M. Robinson: A Language for the World

Cover
Titel
A Language for the World. The Standardization of Swahili


Autor(en)
Robinson, Morgan J.
Reihe
New African Histories
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 266 S.
Preis
€ 37,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Balbiani, Universität Erfurt

Sprachen sind dynamische Gebilde, die sich ständig verändern und eine Vielzahl von regionalen Varietäten aufweisen. Diese verfügen oft über keine festgefügte Grammatik und befinden sich in einem Spannungsverhältnis zu Versuchen, den Sprachgebrauch zu normieren und einen allgemeinverbindlichen Standard durchzusetzen. Wie sich die Standardvarietät einer Sprache herausbildet, ist zweifellos ein lohnender historischer Untersuchungsgegenstand – zumal in einem Kontext, in dem die Machtverhältnisse nicht zugunsten der Muttersprachler liegen und Interessen von außen an die Normierung der Sprache herangetragen werden. Die in Ostafrika als lingua franca gebrauchte Sprache Swahili ist ein solcher Fall, wurde sie doch zunächst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Mittel christlicher Evangelisierung, dann zum Instrument kolonialer Herrschaft. Sie wurde von europäischen Missionaren und vom deutschen und britischen Kolonialstaat beschrieben, auf Basis des Sansibar-Dialekts Kiunguja standardisiert und über Schulen und Verwaltung verbreitet. Insbesondere die Unabhängigkeitsbewegung im späteren Tansania griff die Sprache schließlich als antikoloniales Instrument auf und leitete die im postkolonialen Afrika einzigartig erfolgreiche Durchsetzung einer indigenen afrikanischen Sprache als landesweites Kommunikationsmedium ein.

Dieser Prozess der Standardisierung und Verbreitung steht im Mittelpunkt von Morgan J. Robinsons Studie, die einen Beitrag zu der kontrovers geführten Debatte um das missionarische, koloniale und postkoloniale Erbe des Swahili leistet. Diese Debatte reicht von differenzierten Darstellungen der Sprache, ihrer Geschichte und Bedeutung in der multilingualen Realität Ostafrikas bis hin zur kategorischen Kritik an europäischen Eingriffen und Forderungen nach der „Befreiung“ des Swahili von der kolonialen Aneignung.1 Robinson hat für ihre Untersuchung einen quellennahen Zugang gewählt und umfangreiche Archivrecherchen in tansanischen und britischen Regierungs- und Missionsbeständen durchgeführt. Ihr Augenmerk gilt den Akteur:innen, Institutionen und Praktiken, die in einem komplexen Geflecht linguistisches Wissen produzierten, sprachliche Konventionen aushandelten und so zwischen 1864 und 1964 das Standard-Swahili schufen. Mit ihrer akteurszentrierten Perspektive kommt sie zu einem differenzierten Urteil; sie deutet die Swahili-Standardisierung einerseits als Produkt kolonialer Unterdrückung, andererseits als Ausdruck von Selbstermächtigung und Subversion der Swahili-Sprechenden.

In ihrer Darstellung geht Robinson chronologisch vor. Die ersten beiden Kapitel befassen sich mit der Spracharbeit der Universities' Mission for Central Africa (UMCA), die seit 1864 auf Sansibar tätig war. Durch die Auswertung der hervorragenden Quellenüberlieferung wird greifbar, wie linguistische Arbeit vor Ort funktionierte. Mit gelehrten muslimischen Informanten und Missionsschüler:innen erarbeiteten europäische Missionar:innen religiöse und profane Swahili-Texte. In verschiedenen Versionen wurden sie vor Ort gedruckt und mit dem Feedback der Missionsschüler:innen überarbeitet. Ziel war dabei keine genaue Rekonstruktion des Sansibar-Dialekts, sondern ein in Hinblick auf zukünftige Missionsstationen im Landesinneren verständliches Swahili, für das die ethnisch und linguistisch diverse Schülerschaft die Testgruppe darstellte.

Insbesondere mit der 1888 begründeten Zeitschrift Msimulizi („Der Erzähler“) schufen die Beiträger – afrikanische Missionsschüler:innen und -lehrer:innen – eine Swahili-sprachige Community, die mit der Gründung von Missionsstationen auf das Festland expandierte. Der Missions-Standard wurde gemeinsames Kommunikationsmittel in den sprachlich unterschiedlichen Umgebungen. Die Mission und ihre linguistische Grundlagenarbeit sind bei Robinson somit auch und insbesondere eine afrikanische Angelegenheit, die von den Schüler:innen und Absolvent:innen der UMCA geprägt war. Der üblichen Erzählung einer kolonialen Anmaßung, eine afrikanische Sprache nach eigenem Gutdünken zu manipulieren, stellt die Verfasserin eine friedliche, ja harmonische Geschichte einer europäisch-afrikanischen Koproduktion entgegen.

