Sicherheitsstrukturen und Kollektivierung in Rumänien und der SBZ

: Peasants Under Siege. The Collectivization of Romanian Agriculture, 1949–1962. Princeton 2011 : Princeton University Press, ISBN 978-0691-14973-8 508 S. € 31,88

: Securing the Communist State. The Reconstruction of Coercive Institutions in the Soviet Zone of Germany and Romania, 1944–1948. New York 2012 : Lexington Books, ISBN 978-0-7391-7178-3 195 S. € 48,41

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Müller, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig

Das Forschungsfeld der diktatorischen Herrschaft in der Moderne wird immer wieder von einer Debatte zwischen „Intentionalisten“ und „Strukturalisten“ heimgesucht. Die in der NS-Forschung gewonnene Erkenntnis, dass weder die alleinige Konzentration auf Einzelpersonen und Eliten, noch auf determinierende Strukturen zielführend ist, droht in Teilen der Literatur, die der Gewaltforschung verpflichtet ist, wieder in Vergessenheit zu geraten. Gail Kligmans und Katherine Verderys Monographie zur Kollektivierung der rumänischen Landwirtschaft sowie Liesbeth van de Grifts vergleichender Zugriff auf den Aufbau von Polizei- und Sicherheitsstrukturen in der SBZ und Rumänien sind wertvolle Beiträge zu dieser Debatte. Zwar positionieren sie sich nicht explizit in einem der beiden Lager, aber die drei Autorinnen demonstrieren eindrücklich die Grenzen, Kompromisse und nicht-intendierte Folgen beim Aufbau von Repressionsapparaten respektive bei der Kollektivierung.

Die umfangreiche Studie der beiden US-amerikanischen Sozialanthropologinnen Gail Kligman und Katherine Verdery basiert auf einem Forschungsprojekt – „Transforming Property, Persons, and States: Collectivization in Romania, 1949–1962” – in Zusammenarbeit mit rumänischen Kollegen, dessen Ergebnisse in einem Sammelband publiziert wurden.1 Die Autorinnen wenden sich in ihrem Buch gegen die in Rumänien weit verbreitete Sicht, dass die Kollektivierung der Landwirtschaft das Werk einer starken Kommunistischen Partei gewesen sei, die den Bauern ihren Willen aufzwingen konnte. Sie arbeiten vielmehr heraus, dass die Kollektivierung im überwiegend ländlich geprägten Rumänien die erste Massenaktion der Kommunisten darstellte, so dass sie geradezu als Prozess gesehen werden muss, in dem sich die Herrschaft der Partei erst herausbildete. Andererseits kann die Bedeutung der Kollektivierung für die Gesellschaft gar nicht – z.B. als bloßer Aspekt einer Industrialisierungspolitik – unterschätzt werden, denn mit dem Angriff auf das Privateigentum an Grund und Boden änderten sich nicht nur die wirtschaftlichen Bedingungen im ländlichen Raum, sondern auch die politischen, sozialen und kulturellen Beziehungen der Bauern zu sich selbst, untereinander und zum Staat. Mit Blick auf die Institutionenarmut und den Mangel an Fachleuten im ländlichen Raum Rumäniens deuten Kligman und Verdery die sozialistische Modernisierung und Bürokratisierung im Dialog mit Max Weber, James Scott und in Bezugnahme auf Arbeiten Lynne Violas über die sowjetische Kollektivierung als einen besonderen Fall. Die stark auf personalistischen Klientelstrukturen basierende Staatlichkeit Rumäniens im „langen 19. Jahrhundert“ und der Zwischenkriegszeit wurde im Zuge der Kollektivierung – und davon extrapolierend im Zuge des Aufbaus sozialistischer Strukturen – nicht etwa durch rationale Verfahren einer unpersönlichen Bürokratie abgelöst, sondern sogar noch verstärkt.

In eindrücklichen Beispielen analysieren die Autorinnen die Verwobenheit der Bauern mit Staats- und Parteistrukturen, die mit der Kollektivierung im ländlichen Raum beauftragt waren. Die insbesondere gegen die als „Chiaburi=Kulaken“ bezeichneten Mittelbauern angewandte Propaganda, Enteignung und (symbolische) Gewalt musste kombiniert werden mit Möglichkeiten, den Status dieser, in den Dörfern strategisch wichtigen Schicht, zu verhandeln. Denn wirtschaftliche Erfolge wiesen nur Genossenschaften auf, denen die Integration dieser erfahrenen Landwirte gelang. Wenn also in späteren Phasen der Kollektivierung ganze Dörfer in eine Genossenschaft eintraten, dann „perhaps it was not just because they ‚gave up‘ but rather because they accepted a solution that had tacitly recognized their values“ (S. 455). Damit setzten Kligman und Verdery erneut einen starken Kontrapunkt zur (rumänischen) Kollektivierungsforschung, die diesen Prozess überwiegend als top-down-Überwältigung der Bauern beschreibt, die keinerlei „agency“ hätten.

