I. Blumenroth: Das Alexandrinische Schisma

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Titel
Das Alexandrinische Schisma. In Briefen und Ideenwelt des Arnulf von Lisieux und Johannes von Salisbury


Autor(en)
Blumenroth, Isabel
Reihe
Papsttum im mittelalterlichen Europa (10)
Erschienen
Köln 2021: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
847 S.
Preis
€ 110,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Pongratz, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Das Alexandrinische Schisma (1159–1177), in dem der letztendlich siegreiche Papst Alexander III. sich mit einer Reihe von durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa unterstützten päpstlichen Antipoden auseinandersetzen musste, war ein Konflikt von europäischen Dimensionen: Der von beiden Seiten betriebene Wettstreit um die Gewinnung einer möglichst großen Obödienz zwang alle Kirchen und Herrscher der christianitas zur Stellungnahme und zog diverse politische Verwicklungen nach sich. Von der Forschung wurde Alexanders Anerkennung in den westlichen Königreichen Frankreich und England bereits als tragende Säule seines Erfolgs erkannt1 und zuletzt diskursgeschichtlich genauer unter die Lupe genommen.2 Das Werben um Anhänger wurde nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich geführt, sodass uns viele Zeugnisse insbesondere aus der frühen Phase der Kirchenspaltung zur Verfügung stehen.

Daher ist es konsequent und vielversprechend, wenn Isabel Blumenroth nun in ihrer Dissertation den Blick auf Akteure lenkt, die sich in partibus mit der Krise auseinandersetzen mussten. Arnulf von Lisieux und Johannes von Salisbury zählten um die Mitte des 12. Jahrhunderts zu den herausragenden Persönlichkeiten in der Kirche des angevinischen Reiches und hinterließen umfangreiche Briefkorpora, die als Quellen zuvor wenig gewürdigt wurden. Zwar gehört Johannes zu den prominentesten Gestalten seiner Zeit, während Arnulf bislang in der Tat wenig Beachtung in der Forschung fand; doch bezieht sich Johannes’ Ruhm mehr auf Werke wie die Historia pontificalis oder den Policratus und weniger auf seine Briefe. Insofern ist von einer Arbeit, die sich mit der Rolle Arnulfs und Johannes’ als Briefeschreiber vor dem Hintergrund des Alexandrinischen Schismas auseinandersetzt, von Anfang an viel zu erwarten – zumal diese bislang vernachlässigten Quellen Aufschluss über einen weiteren großen Konflikt versprechen, der die englische Kirche parallel zum Schisma erschütterte und in den Briefen eine wichtige Rolle einnimmt: Der Streit zwischen Thomas Becket, dem Erzbischof von Canterbury, und König Heinrich II. entzweite den Klerus, wobei sich Arnulf in einer königsnahen Position wiederfand, während Johannes mit Becket ins französische Exil ging und von dort aus auch gegen den Monarchen anschrieb.

Blumenroth geht der Frage nach, ob und falls ja welche Rolle das Schisma angesichts dieser für die englische Kirche wohl viel präsenteren Auseinandersetzung überhaupt im Denken der Zeitgenossen spielte. Es sind also zwei Phasen des Alexandrinischen Schismas, deren Spuren in den Briefen Arnulfs von Lisieux und Johannes’ von Salisbury die Verfasserin besonders beleuchtet: Die initiale Phase der „Orientierung und Obödienzwerbung“ (Kap. II) von 1159 bis 1160 sowie „das Schisma zur Zeit des Becketkonflikts“ (Kap. III) von 1164 bis 1170. Das einführende Kapitel I gibt einen Abriss über die Biographien Arnulfs und Johannes’ und stellt ihre einschlägigen Werke ausführlich vor, wobei zwischen den jeweiligen schismabezogenen Schriften und Briefen unterschieden wird. Bezüglich des komplexen moralphilosophischen Denkens des Johannes von Salisbury findet zusätzlich eine ausführliche „Ideenschau“ (Kap. 2.2.2) statt. Dieser Teil des Buches eignet sich als Einführung zu beiden Autoren und ist wichtig für das Verständnis der zentralen Abschnitte, nimmt aber überproportional viel Platz in dem ohnehin umfangreichen Werk ein. In medias res geht Blumenroth erst nach 290 Seiten. Ihre Erkenntnisinteressen richten sich dabei auf die Ereignis- und Rezeptionsgeschichte des Schismas im angevinischen Raum sowie auf Wissensstand, Argumentationstechniken und Handlungsweisen ihrer Protagonisten.

