P. Van Nuffelen: Orosius and the Rhetoric of History

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Titel
Orosius and the Rhetoric of History.


Autor(en)
Van Nuffelen, Peter
Reihe
Oxford Early Christian Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 252 S.
Preis
£ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Selten klaffen bei einem Autor des Altertums die umfangreiche antike und mittelalterliche Rezeption und die spärliche neuzeitliche Beschäftigung derart weit auseinander wie bei Orosius: Den fast 250 Handschriften und zahlreichen Benutzern und Fortsetzern der Historiae adversus paganos1 steht eine sehr überschaubare Zahl an Spezialstudien entgegen, die meist die geistige Welt des Orosius im Blick haben und ihm oft eine tendenziell negative Beurteilung zukommen lassen. Peter Van Nuffelen, als Erforscher der griechischen Kirchenhistoriker des 5. Jahrhunderts ausgewiesen, tritt in seiner neuen Monographie dieser Ansicht entgegen und setzt sich für eine günstigere Perspektive auf das Geschichtswerk des Orosius ein.

In dem einleitenden Kapitel (S. 1–24) referiert Van Nuffelen die Grundlinien der Orosius-Forschung und stellt den bisherigen Ergebnissen seinen Ansatz entgegen: Er geht davon aus, dass antike Historiographie stets auch mit Rhetorik verbunden ist, überträgt dies auf Orosius und macht es zur Grundlage seiner Untersuchung. Als Adressaten des orosianischen Werkes sieht er nicht die Heiden, sondern die Christen und Personen mit Tendenzen zum Christentum an.

Im ersten Kapitel (S. 25–44) arbeitet Van Nuffelen die Bedeutung der Rhetorik in den praefationes der einzelnen Bücher des Orosius heraus, die dem Text eine zusätzliche Bedeutungsebene gebe. Er sieht Orosius als einen rhetorisch gebildeten Gelehrten an, dessen Werk sich nicht an Kleriker oder die breite Masse, sondern an ein rhetorisch gebildetes Publikum aus der Oberschicht richte. Das zweite Kapitel (S. 45–62) befasst sich mit dem zweiten Buch des Geschichtswerkes, das den Zeitraum vom assyrischen König Ninus bis zur Belagerung Veijs abdeckt. Van Nuffelen sieht hier eine direkte Verknüpfung mit der christlichen Argumentation des Orosius zum Fall Roms im Jahr 410: Orosius stelle in diesem Buch den Untergang Babylons und den Erhalt Roms einander gegenüber und verwende Troja – in diesem Buch wird wiederholt auf Vergils Aeneis Bezug genommen – als Symbol für Roms Fall.

Im dritten Kapitel (S. 63–92) befasst sich Van Nuffelen mit der Verwendung von exempla durch Orosius und stellt fest, dass er hierbei mehrere Strategien anwende: So verschweige Orosius diese entweder zur Verdüsterung der Vergangenheit, relativiere ihre Bedeutung oder demonstriere, dass die Leistungen der Vergangenheit nicht ausreichend nachgeahmt worden seien. Orosius sei somit stark der Kultur der Rhetorik verpflichtet, die er angreife; er verzichte dabei auf die Ersetzung der heidnischen exempla durch christliche Pendants. Das vierte Kapitel (S. 93–114) ist den Quellen des Orosius gewidmet. Neben den bereits bekannten Quellen konstatiert Van Nuffelen die Benutzung der Exempla-Sammlung des Valerius Maximus (nicht aber deren Epitome) in Kombination mit weiteren Quellen der livianischen Tradition, weiterhin die Nutzung der Epitome de Caesaribus, der Schrift de viris illustribus des Pseudo-Aurelius-Victor und der Consularia Constantinopolitana. Da Van Nuffelen annimmt, dass diese Werke für rhetorische Schulen angefertigt oder zumindest dort umfangreich verwendet worden seien, sieht er hierin eine Bestätigung für die Verortung des Orosius und seines Werkes in der rhetorischen Tradition. Der Annahme, dass Orosius die Vita Ambrosii des Paulinus von Mailand benutzt habe (S. 104, Anm. 30), dürfte allerdings die These einer gemeinsamen Quelle beider Werke vorzuziehen sein. Die von Van Nuffelen unterstellte Benutzung des Flavius Josephus (S. 112, Anm. 52) ist bis zur Erbringung des Beweises, dass Orosius griechische Quellen benutzt hat, abzulehnen. Zuzustimmen ist dagegen der Skepsis gegenüber einer Benutzung der Enmannschen Kaisergeschichte durch Orosius (S. 109).

