A. Frings u.a. (Hrsg.): Indexikalische Semiotik

Cover
Titel
Vergangenheiten auf der Spur. Indexikalische Semiotik in den historischen Kulturwissenschaften


Autor(en)
Frings, Andreas; Andreas Linsenmann, Sascha Weber
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 32,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johanna Olk, Pädagogik / Allgemeine Erziehungswissenschaft, Universität Trier

Betrachtet man Kulturen als „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe“1 wie Clifford Geertz in Anlehnung an Max Weber formulierte, so erscheint die Forschungsarbeit eines Kulturwissenschaftlers nicht als experimentelle Suche nach Gesetzen, sondern als Interpretation von symbolischen Ausdrucksformen.2 Mit der Annahme, dass sich Bedeutungssysteme in Symbolen materialisieren, stellt die „dichte Beschreibung“ demnach einen methodischen Zugang dar, der sich als semiotisch bezeichnen lässt. Wenn Gesellschaften wie Menschenleben jedoch ihre eigene Interpretation in sich bergen, so gilt dies konsequenterweise auch für den Interpreten selbst und dies führt den Forscher zugleich in ein methodisches Problem: Wie kann er jene symbolischen Ausdrucksformen eines kulturellen Systems dingfest machen, ohne dabei lediglich seine eigene symbolische Ordnung zu reproduzieren? Für den Historiker scheint dieses Problem zunächst im Besonderen virulent, ist sein Forschungsobjekt doch in der Regel nicht mehr vernehmungsfähig. Seine Quellen sind oft Überreste einer Kultur, deren Akteure längst verstummt sind. Doch gerade in diesem Entzug tritt ihm sein Material umso deutlicher in zeichenhafter Form gegenüber. Diese Zeichenhaftigkeit erschöpft sich jedoch keineswegs in Symbolen. Vielmehr handelt es sich dabei in einem sehr klassischen semiotischen Verständnis um Indizien bzw. Spuren eines nicht mehr unmittelbar gegebenen Entstehungs-und Bedeutungszusammenhangs. In Anlehnung an das von Carlo Ginzburg formulierte epistemologische Modell des „Indizienparadigmas“3 und mit Bezug auf den von Charles S. Peirce beschriebenen Zeichentypus Index fragen die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes „Vergangenheiten auf der Spur“ nach dem methodologischen Potential einer „indexikalischen Semiotik“. Die Beiträge basieren auf dem ersten Workshop des Forums Junge Kulturwissenschaften der Gutenberg-Universität Mainz mit dem Titel „SPURENSUCHE. Methodologische Potentiale der Semiotik in der historisch-kulturwissenschaftlichen Forschung“.

In seiner Einführung sucht Andreas Frings auch sogleich die Abgrenzung zu einer semiotischen Arbeitsweise des Kulturwissenschaftlers, die sich im Verständnis von Clifford Geertz auf bedeutungstragende Zeichen bzw. Symbole reduziere, „auf Zeichen, die Produkt menschlichen Handelns sind und etwas vermitteln sollen, denen also vom Handelnden bereits eine Bedeutung zugeschrieben wird“(S. 14). Diesem in den Kulturwissenschaften dominierenden semiotischen Zugang setzt er die Potentiale einer indexikalischen Semiotik entgegen, die sich auf Zeichen konzentriert, „die nur deshalb für etwas stehen, weil dieses Etwas ihre Existenz kausal verursacht hat – und die erst durch das Auge des Betrachters (genauer: durch eine entsprechende Frage) zum Zeichen werden“(S. 15). Die von Andreas Frings formulierte These dieses Sammelbandes lautet, dass die Konzentration auf indexikalische Zeichen „der angemessenere Zugriff auf grundlegende Forschungsprobleme der Historischen Kulturwissenschaften als eine auf menschliche Symbolsysteme konzentrierte Perspektive“(S.17) sei. Mit Blick auf den relationalen Zeichenbegriff von Charles S. Peirce und seiner Dreiteilung in Ikon, Index und Symbol stellen sich die Quellen für den Forscher stets als Indizes dar und zwar unabhängig von ihrem jeweiligen kulturellen Kontext, in dem sie durchaus Symbole oder auch Ikone darstellen konnten. Der Index führt somit zu einer wissenschaftstheoretischen Grundlagendiskussion in Bezug auf Fragen nach Kausalität und Logik kulturwissenschaftlicher Erklärungsversuche. Hierbei geht es Andreas Frings nicht nur um die häufig ausgeblendete Frage nach einer vom Forscher unabhängig existierenden Realität, sondern auch um die Offenlegung der eigenen theoretischen Vorannahmen, die sich hinter der naiven Annahme einer Lesbarkeit bedeutungsvoller Zeichen im Sinne von Geertz verbergen.

Auf diese spannende und vielversprechende Einführung folgt nun ein Teil zur Geistesgeschichte der Bezugnahme auf Spuren mit einem Beitrag von Søren Kjørup: „Traces of Traces in the Semiotic Tradition“ und Marco Lehmann/Kerstin Rüther: „Poesie des Überrests. Zur Konstruktion von Vorzeitigkeit in Thürings von Ringoltingen Melusine und Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch“.

