S. Potter: Wireless Internationalism and Distant Listening

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Titel
Wireless Internationalism and Distant Listening. Britain, Propaganda, and the Invention of Global Radio, 1920–1939


Autor(en)
Potter, Simon J.
Erschienen
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
£ 60.00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jan Stöckmann, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Ohren auf! So lautet das Plädoyer von Simon Potter in seinem neuen Band über das internationale Radio der Zwischenkriegszeit. Mit seiner Studie trifft der Historiker von der University of Bristol den Nerv der Zeit, nicht nur weil Hörfunk in der Geschichtswissenschaft Konjunktur hat.1 Er adressiert eine ganze Reihe zeitgenössischer Debatten um staatliche Propaganda und Falschberichterstattung, die seit Mitte der 2010er-Jahre wieder in den Fokus gerückt sind. Selbst zu den pandemiebedingten Kommunikationsformaten hält das Buch historische Analogien bereit: Denn das erste an mehreren Orten simultan gespielte Konzert wurde 1929 von der International Broadcasting Union ausgestrahlt. Es sollte Ausdruck davon sein, was Potter als „Wireless Internationalism“ bezeichnet. Während sein letztes Buch zum britischen Hörfunk im Kontext des Empires bleibt, geht es hier vornehmlich um internationale Verflechtungen.2

Im ersten der beiden Teile seines Buchs widmet Potter sich zunächst den politischen und technischen Rahmenbedingungen des internationalen Hörfunks seit den 1920er-Jahren. Er zeigt, dass das Radio seit jeher ein internationales Medium war. Nur wenige Jahre nachdem im November 1922 erstmals täglich Sendungen liefen, konnte man bereits Signale von Übersee empfangen. Mitte der 1920er-Jahre hörten Europäer und Amerikaner regelmäßig Programme aus Daventry, der bedeutendsten britischen Sendestation. Wenig später richteten auch andere Länder Langwellensender ein, darunter die Deutschlandsender in Königs Wusterhausen und Zeesen. Sie alle waren stark genug, um Hörerinnen und Hörer im Ausland zu erreichen, konnten allerdings auch andere Sender stören. Und so trafen sich bereits 1925 nationale Delegierte und Experten zur ersten internationalen Radiokonferenz, bei der es um die Aufteilung von Frequenzen ging.

Die daraus hervorgegangene International Broadcasting Union (zu Deutsch Weltrundfunkverein) hatte ihren Sitz in Genf und profitierte anfangs von der hoffnungsvollen Stimmung des noch jungen Völkerbunds. Man tauschte Erfahrungen aus und organisierte internationale Sendungen. Bei wiederkehrenden Konferenzen verabredeten die Mitglieder, wer welche Frequenzen nutzen durfte. Ab 1929 wurde sogar ein internationales Radioprogramm (Radio Nations) ausgestrahlt. Doch schon während dieser Zeit handelte es sich keineswegs um eine ausgewogen besetzte Organisation, ganz zu schweigen von einer globalen Allianz. Denn die International Broadcasting Union war ein durchweg europäischer Verein, der von Briten dominiert wurde, namentlich vom Radiojournalisten Arthur Burrows und vom Vizeadmiral Charles Carpendale. Radio Moskau hingegen hatte eine eigene, kommunistische Interpretation von „Wireless Internationalism“. Später, in den 1930er-Jahren, traten nationale Feindseligkeiten immer deutlicher zu Tage. So blockierten italienische und deutsche Delegierte eine Konvention, die es Auslandskorrespondenten erlauben sollte, auf lokale Studios zuzugreifen. Schließlich scheiterten auch die internationalen Bemühungen gegen staatliche Propaganda.

Potters Perspektive und die meisten seiner Quellen sind britisch; daraus macht der Autor keinen Hehl. Im Gegenteil, er beschäftigt sich eingehend mit der britischen Historiographie und vor allem mit der Debatte um die Unabhängigkeit der British Broadcasting Company (später Corporation) (BBC). Entgegen früherer Studien von Asa Briggs kann Potter darlegen, wie eng die Verantwortlichen der BBC in Kontakt mit dem britischen Außenministerium standen, sich teilweise sogar Erlaubnisse für Berichte einholten.3 Dieses Verhältnis wurde wohlgemerkt von beiden Seiten kultiviert. Es lebte vom engmaschigen, aber undurchsichtigen Netzwerk britischer Eliten und fußte letztlich auf dem gemeinsamen Wunsch, die BBC nicht wie einen Regierungssender aussehen zu lassen. Über weite Strecken war diese Strategie zwar erfolgreich, sie führte aber immer wieder zu internen Konflikten, wenn es um die Ausrichtung von kostspieligen internationalen Programmen ging, darunter die seit 1937 ausgestrahlten fremdsprachigen Angebote in Spanisch, Portugiesisch und Arabisch.

