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Titel
Heilige Hetzjagd. Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus


Autor(en)
Wippermann, Wolfgang
Erschienen
Berlin 2012: Rotbuch Verlag
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 9,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Großmann, Neuere und Neueste Geschichte, Universität des Saarlandes

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, welch enorme Wirkungsmacht und Zerstörungskraft die von vielen ernsthaft empfundene, oft aber auch bewusst geschürte und instrumentalisierte Furcht vor dem Kommunismus während des 20. Jahrhunderts in Europa und anderen Teilen der Welt entfaltete. Umso mehr verwundert, dass sich bislang kein Historiker an einer Gesamtdarstellung der Geschichte des Antikommunismus in globaler und zeitlich umfassender Perspektive versucht hat. Zwar gibt es inzwischen mehrere Studien, die sich mit dem historischen Stellenwert antikommunistischen Denkens in einzelnen, vorrangig westlichen Ländern befassen. Sie bleiben jedoch allesamt auf einen nationalen Blickwinkel beschränkt, verorten das Phänomen Antikommunismus oft in zeitlich verengter Perspektive und stellen es nicht in den ihm von Beginn an eigenen inter- bzw. transnationalen Zusammenhang.1 Der Versuch Wolfgang Wippermanns, sich diesem schwierigen Thema – wenngleich „auf essayistische Weise“ und „in einer bewusst knappen Form“ (S. 8) – zu nähern, ist daher prinzipiell ein lobenswertes Unterfangen.

Seinen Schwerpunkt legt Wippermann auf die Entwicklung des Antikommunismus in Deutschland und den USA. Beiden Ländern attestiert er dabei eine seit dem 19. Jahrhundert wirksame und bis in die Gegenwart anhaltende antikommunistische Tradition, die trotz fundamentaler politischer Einschnitte niemals ganz abgerissen sei. Zwar wirkt Wippermanns Argumentation in diesen ersten zwei Kapiteln stellenweise überzogen – beispielsweise, wenn er im wiedervereinigten Deutschland partout eine neue Welle antikommunistischen Denkens erkennen will. Dennoch gelingt es ihm, die Kontinuitätslinien vom nationalsozialistischen Feindbild des „jüdischen Bolschewismus“ zur antikommunistischen „Staatsideologie der (alten) Bundesrepublik“ (S. 28), vom „Red Scare“ der Jahre 1919/20 zum – eben nicht nur auf die Person Joseph McCarthys begrenzten – antikommunistischen Verfolgungswahn in den USA der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre überzeugend herauszustellen.

Im dritten Kapitel widmet sich Wippermann den Ausprägungen des Antikommunismus in Frankreich, Polen, Italien und im frankistischen Spanien, ehe er den Blick im abschließenden vierten Kapitel auf die außereuropäische Welt, das heißt auf Chile, Indonesien, den Iran und das Apartheid-Regime in Südafrika lenkt. Diese Auswahl wirkt freilich etwas willkürlich und wird vom Autor nicht weiter begründet. Warum – so mag sich der Leser fragen – befasst sich Wippermann nicht mit Ländern wie Großbritannien, in denen Antikommunismus eine weniger offensichtliche, aber deshalb nicht unbedeutendere Rolle spielte? Warum bezieht er keine Staaten ein, die sich – wie beispielsweise Österreich, die Schweiz, Finnland und Schweden – während des Kalten Krieges zu außenpolitischer Neutralität verpflichteten, aber dennoch von einem tief in der Gesellschaft wurzelnden Antikommunismus durchdrungen waren? Warum erwähnt er Taiwan und Südkorea nicht, deren staatliche Existenz auf antikommunistischen Überzeugungen basierte und die seit den späten 1950er-Jahren eine führende Rolle bei der weltweiten Sammlung antikommunistischer Kräfte übernahmen?

Anders als der Titel des Buches suggeriert, hat Wippermann weniger eine Ideologiegeschichte als vielmehr eine Wirkungsgeschichte des Antikommunismus geschrieben. Denn im Mittelpunkt der Darstellung stehen die politischen Regime, die den Antikommunismus als Vorwand für die Unterdrückung oppositioneller Kräfte, Gewaltexzesse und Völkermord benutzten. Dabei beschränkt sich die Kernaussage auf die teils explizit, teils implizit formulierte, kaum überzeugende Gleichung: Antikommunismus gleich Faschismus gleich Unrecht. So beschleicht den Leser stellenweise das Gefühl, Wippermann habe mit dem Thema des Antikommunismus lediglich eine neue Bühne gesucht für seine – durchaus umstrittenen – Thesen zum Faschismusbegriff2 und seine Kritik an der Totalitarismustheorie3, die er als „Camouflage des scheinbar erneuerten und angeblich demokratisierten Antikommunismus“ (S. 29) verurteilt.

Ausgangspunkt der Darstellung ist die von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest beschriebene „heilige Hetzjagd“ gegen das „Gespenst des Kommunismus“, zu der sich nach Ansicht von Marx und Engels „[a]lle Mächte des alten Europa“ verbündet hätten (S. 7). Den Antikommunismus, den er als „Verschwörungsideologie“ (S. 120) interpretiert, analysiert Wippermann damit jedoch von Beginn an durch die Brille eines alternativen, ebenso fragwürdigen Verschwörungsdenkens, das die Gegner des Kommunismus tendenziell als monolithische Einheit versteht und ihnen ein koordiniertes Handeln unterstellt. So werden konservative, faschistische, liberale und sogar sozialdemokratische Angriffe gegen sich zum Kommunismus bekennende Denker, Parteien und Regime in einen Topf geworfen. „Die Kirchen“ werden undifferenziert als ein „von Anfang an“ aktiv an der „Verfolgung der Kommunisten“ beteiligter (S. 14), weitgehend homogener Akteur dargestellt. Ebenso verkürzt wirkt die Aussage, der Antikommunismus sei „immer und von Anfang an eng mit dem Antisemitismus“ verbunden gewesen (S. 87) – zumal sie der neuen Qualität und der zerstörerischen Radikalität des nationalsozialistischen Topos vom „jüdischen Bolschewismus“ nicht gerecht wird.

