Die Niederlande und England als Seemächte im 17. Jahrhundert

: Die Englisch-Niederländischen Seekriege. . Köln 2013 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3205794707 375 S. € 35,00

Bruijn, Jaap R.; Prud'homme van Reine, Ronald; van Hövell tot Westerflier, Rolof (Hrsg.): De Ruyter. Dutch Admiral. Zutphen 2012 : Karwansaray Publishers, ISBN 978-94-90258-03-0 260 S. € 66,07

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Querengässer, Leipzig

Während des Dreißigjährigen Krieges gelang es den sieben nördlichen niederländischen Provinzen, endgültig ihre Unabhängigkeit von Spanien zu festigen. Als diese 1648 im Westfälischen Frieden offiziell anerkannt wurde, erlebten die Generalstaaten eine bereits vier Jahrzehnte andauernde Phase der politischen, kulturellen, militärischen und vor allem wirtschaftlichen Blüte. Niederländische Kaufleute und Seemänner beherrschten den Welthandel. England hingegen steckte immer noch tief in den blutigen Wirren eines Bürgerkrieges, aus dem schließlich mit Oliver Cromwell einer der ersten „Diktatoren“ der neueren europäischen Geschichte hervorgehen sollte. Nachdem Cromwell die innenpolitischen Konfliktherde eingedämmt hatte, richtete sich sein Blick nach außen. Mit großem Aufwand vergrößerte und modernisierte er die englische Flotte und provozierte den Ersten Englisch-Niederländischen Seekrieg (1652-1654). England gewann den Krieg und verlor den Frieden, denn die Generalstaaten konnten mit Mühe ihre wirtschaftliche Vormacht aufrechterhalten. Doch das Wettrüsten zwischen beiden Nationen setzte sich fort, in England unter dem 1660 restaurierten Stuart-König Charles II. und in den Niederlanden unter dem mächtigen Ratspensionär Johann de Witt. Von 1665 bis 1667 und von 1672 bis 1674 tobten zwei weitere gewaltige Kriege mit Segelschiffsflotten, wie sie nie zuvor oder danach wieder gesehen wurden. Ihr Ende bedeutete zwar noch nicht den endgültigen Aufstieg Englands zur dominierenden Seemacht der Welt, läutete aber das Ende des niederländischen Goldenen Zeitalters ein.

In der deutschsprachigen Literatur gibt es keine größeren Arbeiten zu den genannten Seekriegen. Doch nun ist eine Gesamtdarstellung aus der Feder des österreichischen Historikers Robert Rebitsch erschienen. In den Niederlanden genießt das Thema traditionellerweise ein sehr breites Interesse. Der biografische Ansatz hat auch hier zuletzt wieder Boden gut gemacht und zeigt auch der deutschen Forschung neue, wichtige Perspektiven auf. Daher sollen im Folgenden Rebitschs Synthese und ein neuer Aufsatzband zur Biographie eines der zentralen Akteure der genannten Seekriege gemeinsam vorgestellt werden.

Rebitschs Arbeit verfolgt nicht den Zweck, eine neue, aktengesättigte Studie abzuliefern. Stattdessen möchte der Autor eine kompakte Darstellung auf der Basis der niederländischen und englischen Forschung vorlegen. Und dies gelingt ihm ausgezeichnet. Rebitschs Buch ist keine klassische Operationsgeschichte. Nahezu zwei Drittel widmen sich einem Vergleich der politischen Systeme, der Bedeutung der Konfessionen sowie den ökonomischen und militärischen Rahmenbedingungen. Rebitsch skizziert die Geschichte beider Länder seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert bis zum Beginn des Ersten Englisch-Niederländischen Seekrieges. Am Vorabend dieses Konflikts standen die oligarchischen Niederlande, die eine Hegemonie im transatlantischen Seehandel errungen hatten, einer englischen Diktatur gegenüber, die eine innenpolitische und wirtschaftliche Krise durch einen neuen Krieg zu kaschieren gedachte. Doch darüber hinaus befand sich England auch in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nahm die Produktivität in der Landwirtschaft zu, so dass Arbeitskräfte für den sekundären Sektor frei wurden.

