Cover
Titel
Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre


Autor(en)
Kühn, Andreas
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
358 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Dannenbaum, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Im Gegensatz zu den verschiedenen Ausprägungen des bundesdeutschen Terrorismus ist ein anderes linksradikales „Zerfallsprodukt“ (Wolfgang Kraushaar) der 68er-Bewegung, die so genannten K-Gruppen in den 1970er-Jahren, von der bisherigen historischen Forschung eher beiläufig behandelt worden. Dies erstaunt umso mehr, als in diesen maoistischen Gruppierungen und Organisationen, die man auch als „Fraktionen einer nicht zur Partei gewordenen Bewegung“ bezeichnen könnte1, ungefähr 100.000 junge Westdeutsche politisch sozialisiert wurden. Neben einigen autobiografischen Romanen erschien 2001 von Gerd Koenen ein erster Überblick über das „rote Jahrzehnt“, eine Mischung aus Autobiografie, Renegatenliteratur und geschichtswissenschaftlicher Studie. Im folgenden Jahr veröffentlichte Michael Steffen seine Marburger Dissertation, in deren Mittelpunkt mit dem Kommunistischen Bund (KB) zwar nur ein Zirkel stand, die in die breite Analyse der Rivalitäten aber auch andere Gruppierungen einbezog. Allerdings konzentrierte sich diese Studie stark auf organisatorische, ideologische und politisch-taktische Aspekte, während das Alltagsleben eher am Rande vorkam.2

Andreas Kühn hat mit seiner Düsseldorfer Dissertation nun den Versuch unternommen, die „elitäre Lebenswelt“ (S. 19) der K-Gruppen zwischen 1970 und 1980 zu rekonstruieren. Dabei stehen für ihn kulturgeschichtliche Aspekte wie Mentalitäten und Imaginationen, kulturelle Fixierungen und Sprache sowie Zeichen- und Symbolsysteme im Vordergrund. Kühn untersucht folgende zentrale Fragen: Warum strebte eine nicht unbeträchtliche Zahl junger Intellektueller mitten in den Reformjahren der Bundesrepubik totalitäre Ziele an? Warum opferten sie dafür ihre Karrierechancen?

Kühn beginnt organisationsgeschichtlich und schlüsselt akribisch Vorläufergruppierungen, Gründungsprozesse und Spaltungen von KPD/ML, KPD/AO und Kommunistischem Bund Westdeutschland (KBW) auf. Die Beschränkung auf diese drei Gruppen ist wegen deren Größe und Rolle durchaus einsichtig. Die Binnenorganisation der einzelnen Gruppen, die darauf ausgerichtet war, eine leninistische Kaderpartei aufzubauen, wies Parallelen zu religiösen Sekten auf. Diese reichten von der totalen Vereinnahmung und Indoktrination über den Zwang zum Abbruch persönlicher Beziehungen bis hin zu harten Repressalien bei abweichendem Verhalten. Außerdem herrschte ein Klima der Konspiration. Die asketische Lebensweise und das Ritual der Selbstkritik dienten der Selbstreinigung der Mitglieder und förderten ihr elitäres Selbstverständnis.

Die Welt der K-Gruppen war in ihrem antikapitalistischen Kampf von einer doppelten Orientierung und Abgrenzung geprägt. Den real existierenden, nachstalinistischen Sozialismus sowjetischer Prägung lehnte man als „revisionistisch“ und „sozialfaschistisch“ ebenso strikt ab, wie man die antiautoritären Strömungen der Studentenbewegung als dekadent und kommerzialisiert verachtete. Dagegen orientierten sich die K-Gruppen an Maos China und der stalinistischen KPD der 1920er und 1930er-Jahre, deren Geschichte sie mythologisch aufluden, was – unter Ausklammerung der Situation der Bundesrepublik der 1970er-Jahre – zu einer Selbstverortung in der Weimarer Republik führte. Damit phantasierten die K-Gruppen die Möglichkeit eines quasi nachholenden Antifaschismus herbei – diesmal gegen die „faschistische“ Bundesrepublik –, weckten den Glauben an eine revolutionäre Situation und die Machbarkeit von Geschichte. Sie huldigten einem imaginierten „Proletkult“, einer Verbindung von Revolutionsbereitschaft mit bestimmten Sekundärtugenden.