Kapitel II gliedert sich in drei Abschnitte, die sich mit der Einordnung der Kirchenkrise und dem Verhältnis beider Autoren zu Friedrich Barbarossa und Heinrich II. von England befassen. Blumenroth gelingt es dabei, die aktive Rolle ihrer Protagonisten in der frühen Phase des Schismas aufzuzeigen und insbesondere Arnulfs entscheidende Bemühungen um die Bildung einer alexandrinischen Partei in England herauszuarbeiten. Auf der diskursiven Ebene bestätigen ihre Beobachtungen zum Argumentationsmuster der Briefe die jüngste Erkenntnis, dass Behauptungskämpfe im Schisma nicht allein auf dem Feld der Legalität, sondern auf dem „sehr viel weiteren Feld der Legitimität“3 ausgetragen wurden: Das Kirchenrecht spielt bei der Obödienzwerbung nur eine Nebenrolle gegenüber moralischen Gesichtspunkten.

Kapitel III überprüft die These Hanna Vollraths, wonach das Schisma mit der Entscheidung von 1160 im Westen keine Bedeutung mehr gehabt habe, und sucht in den Quellen nach Assoziationen der Becketkrise mit der Kirchenspaltung. In den Briefen des Johannes von Salisbury offenbart die Verfasserin eine aktive Anteilnahme des Gelehrten am Gang der Auseinandersetzung des Papstes mit dem Kaiser, die freilich vorwiegend in Bezug auf den Becketkonflikt stattfand; insgesamt präsentieren sich beide Krisen in seinem Werk als „verwobene, sich gegenseitig bedingende Gemengelage“ (S. 576f.): So thematisiert Johannes die Kirchenspaltung vor allem, um das Schicksal Barbarossas mit dem zu erwartenden Unglück des englischen Königs zu parallelisieren und der Becketpartei Mut zu machen. Ähnliche Vergleiche zog er zwischen vermeintlichen schlechten Beratern des Kaisers wie dem Kölner Erzbischof Rainald von Dassel und solchen Heinrichs II. wie etwa Arnulf von Lisieux. Eine besonders erwähnenswerte Einzelanalyse richtet sich auf die Rezeption des Hoftags von Würzburg (1165), der zwar eine angevinisch-staufische Annäherung mit sich brachte, aber – wie Blumenroth zeigen kann – selbst von den Gegnern Heinrichs nicht im Kontext des Schismas gelesen wurde, sondern als rein dynastische Allianz.

Ein abschließendes Resümee fasst die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen: Das Alexandrinische Schisma wurde in England durchaus auch nach Ausbruch der Becketkrise wahrgenommen. Das Schismabild von Arnulf und Johannes, obgleich beide aktive Alexandriner, veränderte sich im Laufe der Auseinandersetzung bedingt durch äußere Einflüsse und bestimmte Schlüsselereignisse, zu denen etwa die Synode von Pavia (1160) oder der katastrophale Romzug des Kaisers (1167) zählten. In der Becketkrise diente die Kirchenspaltung als Argument, das zur Stärkung der eigenen Parteigänger und als polemische Munition gegen die Gegenpartei genutzt werden konnte. Zur Nachvollziehbarkeit dieser Ergebnisse trägt das umfangreiche Register des Bandes bei, das zudem durch eine nützliche Tabelle aller in der Arbeit verwendeten Briefe inklusive Incipit, Kurzbeschreibung und Edition ergänzt ist (S. 773–779).