Das dritte Kapitel wendet sich der deutschen Kolonialherrschaft im 1884/85 zum „Schutzgebiet“ erklärten Deutsch-Ostafrika zu. Zwar habe die deutsche Kolonialverwaltung die Einflusssphäre des Swahili deutlich erweitert, so Robinson, doch initiierte sie kein eigenes Standardisierungsprojekt. Die uneinheitliche, zwischen Deutsch, Swahili und lokalen Sprachen schwankende Sprachpolitik folgte den wechselnden missionarischen und staatlichen Interessen. Versuche, das Swahili zu kodifizieren, blieben daher laut Robinson halbherzig und unter dem Einfluss des UMCA-Standards. Der deutschen Spracharbeit stellt sie die zunehmend professionalisierte Standardisierungstätigkeit der UMCA gegenüber, die sich Anfang des 20. Jahrhundert die Finalisierung des Standard-Swahili zum Ziel gesetzt hatte. Dabei gingen die Missionare von der „open-source strategy“ (S. 78) zu einem spezialisierten Expertenkomitee über, in dem afrikanische und europäische Lehrer und Pastoren auf Augenhöhe zusammenarbeiteten.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der UMCA-Standard vom offiziellen britischen Projekt der Swahili-Standardisierung aufgegriffen, um das es zusammen mit den von ihm hervorgerufenen Reaktionen in den folgenden drei Kapiteln geht. Das 1930 erstmals zusammengetretene Inter-Territorial Language Committee (ILC) erstellte – bis zum Zweiten Weltkrieg unter Ausschluss von afrikanischen Mitgliedern – verbindliche Wörter- und Lehrbücher, die über missionarische und koloniale Netzwerke kompiliert wurden, und gab die obligatorische Imprimatur für Swahili-Veröffentlichungen. Wenngleich offiziell ausgeschlossen, war das ILC auf die Mitwirkung und die Rückmeldungen afrikanischer Swahili-Sprecher:innen angewiesen. Neben Kritik und Widerstand gegen die koloniale Standardisierung etwa von muslimischen Gelehrten arbeiteten afrikanische Akteure auch in eigenen Zeitungsprojekten an einem standardisierten Swahili und der Schaffung einer gebildeten Swahili-Gemeinschaft.

Mit der Gründung des East African Literature Bureau 1948 ging die Schaffung von Swahili-Literatur in eine eigene Institution über. Kreativität sollte gleichermaßen angeregt wie kontrolliert werden – vor dem Hintergrund spätkolonialer Herrschaft, des Entwicklungsdiskurses und afrikanischer Forderungen etwa danach, Gesetze und Verordnungen in die Verkehrssprache zu übersetzen. Abschließend wirft Robinson einen Blick auf die Karriere des Swahili in der antikolonialen Bewegung, im postkolonialen nation-building Tansanias, im Panafrikanismus sowie in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Robinsons Studie vermittelt einen lebendigen, quellennahen Einblick in die kooperative Wissensproduktion insbesondere im Rahmen der UMCA-Gemeinschaft und des ILC. Insgesamt überzeugt sie in ihrer Deutung der Swahili-Standardisierung als Ausdruck afrikanischer Selbstermächtigung und kolonialer Unterdrückung zugleich. Die Darstellung der deutschen Kolonialherrschaft und Afrikanistik sowie anderer nicht-britischer Akteur:innen bleibt jedoch fragmentarisch. Die etwas pauschalen Aussagen der Verfasserin über deren relativer Bedeutungslosigkeit scheinen mit ihren Sprachkenntnissen und den dadurch bedingten Kenntnissen der Forschungsliteratur und Quellenlage zusammenzuhängen, wie sie selbst in einer Endnote andeutet (S. 207f.). Ähnlich wie für die UMCA und das ILC hätte eine Beschäftigung mit den Archivbeständen und zeitgenössischen Publikationen deutscher staatlicher, missionarischer und akademischer Akteure andere Erkenntnisse hervorgebracht. Wie am Msimulizi hätten so auch an deutschen Swahili-Zeitschriften und -Lehrbüchern Prozesse der Sprachnormierung nachgezeichnet werden können.

Robinson schreitet den Hauptweg der Swahili-Standardisierung ab und fällt damit ein wenig hinter den eigenen Anspruch zurück, eine teleologische Erzählung hinter sich zu lassen (S. 5, S. 15). Die Verästelungen und Abzweigungen der Swahili-Standardisierung, die scheiterten oder zumindest nicht den Hauptstrom bedienten, bleiben in ihrer Studie außen vor. So werden etwa die Arbeiten des Erstbeschreibers des Swahili Johann Ludwig Krapf durch die Wahl des Untersuchungszeitraums weitestgehend ausgeklammert, ebenso wie die Arbeit anderer Missionsgesellschaften. Diese Einwände schmälern allerdings nur unerheblich das Verdienst Morgan J. Robinsons, die Swahili-Standardisierung erstmals umfassend und überzeugend auf Basis breiten Quellenmaterials beschrieben zu haben.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa Abdallah Khalid, The Liberation of Swahili from European Appropriation, Nairobi 1977; Alamin M. Mazrui, Swahili Beyond the Boundaries. Literature, Language, and Identity, Athens 2007; John M. Mugane, The Story of Swahili, Athens 2015.

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