Rebitsch betreibt Ursachenanalyse und positioniert sich zu den Ergebnissen der internationalen Forschung, ehe er eine gut lesbare Überblicksdarstellung über die Kriegsereignisse gibt. Dabei fokussiert er auf die großen Schlachten im Ärmelkanal, lässt aber auch die Nebenkriegsschauplätze Afrika, Amerika, Indien und das europäische Festland nicht aus dem Blick. Aus Sicht der jüngeren Forschung kommt das Kapitel über die Erinnerungskultur vielleicht etwas kurz weg (10 Seiten). Ein weiteres kleines Manko besteht darin, dass das Buch lediglich zwei Abbildungen bietet, was deswegen problematisch ist, weil Rebitsch zu Recht auf die Bedeutung der Seestücke der Van de Veldes, Beerstraten, Schellinks oder van Leyden für die Erinnerungskultur dieser Kriege verweist. Insofern ist es schade, dass der Verlag nur zwei kaum zu erkennende schwarz-weiße Reproduktionen dieser Meisterwerke in den Text gesetzt hat, anstatt ihnen eine etwas größere Bildstrecke einzuräumen.

Unter dem Strich genügt der Autor jedoch seinem eigenen Anspruch, ein fundiertes, wissenschaftlich nutzbares Grundlagenwerk zu verfassen, vollauf. Gleichzeitig liefert das Buch dank seiner übersichtlichen Struktur ein gutes Beispiel für moderne Kriegsdarstellung, die klassische Operations- und Politikgeschichten um Facetten der Wirtschafts- und Sozialgeschichte bereichert.

Der große niederländische Held dieser Epoche war Michiel Adriaenszoon de Ruyter. Der Sohn eines Brauknechts verdingte sich in jungen Jahren zunächst als Schiffsjunge, ehe er einige Jahre im Heer Moritz von Oraniens diente. 1640 nahm er an einer niederländischen Expedition zur Unterstützung des portugiesischen Aufstands gegen Spanien teil. Doch erst mit dem Ersten Englisch-Niederländischen Seekrieg trat er dauerhaft in die Flotte ein und wurde zum wohl berühmtesten maritimen Militär des 17. Jahrhunderts. De Ruyters Leben ist der Sammelband „De Ruyter – Dutch Admiral“ von Jaap R. Bruijn, Ronald Prud‘homme van Reine und Rolof yan Hövvel tot Westerflier gewidmet (Rebitschs Werk stützt sich übrigens bereits auch auf diese Arbeit). Von Bruijn stammt auch der erste Aufsatz, der einen Überblick über die Niederlande des 17. Jahrhunderts gibt und die Stärken von Handels- und Kriegsflotte erklärt. Prud‘homme van Reine, der sich bereits 1996 ausführlich mit de Ruyter beschäftigte1, analysiert daraufhin die erste bedeutende Biographie de Ruyters. Diese erschien um 1681 und wurde vermutlich auf Betreiben Engel de Ruyters, des jüngsten Sohns des Admirals, in Auftrag gegeben. Der Autor skizziert die Entstehung des Werkes und wirft dann einen kritischen Blick auf verschiedene inhaltliche Aspekte, da der Verfasser der Biographie Gerard Brand viele Anekdoten über den Admiral unkritisch übernommen hatte. Außerdem nutzte er, wie viele Autoren des 17. Jahrhunderts, die Technik, wenig glaubwürdige Kindheits- und Jugendgeschichten aus de Ruyters Leben als Belege für seine späteren Charaktereigenschaften heranzuziehen.

Eine große Bedrohung für den Levantehandel der Niederländer stellten die nordafrikanischen Barbaresken-Piraten dar, gegen die de Ruyter mehrmals mit einem Geschwader ausgeschickt wurde. Diesem Lebensabschnitt ist der Beitrag von Karim Bejjit gewidmet. Sein Aufsatz bleibt jedoch an der Oberfläche und geht nur im letzten Drittel wirklich auf de Ruyters Zusammentreffen mit den Barbareskenfürsten ein. Wesentlich gelungener ist dagegen der folgende Aufsatz von Jan Glete über die Niederlande als Seemacht. Glete analysiert die Stärke der holländischen Armee und Flotte und vergleicht diese mit anderen europäischen Großmächten. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Niederländer zwar in absoluten Zahlen, gerade in der Heeresstärke, nicht mit Frankreich oder Spanien mithalten konnten, prozentual zur Bevölkerung gesehen jedoch außerordentliche hohe Rüstungsanstrengungen unternahmen. Als Ergänzung hierzu kann auch der fünfte Beitrag von John B. Hattendorf angesehen werden, der die bedeutenden Marinen des 17. Jahrhunderts in Bezug auf Stärke, Tonnage und Taktik analysiert. Sein Fokus liegt dabei vor allem im Vergleich der niederländischen und englischen Marine in den drei Seekriegen.

