Kai Hering hat für seinen Sammelband eine Reihe von Expertinnen und Experten der Ordens- und Klostergeschichte versammelt, um über die Kritik am monastischen Leben im Mittelalter und in der Reformationszeit nachzudenken. Der Band entstand im Rahmen des DFG-Projekts „Spätmittelalterliche Mönche und Nonnen im Spiegel satirischer Texte“, das an der Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG) in Dresden angesiedelt ist. Von der FOVOG und ihren institutionellen Vorläufern gehen seit den 1990er-Jahren wichtige Impulse für die Erforschung monastischer Gemeinschaften aus.
Das Thema des Sammelbandes, die Kritik am Klosterleben, berührt grundlegende Fragen der Ordensgeschichte wie die Narrative und die Akzeptanz von Reformen und das Funktionieren monastischer Normen. Aufgrund von neuen Schwerpunktsetzungen innerhalb der Forschung bietet es sich an, sich dem Thema zu widmen. Ältere Arbeiten tendierten häufig dazu, eine bestimmte Lebensweise als Standard zu setzen und alle anderen Orden und Gemeinschaften vor diesem Hintergrund zu bewerten. Von diesem Ansatz haben sich die neueren Studien zu lösen versucht und stattdessen die Diversität monastischer Lebensweisen betont.1 So fragen die Autorinnen und Autoren des Sammelbands, wie die Kritik am Klosterleben vor dem Hintergrund miteinander konkurrierender Orden und Gemeinschaften mit ihren jeweiligen Normen neu interpretiert werden kann.
Mittelalterliche und frühneuzeitliche Kritik an Geistlichen wird hier freilich nicht zum ersten Mal Gegenstand einer Publikation. Aus reformationsgeschichtlicher Perspektive sind besonders in den 1990er-Jahren einige Arbeiten entstanden, die sich dem Zusammenhang zwischen der spätmittelalterlichen Kritik besonders an Weltgeistlichen und reformatorischem Gedankengut widmen.2 Auch in der Mediävistik existieren bereits Vorarbeiten. Besonders die Kritik an den Mendikantenorden und ihrer Vorstellung von Armut stand hier im Fokus.3 Die bislang eher disparate Forschungslage wird im Sammelband durch eine stärker vergleichende Perspektive ergänzt. Der Sammelband enthält daher zum einen Beiträge zur Kritik an bisher wenig beachteten religiösen Orden und Gemeinschaften wie etwa den Antonitern (Mirko Breitenstein). Zum anderen werden neue Perspektiven auf bereits bekannte Beispiele der Kritik an Mönchen und Nonnen wie etwa das Decamerone von Boccaccio (Volker Leppin) entwickelt. Der Sammelband versteht sich eher als Anregung zu weiteren Forschungen denn als erschöpfende Behandlung der gesamten Kritik an monastischen Lebensweisen im Mittelalter. Schwerpunktmäßig widmen sich die Beiträge der Zeit zwischen dem 12. Jahrhundert und der Reformation.
Die einzelnen Beispiele aus den unterschiedlichen Ordens- und Klosterkontexten orientieren sich an verschiedenen Fragestellungen. Sie werden daher eher lose zusammengehalten, als dass sie einer programmatischen Einleitung folgen würden. Mehrere Autoren widmen sich der Frage nach der Funktion der Kritik. Diese hing von den verschiedenen Gattungen ab, in denen Kritik geäußert wurde – darunter Satiren, andere Literatur und Texte der gelehrten Diskussion. Kai Hering macht darauf aufmerksam, dass Satiren nicht notwendigerweise auf klaren Moralvorstellungen beruhten, sondern häufig eine unterhaltende Funktion hatten. In lateinischer Sprache richteten sie sich an ein gelehrtes, klerikales Publikum. Volkssprachige Texte wurden dagegen auch von Laien rezipiert. Auch Volker Leppin betont die Funktion der Unterhaltung im Decamerone und stellt das Verhältnis von Unterhaltung zu gesellschaftlichen Normen differenziert dar. Gerade durch den unterhaltenden Charakter des Decamerone und die moralische Ambiguität des Textes könne Boccaccio die Sündhaftigkeit des Menschen am Beispiel von Mönchen und Nonnen diskutieren.
