Titel
Elizabeth Wiskemann. Scholar, Journalist, Secret Agent


Autor(en)
Field, Geoffrey
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 352 S., 9 SW-Abb.
Preis
$ 64.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Philosophische Fakultät, Karls-Universität Prag

Lange Zeit war Elizabeth Wiskemann (1899–1971) in der internationalen Geschichtswissenschaft als Historikerin wie auch als historisches Untersuchungsobjekt eine bekannte Unbekannte. Ihre Schriften zum deutschen Nationalsozialismus und italienischen Faschismus werden immer noch zitiert, insbesondere „Czechs and Germans“ (1938), „The Rome-Berlin Axis“ (1949) und „The Europe of the Dictators“ (1966). Mit ihrer Autobiographie „The Europe I Saw“ (1968) – auf Deutsch 1969 als „Erlebtes Europa. Ein politischer Reisebericht 1930 bis 1945“ erschienen – bietet sie Einblicke in ein Leben, das zwischen Geschichtswissenschaft als teilnehmender Beobachtung, Auslandsjournalismus und Nachrichtendiensttätigkeit changierte. Was in der Autobiographie auf den ersten Blick – angesichts der politischen Verwerfungen der Epoche – nach einer kohärenten Karriere aussieht, die gegen Ende des Lebens mit Professuren in Edinburgh und Sussex gekrönt wurde, verdeckt die jahrzehntelange prekäre Lebensführung Wiskemanns und die zahlreichen beruflichen sowie privaten Brüche in ihrem Leben.

Es ist das Verdienst von Geoffrey Field, die erste wissenschaftliche Biographie zu Elizabeth Wiskemann vorgelegt und unzählige unbekannte Mosaiksteine zusammengefügt zu haben. Dies war keine leichte Aufgabe, denn ein Nachlass Wiskemanns, der diesen Namen verdient hätte, wurde bis heute nicht gefunden. Offenbar hat sie selbst noch alle Briefe, Manuskripte und persönlichen Notizen vernichtet.1 Mit ihrem Privat- und Familienleben ging Wiskemann zu Lebzeiten wie auch in ihrer Autobiographie äußert diskret um. Field ist es gelungen, in diesem Bereich Korrespondenzen Wiskemanns mit langjährigen Geliebten und Vertrauten, die allesamt gut 10 Jahre jünger als sie waren, zu entdecken und auszuwerten, vor allem Wiskemanns Briefe an Julian Trevelyan (für ihre frühen Cambridge-Jahre) und an Harry Bergholz (für ihre Zeit in der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges). Auch für die Jahre nach 1945 ist Field bei Lebensabschnittsgefährten von Wiskemann fündig geworden, etwa bei Marchese Francesco Antinori. Wiskemann zeigt sich in den Korrespondenzen mit Geliebten und Vertrauten als scharfsinnige Beobachterin der internationalen Politik: Die Pläne Hitlers und des Nationalsozialismus, einen Eroberungskrieg gewaltigen Ausmaßes zu beginnen, hat sie früh erkannt.

Ihre journalistischen Publikationen finden sich im liberal-progressiven Teil der britischen Presse: Contemporary Review, Nineteenth Century and After, Scotsman, Spectator, Time and Tide und im linksliberalen Leitblatt Manchester Guardian. Zur konservativen Seite hätte sie wegen ihrer „Bloomsbury“-Sozialisation in Cambridge und ihrer Anti-Appeasement-Haltung nicht gepasst. Ihr väterlicherseits deutscher Hintergrund hatte Wiskemann bereits während des Ersten Weltkrieges das Gefühl vermittelt, in Großbritannien nicht ganz zum Establishment zu gehören, aus dem ihre Mutter stammte. Das britische Unternehmen ihres deutschen Vaters litt durch den Krieg irreparablen Schaden. So musste Elizabeth Wiskemann – anders als viele ihrer Oxbridge-Freunde, die zeitlebens mit großzügigen Apanagen rechnen konnten – früh lernen, ihr Leben mit eigener Arbeit zu bestreiten. „My English friends told me“, schrieb die italienisch-deutsche Journalistin Franca Magnani in den frühen 1950er-Jahren, „that Elizabeth had begun her career with two essential prerequisites: unusual intelligence and little money.“2

Wiskemann war in der späten Weimarer Republik und der frühen NS-Diktatur eine wichtige journalistische Akteurin zwischen Deutschland und Großbritannien. Sie führte schon damals jahrelang ein Pendlerleben: In den Semestern war sie Dozentin am Newnham College in Cambridge, in den Semesterferien arbeitete sie als Auslandskorrespondentin in Berlin. Auch Recherchereisen in die Länder Mittel- und Südosteuropas unternahm sie immer wieder und entwickelte ein ausgeprägtes Interesse für die Politik des faschistischen Italien. Wichtige Mentoren Wiskemanns in Berlin waren Frederick A. Voigt, der Korrespondent des Manchester Guardian, und Norman Ebbutt von der Times. Politisch konnte Wiskemann, vermutlich vermittelt von John Wheeler-Bennett, Kontakte in das Umfeld Kurt von Schleichers knüpfen (Erich Marcks, Erwin Planck), was ihr nach 1933 allerdings das Misstrauen der NS-Machthaber einhandelte.