Im zweiten Teil des Buches geht es um die Produzenten und Hörer. Hier stellt der Autor anhand von zeitgenössischen Hörerbefragungen fest, dass die globalen Bemühungen der BBC großenteils ins Leere liefen, weil ihre Programme entweder unbeliebt waren oder gar nicht erst empfangen wurden. 1935 gab es in ganz Indien nur 16000 Radiogeräte, in Rhodesien gerade einmal 2000. Zudem hörten wohlsituierte Bürger oftmals lieber das englischsprachige Original. Politische Analysen und Bildungssendungen, so stellte sich heraus, kamen nicht gut an. Auch symphonische Musik war wegen der unsauberen Übertragungsqualität unbeliebt. Begeistert waren die Hörer hingegen von leichter Unterhaltung und Tanzmusik. Dafür suchten sie auch nach Frequenzen fremdsprachiger Programme, was zu einem weit verbreiteten Hobby wurde.

Radio zu hören bedeutete mehr als auf Knopfdruck Nachrichten abzurufen, wie das letzte Kapitel des zweiten Teils eindrücklich zeigt. Während das Radio anfangs noch Tüftlern und Wohlhabenden vorbehalten war, entwickelte es sich Ende der 1920er Jahre rasch zu einem Massenmedium. Statt mit Kopfhörern zu lauschen, versammelte man sich bald in größeren Gruppen vor einem Gerät, besonders in ärmeren Vierteln und bei Großereignissen. So konnten europäische Hörer schon 1928 die Ankunft des Luftschiffs Graf Zeppelin in den Vereinigten Staaten verfolgen. Umgekehrt verfolgten amerikanische Hörer das Finale des Tennisturniers in Wimbledon. Dabei spielte die Geräuschkulisse stets eine entscheidende Rolle, um einerseits für Authentizität zu sorgen, andererseits aber die Qualität nicht zu beeinträchtigen. So wurde Radiohören vom Nischenhobby zu einem veritablen Volkssport. 1932 gab die BBC sogar eine Anleitung zum „guten Hören“ heraus, in der zu „aktivem Zuhören“ gemahnt, aber vor mehr als zwei Stunden täglichem Konsum gewarnt wurde.

Schließlich hält das Buch im zweiten Teil auch interessante sozialhistorische Befunde parat. So war das internationale Radiogeschäft zwar von Männern dominiert, was vor allem auf einer als männlich empfundenen Technikaffinität beruhte. Frauen waren aber zumindest vereinzelt als Produzentinnen tätig und rückten vor allem als Hörerinnen zunehmend in den Fokus. Außereuropäische Hörer hingegen waren vielfach rassistischen Ressentiments ausgesetzt – angeblich bevorzugten sie lärmende Musik und sprachen ein schwer verständliches Pidgin-Englisch. So sehr es die International Broadcasting Union auch zu propagieren versuchte, das Radio der Zwischenkriegszeit war weder neutral noch friedensstiftend. Um das zu erkennen, muss man nicht einmal die Geschichte des Volksempfängers bemühen, obwohl Potter auch die nationalsozialistische Rundfunkpolitik streift. So versuchte das NS-Regime bereits 1933, mit Propagandasendungen aus München die österreichische Regierung zu schwächen. Zugleich beargwöhnte man das Hören ausländischer Sender. Im März 1939 sah sich die BBC gezwungen, die markanten Glockenschläge der Londoner Big Ben aus ihrem Programm zu nehmen, um heimliche deutsche Hörer nicht auffliegen zu lassen. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde das Hören von „Feindsendern“ schließlich zur Straftat und Radiosender in aller Welt wurden zum Sprachrohr ihrer Regierungen – eine naheliegende Zäsur für das Ende der Studie.

So blieb das Radio der 1920er- und 1930er-Jahre trotz seines transnationalen Potentials als Mittler zwischen Menschen und Kulturen letztlich vor allem ein Instrument nationaler Identifikation. Das allein mag wenig überraschen, aber im vorliegenden Buch wird das Spannungsverhältnis zwischen den Ambitionen des Internationalismus und den Realitäten des Nationalismus greifbarer als in manch anderer Abhandlung über die Zwischenkriegszeit. Für die breite Leserschaft hätte es zwar etwas weniger BBC sein dürfen und dafür etwas mehr zur Arbeit anderer Sender. Insgesamt ist Potters Buch aber ein sehr gelungener Einblick in den internationalen Hörfunk der Zwischenkriegszeit und eine willkommene Ermunterung, genauer hinzuhören.

Anmerkungen:
1 Siehe z. B. Heidi Tworek, News from Germany. The Competition to Control World Communications, 1900–1945, Cambridge, MA 2019.
2 Simon J. Potter, Broadcasting Empire. The BBC and the British World, 1922–1970, Oxford 2012.
3 Asa Briggs, The History of Broadcasting in the United Kingdom, vol. i: The Birth of Broadcasting, vol. ii: The Golden Age of Wireless, Oxford 1961, 1965.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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