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Titel
Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly


Autor(en)
Richter, Saskia
Erschienen
Anzahl Seiten
522 S., mit Abb.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Astrid Mignon Kirchhof, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Über Petra Kelly wurde schon zu ihren Lebzeiten ausführlich geschrieben. Dies setzte sich nach ihrem Tod fort. Es gibt zahlreiche Artikel, Aufsätze, Bücher, Theaterstücke und Filme über sie. Die erste Biographie wurde bereits 1983 von Monika Sperr veröffentlicht und war in enthusiastischem Ton verfasst. Auch die Biographien von Alice Schwarzer (zuerst 1993) und Sara Parkin (1994) waren parteiisch. Dass Individuen in einem gesellschaftlichen Zusammenhang stehen, trat in diesen Biographien in den Hintergrund. Die Lücke schließt nun Saskia Richters lohnende und ideenreiche Dissertation, die Kellys Leben in geschichtliche und politische Kontexte stellt. Am Beispiel Petra Kellys untersucht Richter die Handlungsräume des bzw. der Einzelnen und lotet die Erfolge und Niederlagen eines politischen Lebens aus. Dabei geht es der Biographin darum, welche Motive Kelly antrieben, welche Schwerpunkte sie setzte und wie diese sich änderten.

Hierbei knüpft die Autorin an politik-, geschichts-, sozial- und kulturwissenschaftliche Studien über die Grünen, die Neuen Sozialen Bewegungen und das links-alternative Milieu an. Damit reiht sich das Buch in die zurzeit intensiv betriebenen Forschungen zur Bundesrepublik der 1970er- und 1980er-Jahre ein. Richters Studie ist deshalb anschlussfähig an neuere ideengeschichtliche Forschungen zur Gründung der Grünen1, lässt sich aber auch als Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Politischen verstehen2 und trägt zur beginnenden Historisierung von Emotionen in Politik und Geschichte bei.3

Den aufgeworfenen Fragen nähert sich Richter mit einem Ansatz, mit dem sie autobiographische Zeugnisse und Berichte von Wegbegleitern und Beobachtern Kellys ebenso analysieren, wie sie den Inszenierungen des Lebens, den Selbst- und Fremdzuschreibungen auf die Spur kommen kann. Die Quellenbasis stammt aus deutschen und amerikanischen Archiven: Richter verwendete unter anderem Kellys Nachlass im Archiv Grünes Gedächtnis, Unterlagen der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) und Akten des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). In den USA wertete die Autorin Dokumente des Archivs der American University in Washington, Publikationen der Library of Congress sowie Nachlässe und private Sammlungen aus. Darüber hinaus stützt sich Richter in ihrer Analyse auf Gespräche und Interviews mit Weggefährten, Freunden und Familienangehörigen der Protagonistin.

Petra Karin Kelly, geborene Lehmann, kam 1947 in einer Kleinstadt in Bayern auf die Welt und empfand das Leben in der katholischen Umgebung als einengend. Als die Mutter nach der Trennung von Petras leiblichem Vater den Amerikaner John Kelly heiratete, zog die Familie in die USA. Petra Kelly hatte zwei Geschwister: die Halbschwester Grace (benannt nach der Filmschauspielerin und Fürstin von Monaco) und den Halbbruder John. 1970 starb Grace Kelly im Alter von zehn Jahren an Krebs – ein traumatisches Ereignis, das Petra Kellys beruflichen Weg entscheidend mitprägen sollte. Sie war nämlich der Meinung, dass ihre Schwester Opfer des Atomzeitalters geworden sei und wegen der Strahlentherapie habe sterben müssen. Fortan engagierte sich Petra Kelly in der Friedens- und Umweltbewegung, setzte sich vehement gegen Atomkraftwerke ein und gründete die G.P. Kelly-Vereinigung zur Unterstützung der Krebsforschung für Kinder. Ihre frühe politische Sozialisation in den USA erwies sich dabei als sehr wichtig.