Mit der Funktion der Texte ist die Frage nach den Inhalten der Kritiken an den religiösen Gemeinschaften verbunden. Kritik wurde an allen Orden und religiösen Gemeinschaften geübt, allerdings war sie nicht unbedingt spezifisch für eine konkrete vita religiosa. Beispielsweise waren Völlerei, das heißt der Verlust des rechten Maßes beim Essen und Trinken, und Habgier laut Kai Hering verbreitete Kritikpunkte an Mönchen (und seltener an Nonnen). Besonders interessant ist, dass sowohl die regulierten und damit die dem (persönlichen) Armutsgebot verpflichteten Klöster als auch die unregulierten Gemeinschaften der Habgier bezichtigt wurden. Mirko Breitenstein machte dies am Beispiel der Antoniter deutlich, die nicht reguliert waren und sich besonders in der Krankenpflege betätigten. So warf Guiot de Provins den Antonitern vor, sich nur aus materiellem Eigeninteresse um Kranke zu kümmern. Inhaltlich knüpfte die Kritik an religiösen Gemeinschaften häufig an deren eigene normative Texten an, wie Jörg Sonntag anhand der Kritik an den spielenden Geistlichen zeigen kann. So hätten sich gerade Geistliche an einem Diskurs über schlechte Spiele beteiligt. Gleichzeitig hätten sie besonders häufig gespielt.
Für die inhaltliche Bewertung ist entscheidend, inwieweit sich die geäußerte Kritik im Laufe des Mittelalters veränderte. Sita Steckel konstatiert, dass sich die Kritik bereits im 12. Jahrhundert auf das Monastische im Allgemeinen und nicht unbedingt auf eine bestimmte Form der religiösen Lebensweise beziehen konnte. So beklagten einige Zeitgenossen bereits im 12. Jahrhundert den allgemeinen Verfall des religiösen Lebens, was Sita Steckel plausibel als Reaktion auf die Diversifizierung der klösterlichen Lebensformen interpretiert. Durch wiederholte kommunikative Eskalationen seit dem 12. Jahrhundert hätten sich die Grenzen des Sagbaren allmählich verschoben, sodass die Abschaffung monastischer Gemeinschaften denkbar wurde. In der Reformationszeit habe die Kritik am Klosterleben dann zum einen quantitativ zugenommen, zum anderen seien auch qualitative Änderungen zu beobachten, wie Lisa-Marie Richter betont. Sie beschäftigt sich vor allem mit dem Begriff des Mönchskalbs. Martin Luther prägte diesen Begriff, um die Geburt eines deformierten Kalbes als Resultat des Geschlechtsakts zwischen einem Mönch und einer Kuh zu erklären. Durch diese Animalisierung des Mönchs, so Lisa-Marie Richter, sei das Klosterleben in den Bereich des Widernatürlichen gerückt worden.
Da ein solcher Sammelband naturgemäß nicht alle Facetten eines Themas behandeln kann, bleiben bestimmte Fragen offen, über die es sich lohnen würde, weiter nachzudenken. Weitere mikrohistorische Arbeiten können zur Beantwortung der Frage beitragen, inwiefern die Kritik auch mit normativen Brüchen innerhalb der einzelnen Orden und religiösen Gemeinschaften zusammenhing oder ob die Konkurrenzrhetorik zwischen den einzelnen Orden dominierte. In den Beiträgen des Bandes wird auch kaum diskutiert, welcher Zusammenhang zwischen monastischen und weltlichen Normen bestand. Deutlich wird dies etwa beim Thema der Sexualität, für deren (vermeintliche) Ausübung die Mönche und Nonnen häufig kritisiert wurden. Konkubinate geistlicher Amtsträger folgten gesellschaftlichen Logiken – etwa dem Fertilitätsdruck im Adel.4 Sie stellten daher mehr als nur einen Bruch mit monastischen Normen dar. Gerade auf der Mikroebene der Auseinandersetzungen um Konkubinate und Klausur zeigte sich häufig auch die Bedeutung von Geschlecht in religiösen Frauen- und Männergemeinschaften. Die vielfältigen, spannenden Perspektiven im Sammelband bieten jedenfalls eine wertvolle Grundlage für weitere Forschungen zur Kritik am Klosterleben.
Anmerkungen:
1 Steven Vanderputten, Medieval Monasticisms. Forms and Experiences of the Monastic Life in the Latin West (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 47), Berlin 2020, S. 1–4.
2 Beispielsweise Peter Alan Dykema / Heiko Augustinus Oberman (Hrsg.), Anticlericalism in late medieval and early modern Europe (Studies in medieval and reformation thought 51), Leiden 1993.
3 Etwa Thomas Ertl, Franziskanische Armut in der Kritik. Anti-mendikantische Wahrnehmungsmuster im Wandel (13.-15. Jahrhundert), in: Heinz-Dieter Heimann u.a. (Hrsg.), Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn 2012, S. 369–392.
4 Zum Fertilitätsdruck vgl. Regina Töpfer, Fertilität und Macht. Die Reproduktionspflicht mittelalterlicher Herrscherinnen und Herrscher, in: Andrea Stieldorf u.a. (Hrsg.), Geschlecht macht Herrschaft. Interdisziplinäre Studien zu vormoderner Macht und Herrschaft /Gender Powers Sovereignty. Interdisciplinary Studies on Premodern Power (Macht und Herrschaft 15), Göttingen 2021, S. 175–199.