Eine Monographie über Kleopatra: Das ist auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Doch haben Lloyd Llewellyn-Jones und Alex McAuley sich mit Bedacht nicht die Kleopatra ausgewählt, die als die siebte in die Geschichte eingegangen ist. Die Autoren beschäftigen sich als ausgewiesene Kenner des Hellenismus mit zwei bislang in der Forschung kaum beachteten und im Schatten der ‚großen‘ Kleopatra stehenden Kleopatrai: Kleopatra Thea (geb. um 163 v. Chr.) und ihre ca. 10 Jahre jüngere Schwester Kleopatra III., Töchter des Herrscherpaares der Ptolemäerdynastie, Ptolemaios VI. und Kleopatra II. Doch der Glanz der Kleopatra VII., so die Autoren, resultiert erst aus der Akkumulation von Prestige und dem symbolischen Kapital ihrer Vorgängerinnen. Doch so wie Kleopatra VII. nicht im luftleeren Raum betrachtet werden könne, könnten Kleopatra Thea (im Folgenden Thea) und Kleopatra III. auch nicht ohne ihre Vorgeschichte betrachtet werden (S. 254).
Llewellyn-Jones und McAuley ist es gelungen, die beiden Kleopatrai sowohl in ihre unmittelbare Vorgeschichte als auch in das sozio-politische Umfeld ihrer Zeit einzuordnen. Dabei zeichnen sie minuziös deren Leben nach, was bei der Quellenlage kein leichtes Unterfangen ist. Nur über die Betrachtung von Individuen hinaus sei es möglich, weitere Einblicke in das Zusammenspiel der hellenistischen Dynastien als Ganzes zu erhalten (S. 258). Daneben geben uns die bildlichen Formulierungen der Autoren lebendige Einblicke in das Leben der beiden Schwestern und lassen die Leserschaft in eine Welt des Hellenismus eintauchen, die bislang so nicht gezeichnet wurde. Die Autoren betonen, dass sie keine bloße Biographie der beiden Königinnen wiedergeben, sondern sie sie vor dem Hintergrund der Genderforschung betrachten und nach Geschlechterunterschieden fragen. Die Sicht auf Gender im Hellenismus sei weder uniform noch statisch (S. 20). Sie plädieren dafür, dass, wenn wir nicht nach alternativen Lesarten suchen, in denen es Frauen erlaubt sei, aktiv zu sein, wir sie auch nicht finden könnten (S. 111). Bezogen auf die Kleopatrai ist es das Ziel der Autoren, die Handlungsmacht im dynastischen Gefüge der beiden Frauen herausarbeiten. Dieses Ziel haben sie voll und ganz eingelöst. Es sei lediglich anzumerken, dass sich dieses Werk trotz aller Lesbarkeit nicht als Einstiegswerk, sondern eher als vertiefende Lektüre zum Thema eignet.
Nachdem die Autoren das allgemeine Interesse an Frauen in der Forschung bekundet haben (S. 1), gehen sie knapp auf die Relevanz von Thea und Kleopatra III. ein (S. 2), ziehen dann einen größeren Rahmen: sie setzen die herausragenden Figuren Arsinoë II. und Kleopatra VII. als Anfangs- und Endpunkt des weiblichen Königtums (queenship) des Hellenismus (S. 3). Damit machen sie die durchgängige Relevanz von Königinnen jener Zeit deutlich. Die Autoren ergründen, dass der Hellenismus aufgrund anderer Schwerpunkte, wie etwa zur klassischen Zeit oder zu Alexander III., lange vernachlässigt wurde (S. 5). Dabei seien Frauen, wenn überhaupt über sie geschrieben wurde, lange Zeit als passiv dargestellt worden. Doch, so habe die jüngere Forschung herausgestellt, seien die Kleopatrai aktiv in die Dynastie eingebunden gewesen. Auf diese These bauen die Autoren nun auf und korrigieren das verzerrte Frauenbild.
