Berge prägen die Landschaft aller Kontinente und sind Teil der Kulturgeschichte vieler Gesellschaften überall auf der Welt. Damit eignen sie sich für eine global vergleichende Geschichte des Umgangs mit Landschaftsformationen, die Themen von politischer Grenzziehung über wirtschaftliche Verhältnisse bis zu Fragen von gesellschaftlicher Schichtung, Naturimagination oder Spiritualität umfassen kann. Diese Prämisse liegt Jon Mathieus Buch von 2023 zugrunde. Als Sonde in die Globalgeschichte der Berge nutzt er den Blick auf ihre Heiligkeit, Pate dafür steht der titelgebende, aber imaginierte „Mount Sacred“. Dieser stellt nicht den Idealtyp eines heiligen Berges dar, sondern steht als Chiffre für die Vielfalt und den Wandel der religiösen Auseinandersetzung mit Bergen – dass sich dies feststellen lässt, ist die Ausgangshypothese des Buches (S. 15).
Jon Mathieu hat Standardwerke zu den Alpen geschrieben und kann als einer der besten Kenner dieses prägenden europäischen Gebirgszugs gelten. Sein Interesse für Bergregionen hat er seit geraumer Zeit ausgeweitet auf die globale Ebene.1 Das vorliegende Buch präsentiert auf schmalen knapp 170 Seiten Text ein beeindruckendes Panorama durch die Räume und Zeiten – es widmet sich acht als „Ortstermine“ bezeichneten Fallstudien heiliger Berge auf fünf Kontinenten, und das in einem zeitlichen Horizont, der die letzten über 500 Jahre umfasst. Im Vorwort und den ersten beiden Kapiteln nähert sich Mathieu dem Thema an, diskutiert unterschiedliche Vorstellungen von „Heiligkeit“ und zeichnet auf geringem Raum die Entwicklung des Berginteresses vornehmlich in Ostasien und Europa nach. Im Schlusskapitel bündelt er, wie die Verehrung von Bergen mit großen Dynamiken der Neuzeit wie dem Kolonialismus, gesellschaftlichem Wandel oder Umweltbewusstsein verbunden sind.
Es versteht sich von selbst, dass dieses Vorgehen hoch selektiv sein muss. Der Schwerpunkt der Fallbeispiele liegt in Ostasien. Dem liegt Mathieus These zugrunde, dass diese Großregion, vor allem das Einflussgebiet des (tibetischen) Buddhismus, früh eine außergewöhnliche spirituelle Beziehung zu Bergen entwickelte und heute weltweit als Referenz dafür gilt. Davon zeugen die tibetischen Gebetsfähnchen auf Gipfeln in anderen Weltregionen und der Aufstieg des im westlichen Himalaya gelegenen Kailash zu einer globalen Ikone für Sinnsuchende. Weitere Beispiele für die ostasiatische Bergverehrung lassen andere Facetten aufscheinen, so das Kapitel zum „Heiligen Ostberg“ Tai Shan, der im System der staatlichen Bergverehrung im chinesischen Kaiserreich eine hohe Position einnahm. Schon hier bewährt sich die vergleichende Perspektive, um die Diversität des Phänomens herauszuarbeiten: Während der Kailash aus Respekt vor seiner Heiligkeit bis heute wahrscheinlich unbestiegen ist, ist der Tai Shan übersät mit Inschriften und Bauwerken, die der Anbetung des als Gott angesprochenen Berges dienen.
Europa hingegen, und das ist der zweite Teil von Mathieus These, hat eine ganz andere und deutlich distanziertere Beziehung nicht nur zu Bergen, sondern zur Natur im Allgemeinen. Das Christentum mit seiner Konzentration auf die menschliche Gemeinschaft und das Geistige ließ keinen Platz für die Sakralisierung von Naturelementen. Erst mit dem Aufkommen der modernen Wissenschaft sei ein breiteres Interesse für die Natur entstanden, wobei die Forscher bestrebt waren, die Gottgefälligkeit ihrer Unternehmungen zu betonen, um nicht als blasphemisch zu gelten. Auch das Aufstellen von Gipfelkreuzen, das um 1800 begann, jedoch erst in den letzten Jahrzehnten immer weiter um sich griff, sei kein Zeichen einer verankerten religiösen Lesart der Berge im Christentum, sondern bleibe umstritten und erlebe auch Gegenwehr, bis hin zur Zerstörung von Gipfelkreuzen.
Der europäische Beitrag zur Globalgeschichte der Berge war kein religiöser, sondern ein sportlicher: Aus der Forschungspraxis der Bergbesteigung entstand der Alpinismus, der durchaus selbstsakralisierende Züge annahm, die Berge aber als zu erobernde Ziele verstand. Diese Praxis, die einherging mit der Vermessung, der Erstellung von Ranglisten und dem Streben nach einem Höhenrekord, transportierte auch ein bestimmtes Männlichkeitsbild von Stärke und der Bezwingung der Naturgewalten. In anderen Weltgegenden war die Besteigung hingegen aus Ehrfurcht vor den heiligen Wesen verpönt. Dem europäischen Gipfelsturm steht im buddhistisch-tibetischen Kontext die Gipfelumrundung als spirituelle Pilgerpraxis gegenüber, nach Mathieus Einschätzung im globalen Kontext eine auf den Himalaya beschränkte Ausnahme (S. 63). Zum Aufeinandertreffen dieser so verschiedenen Bergwahrnehmungen kam es im imperialen Zeitalter, als die europäischen Alpinisten auf die religiöse Verehrung von Gebirgen in anderen Weltgegenden stießen.