Diese Mixtur arbeitet Kühn im Habitus, im Alltagsleben und in den kulturellen Fixierungen der K-Gruppen heraus. Beispielsweise verurteilten sie freizügiges Sexualverhalten, propagierten dagegen die Ehe mit traditionellen Rollenmustern und setzten autoritäre Erziehungsvorstellungen an die Stelle der emanzipativen, libertären und antiautoritären Ideale der Studentenbewegung. Im Bereich von Literatur, Musik oder Bildender Kunst setzte man auf eine merkwürdige Mischung aus Gewaltverherrlichung (z.B. in Weimarer Arbeiterromanen) und Idylle in einer sozialistischen Gesellschaft (z.B. albanische Folklore oder „sozialistischer Realismus“ chinesischer Prägung). Eine volkstümliche, teilweise populistische Strategie zog sich auch durch die öffentlichen Aktivitäten in konkreten Politikfeldern. Trotz dieser Anbiederung an die Arbeiterklasse blieben die Agitation der K-Gruppen, die Bildung von Betriebsgruppen sowie das Verteilen von Flugblättern und Parteizeitungen weitgehend erfolglos.

Der Maokult trieb zum Teil groteske Blüten. So übernahmen KPD/ML und KPD die chinesische „Theorie der 3 Welten“, welche die Sowjetunion quasi zum Hauptfeind erklärt hatte, und propagierten einen Kurs der „Vaterlandsverteidigung“, der in Verbindung mit einem Rekurs auf die deutsche Nation nationalbolschewistische Züge annahm. Die Beziehung zu anderen maoistischen und nicht-maoistischen linken Gruppen gestaltete sich aufgrund ihres doktrinären Charakters schwierig. Die DKP war der Hauptfeind aller Gruppen. Der Alleinvertretungsanspruch der einzelnen K-Gruppen hingegen führte zu teilweise scharfen Auseinandersetzungen untereinander, die regelmäßig im wechselseitigen Vorwurf der „Kleinbürgerlichkeit“ gipfelten. Allenfalls punktuell war eine Zusammenarbeit möglich – besonders im Oktober 1977 bei einer großen Demonstration gegen die Verbotspläne des CDU-dominierten Bundesrates, die auch die relativ große Mobilisierungsfähigkeit der K-Gruppen bewies. Mit Gruppen außerhalb des maoistischen Bezugsrahmens war ebenfalls nur eine kurzfristige, von starken Differenzen geprägte Zusammenarbeit möglich – so in der Kampagne gegen die Berufsverbote, gegen den Paragrafen 218 oder die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen, was für die undogmatische Linke damals zentrale Konfliktfelder, für die K-Gruppen im Verhältnis zum Konflikt „Kapital versus Arbeit“ hingegen allenfalls „Nebenwidersprüche“ waren.

Die Erosion der K-Gruppen nach dem Tod Maos 1976 verlief parallel zum Aufkommen der Neuen Sozialen Bewegungen und dem Gründungsprozess der Grünen in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Vor allem KPD und KBW engagierten sich in der Anti-AKW-Bewegung, hatten allerdings zum Teil Akzeptanzprobleme, da sie zumindest zeitweise die Kernenergie-Nutzung nicht prinzipiell, sondern nur in kapitalistischen Systemen ablehnten. Leider konzentriert sich Kühn bei der Atomfrage zu sehr auf den Protest in Wyhl 1975 und streift das Konfliktjahr 1976/77, in dem die K-Gruppen eine wesentlich wichtigere Rolle spielten, nur am Rande. Die Annäherung an die überall im Entstehen begriffenen Bunten Listen führte zu einer Spaltung einzelner Gruppen. Während sich die KPD im Gründungsprozess der Alternativen Liste Berlin engagierte, waren KBW und KPD/ML laut Kühn nur am Rande beteiligt. Die KPD löste sich 1980 auf, KBW und KPD/ML zerfielen in den 1980er-Jahren.