Im fünften Kapitel (S. 115–144) bestreitet Van Nuffelen den Breviariencharakter des orosianischen Werkes und bezieht gegen die These, die Rhetorik des Orosius mache ihn zu einem schlechteren Historiker, Stellung. Er sieht die Bedeutung des Orosius darin, dass er in seiner apologetischen Absicht auf die rhetorischen Verzerrungen seiner heidnischen Vorgänger hinweise und so die Voraussetzungen der klassischen Historiographie hinterfrage; die Kritik des Orosius an deren Rhetorik sei aber selbst in der rhetorischen Tradition verwurzelt. Thema des sechsten Kapitels (S. 145–169) ist der Weltaltervergleich des Orosius. Van Nuffelen lehnt die These einer Vier-Reiche-Theorie des Orosius im Rahmen der Geschichtstheologie ab und verweist darauf, dass Orosius selbst angibt, das Ende der Zeit sei gerade nicht Teil seines Werkes. Van Nuffelen führt dies darauf zurück, dass es Orosius nicht darum gehe, die Autorität der Bibel zu belegen, er wolle vielmehr die Heiden mit ihrer eigenen Argumentation widerlegen. Die Lobesrhetorik in den letzten Kapiteln interpretiert Van Nuffelen nicht als Panegyrik auf das christliche Kaisertum, sondern als Lob des Wirken Gottes.

Das siebte Kapitel (S. 170–185) untersucht die Funktion der Barbaren im orosianischen Geschichtswerk. Van Nuffelen betont die zweifache Perspektive des Orosius auf die Barbaren: Orosius werte sie als Feinde Roms einerseits negativ, stelle sie aber andererseits durch den positiven und mildernden Einfluss des Christentums auf sie auch positiv dar. In diesem Kapitel übt Van Nuffelen zudem Kritik an dem Konzept der Unterkategorie der Universalgeschichte, die er vielmehr als eine Möglichkeit der Geschichtsschreibung ansieht, und beruft sich darauf, dass auch Universalgeschichte in vielen Formen auftreten könne; worin allerdings der entscheidende Unterschied zwischen beiden Modellen besteht, bleibt unklar. Das achte und letzte Kapitel (S. 186–206) arbeitet die Unterschiede des Orosius zum „Eusebianismus“ heraus, die unter anderem in einer größeren Bedeutung der Inkarnation Jesu und in einer geringeren Bedeutung des Kaisers bei Orosius bestehen. Die Unterschiede zwischen Orosius und Augustinus sieht Van Nuffelen dagegen als gering an; sie seien durch den unterschiedlichen Charakter ihrer Werke bedingt. Die Literaturliste (S. 207–234) ist umfangreich und zeugt von einer profunden Kenntnis der Spezialforschung (selbst die nahezu unbekannte Dissertation Mulders ist zitiert2), übergeht aber zugleich bedeutende Studien, die oft auch die für Van Nuffelen relevante Frage der Quellenbenutzung des Orosius behandeln.3