Ab 1972 war Kelly für zehn Jahre bei der Europäischen Kommission in Brüssel tätig, zunächst im Wirtschafts- und Sozialausschuss, anschließend als Verwaltungsrätin im Sekretariat der Fachgruppen Sozialfragen, Umweltschutz, Gesundheitswesen und Verbrauch. Die Arbeit in Brüssel hat ihren Realitätssinn geschärft, weil sie in ihrem Arbeitsfeld immer wieder die Erfahrung gemacht hat, dass es schwierig für sie war, politisches Engagement und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen. So wurde sie zur Realpolitikerin, die wusste, wie viel Zeit, Engagement und Solidarität es brauchte, um einen Machtapparat nach den eigenen politischen Vorstellungen zu verändern. Obwohl sie ihrer politischen Argumentation nach eher zu den Fundamentalisten in der späteren Partei der Grünen gehörte, war sie eine entschiedene Vertreterin der finanzierten Berufspolitik und lehnte auch die Regierungsbeteiligung nicht ab.

Kellys Parteienkarriere begann, als verschiedene alternative Listen, Bürgerinitiativen und andere Gruppen 1979 die „Sonstige Politische Vereinigung (SPV) – Die Grünen“ gründeten und Kelly zur Listenführerin wählten. Ein Jahr später wurde sie zusammen mit August Haußleiter und Norbert Mann Sprecherin des Bundesvorstands der Partei der Grünen. Insgesamt blieb sie zwar bis 1990 Mitglied des Bundestages, machte aber einen sukzessiven Abstieg in der eigenen Partei durch, da ihre kompromisslose Art den Aufbau von Kooperationen und Netzwerken erschwerte. Von ihren politischen Überzeugungen her hatte Kelly zwar mit vielen Personen in den Grünen Anknüpfungspunkte. So erwähnt Richter Antje Vollmer, Christa Nickels und Ralf Fücks. Praktisch jedoch begab sie sich in keine Netzwerke und verfolgte in erster Linie immer ihre eigenen Ziele. Wenn sich diese mit der grünen Programmatik trafen, war das gut – Kelly hätte aber mitnichten ihre eigenen Themen oder Überzeugungen der Parteiräson unterstellt. So unterwarf sie sich beispielsweise 1985 als einzige nicht dem Rotationsprinzip und stieg ebenso aus dem Ökofonds aus, den die Grünen eingerichtet hatten, um alternative Politik praktisch umzusetzen. Sie weigerte sich, ein Projekt zu unterstützen, das sie nicht für sinnvoll hielt, und zahlte fortan den von allen Abgeordneten geforderten relativ hohen Betrag nicht in den Ökofonds ein.

Zum anderen lag Kellys Isolation, so Richter, an ihrer Rolle als Medienstar. So sei es für viele Parteigenossinnen und -genossen schwierig gewesen, dass Kelly durch die Medien zum Shootingstar der Grünen aufgebaut wurde. Überzeugend führt Richter aus, dass die politische Symbolik und Inszenierung die Kennzeichen von Kellys Politikstil gewesen seien, mit dem sie ihrer Zeit voraus war. Viele Grüne lehnten jedoch einen Starrummel und die Personalisierung von Politik ab. So sehr gerade die mediale Inszenierung der Galionsfigur Petra Kelly den Grünen – vor allem in der Anfangszeit – genutzt habe, argumentiert Richter, so sehr habe dies Kelly in die Isolation geführt. 1990 bemühte sie sich daher erfolglos um eine weitere Bundestagskandidatur, schied am Ende der Legislaturperiode aus dem Bundestag aus und wurde ein Jahr später für das Amt der Vorstandssprecherin der Grünen, für das sie kandidiert hatte, nicht gewählt, ja erhielt dabei nur noch vereinzelte Stimmen. 1992 fand ihr Leben ein jähes Ende: Ihr Lebensgefährte, der frühere General Gert Bastian, erschoss sie im Schlaf und richtete sich danach selbst.