Um ihre Welt zu verstehen, zeichnen die Autoren in Kapitel 1 (The Importance of Being Ptolemaic: Royal Women in Context) nach, was es bedeutet, ptolemäisch und somit eine ptolemäische Prinzessin zu sein. Die beiden Autoren schlagen einen großen thematischen Bogen: Sie besprechen die tryphe (Pracht, Luxus, Überfluss), die kennzeichnend für die Ptolemäerdynastie war, wie auch die fettleibigen Portraits (etwa S. 220; 224f.) oder das Palastschiff Ptolemaios’ IV. zeigen; die Bedeutung der Geburt von Töchtern sowie deren Erziehung; das Palastleben als Kind und Jugendliche; die emotionale Bindung (The politics of emotion) zur Mutter und anderen Begleiter:innen; das Alltagsleben wie Tagesablauf mit Audienzen und Symposien, an denen Frauen durchaus beteiligt waren; nicht zuletzt erscheint den Autoren Kleidung wichtig. Durch die Besprechung dieser Aspekte gelingt es ihnen, die Lebenswelt der Kleopatrai eindrücklich darzustellen.
Trotz ähnlicher Erziehung sowie des Aufwachsens in derselben Umgebung und mit denselben Eltern, wie Kapitel 1 zeigt, könnte das Leben der beiden Schwestern verschiedener kaum sein, wie die Autoren in Kapitel 2 (Princesses to Queen) erarbeiten: Während Thea recht schnell in die Seleukidendynastie einheiratete – ihre Schwester war bei ihrem Fortgang ca. sieben Jahre alt, sie haben also kaum eine gemeinsame Zeit in Ägypten verbracht – und dort als Königin, nicht nur als Ehefrau des Alexander Balas und Demetrios II., sondern vor allem auch des Antiochos VII. hohes Ansehen genoss, regierte Kleopatra III. als Ehefrau ihres Onkels Ptolemaios VIII. in Ägypten, der zeitgleich mit ihrer Mutter Kleopatra II. verheiratet war. Entsprechend wird in diesem Kapitel nach der Loyalität der Königinnen gegenüber der eingeheirateten Familie und der Beziehung zur Natalfamilie gefragt. Die Autoren gehen ferner auf die von der Historiographie dramatisierten Ereignisse wie die Vergewaltigung der Kleopatra III. und die Gräueltaten des Ptolemaios VIII. ein. Vieles davon sei jedoch, insbesondere bei Iustin, „anything but history“ (S. 111). Dabei arbeiten die Autoren mit psychologischen Zugängen, um ein mögliches Trauma zu identifizieren (S. 102), was jedoch bei der ansonsten detailliert durchgeführten und sauber analysierten Quellenarbeit ein wenig über das Ziel hinausschießt. Schließlich zeigen die Autoren in diesem Kapitel durchgängig die dynastische, politische wie öffentliche Relevanz der Kleopatrai.
In Kapitel 3 (Mothers, Wives, Queens) zeichnen die Autoren das Leben der Schwestern während ihrer Zeit als Königin und Mütter sowie deren Rolle in der Politik nach und analysieren detailliert einschneidende Ereignisse, wie etwa die Heirat Theas mit Antiochos VII. oder ihre Mordtat an ihrem zweiten Ehemann Demetrios II. und deren gemeinsamer Sohn Seleukos V. Die Autoren entwerfen nach Abwägung der Quellen verschiedene Szenarien und gelangen zu der These, dass Theas Motiv, ihren Sohn zu ermorden, darin bestanden haben muss, ihren anderen Sohn und Bruder des Seleukos, Antiochos VIII., und sich selbst zu schützen (S. 147).
