M. Muylkens: Reges geminati. Die „Gegenkönige“ in der Zeit Heinrichs IV.

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Titel
Reges geminati. Die „Gegenkönige“ in der Zeit Heinrichs IV.


Autor(en)
Muylkens, Michaela
Reihe
Historische Studien 501
Erschienen
Anzahl Seiten
506 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Torben R. Gebhardt, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Michaela Muylkens befasst sich in ihrer 2009 an der Universität Bonn angenommenen Dissertation mit den Gegenkönigen im hochmittelalterlichen Reich. Sie tut das anhand von „jeweils in einer spezifischen historischen Situation verankerten Einzelfällen“ (S. 15), will also aus dem Exemplarischen auf das Allgemeine schließen. Bei besagten Einzelfällen handelt es sich, wie es der Titel bereits verrät, um die ‚doppelten Könige‘ der Zeit Heinrichs IV., die Muylkens als die ersten Gegenkönige im vollends konsolidierten ostfränkischen bzw. römisch-deutschen Reich bezeichnet. Im Einzelnen betrifft das Rudolf von Rheinfelden, Hermann von Salm und die Königssöhne Konrad und Heinrich. Im ersten Teil ihrer Untersuchung widmet Muylkens sich jedem Einzelnen dieser vier anhand von zeitgenössischen Quellen, um den „vorangehenden Abstimmungs- und Krönungsprozessen innerhalb der zur ‚Gegenkönigswahl‘ bereiten Opposition“ (S. 16) nachgehen zu können. Zur besseren Vergleichbarkeit der Fälle orientiert sie sich in jedem dieser Kapitel an den gleichen acht Gesichtspunkten: Herkunft und soziale Netzwerke des Gegenkönigs, sein Verhältnis zum Hof vor der Wahl, die Motive für die Opposition, die Legitimationsfrage des Herrschaftsantritts, inhaltliche Akzente der Herrschaft, personelle und räumliche Macht in verschiedenen Phasen des Konflikts, die Rolle des Papstes, der Fürsten und Mächtiger anderer Reiche im Konflikt sowie die Bewertung der Überlieferung (S. 16). Der zweite Teil der Arbeit beabsichtigt eine Einordnung der so gewonnenen Erkenntnisse in den größeren Themenkomplex des Gegenkönigtums, um „das erklärte Vorhaben dieser Arbeit, auch für das Gesamtphänomen ‚Gegenkönigtum‘ zu einem quellengestützten und belastbaren Verständnis zu gelangen“ (S. 17), umzusetzen. Dafür legt Muylkens zuerst die Ursachen im 10. und 11. Jahrhundert dar, die die Entwicklung des Phänomens bedingten. Hier analysiert sie vor allem, warum die früheren Aufstände und Verschwörungen gegen die Krone nicht zu einer Gegenkönigserhebung führten und welche Gemengelagen sich bei Rudolf von Rheinfelden demgegenüber geändert hatten. Danach untersucht sie in einem Ausblick die weitere Entwicklung des Gegenkönigtums im Mittelalter und zieht vereinzelt Parallelen zu den im ersten Teil untersuchten Gegenkönigen.

Schon die Gliederung der Arbeit lässt eine starke Gewichtung zugunsten Rudolfs von Rheinfelden erkennen, dem beinahe die Hälfte des Werkes gewidmet ist. Gerade den Söhnen Heinrichs IV. wird vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Begründet wird dies mit der bereits ausreichend vorhandenen Forschungsliteratur zu deren beiden Gegenkönigtümern. Mit Blick auf Rudolf hingegen herrsche, so Muylkens, noch Aufholbedarf. Zwar sei der Rheinfeldener schon Mittelpunkt zahlreicher Publikationen gewesen, keine freilich hätte bisher Rudolfs Rolle im Sachsenaufstand und seiner Regierungsaktivität als König die nötige Aufmerksam zuteil werden lassen – ein Eindruck, der sich beim Blick auf die bisherigen Forschungen bestätigt. Ähnliches lässt sich auch über Hermann von Salm sagen, über den bislang noch keine monographische Arbeit vorliegt.