Ihren Anspruch, das Individuum in seinen gesellschaftlichen Bezugsrahmen zu stellen, löst Richter immer wieder überzeugend ein. So arbeitet sie eingehend heraus, dass und wie Kellys politische Themen zu ihrer Zeit gesellschaftlich virulent waren, wie beispielsweise die Umweltproblematik.4 Auch mit ihrer Forderung nach mehr Arbeitnehmerrechten bewegte sich Kelly im Trend der Gewerkschaftspolitik der 1970er-Jahre. Insofern habe Kellys politisches Programm zwar verschiedene Themen zusammengefasst, sei aber nicht innovativ gewesen. Das Charakteristische an Kelly, das sie von anderen Politikern unterschied, sei ihr gefühlsbetonter Politikstil gewesen – dies betont Richter an vielen Stellen ihrer Arbeit.

Das Buch ist deshalb auch dort besonders anregend, wo eine kulturgeschichtliche Perspektive eingenommen wird, weil hier neue Erkenntnisse zutage treten. Richter analysiert durchgehend die Inszenierungen und Symboliken der Politik Petra Kellys. Sie sei eine der Ersten gewesen, die mit auf T-Shirts aufgedruckten Sprüchen an den Verhandlungstisch trat oder triumphierend mit einem sterbenden Bäumchen in der Hand in den Bundestag zog. Es geht Saskia Richter immer wieder um Kommunikationsformen des Politischen. Anhand der „Fanpost“, aber auch kritischen Briefen, die Kelly in einem nicht mehr zu bearbeiteten Umfang erreichten, kann Richter differenziert erklären, wie neu und anders Petra Kelly auf ihre Umgebung wirkte.

Zuweilen gerät Richters Argumentation aber auch etwas durcheinander. So betont sie zwar zu Recht, dass Kellys politische Argumente dem Motto der zweiten Frauenbewegung geschuldet waren: „das Politische ist privat“. Gleichzeitig stellt die Autorin es als typisch für Kelly heraus, dass private Ereignisse ihr Leben prägten – besonders der Tod ihrer Schwester. Dass private Erfahrungen als Katalysator dienen und das eigene Engagement motivieren, dürfte allerdings nicht nur für Kelly Geltung gehabt haben. Zur feministischen Haltung Kellys führt Richter aus, dass sie die Welt in „männlich“ und „weiblich“ eingeteilt und hierbei das eine Prinzip negativ und das andere positiv konnotiert habe. Das war aber mitnichten eine typisch Kelly’sche Analyse. Vielmehr war die Frauenbewegung der 1980er-Jahre geprägt vom Credo der „Differenz“. So wurde argumentiert, dass die Forderung nach Gleichheit der Geschlechter die Emanzipation nicht vorangebracht habe, weshalb es nun an der Zeit sei, das „weibliche“ Prinzip als erstrebenswert und maßgeblich herauszustellen. Petra Kelly war auch hier ein Kind ihrer Zeit.

Saskia Richter zeichnet insgesamt ein faszinierendes Bild dieser Ausnahmepolitikerin – einer Visionärin und Aktivistin, die voller eigener Widersprüche, getrieben von den eigenen Überzeugungen und im Umgang mit ihrer Umgebung schwierig war, sich selbst aber dennoch oder gerade deshalb treu blieb.

Anmerkungen:
1 Z.B. Silke Mende, „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011.
2 Z.B. Thomas Mergel, Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949–1990, Göttingen 2010.
3 Z.B. Patrick Bormann / Thomas Freiberger / Judith Michel (Hrsg.), Angst in den Internationalen Beziehungen, Bonn 2010.
4 Siehe dazu jetzt auch Stephen Milder, Thinking Globally, Acting (Trans-)Locally: Petra Kelly and the Transnational Roots of West German Green Politics, in: Central European History 43 (2010), S. 301-326.

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