Rez. NG: J. Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen ...

Titel
Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg


Autor(en)
Paulmann, Johannes
Erschienen
Paderborn, München, Wien, Zürich 2000: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
482 S.
Preis
DM 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Ackermann, Nordrhein-westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf

Ein uralter Historikertraum ist wahr geworden: Strukturen, die Ereignisse ermöglichen, ebenso treffend zu beschreiben wie die Ereignisse selbst, in denen sich die Strukturen artikulieren. Johannes Paulmann ist das in seiner Münchner Habilitationsschrift gelungen. Die Struktur: das ist das internationale System von 1815 bis 1914 - die Ereignisse: das sind die 223 Begegnungen von Monarchen der europäischen Großmächte zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Dieses auf den ersten Blick abseitig erscheinende Thema eröffnet einen ganz neuen Blick auf das 19. Jahrhundert; es schließt an eine ganze von Arbeiten jüngerer Historiker zur politischen Kulturgeschichte an. Selbstbewußt tritt der Autor (Jahrgang 1960) auf: nichts geringeres will er tun, als die Geschichte der internationalen Beziehungen anders als allgemein üblich zu schreiben. Mit Fragestellungen und Methoden der historischen Anthropologie, der Sprachgeschichte sowie der Politik- und Sozialwissenschaften geht er an seinen Gegenstand heran. Aus symbolischen Handlungen zieht er Rückschlüsse über den Zusammenhang zwischen dem Wandel in der internationalen Politik und der Legitimation von Herrschaft. Paulmann fragt nach der Bedeutung der Monarchenbesuche im 19. Jahrhundert, nach ihrer Funktion für die internationale Gesellschaft der außenpolitischen Eliten sowie nach den Formen der Öffentlichkeit, in denen sie stattfanden. Diesen Fragen geht er in zwei Teilen nach, die er mit 'Strukturen und Ereignistyp' und 'Symbolisches Handeln' überschrieben hat.

Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Heilige Allianz von 1815. Der reaktionäre Charakter dieses Bündnisses zwischen den preußischen, österreichischen und russischen Monarchen, das sich gegen den Geist der Revolution richtete und das Prinzip der Legitimität der monarchischen Herrschaft stärken wollte, interessiert Paulmann überhaupt nicht. Vielmehr sieht er in dieser Übereinkunft das Anzeichen für eine grundlegende Strukturveränderung in den internationalen Beziehungen. Es handelt sich nicht mehr um eine temporäre, an konkrete Umstände gebundene und mit einem bestimmten außenpolitischen Ziel vereinbarte Allianz, wie sie für das 18. Jahrhundert typisch ist, sondern um eine zeitlich offene Verbindung dreier Monarchen zum Zweck der politischen Zusammenarbeit im Geist der christlichen Religion. Dieses Bündnis, und das ist hier offenbar entscheidend, wurde in einer bisher unbekannten Form präsentiert: Der Vertrag wurde nicht, wie sonst üblich, von den bevollmächtigten Ministern unterzeichnet und dann ratifiziert, sondern vom russischen, österreichischen und preußischen Monarchen selbst, die sich am 26. September 1815 in Paris zur Unterzeichnung trafen. Auch an den meisten folgenden Konferenzen nehmen die drei Herrscher persönlich teil. Paulmann folgert daraus, daß das von den Zeitgenossen abfällig gemeinte Urteil, es handele sich um eine 'Theaterkulisse', gerade einen wesentlichen Aspekt trifft, nämlich die bewußt gesuchte Öffentlichkeit nicht nur vor aktuellem Publikum, sondern auch in der Publizistik.

Daß die Monarchen einander nach 1815 immer häufiger treffen, hat auch eine ganz simple materielle Voraussetzung, nämlich die verbesserten Verkehrsverhältnisse. Wie eine Neuauflage des mittelalterlichen Reisekönigtums mutet an, was seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Kennzeichen des im Zeichen von 'Realpolitik', Allianzen und imperialistischer Rivalität stehenden Staatensystems wird: Die Könige reisen mit den modernen Transportmitteln wie Eisenbahn und Dampfschiff und demonstrieren dadurch ihre Autorität in der Welt der miteinander rivalisierenden europäischen Nationalstaaten. Mit dieser 'Wiedererfindung' der von Paulmann so genannten 'peripatetischen Herrschaft' endet der erste Teil des Buches.