Eine Stärke der Arbeit ist die detailgenaue Quellenarbeit, die es Blumenroth ermöglicht, dem Beziehungskomplex der englischen Kirche erstaunlich nahe zu kommen. So gelingen in vielen ereignisgeschichtlichen Details überzeugende neue Deutungen. Trotz der einschüchternden Länge ist das Buch dank der Anhänge gut benutzbar und zudem sauber lektoriert; allenfalls vereinzelte unglückliche Sprachbilder (vgl. etwa S. 348 Rainald als „zweite Hand“ Barbarossas) stören den Lesefluss. Konzeptionell besteht zwischen den beiden Protagonisten eine gewisse Unwucht, die die Verfasserin auch einräumt (S. 29): Obwohl der Titel eine Gleichberechtigung Arnulfs und Johannes’ andeutet und obwohl das Werk mit der Herausarbeitung seines Einflusses auf die Ideenbildung der Alexandriner in der ersten Phase der Kirchenspaltung durchaus Neues über Arnulf zu sagen weiß, tritt der Bischof kaum noch in Erscheinung, nachdem Blumenroth das Jahr 1160 hinter sich gelassen hat. Dies ist durch die Quellenlage ohne Weiteres zu erklären, doch die Gliederung des Bandes weist auf den ersten Blick nicht darauf hin, dass es sich im Wesentlichen um ein Buch über Johannes von Salisbury handelt.

Geschmacksfrage ist der intensive Einsatz des Propagandabegriffs in der Arbeit: Blumenroth versteht Propaganda anknüpfend an Karel Hruza als jeglichen Versuch, die Meinung bzw. das Verhalten eines Adressaten durch zielgerichtete Kommunikation zu beeinflussen (S. 28). Die zugehörige Wortfamilie ist denn auch omnipräsent, etwa als „Propagandaschreiben“ (S. 670) oder „Propagandaschlacht“ (S. 765), um briefliche Überzeugungsversuche im Becketstreit zu bezeichnen. Auch wenn man die Frage beiseitelässt, ob wirklich alles, das im weitesten Sinne persuasiv gemeint ist, als Propaganda gelten sollte, so findet der Begriff in der Arbeit allzu exzessive Anwendung, etwa in Bezug auf Bosos Papstviten, die nicht verbreitet wurden, sondern an der Kurie blieben, weshalb der Kardinal trotz klarer Parteinahme nicht als „Kronzeuge alexandrinischer Propaganda“ gelten kann (S. 409).

Insgesamt handelt es sich um eine gut recherchierte Quellenstudie, die nicht nur neues Licht auf zwei innerkirchliche Konflikte des 12. Jahrhunderts mit europäischen Dimensionen wirft, sondern vor allem auch ein bislang vernachlässigten Quellenkorpus für weitere Forschungen erschließt: Die Briefe Arnulfs von Lisieux und Johannes’ von Salisbury sind durch das umfangreiche Werk zugänglicher geworden, wodurch in Zukunft weitere Erkenntnisse aus diesen ergiebigen Quellen zu erwarten sind.

Anmerkungen:
1 Werner Maleczek, Das Schisma von 1159 bis 1177. Erfolgsstrategien und Misserfolgsgründe, in: Harald Müller / Brigitte Hotz (Hrsg.), Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen, Wien 2012, S. 194–203.
2 Myriam Soria Audebert, La propagande pontificale au temps des schismes. Alexandre III à la reconquête de l'unité de l'Église, in: Martin Aurell (Hrsg.), Convaincre et persuader. Communication et propagande aux XIIe et XIIIe siècles, Poitiers 2007, S. 349–381.
3 Harald Müller, Gegenpäpste. Prüfsteine universaler Autorität im Mittelalter, in: ders. / Hotz, Gegenpäpste, S. 38.

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