Muylkens kann für die Zeit vor Rudolfs Gegenkönigtum herausarbeiten, dass sein Einfluss am Königshof spätestens seit den 1060er-Jahren stetig stieg. Außerdem war Rudolf einer der bedeutendsten Vertreter der Reformbewegung im Reichsadel, was selbst Papst Gregor VII. in der überlieferten Korrespondenz mit Rudolf lobend herausstellt. Eine Neubewertung erfahren Lamperts Berichte über die Pläne für Gegenkönigserhebungen vor dem Fürstentag in Forchheim. Die bisherige Forschung begegnete ihnen weitestgehend skeptisch und ging von einer Rückprojektion vor dem Hintergrund der Forchheimer Königswahl aus.1 Muylkens kann hingegen deren Glaubwürdigkeit aufwerten, indem sie aufzeigt, dass das Aufkommen und Scheitern der fraglichen Pläne mit der jeweiligen Beziehung der Thronkandidaten Rudolf und Otto von Northeim zu Heinrich IV. korrespondierte. Ferner ist ein Großteil der Personen, die bei früheren Plänen zu Königserhebungen eine wichtige Rolle spielten, bei der Wahl Rudolfs nicht mehr relevant. Bei einer Rückprojektion hätte man erwartet, dass Lampert die gleichen Akteure auftreten ließe. Warum allerdings die Verteilung der Thronerhebungspläne auf unterschiedliche Jahre in Lamperts Erzählung und die Tatsache, dass sie durch andere Themen unterbrochen werden, die Glaubwürdigkeit stützen soll, leuchtet nicht völlig ein. Zuletzt stellt die Autorin andere Berichte, die zeitlich nahe liegen und gemeinhin als glaubwürdig eingestuft werden, den Berichten über Königserhebungspläne entgegen. Daher erscheint plausibel, dass die Wahl eines Gegenkönigs bereits seit längerem erwogen wurde, die Opposition also auf frühere Pläne aufbaute und sich nicht erst 1076 mehr oder minder spontan bildete. Zwangsläufig und linear war die Entwicklung hin zur Königswahl Rudolfs deswegen jedoch nicht. Muylkens weist außerdem ausdrücklich darauf hin, dass die Wahl eines neuen Königs gegen den Willen des Papstes geschah, beim apostolischen Stuhl also nicht der Ursprung für die Etablierung eines Gegenkönigtums zu suchen sei. Bei der Beurteilung von Rudolfs tatsächlichem Einflussbereich bezieht die Autorin neben dem König selbst auch die Aktivitäten seiner Anhänger mit ein. Dies kann den Eindruck, dass Rudolfs Machtbasis über Sachsen kaum hinaus ragte, allerdings nur unwesentlich ändern. Die ihm bereits von den Zeitgenossen verliehene Bezeichnung eines rex Saxonum erscheint in diesem Zusammenhang durchaus weiterhin berechtigt. Abschließend kommt Muylkens zu dem Urteil, dass zwischen seinem Herrschaftsanspruch und dem realen Bereich seiner Herrschaft eine „unübersehbare Lücke“ (S. 205) klaffte und schließt sich damit der allgemeinen Forschungsmeinung, die Rudolf als vergleichsweise schwachen König sah, an.

Die Untersuchung Hermanns von Salm fällt, bedingt durch die dünnere Quellenlage, ungleich knapper aus. Muylkens vertritt jedoch entgegen der verbreiteten Forschungsmeinung die Auffassung, dass sein Gegenkönigtum zu Beginn als durchaus erfolgreich eingestuft werden dürfe und sein späteres Scheitern eben nicht von vornherein absehbar war. Vor allem dank der Unterstützung des bayerischen Herzogs Welf IV. konnte Hermann bis zur Rückkehr Heinrichs IV. 1084/85 in weiten Teilen des Reiches als König agieren und dabei auf einen Großteil der vorherigen Gefolgschaft Rudolfs von Rheinfelden zurückgreifen. Muylkens betont, dass es vor allem der Abfall der Sachsen war, der Hermann von Salm letztlich die Möglichkeit für eine Durchsetzung seines Königtums kostete. Wie machtlos Hermann am Ende war, macht die Autorin unter anderem daran fest, dass es schon zu seinen Lebzeiten Pläne für die Erhebung eines Nachfolgers gab. Am Ende kommt sie zu dem Urteil, dass Hermann „als auf der ganzen Linie gescheiterter Mann“ (S. 276) sein Leben beschloss.