Drei Kapitel sind den kolonialen und postkolonialen Verhältnissen auf verschiedenen Kontinenten gewidmet. Die „Ortstermine“ am Kilimandscharo, dem Mount Rushmore und dem Uluru werfen unterschiedliche Aspekte auf. Der höchste Gipfel Afrikas kann als Gegenbeispiel zu der allzu einfachen Annahme einer allgemeinen außereuropäischen „naturreligiösen“ Spiritualität dienen, denn während es bei den Einheimischen keine belegbare deutliche Bergverehrung gab, brachten gerade die europäischen Ankömmlinge diese Erwartung mit. Der amerikanische und der australische Fall zeigen viele Parallelen einer Geschichte kolonialer Inanspruchnahme sowie indigener Strategien der Selbstbehauptung. Sowohl die monumentalen Felshauereien mit den Abbildern von vier US-Präsidenten in den Black Hills als auch der patriotische Tourismus weißer Australier:innen zum „Ayers Rock“ riefen Proteste der Kolonisierten hervor, in Form von Gegendenkmälern und -ritualen oder dem Pochen auf Landrechte. Auf allmähliche Akzeptanz stießen die Ansprüche der Lakota und der Aborigines erst durch eine „tektonische Verschiebung der politisch-kulturellen Machtverhältnisse um 1970“ (S. 111): Mit der anwachsenden Gegenkultur erhielten indigene Anliegen neue Fürsprache in der Mehrheitsgesellschaft, während Kapitalismus und Christentum in die Kritik gerieten. Auf der Suche nach alternativen Weltanschauungen wendeten sich immer mehr Menschen der indigenen Religiosität zu, auch der Buddhismus begann seine Karriere in der westlichen Welt. Das führte schließlich zur rechtlichen Absicherung von Landrechten, wesentlich basiert auf spirituellen Ansprüchen auf bestimmte Territorien. Dass auch diese Anerkennung nicht frei von imperialem Gestus sein konnte, zeigt etwa die Indienstnahme der Aborigines-Mythologie für die gesamtaustralische Nationalerzählung.
Mathieu tut gut daran, die Schlüsselkategorien seines Buches – „Berg“ und „heilig“ – nicht a priori zu definieren. Stattdessen interessiert er sich gerade für die globale Vielfalt und die historischen Verschiebungen dieser Zuschreibungen, deren Reichtum in den „Ortsterminen“ anschaulich wird. Höher heißt nicht automatisch heiliger, wie etwa der Uluru zeigt, der gerade einmal 350 m aus der Wüste des Outback aufragt. Und indem der Autor von einer „Familienähnlichkeit“ des Religiösen ausgeht, entledigt er sich nicht nur elegant der Gefahr, verschiedene Glaubensformen zu hierarchisieren, sondern nimmt auch die losen Enden – politische Sakralisierung und Tourismus (Stichwort „sight sacralisation“, S. 130) – auf. Ausgehend von diesem integrativen Verständnis von Heiligkeit konstatiert er in der Moderne keinen Säkularisierungstrend, sondern eher die Aktualisierung von Bergkulten entsprechend der jeweiligen Bedürfnisse. So haben wir es auch mit einer Geschichte der Politisierung von Landschaft zu tun: durch Herrscherhäuser von chinesischen Kaisern bis zum nordkoreanischen Kim-Clan, durch zentrale religiöse Institutionen oder lokale Riten, durch Kolonialherren, Nationalbewegungen oder Gegenkulturen.
Dass so viele große Themen der Weltgeschichte verhandelt werden, ist die bemerkenswerte Stärke des schmalen Buches. Sie setzt aber auch die Bereitschaft voraus, dem Autor vertrauensvoll auf seiner Argumentationsroute zu folgen. Das betrifft natürlich die Auswahl der Fallbeispiele, die, wie der Autor freimütig zugibt, subjektiv erfolgte. Dass zahllose andere Beispiele ein Kapitel verdient hätten – vom japanischen Fujiyama bis zu einem süd- oder mittelamerikanischen Beispiel – ließe sich immer, auch bei der doppelten Anzahl Fallstudien einwenden. Auch bleiben gewisse Homogenisierungen nicht aus. Zum Beispiel habe ich mich beim australischen Kapitel gefragt, wie stark „die Aborigines“ eine Gruppe mit einheitlichen Interessen waren und sind oder inwiefern an solchen Stellen eine Binnendifferenzierung notwendig wäre. Das Buch ist keine so durchsystematisiert aufgebaute Untersuchung, wie es die meisten wissenschaftlichen Monographien anstreben. Stattdessen liegt eine Art wissenschaftliches Lese- und Reisebuch vor, das für Menschen mit ganz verschiedenen Interessen und Fragestellungen eine äußerst anregende Lektüre bietet.
Anmerkung:
1 Jon Mathieu, Die Alpen. Raum – Kultur – Geschichte, Stuttgart 2015; ders., Die dritte Dimension. Eine vergleichende Geschichte der Berge in der Neuzeit (Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte 3), Basel 2012.