Wer nun erwartet, im zweiten Teil 'Symbolisches Handeln' mit farbigen und anekdotenreichen Schilderungen der Monarchenbegegnungen unterhalten zu werden, wird glücklicherweise enttäuscht. Paulmann verwandelt sich nämlich jetzt in einen Anthropologen, und man kann ihn nicht genug dafür preisen, daß er Clifford Geertz' viel mißbrauchte Technik der 'dichten Beschreibung' tatsächlich so anwendet, wie sie gemeint ist, nämlich nicht als eine Lizenz zum hemmungslosen Abschreiben aus den Quellen, sondern als ein Verfahren zur Deutung von gesellschaftlichen Ausdrucksformen, die zunächst rätselhaft scheinen, als ein bewußtes 'Sich-fremd-Stellen'. Er geht vom Sichtbaren zum Sichtbargemachten vor, von symbolischen Handlungen zu Herrschaft und Staatenrelationen. Dabei springen subtile Interpretationen heraus, wie etwa die von der Funktion des Bahnhofs beim Empfang eines Monarchen: Der Bahnhof, so heißt es auf S. 227 in einer an Georg Simmel erinnernden Formulierung, diene einer Transformation des konkurrierenden Herrschers zum willkommenen Gast.

Deutlich wird, daß höfische Muster eine größere Beharrungskraft haben, als ihnen bislang zugestanden wurde; sie werden erst im Zeitalter der Nationalstaaten durch andere Muster ergänzt bzw. ersetzt. Jetzt bewegen sich die gekrönten Häupter im Rahmen der nationalen, bürgerlich-industriellen Gesellschaft, und so werden etwa Weltausstellungen zu bevorzugten Treffpunkten - besonders dem französischen Kaiser Napoleon III. bieten sie einen Anlaß zur Selbstdarstellung und Herrschaftslegitimation. Diese Verknüpfung von Staatensystem und monarchischer Herrschaftsform mündet gegen Ende des 19. Jahrhunderts in eine besondere Art, europäische Politik zu betreiben, nämlich Theatralität. Mit der zunehmenden internationalen Rivalität werden die Formen des zwischenstaatlichen Verkehrs und damit die symbolische Rolle der Staatsoberhäupter wieder bedeutsamer. Staatsbesuche mit ihren inszenierten Ritualen unter Beteiligung eines zahlreichen Publikums tragen wesentlich zur Nationalisierung der Massen bei; sie sind der Ereignistyp, durch den sich diese Strukturmerkmale ausbilden und in dem sie ihren prägnantesten Ausdruck finden. Dadurch gewinnt die internationale Politik vor dem Ersten Weltkrieg einen theatralischen Charakter. Offenbar besonders häufig wird die Theater-Metapher in Deutschland verwendet: Heinrich Mann bezeichnet in seinem Roman 'Der Untertan' nicht den Kaiser, sondern den Schauspieler als den repräsentativen Typ der Zeit, und Walther Rathenau schreibt vom Ablauf der Geschichte als einem "Opernhandbuch" (S. 341, 399). Entdeckt und genutzt wird jetzt auch die kommerzielle Seite der Politik: mit den Bildern von Monarchen wird Werbung für Konsumprodukte wie etwa Schinken gemacht; Presse und zunehmend auch der Film schlagen ökonomisches Kapital aus symbolischem Kapital. In welchem Maße Monarchenbegegnungen zu einem Teil der entstehenden Unterhaltungsindustrie werden, zeigen vier von insgesamt 29 Abbildungen in diesem Buch, an dem übrigens auch in formaler Hinsicht nichts auszusetzen ist.

'Pomp und Politik' ist eine zwar anstrengende, aber doch durchweg lohnende Lektüre. Von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde das Buch bereits in den Rang eines "Klassikers des semiotic turn" erhoben. Widerspruch und konstruktive Kritik hat sich der Autor unter Verweis auf Max Webers Wissenschaftsverständnis in der Einleitung ausdrücklich gewünscht. Bitte sehr: Paulmann beginnt mit einem szenischen Einstieg, dem Weltwirtschaftsgipfel vom Juni 1997, der von der Süddeutschen Zeitung als ein "inhaltsleeres Ritual" abgetan wurde. Daran knüpft er die richtige Beobachtung, daß Politik der Vermittlung bedarf und daß auch die öffentliche Inszenierung ein Faktor der Politik ist. Auf welche Weise und unter welchen Bedingungen symbolisches Handeln und internationale Politik miteinander verknüpft sind, zeigt er am Beispiel der Monarchenbegegnungen im 19. Jahrhundert. Warum präsentiert er diese fremde Welt ausgerechnet im letzten Satz seines Buches plötzlich als "merkwürdig aktuell"? Warum denn mutet vor allem die mediale innen- und außenpolitische Präsentation internationaler Politik "heute wieder sehr vertraut" an? War die wenige Sätze zuvor behauptete gründliche Umwälzung der Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen durch den Ersten Weltkrieg vielleicht doch nicht so gründlich? Gewiß: der Krieg setzte den Monarchenbegegnungen ein Ende, aber weder dem Treffen von Politikern noch der medialen Inszenierung von Politik, deren Konjunktur ja eigentlich noch bevorstand. Ist das Thema 'Pomp und Politik. Politikertreffen im 20. Jahrhundert' schon vergeben?

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