In ihrer kurzen Behandlung des Gegenkönigtums von Heinrichs Sohn Konrad legt Muylkens dann ihr Augenmerk vor allem auf dessen Machtbereich. Dabei stellt sie heraus, dass, obwohl Konrad für die Zeit seines Aufstandes beinahe gänzlich auf das italienische Reichsgebiet beschränkt blieb, er seinen Machtanspruch auch im nordalpinen Reich als legitim ansah. Einen tatsächlichen Einfluss auf die Reichsgeschehnisse konnte Konrad jedoch nur stark vereinzelt und auch nur im Süden des Reiches und in Sachsen nehmen.

Das anschließende ähnlich knappe Kapitel über Heinrich V. stellt vor allem dessen Bemühungen um die Kirchenreform und den Papst in den Mittelpunkt. Insbesondere hebt Muylkens hervor, dass die Fürsten während dieses Konflikts mit einer vorher nicht gekannten Eigenständigkeit agierten. Besondere Bedeutung misst sie der Mainzer Wahl von 1106 bei, die Heinrichs Königtum unabhängig von dem seines Vaters etablierte, womit sich die Autorin dem Großteil der jüngeren Forschung anschließt.

Das zweite Großkapitel der Dissertation verortet zunächst die Befunde des vorherigen Kapitels in einem diachronen Längsschnitt durch die Geschichte des mittelalterlichen Gegenkönigtums. Dabei gelingt es Muylkens, das Aufkommen der Reformkirche, den wachsenden Einfluss der Fürsten sowie die nicht realisierten Thronsturzversuche des 10. und frühen 11. Jahrhunderts als wichtige Faktoren herauszuarbeiten, die die spätere Gegenwahl Rudolfs begünstigten. Die Zeit nach der Regierung Heinrichs IV. wird hingegen hauptsächlich ereignisgeschichtlich behandelt und liefert nur in Ansätzen übergreifende Schlussfolgerungen zum Themengebiet ‚Gegenkönigtum‘. Das Ungleichgewicht zwischen beiden Teilen sieht man schon in deren Umfang: Gerade einmal 20 Seiten führen von 1106 bis ins 15. Jahrhundert. Im zweiten Teil kommt die Arbeit in einer terminologischen Annäherung erwartungsgemäß zu dem Schluss, dass es vor allem die Historiker seien, die einen König zum Gegenkönig machen. Sinnvoller wäre, so Muylkens, stattdessen auf ‚doppelte Könige‘ zu verweisen, wie es bereits der Titel der Arbeit tut. Dadurch entginge man dem wertenden Unterton, der dem Begriff des ‚Gegenkönigs‘ innewohnt. Ferner stellt Muylkens heraus, dass insbesondere die zunehmende Gewichtung einer freien Wahl der Fürsten sowie der wachsende päpstliche Einfluss die Herausbildung dieser Doppelkönigtümer entscheidend beeinflussten.

Das umfassende Literatur- und Quellenverzeichnis lässt einzig die schon betagte, aber dennoch nennenswerte Arbeit Oscar Grunds2 zu Rudolf von Rheinfelden vermissen. Die seit dem Abschluss der Dissertationsschrift 2009 erschienene Forschungsliteratur dagegen ist verlässlich nachgepflegt worden.

Abschließend muss man sagen, dass das Versprechen, einen systematischen Beitrag zur Erforschung des mittelalterlichen Gegenkönigtums zu leisten, nur bedingt erfüllt wird. Dafür sind die kurzen, fast anhangartigen Ausführungen des zweiten Teiles zu dünn, vor allem jene, die sich auf das 12. bis 15. Jahrhundert beziehen. Eine systematisch vergleichende Anlage dieses Kapitels wäre hier vielleicht gewinnträchtiger gewesen. Einen wertvollen Beitrag leistet die Arbeit dagegen als Personalstudie zu Rudolf von Rheinfelden und Hermann von Salm. Hier hat Muylkens solide Grundlagen für zukünftige Untersuchungen geschaffen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa die skeptische Haltung bei Gerd Althoff, Heinrich IV., 2. Aufl., Darmstadt 2008, S. 103f.
2 Oscar Grund, Die Wahl Rudolfs von Rheinfelden zum Gegenkönig, Leipzig 1870.