Doch ist die Frage nach dem ‚warum’ gerechtfertigt? Kommt es nicht eher, wie die Autoren selbst durchgängig zu verstehen geben, darauf an, dass die Historiographen ihre Geschichte(n) entsprechend würzen – dazu gehört auch die Anführung von passenden Gründen für ihr jeweiliges Narrativ. Stattdessen argumentieren die Autoren, warum die Bindungen zu einzelnen Kindern sehr unterschiedlich sein konnten und dies von vielen Faktoren abhing. In erster Linie sei es um den Erhalt des Prestiges und der Machtsicherung gegangen, nicht um die Liebe zu den eigenen Kindern, was auch für Kleopatra III. gelte. Auch wägen die Autoren die Vorteile einer Alleinherrschaft Theas ab (S. 148f.). Die Autoren stellen fest, dass Thea Krisen in Chancen verwandelt habe (S. 150) und eine einzigartige Königin (unique queen) gewesen sei, die Könige gemacht und abgesetzt habe (S. 150). Während für Thea die Autoren hier größtenteils aus den dramatisierten literarischen Quellen schöpfen müssen, ist die Quellenlage zu Kleopatra III. zwar schmaler, aber es können zeitgenössische Dokumente herangezogen werden, die offenkundig ihre Beteiligung an der Politik belegen, erst der Konflikt zwischen ihren Söhnen und Töchtern rückt durch die literarische Überlieferung wieder ins Feld der Diskussion (S. 167–169).
In Kapitel 4 (Queenship in name; queenship through image; queenship in Practice) gehen die Autoren auf die Merkmale der Königinnenherrschaft ein. Sie diskutieren die Bedeutung der Namen, insbesondere der Name Thea ist hier besonders diskussionswürdig, da er nicht nur ‚Göttin‘ bedeuten kann, sondern sich Thea auch vom Verb θεῖν (thein) ableitet, was so viel bedeutet wie scheinen, glänzen oder strahlen (S. 183). Ferner werten die Autoren Münzabbildungen und Statuen aus und stellen fest, dass diese nicht individualisiert, sondern machtvolle Symbole einer Frauenherrschaft sind (S. 228).
In Kapitel 5 (Fast-Forward) geben die Autoren einen Ausblick auf die Folgeereignisse nach den Toden der Kleopatrai bis zu Kleopatra VII. und stellen fest, dass Kleopatra VII. Thea wie Kleopatra III. als Vorbild hinsichtlich ihrer öffentlichen Repräsentation wie im politischen Agieren nutzte. Außerdem gelangen sie zu der Erkenntnis, dass die weiblichen Herrscher (female rulers) nicht in reinen territorialen, sondern in personellen Strukturen dachten (S. 250). Dies ist eine sehr gelungene Erkenntnis, doch sollte weiter gefragt werden, ob sich diese These wirklich auf das weibliche Geschlecht reduziert oder eher ein grundlegendes Phänomen der Zeit war. Im Epilog machen sich die Autoren abschließende Gedanken über das Verhältnis der Kleopatrai als Geschwister zueinander und stellen hypothetische Fragen, etwa inwiefern Kleopatra III. die politischen Geschicke ihres Vaters Ptolemaios VI. hinsichtlich Syrien und ihrer älteren Schwester mitbekommen haben muss. Die Autoren schließen mit dem Fazit, dass man Dynastien und Familien als Ganzes sehen und nicht individuelle Könige oder Königinnen betrachten sollte (S. 258). Dem sind die Autoren in ihrem Werk nachgekommen: Trotz der Konzentration auf Thea und Kleopatra III. haben sie nicht Ptolemäer und Seleukiden getrennt voneinander betrachtet, sondern die beiden Figuren in der Gesamtheit ihrer Zeit und vor dem Hintergrund der Quellenkritik gedacht, mit dem Erfolg weitere Einblicke in die Welt des Hellenismus zu erlangen. Somit bleibt zu sagen, dass dieses Werk einen enormen Beitrag zur Geschichte des Ptolemäer- und des Seleukidenreichs sowie zum Hellenismus im Allgemeinen, aber auch zur antiken Genderforschung geleistet hat.