Søren Kjørup, der als Experte zum Workshop eingeladen war, sucht in seinem Beitrag anhand einer eng gefassten Definition der Indizes „as having a causal connection to what they stand for“(S.36) der Tradition indexikalischer Zeichen in der Geschichte der Semiotik nachzuspüren. Zuvor führt er jedoch noch seine Unterscheidung von kommunikativen und epistemischen Zeichen ein, wobei er unter erstem Ikone und Symbole, unter zweitem die Indizes versteht. Diese Unterscheidung, die in seiner Einführung in die Semiotik als „kommunikative“ (Zeichen für etwas) und „indexikalische“ (Zeichen von etwas) zu finden ist, wird sich in den späteren Beiträgen noch als äußerst dominant und auch recht unproduktiv erweisen.4 Seiner Warnung bezüglich der Vermengung des semiologischen Zeichenbegriffs von Ferdinand de Saussure mit der Semiotik von Charles S. Peirce wurde dagegen in den Beiträgen der Workshopteilnehmer weit weniger Beachtung geschenkt.

Der Beitrag von Marco Lehmann und Kerstin Rüther ist dem Index in der narrativen Darstellungsform auf der Spur, die den Indiziencharakter architektonischer Überreste thematisiert und darin als erkenntnistheoretisches und semiologisches Modell zum Analysegegenstand wird.

Der nächste Teil des Bandes knüpft wieder an die Frage nach Potentialen einer indexikalischen Semiotik als Methodologie der Rekonstruktion von Spuren an. Sascha Weber stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von semiotischer Theorie und historischer Praxis, indem er die Zusammenhänge einer semiotischen Perspektive mit der traditionellen Quellenkunde entlang der Unterscheidung von kommunikativen und indexikalischen Zeichen thematisiert. Diese Unterscheidung erweist sich jedoch, wie bereits angedeutet, als wenig produktiv, zumal sich hierin eine wesentliche Verkürzung des Indexbegriffes verbirgt, worunter auch das Potential einer Semiotik von Peirce für das hiesige Thema zu leiden hat. In Berufung auf die methodischen Schwierigkeiten historisch-kulturwissenschaftlicher Forschung sucht Andreas Frings in seinem Beitrag nach dem Nutzen der Abduktion als logischer Schlussform. Für ihn liegt der Wert der Abduktion in einer Haltung, die der historische Kulturwissenschaftler in der Reflexion seiner Überzeugungen einnimmt, und in den Erfolgskriterien wissenschaftlicher Suche als theoriegeleitete, kausale Rekonstruktionen.

Der empirische Teil des Bandes versammelt schließlich die Spurensuchen in den spezifischen Themengebieten der jeweiligen Autoren, deren Inhalte hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden. Alle Beiträge sind spürbar bemüht, ihrem Material mit den Begriffen Index/Spur/Indizien auf den Grund zu gehen, jedoch in eben diesem recht unpräzisen, teils synonymen Gebrauch der Begriffe liegt bereits ein Problem. So aufschlussreich die Beiträge im Einzelnen auch sind: Es finden sich darin doch stellenweise irritierende Verbindungen semiologischer Begrifflichkeiten mit dem Zeichenbegriff von Peirce, bspw. wenn im Beitrag von Charlotte Backerra ein Index als Zeichen definiert wird, „das zu dem Bezeichneten in kausaler Beziehung steht und daher auf einen bestimmten Sachverhalt hinweist"(S. 247) oder wenn man nach Alexandra Schäfer mit dem indexikalischen Zeichen „eine Spur zu einem anderen ‚Bezeichneten‘ erhält, das eine verborgene, weniger offensichtliche Sinnebene eröffnet“ (S. 239). Zudem scheint es, dass sich die theoretische Ausgangsbasis beinahe aller Beiträge auf das genannte Einführungswerk von Søren Kjørup reduziert und von dem Begriff des Index, zumindest in Bezug auf Peirce, oftmals nicht viel übrig bleibt. Dies ist im Rahmen einer solchen Workshopveröffentlichung nur bedingt zum Vorwurf zu machen, führt aber leider dazu, dass jenes überaus große Potential, das eine Beschäftigung mit dem Index für eine kulturwissenschaftliche Methodendiskussion bereit hält, (noch) nicht ausgeschöpft ist. So findet sich in der vorliegenden Publikation zwar keine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Figur des Index, jedoch ein für jeden Kulturwissenschaftler durchaus lesenswertes Angebot, sich anhand semiotischer Begriffe grundsätzlichen methodischen Fragen zuzuwenden.

Anmerkungen:
1 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1987, S. 9.
2 Vgl. ebd..
3 Siehe: Carlo Ginzburg, Spurensicherung – Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, Berlin 1995.
4 Siehe: Søren Kjørup, Semiotik, Stuttgart 2009.

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