David Davis versucht sich daran anschließend mit einer Analyse der englischen Sichtweise auf den großen Feind de Ruyter. Die erste englischsprachige Biographie des Admirals erschien bereits ein Jahr nach dessen Tod. Davis verdeutlicht, dass de Ruyter als ein fast archaisch ritterlicher Gegner begriffen und verehrt wurde. Dies gelang vor allem dadurch, dass man seinen bedeutenden Vorstoß die Themse hinauf im Jahr 1667 in den retrospektiven Betrachtungen ausklammerte und weil es der englischen Marine an ähnlich charismatischen Heldenfiguren fehlte.

Die folgenden, durchaus gelungen Beiträge von Nils M. Probst und Henk den Heijer beschäftigen sich mit zwei militärischen Einsätzen des Admirals, zum einen mit der Expedition zur Unterstützung Dänemarks gegen Schweden 1656–1658 und zum anderen mit seiner Kreuzfahrt von Nordafrika zur Goldküste, in die Karibik, Nordamerika und zurück in die Nordsee in den Jahren 1664 und 1665. Michel Vergé-Franceschi analysiert dann den letzten Zug des Admirals zur Unterstützung der Spanier gegen die maritim erstarkenden Franzosen im Mittelmeer 1676. Hier wurde de Ruyter in der Schlacht bei Agosta tödlich verwundet. Franceschi zeichnet nicht nur ein Bild dieses letzten Einsatzes, sondern auch von de Ruyters Gegner Admiral Abraham Duquesne. Trotz seines protestantischen Glaubensbekenntnisses hatte dieser es zu einem der wichtigsten Admirale Ludwigs XIV. gebracht und kommandierte in diesem Krieg die französische Mittelmeerflotte. Lebensbilder bestimmen auch das zehnte Kapitel, in welchem Jaap Bruijn sich mit den Flaggoffizieren de Ruyters auseinandersetzt, sowohl mit jenen Admiralen, unter denen er diente, wie Marten Tromp, als auch seinen eigenen wichtigen Offizieren, wozu nicht zuletzt die streitbare Figur des Cornelis Tromp (Sohn von Marten Tromp) zählt.

Ein letzter kulturgeschichtlich sehr gelungener Beitrag von van Reine untersucht die Portraits des Admirals. Der Autor geht nicht nur auf den Entstehungskontext ein, sondern analysiert jedes Bild sehr genau. Er kommt zu dem erstaunlichen Schluss, dass von keinem Admiral dieser Zeit, außer Cornelis Tromp, so viele Portraits vorliegen wie von de Ruyter. Dies gilt, obwohl er in dieser Hinsicht bisher als scheu wahrgenommen wurde. Bemerkenswert in dieser Analyse, der die jeweils besprochenen Bilder alle in sehr guter Qualität beigefügt sind, ist der Umstand, dass der Leser sehr gut die körperliche Entwicklung des Admirals verfolgen kann (er wurde zwischen 1660 und 1676 merklich korpulenter).

Es ist der Vorteil eines Sammelbandes, dass er bestimmte Phänomene und Prozesse gründlicher beleuchten kann als eine Monographie. Neben der in der Einleitung postulierten Einordnung des Admirals in die gesamteuropäische politische und Kulturgeschichte der Zeit präsentiert uns der Band – und dies ist wichtig hervorzuheben – auch elf sehr gelungene Aufsätze zu bestimmten Aspekten einer konkreten Persönlichkeit. Darüber hinaus liefert er wertvolle Erkenntnisse zur westeuropäischen Militärgeschichte im 17. Jahrhundert.

Beide Bücher sind als gelungene Beiträge zur Geschichte der englisch-niederländischen Seekriege einzuschätzen, denn sie richten ihren Blick weit über die großen Seeschlachten im Ärmelkanal hinaus. In ihrer Kombination von strukturgeschichtlich orientierter Synthese und akteurszentrierter Kontextanalyse bieten sie sich als aktueller und wissenschaftlich zeitgemäßer Einstieg in das Themenfeld sehr an.

Anmerkung:
1 Ronald Prud‘homme van Reine, Rechterhand van Nederland. Biografie van Michiel Adriaanszoon de Ruyter, Amsterdam 1996.

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