Bores in chronologischer Folge und neun Kapiteln die Geschichte des ostdeutschen P.E.N. Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Vorgeschichte und Wiederbegründung des P.E.N.-Zentrums Deutschland von 1946 bis 1950. Kapitel 3 schildert die „Kriegserklärung im deutschen P.E.N.“ und die Sezession als Folge des Kalten Krieges 1950/51. Kapitel 4 behandelt den Kampf um Anerkennung nach der Teilung: Rumpfgruppe oder gesamtdeutsches P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1953? Kapitel 5 ist mit dem Titel „Wenn Du kein Spektakel machen kannst…“ der Ära Bertolt Brecht von 1953 bis 1956 und der Konsolidierung und Etablierung des P.E.N.-Zentrums Ost und West gewidmet. Kapitel 6 beschreibt die Entwicklung desselben bzw. des umbenannten P.E.N.-Zentrums DDR unter Arnold Zweig von 1956/57 bis 1968. Kapitel 7 zeigt das P.E.N.-Zentrum DDR unter verstärkter parteipolitischer Einflussnahme in den Jahren 1969/70 bis 1979. Kapitel 8 stellt das P.E.N.-Zentrum DDR zwischen innerer Erstarrung, politischer Willfährigkeit und partiellem Neuanfang in den 1980er-Jahren (1979/80-1988/89) dar. Kapitel 9 verfolgt die Auswirkungen der friedlichen Revolution in der DDR auf das P.E.N.-Zentrum zwischen 1989 und 1991. Kapitel 10 untersucht die (Wieder)Vereinigung der beiden deutschen P.E.N-Zentren als notwendige Neuorientierung und Ausdruck der Vereinigungsquerelen von 1991 bis 1998. Und Kapitel 11 fragt nach dem P.E.N.-Club in der DDR als intellektuellem Freiraum bzw. politischem Instrument und kommt zu jenem Fazit, das zwischen dem P.E.N. als Institution und seinen Mitgliedern unterscheidet. Im Anhang finden sich darüber hinaus eine Chronologie zur Geschichte des ostdeutschen P.E.N.-Zentrums von 1946 bis 1998/99, eine tabellarische Übersicht zu den Präsidien in diesem Zeitraum und eine Mitgliederliste. Personen- und Ortsregister erleichtern den Zugang.

Überzeugend geht Dorothée Bores in allen historischen Kapiteln detailliert auf die relevanten Akteure und Versammlungen, auf die internationalen wie die nationalen Zusammenhänge und Ereignisse, auf die strukturellen Veränderungen und politischen Einflussnahmen sowie auf die Aktivitäten bzw. die Nichtaktivitäten des ostdeutschen P.E.N-Zentrums ein. Mit großer Ausführlichkeit wird den Entwicklungen im organisatorischen Bereich nachgegangen und ebenso die Prägung einzelner Zeiträume durch einflussreiche Intellektuelle behandelt. Die Geschichte des ostdeutschen P.E.N. stellt Dorothée Bores damit in einen dreifachen Bezugsrahmen. Zum einen geht es um die fortwährende Standortbestimmung im Staatssystem der DDR, zum anderen um die Einbindung in den internationalen P.E.N. wie die Stellung im internationalen Raum und zum dritten um das Verhältnis der beiden deutschen Zentren zueinander, um Abgrenzung und Annäherung im Wandel der Zeiten. Für die Zeit nach dem Mauerfall bedurfte es darüber hinaus einer differenzierten Betrachtung, einerseits des Umgangs mit der eigenen ostdeutschen Vergangenheit, andererseits der Auseinandersetzungen um den Weg zu einem gesamtdeutschen Zentrum. Natürlich kann man diese eintausend Seiten nicht in einem Zug durchlesen. Es ist ein Standard- und Nachschlagewerk, das immer wieder zur Hand genommen werden will, anspruchsvoll und informativ zugleich.

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