Obwohl man den Versuch Van Nuffelens, zu einer günstigeren Beurteilung des Orosius beizutragen, insgesamt als gelungen ansehen kann, scheint er doch manchmal zu sehr seinem Argumentationsschema verhaftet zu sein. Einige Beispiele mögen genügen: So betont er einerseits, dass Orosius sich in großem Umfang auf Quellen aus dem Umfeld der Rhetorikschulen stütze (S. 111f.), tritt aber andererseits für eine (manchmal übertrieben) große Breite an benutzten Quellen aller Art ein (insbesondere etwa S. 112, Anm. 52). Dass Orosius seine Quellen nicht wortwörtlich abschreibt, sondern sie sprachlich und stilistisch verändert (S. 113), besagt angesichts der Tatsache, dass die meisten antiken Historiker so vorgingen, was Van Nuffelen beiläufig feststellt, nicht viel. Auch seine Antwort auf die Adressatenfrage ist problematisch, da die dazu vorhandenen Informationen spärlich und von begrenzter Aussagekraft sind.

Van Nuffelens Leistung besteht nicht so sehr darin, Orosius neu gelesen und als Quelle erheblich wertvoller gemacht zu haben. Da die meisten Vorlagen des Orosius erhalten sind und er nur wenige (und dann zumeist wenig brauchbare) Neuinformationen liefert, wird er auch weiterhin als historische Quelle nur von geringem Interesse sein; gerade diese Sonderstellung dürfte oft auch seinen schlechten Ruf bedingen. Van Nuffelens Beitrag besteht vor allem darin, dass er nicht nach dem Wert des Orosius für die historische Forschung fragt, sondern dessen historiographisches Schaffen in den Mittelpunkt rückt. Van Nuffelen wird damit zweifellos dazu beitragen, dass Orosius als rhetorisch geschulter Historiker größere Beachtung findet. Trotz der geäußerten Vorbehalte ist Van Nuffelens Buch somit ein überaus anregendes Werk.

Anmerkungen:
1 Eine Liste der Handschriften bieten Janet M. Bately / David J. A. Ross, A check list of manuscripts of Orosius’ „Historiarum adversum paganos libri septem“, in: Scriptorium 15 (1961), S. 329–334. Für die Benutzer ist der Index der Ausgabe von Karl Zangemeister (Wien 1882) zu konsultieren. Vgl. auch den neueren Überblick von Cristina Ricci, Orosius’ Geschichte gegen die Heiden und ihre Überlieferung, in: Martin Wallraff (Hrsg.), Welt-Zeit, Berlin 2005, S. 68–74.
2 Henri Adolf Mulder, Phaenomenologisch-philologische studien over Orosius’ historiae adversum paganos, Diss. Amsterdam 1926.
3 Um nur die wichtigsten zu nennen: Wilhelm Ensslin, Zu Orosius VII 25,9 und zum Perserfeldzug des Cäsars Maximianus Galerius, in: Philologische Wochenschrift 60 (1940), Sp. 669–671; Adolf Lippold, Die Darstellung des ersten punischen Krieges in den Historiarum adversum paganos libri VII des Orosius, in: Rheinisches Museum für Philologie 97 (1954), S. 254–286; Adolf Lippold, Griechisch-Makedonische Geschichte bei Orosius, in: Chiron 1 (1971), S. 437–455; Andreas Mehl, Orosius über die Amnestie des Kaisers Claudius, in: Rheinisches Museum für Philologie 121 (1978), S. 185–194; Paul A. Onica, Orosius, Diss. Toronto 1987 (auch zum Verhältnis zu Augustinus); Adolf Lippold, Orosius und seine Gegner, in: Hestíasis. Studi di tarda antichità offerti a Salvatore Calderone 1, Messina 1988, S. 163–182; Serafín Bodelón, Orosio: Una filosofia de la historia, in: Memorias de historia antigua 18 (1997), S. 59–80; Stéphane Ratti, La lecture chrétienne du Bréviaire d’Eutrope (9,2–5) par Jérôme et Orose, in: Latomus 56 (1997), S. 264–278 (erneut in: ders., Antiquus error, Turnhout 2010, S. 89–95); Joseph Kuriappilly, The influence of the Bible in the History of Orosius, Diss. Rom 2005.

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