Eine tiefergreifende Analyse des Entstehungskontexts, der sozio-ökonomischen Hintergründe, der ideologischen Versatzstücke, der unterschiedlichen Typen, der Intensitätsschwankungen und der wechselseitigen transnationalen Beeinflussung antikommunistischer Ideologien bleibt ebenso aus wie eine differenzierte Betrachtung ihrer gesellschaftlichen Träger. So werden mal „[d]ie Deutschen“ (S. 26), mal „[d]ie Amerikaner“ (S. 44), „die Wirtschaftsbosse“ (S. 48) oder die „CIA“ (S. 102) pauschal des Antikommunismus bezichtigt. Häufig wird der Blick auf die eigentlichen Akteure durch das inflationär verwendete Indefinitpronomen „man“ verstellt. Kaum Erwähnung finden die zahlreichen „privaten“ Initiativen von – in zunehmendem Maße professionell und international agierenden – antikommunistisch gesinnten Organisationen, Verbänden und Personen, obwohl sich gerade an ihnen die von Wippermann völlig zu Recht unterstrichene Kontinuität des Antikommunismus über 1945 hinaus festmachen ließe.4 Kategorien wie „reiner“ oder „demokratischer“ Antikommunismus (S. 105) werden ohne Definition eingeführt und nicht weiter erläutert.

Dazu kommen inhaltlich fragwürdige Verkürzungen historischer Sachverhalte. So wird Adolf Stoecker nicht nur als Vordenker einer „antikommunistisch-antisemitische[n] Verschwörungsideologie“, sondern gleichzeitig als ein „die Kirchen“ repräsentierender „Sprecher“ dargestellt (S. 15). Stoeckers entschiedener Antikatholizismus, der mit dieser Deutung kaum vereinbar ist, wird ausgeblendet. Der auf antisemitischen und antirepublikanischen Ressentiments beruhenden Kampagne gegen Alfred Dreyfus, die die französische Öffentlichkeit von 1894 an für mehr als ein Jahrzehnt in Atem hielt und in zwei unversöhnliche Lager spaltete, dichtet Wippermann eine so nicht belegbare antikommunistische Stoßrichtung an (S. 65f.). Der Marsch rechtsradikaler Demonstranten auf das französische Parlament am 6. Februar 1934 wurde eben nicht von „französischen Antifaschisten abgewehrt“ (S. 66), sondern von Polizeikräften niedergeschlagen. Irreführend ist auch der – sei es durch ungeschickte oder durch bewusst verzerrende Formulierung – erweckte Eindruck, Spanien sei bereits während der Franco-Zeit der NATO beigetreten (S. 91).

So hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Zweifelsohne hat Wippermann einen gut lesbaren Essay geschrieben, der einen – freilich bei weitem nicht vollständigen – Überblick über das weltweit im 20. Jahrhundert unter dem Vorwand des Antikommunismus begangene Unrecht bietet und dabei entschieden und unzweideutig Stellung bezieht. Eine analytisch tiefgründige, methodisch differenzierte, quellengesättigte und ausgewogene „Ideologiegeschichte des Antikommunismus“, die sich außerdem nicht mit einer Gegenüberstellung verschiedener nationaler Antikommunismen begnügt, sondern auch die transnationale Dimension des Phänomens erfasst, bleibt jedoch ein Desiderat der Forschung.

Anmerkungen:
1 Vgl. für Deutschland z.B. Klaus Körner, „Die rote Gefahr“. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950–2000, Hamburg 2003; vgl. Bernd Stöver: Rezension zu: Körner, Klaus: „Die rote Gefahr“. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950-2000. Hamburg 2002, in: H-Soz-u-Kult, 16.03.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-156> (02.06.2012); für die USA z.B. Michael J. Heale, American Anticommunism. Combating the Enemy Within, 1830–1970, Baltimore 1990; zu Frankreich, Italien und Belgien die von Wippermann nicht rezipierten Darstellungen von Jean-Jacques Becker / Serge Berstein, Histoire de l᾽anticommunisme en France, Bd. 1: 1917–1940 [weitere Bände nicht erschienen], Paris 1987; Fabio Giovannini, Breve storia dell᾽anticomunismo, Rom 2004; Etienne Verhoeyen / Rudi Van Doorslaer, L’assassinat de Julien Lahaut. Une histoire de l’anticommunisme en Belgique, Anvers 1987.
2 Vgl. Werner Loh / Wolfgang Wippermann (Hrsg.), „Faschismus“ – kontrovers, Stuttgart 2002.
3 Wolfgang Wippermann, Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 1997.
4 Vgl. hierzu z.B. Bernd Stöver, Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947–1991, Köln 2002; vgl. Wilfried Loth: Rezension zu: Stöver, Bernd: Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947-1991. Köln u.a. 2002, in: H-Soz-u-Kult, 11.06.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-145> (02.06.2012).

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