Obgleich Wiskemanns Artikel in den 1930er-Jahren selten namentlich gezeichnet waren, sondern unter Angaben wie „From a Berlin Correspondent“ oder „From a Correspondent recently in Saarbrücken“ erschienen (im Unterschied zur amerikanischen Presse war dies in der britischen Presse noch die Regel), kamen die NS-Autoritäten ihren kritischen Texten über das „Dritte Reich“ bald auf die Spur. Im Juli 1936 wurde sie in Berlin von der Gestapo verhaftet und mit dem – namentlich nicht gekennzeichneten – systemkritischen New Statesman-Artikel „A Land Fit for Heroes“ aus dem Vorjahr konfrontiert. Um das Verfahren abzukürzen, unterzeichnete Wiskemann eine Erklärung, wonach der Text inhaltlich von ihr stammen könnte, worauf sie nach wenigen Stunden aus der Haft entlassen wurde, Berlin aber innerhalb weniger Tage zu verlassen hatte. Ihre Ausweisung aus dem Reichsgebiet gelangte sofort in die Schlagzeilen der britischen Presse, was zeigt, dass sie sich eine beachtliche auslandsjournalistische Expertise erarbeitet hatte. Deutschen Boden betrat Wiskemann erst wieder nach 1945.

Geoffrey Field kann die Jahre nach 1937 vor allem über Wiskemanns private Briefe rekonstruieren, die sich bei ihren Korrespondenzpartnern erhalten haben. Aber auch geschickte Kunstgriffe helfen ihm dabei, historische Kontexte zu beleuchten. Über Wiskemanns Zeit in Prag und den Sudetengebieten, wo sie für ihr Buch „Czechs and Germans“ (1938) recherchierte, ist wenig bekannt. Field schwenkt daher zeitweise auf eine junge Konkurrentin Wiskemanns, Shiela Grant Duff, deren zeitgleiche Aktivitäten in der Tschechoslowakei besser belegt sind, wodurch er Aktivitäten Wiskemanns aufzeigen kann.

Wiskemanns Jahre in der Schweiz, wo sie – abgesehen von zwei abenteuerlichen Reisen nach Großbritannien – während des Zweiten Weltkrieges jahrelang eingeschlossen war, hat Field anhand ihrer Briefe an Harry Bergholz neu beleuchtet. Wiskemanns enge Kooperation mit Allen Dulles war bereits durch Peter Kambers umfassende Recherchen bekannt.3 Geschlechtergeschichtlich relevant ist, dass Elizabeth Wiskemann zu den ersten drei Frauen zählte, die einen diplomatischen Status an britischen Botschaften erhielten. Als „assistant press attaché“ der britischen Botschaft in Bern bestand ihre Aufgabe 1941–1945 darin, durch Presseauswertungen, aber auch persönliche Kontakte zu Deutschen und Italienern, die sich in der Schweiz aufhielten oder durchreisten, nicht-militärische Informationen für verschiedene britische Regierungs- und Geheimdienststellen zu gewinnen. Hierbei war sie äußerst erfolgreich, was sich allerdings weder in beruflichem Aufstieg noch höherem Gehalt niederschlug. Wiskemann konnte vielmehr froh sein, frauenfeindliche Intrigen vor Ort in Bern und fern in London zu überstehen, weil sie zahlreiche Fürsprecher besaß, die ihre Informationsgewinnung zu schätzen wussten. Zu den ärgsten Gegenspielern Wiskemanns zählte ihr früherer Berliner Auslandskorrespondenten-Kollege Sefton Delmer, der im Krieg für die „schwarze Propaganda“ der BBC zuständig war.

Die professionellen Verflechtungen interpretiert Geoffrey Field plausibel: „The close similarity between journalists’ information gathering and the work of secret agents made foreign correspondents particularly useful recruits to wartime intelligence and many journalists were already performing both functions. Many correspondents, especially in the 1930s, considered themselves journalist-activists, informing the public, speaking truth to power, and, like Wiskemann, hoping to influence policy. Many lived for long periods in the countries they covered; they had excellent contacts and were experts in local languages, history, and customs. All of this made them valuable informants.“ (S. 116) Wiskemanns Kontakte erstreckten sich in zahlreiche Widerstandsgruppen Deutschlands und Italiens. Auch mit prominenten Einzelpersonen traf sie sich klandestin in der Schweiz, etwa mit Carl Goerdeler und Adam von Trott zu Solz. Doch sie war vorsichtig. Bei Hans Bernd Gisevius, der aktiv Fühlung mit ihr aufnahm, befürchtete sie, dass er als Doppelagent des SD arbeitete, was sich erst nach dem Krieg als falsch herausstellte.