Kühn hat eine breit angelegte, differenzierte Kulturgeschichte der K-Gruppen vorgelegt. Doch er verzichtet darauf, die autoritäre Wende der Studentenbewegung bzw. deren autoritäre Wurzeln eingehend zu analysieren – etwa die Frage, ob die K-Gruppen, analog zum Terrorismus, einen anderen Weg der extremen Radikalisierung und Politisierung auch des privaten Bereichs offerierten, also „einen Rahmen [boten], in dem sich die Energien der Revolte unterhalb der Grenze zum bewaffneten Kampf entfalten und gleichzeitig abbauen konnten“.3 Auf seine Ausgangsfrage nach der Attraktivität dieser Gruppierungen kommt Kühn erst in der Schlussbetrachtung genauer zurück und verweist auf einen doppelten Generationskonflikt: Zum einen sei die Führung der entstehenden K-Gruppen von der zweiten Garde der APO-Aktivisten gestellt worden. Eine neue Generationskohorte von jüngeren Studenten, die nicht antiautoritär sozialisiert worden war, sei bereit gewesen, sich deren totalitären Disziplinierungsformen zu unterwerfen. Zum anderen habe die Identifizierung mit der Arbeiterklasse, die nach ihrer Faschismusinterpretation unschuldig am Nationalsozialismus war, eine Selbstexkulpation für die K-Gruppen-Mitglieder wie für Teile ihrer Eltern ermöglicht. Diese Argumentation Kühns überzeugt nur teilweise, da mit Christian Semler, Joscha Schmierer und Jürgen Horlemann Personen die verschiedenen Gruppen anführten, die – zumindest regional – „1968“ eine Führungsrolle gespielt hatten.

Kühn stützt sich sehr stark auf Erinnerungsliteratur sowie auf Publikationen und interne Quellen der K-Gruppen, die er breit auswertet. Allerdings übernimmt er dabei zu stark deren „Bauchnabelperspektive“. Die Öl- und Wirtschaftskrise oder der gesellschaftliche Wandel kommen ebensowenig vor wie die Diskussionen über die Unregierbarkeit oder die Grenzen des Wachstums. So führt Kühn den Erosionsprozess vor allem auf den Tod Maos 1976 und das Aufkommen der grünen Bewegung zurück, ohne auf die Mechanismen genauer einzugehen – etwa den sich verstärkenden Widerspruch zwischen Organisation und Politikstil der K-Gruppen sowie den fortschreitenden, auf Individualisierung zielenden Wertewandel in der bundesdeutschen Gesellschaft allgemein und besonders in ihrer Klientel. Eine Politikgeschichte, die auch die Entwicklung der gesamten Linken im „roten Jahrzehnt“ einbezieht und in den zeithistorischen Kontext stellt, muss noch geschrieben werden.

Anmerkungen:
1 Schröder, Jürgen, Ideologischer Kampf vs. regionale Hegemonie. Ein Beitrag zur Untersuchung der „K-Gruppen“, Berlin 1990, S. 16.
2 Vgl. Koenen, Gerd, Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977, Köln 2001; Steffen, Michael, Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971-1991, Berlin 2002.
3 Vgl. Siegfried, Detlef, „Einstürzende Neubauten“. Wohngemeinschaften, Jugendzentren und private Präferenzen kommunistischer „Kader“ als Formen jugendlicher Subkultur, in: Archiv für Sozialgeschichte 43 (2004), S. 39-66, hier S. 62.

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