Für sozialanthropologische Standards basiert diese Arbeit auf der ungewöhnlich breiten Datenbasis von 21, über zahlreiche rumänische Regionen verteilten Ortschaften, die zum Teil von den Autorinnen, überwiegend aber in Teamwork erhoben wurden. Dies ermöglicht Kligman und Verdery ein in gewisser Hinsicht besonderes Buch vorzulegen: eine sozialanthropologische und zugleich systematische Analyse der Kollektivierung in Rumänien. Begünstigt wird dies natürlich dadurch, dass die beiden bereits mehrere einschlägige Monographien vorgelegt haben, so dass sie ihr Thema souverän sowohl in der rumänischen Geschichte, als auch in der Forschung zu wirtschaftlichen Modellen, Prozessen und Brüchen in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten kontextualisieren.

Die recht schlanke Dissertation der niederländischen Historikerin Liesbeth van de Grift untersucht den Aufbau von internen Sicherheitsstrukturen, insbesondere der Polizei in der SBZ und Rumänien vom Kriegsende bis zur Etablierung fester kommunistischer Strukturen 1948. Bei der Begründung der Auswahl der Vergleichspartner hebt sie insbesondere die Unterschiede in der Ausgangslage hervor, namentlich sozioökonomische Kriterien wie Industrialisierung, Urbanisierung etc., Verwaltungstraditionen sowie im politischen Raum eine mobilisierte Öffentlichkeit und eine starke Linke in Deutschland, während Rumäniens Linke sehr schwach war und es mit einer wenig mobilisierten, größtenteils ländlichen Bevölkerung zu tun hatte. Van de Grift geht der Frage nach, wie diese stark divergierenden Ausgangsbedingungen den Aufbau neuer Sicherheitsstrukturen in der SBZ und Rumänien beeinflussten und auf unterschiedliche Entwicklungspfade setzten, obwohl die kommunistischen Parteien der beiden Länder wesentliche Prämissen teilten. Dafür zieht sie das Modell der „transitional justice“ heran, die Fragestellung also, inwiefern Personen, die durch ihre Mitgliedschaft in der NSDAP und der Einheitspartei der rumänischen Diktaturen seit 1938 sowie der Arbeit in den entsprechenden Repressionsorganen belastet waren und nicht mehr weiterbeschäftigt werden konnten. Hier tritt die Stärke des kontrastiven Vergleichs zu Tage, wenn van de Grift den großen Unterschied zwischen Ostdeutschland und Rumänien herausarbeitet. In der SBZ war der Personalwechsel in der Polizei durchgreifend, während in Rumänien nur die Spitze des Apparats ausgewechselt wurde, aber bereits auf mittlerer sowie auf den unteren Ebenen weitgehend Personalkontinuität herrschte. Den letzten Schritt in einem durchweg gelungenen Vergleich geht van de Grift allerdings nicht, nämlich durch Verweise auf ähnlich gelagerte Fälle wie Bulgarien, Ungarn oder Polen zu fragen, ob die Personalkontinuität bzw. Diskontinuität in der SBZ und in Rumänien schlichte Einzelfälle waren, oder ob sich bestimmte Muster in den Volksdemokratien Ostmittel- und Südosteuropas erkennen lassen.

Als spezifischen Beitrag zur SBZ/DDR-Forschung reklamiert van de Grift die Einsicht, dass die „Säuberung“ des Polizeiapparates sowohl in der deutschen Geschichte als auch im Vergleich mit anderen Sicherheitsstrukturen der SBZ (Kasernierte Volkspolizei) eine Ausnahme darstellt. Dies sei durchgesetzt worden, obwohl die Polizeiarbeit in den ersten Jahren dadurch von geringer Qualität gewesen sei, was den neuen Eliten durchaus bewusst war. Die rumänische Forschung nach 1989 hat bisher insbesondere die Integration ehemaliger Mitglieder der faschistischen Legion „Erzengel Michael“ sowohl in die Kommunistische Partei als auch in Repressionsapparate polemisch hervorgehoben, um die gleichermaßen verbrecherischen Charakter der „totalitären“ Regime zu betonen. Der komparative und distanzierte Zugriff van de Grifts ist demgegenüber wohltuend.

In beiden Monographien werden Kontingenzen an historisch längere Prozesse gebunden. Die „agency“ der Akteure ist dabei beträchtlich, und zwar sowohl der „kleinen“, bäuerlichen Akteure bei Kligman und Verdery, als auch der Funktionseliten bei van de Grift. Auf der anderen Seite betonen die drei Autorinnen die Abhängigkeit der Elitenakteure von den zur Verfügung stehenden Ressourcen, von den Menschen, mit denen neue Institutionen und Strukturen aufgebaut werden sollten. Selbst im Sonderfall eines sehr weitgehenden Personalwechsels im Polizeiapparat der späteren DDR waren „Ehemalige“ übergangsweise nicht verzichtbar, aber insbesondere bei der rumänischen Kollektivierung und beim Aufbau der Polizei sind entgegen der Annahme eines allmächtigen kommunistischen Apparates Konstellationen zu konstatieren, in denen pragmatische Aushandlungen und Kompromisse an der Tagesordnung waren.

Anmerkung:
1 Dorin Dobrincu / Constantin Iordachi (Hrsg.), Ţărănimea şi puterea. Procesul de colectivizare a agriculturii în România (1949–1962), Iaşi 2005. In englischer Übersetzung: Transforming Peasants, Property, and Power: Collectivization of Agriculture in Romania, 1948–1962, Budapest 2009.

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