A. Fiore: The Seigneurial Transformation

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Titel
The Segnieurial Transformation. Power Structures and Political Communication in the Countryside of Central and Northern Italy, 1080–1130


Autor(en)
Fiore, Alessio
Erschienen
Anzahl Seiten
XXIII, 293 S.
Preis
£ 76.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Dartmann, Fachbereich Geschichte, Universität Hamburg

Wer sich als deutsche:r Mediävist:in auf das italienische Mittelalter spezialisiert, steht vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits verliert die deutsche Sprache international zunehmend ihr Publikum, auch in Italien, sodass die Sprache der eigenen Veröffentlichungen eine entscheidende Weichenstellung dafür impliziert, welche Publikationen überhaupt im Zielland der Untersuchungen rezipiert werden. Andererseits werden die vielfältigen und reichhaltigen Studien, die auf Italienisch vorgelegt werden, kaum in einer deutschen und internationalen Mediävistik rezipiert, die Wissen zum italienischen Mittelalter eher aus englischen und französischen Publikationen entnimmt als aus der exzellenten Forschung aus Italien selbst. Deswegen ist es sehr erfreulich, dass Alessio Fiores Monographie, in der er 2017 die Themen um die feudale Transformation / Mutation / Revolution / Anarchie in den Jahrzehnten um 1100 einer Relecture unterzogen hat, drei Jahre später in überarbeiteter Form auf Englisch vorliegt. Dies eröffnet der internationalen Mediävistik die Möglichkeit, in Fiores Darstellung die Entwicklung von Macht und Herrschaftsformen auf der Apenninenhalbinsel in zentralen Jahrzehnten des Hochmittelalters kennenzulernen, denen in der italienischen Geschichte eine Schlüsselstellung zugeschrieben wird. Es handelt sich genau um das gute halbe Jahrhundert, in dem vor der Etablierung der Stadtkommunen als dominierenden Institutionen der politischen Landkarte, die seit dem 12. Jahrhundert hervorsticht, ältere Machtstrukturen zusammengebrochen waren und sich etwa zwei Generationen lang ein dynamisches Experimentieren mit und brutales Kämpfen um neue(n) Machtkonfigurationen beobachten lässt, bevor die Grundlagen gelegt wurden, die bis über das Ende des Mittelalters hinaus fortwirken sollten. Fiores Studie macht diesen Prozess auch denjenigen zugänglich, die sich nicht durch die reichhaltigen Spezialstudien zu einzelnen Regionen und Konstellationen hindurch kämpfen wollen oder können. Diese Chance erkauft Fiore um den Preis, dass er eher eine Metastudie vorlegt, also Ergebnisse fokussierter Einzelstudien zu einem schlüssigen Panorama zusammenführt. In Anbetracht der lokalen Dimension vieler italienischer Forschungen und der vergleichsweise dichten Überlieferung ist dieser synthetische Zugang unvermeidlich, will man ein Bild erarbeiten, das weite Regionen Nord- und Mittelitaliens erfasst.

Worum geht es im Einzelnen? Wie bereits gesagt, verfolgt Fiore den Wandel von Machtkonstellationen wie den Einsatz von Ressourcen zur Modellierung von Machtverhältnissen in Ober- und Mittelitalien in den Jahrzenten von 1080 bis 1130 im ländlichen Raum. Der erste Teil zeichnet den Kollaps etablierter transregionaler und regionaler Machtstrukturen ab der Mitte des 11. Jahrhunderts nach und diskutiert, welche neuen Rahmenbedingungen sich für die Kontrolle über Menschen und Ressourcen vor Ort aus diesem Zerfall entwickelten. Ein erstes Unterkapitel ist dem Prozess des Zerfalls und der Rekonstruktion dieser Rahmenbedingungen gewidmet. Das folgende Unterkapitel zeichnet diesen Prozess auf der Ebene königlicher Macht im italischen Regnum von Heinrich III. bis zu Heinrich V. nach. Anschließend wendet sich Fiore Strategien zu, die Machtpositionen in lokalem Rahmen so zu akkumulieren, dass daraus eine „Ortsherrschaft“ resultiert, die um das eigene castrum organisiert ist. Es folgen Ausführungen zu den Organisationsprinzipien und Machtverteilungen innerhalb von Herrschaftsclustern, die aus der Sammlung von Herrschaftspositionen in benachbarten Regionen entstanden, sowie innerhalb städtischer und ländlicher Kooperationen, in denen die Forschung Vor- oder Frühformen späterer Stadt- und Landkommunen entdecken konnte. Hierbei legt Fiore zu Recht darauf Wert, dass bis 1130 noch nicht absehbar war, wie dominant die städtischen Kommunen in den folgenden Jahrzehnten werden sollten, betont daher, dass „städtische Protokommunen“ nur einer unter verschiedenen Kristallisationskernen war, um die sich im 12. Jahrhundert die Machtstrukturen in Ober- und Mittelitalien neu gruppierten.

Der zweite Teil der Monographie besteht aus strukturellen Kapiteln, die verschiedenen Aspekten der Diskurse und Praktiken gewidmet sind, die in der Neustrukturierung der Machtverhältnisse prägend waren. Analog zum ersten Teil beginnt auch dieser Abschnitt mit einem Kapitel, das die Schwächung königlicher Legitimationen für regionale Akteure behandelt. Anschließend wendet sich Fiore der Sprache und der Praxis von fidelitas zu, also persönlichen Loyalitäten als Mittel, halbwegs berechenbare Allianzen zu organisieren. Als neuen Modus, solche Allianzen zu organisieren, präsentiert Fiore weiterhin Übereinkünfte (pacta), entweder zwischen miteinander konkurrierenden Machtträgern oder zwischen ihnen und ihren Untergebenen. An die Seite dieser willkürlichen Übereinkünfte stellt Fiore dann den Rekurs auf Gewohnheiten als Alternative, um den ungleichen Zugriff auf Ressourcen zwischen Herrschaftsträgern und ihren Untergebenen zu begründen und auszuhandeln. Scheinbar gegenläufig, jedoch ebenso in der politischen Kultur fest verankert ist schließlich der Rekurs auf Gewalt, der ebenfalls zu den unübersehbar prägenden Mitteln politischer Praxis in den analysierten Gesellschaften zählte.

Stefano Bernardinello stellt in seiner Rezension der italienischen Fassung des Buchs Fiores Studien an die Seite von Chris Wickhams Neuinterpretation der Entstehungsgeschichte italienischer Stadtkommunen aus dem Jahr 2015.1 Beide Bände bieten zusammengelesen ein dichtes, vielfältiges Bild von der Transformation der Machtstrukturen in Stadt und Land. Mit ihrem starken Fokus auf die sozialgeschichtlichen Voraussetzungen und Implikationen der Transformationsprozesse sowie dem skeptischen Blick auf institutionell-rechtliche Definitionsversuche können sie nicht nur den Forschungen zum hochmittelalterlichen Italien neue Impulse verleihen. Die internationale Diskussion kann erheblich davon profitieren, die Ergebnisse der italienischen Mittelalterforschung breit zur Kenntnis zu nehmen.

Anmerkung:
1 Stefano Bernardinello, Rezension zu: Alessio Fiore, Il mutamento signorile. Assetti di potere e comunicazione politica nelle campagne dell’Italia centro-settentrionale (1080–1130 ca.), Florenz 2017, in: Archivio Storico Italiano 177,2 (Band 660) (2019), S. 385–388, unter Verweis auf: Chris Wickham, Sleepwalking into a New World. The Emergence of Italian City Communes in the Twelfth Century, Princeton 2015.