Ein Forschungsdesiderat ist nach wie vor die persönliche Rolle Wiskemanns bei der Ermittlung und Verbreitung der ersten Meldungen über den Mord an den europäischen Juden am Nachrichtenumschlagplatz Schweiz. Dass sie dieses Thema regelmäßig und nicht nur sporadisch verfolgte, zeigen die vielfachen Ermahnungen aus London, Berichte über „nazi atrocities“ zu reduzieren, außer sie würden die Sicherheitslage der Alliierten betreffen. Sie selbst gibt in ihrer Autobiographie „The Europe I saw“ an, dass sie bereits Ende 1941 von der Ermordung der europäischen Juden erfuhr (S. 160f.). Möglicherweise war Wiskemann auch eine zentrale Figur, um die Telegramme von Gerhart Riegner und Richard Lichtheim im Juni 1944 von Bern aus nach London zu verschicken – teilweise bewusst unverschlüsselt, sodass sie etwa in Ungarn als Warnungen vor Vergeltung durch die Alliierten aufgefasst werden konnten (S. 194). Zu diesem Komplex und der Rolle Wiskemanns sind weitere Forschungen notwendig.

Wiskemanns Nachkriegsjahre sind ebenfalls bemerkenswert, insbesondere die weitgehende Anerkennung für ihre journalistischen sowie populärwissenschaftlichen Schriften und ihre späte und kurze akademische Karriere, auch wenn die Professur in Edinburgh und die Dozentur in Sussex, die sie noch bekleiden durfte, gerade keine „ordentlichen“ Professuren waren. Für die Nachkriegsentwicklung Italiens und Deutschlands blieb Wiskemann eine höchst kritische Expertin in der internationalen Öffentlichkeit. Ihre Sicht auf Deutschland als Ausgangspunkt für einen „Dritten Weltkrieg“ schwächte sich erst in den 1960er-Jahren mit den innen- und außenpolitischen Erfolgen der Adenauer’schen Bundesrepublik ab. Noch 1950 hatte sie im Spectator geätzt, dass es in Westdeutschland mehr aktive Nazis zu geben schien als vor 1945: Die Bayreuther Wagner-Festspiele würden unbekümmert wieder beginnen, Ernst Jünger sei in Mode und bei den Passionsspielen in Oberammergau „it is often whispered in one’s ear that the only member of the cast who was not a Nazi in Hitler’s day has been given the part of Judas“.4

Es ist bedauerlich, dass Fields Buch kein Literaturverzeichnis besitzt; Titel sind nur mühsam aus den Endnoten erschließbar. Konzeptionell ist das Werk eine zu konventionelle Biographie „von der Wiege bis zur Bahre“ geworden. Analytisch und darstellerisch hätten mehr Schwerpunkte gesetzt werden können: Die streng chronologische Nacherzählung eines Lebens von 1899 bis 1971 auf über 350 Seiten unter nur sechs Kapitelüberschriften dürfte für die Leserschaft ohne Vorwissen ermüdend sein, zumal viele Namen wie etwa Bruce Lockheart oder Sir Reginald „Rex“ Leeper oft unvermittelt auftauchen und wieder verschwinden. Einige Spekulationen, etwa ob Wiskemann von der Erweiterung der NATO und EU nach Mittel- und Osteuropa nach 1990 enttäuscht gewesen wäre (S. 17), sind wenig überzeugend und offenkundig vor dem russischen Angriff auf die Ukraine verfasst worden. Insgesamt hat Geoffrey Field jedoch eine längst überfällige Biographie zu einer der scharfsinnigsten und produktivsten transnational arbeitenden Publizistinnen, Historikerinnen und „Geheimagentinnen“ des 20. Jahrhunderts vorgelegt. In seinem Buch finden sich wertvolle Ergänzungen zu älteren Studien sowie vielfältige Anregungen zu neuen Forschungen. Einige Spuren von Elizabeth Wiskemann, insbesondere während ihrer Zeit in der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges, sollte die Geschichtswissenschaft noch genauer verfolgen.

Anmerkungen:
1 Im Newnham College (Cambridge) findet sich nur spärliches Material zu Elizabeth Wiskemann. Da sie bewusst Verfügungen für den Fall ihres Todes traf, indem sie etwa ihre Bücher an Lady Margaret Hall (Oxford) oder eine Piranesi-Zeichnung an das Fitzwilliam Museum (Cambridge) übergab, muss davon ausgegangen werden, dass sie alle persönlichen Unterlagen vernichtet hat.
2 Franca Magnani, Eine italienische Familie, München 1993, S. 282. Zit. nach Field, Wiskemann, S. 262.
3 Siehe den Doku-Roman Peter Kamber, Geheime Agentin, Berlin 2010. Der 1.400 Seiten lange Dokumentationsteil zum Buch ist hier abrufbar: http://www.geheimeagentin.de (08.09.2024).
4 Elizabeth Wiskemann, The Second German Aftermath, in: Spectator, 20.07.1950, S. 75f.

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