C. Bastian u.a. (Hrsg.): Das Geschlecht der Diplomatie

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Titel
Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert


Herausgeber
Bastian, Corina; Dade, Eva Kathrin; Thiessen, Hillard; Windler, Christian
Reihe
Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven 5
Erschienen
Köln 2014: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
316 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Kessel, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Der vorliegende Sammelband geht der Frage nach, welche Handlungsspielräume Frauen in diplomatischen Außenbeziehungen hatten, einem Bereich, der bis heute als ‚hohe Politik’ gilt. Hervorgegangen aus einer Tagung zur frühen Neuzeit an der Universität Bern, schlagen die Beiträge nun den Bogen von den höfischen Gesellschaften des Spätmittelalters bis zum Staat des 20. Jahrhunderts. Sie bestätigen auf differenzierte Weise zentrale Thesen der Geschlechterforschung: so die Überlegung, dass Möglichkeiten für politisches Handeln in vormodernen höfisch-dynastischen Kontexten von ständischer Zugehörigkeit und der Nähe zum Herrscher und erst in der Folge durch die Kategorie Geschlecht geprägt waren, sodass adlige Frauen selbstverständlich und wirksam Politik machten, auch wenn sie von diplomatischen Ämtern ausgeschlossen waren; zweitens die Annahme, dass die Ausbildung (früh)moderner Staatlichkeit mit ihren Professionalisierungs- und Bürokratisierungsprozessen die Handlungsmöglichkeiten für Männer und Frauen grundlegend hierarchisierte; sowie drittens die Erkenntnis, dass Frauen in modernen Gesellschaften systematisch dann größere Partizipationschancen hatten, wenn es sich um neue Politiken, als marginal angesehene Räume und Funktionen, um noch nicht durchgängig professionalisierte Prozesse oder um neue Vernetzungsformen jenseits nationalstaatlicher Verwaltungen handelte.

Vernetzt und politisch agierten alle hier beschriebenen Frauen der Oberschichten. Doch galt dies nur dann als selbstverständlich, wenn Außenbeziehungen dynastisch, über politische Haushalte und familienbasierte Höfe organisiert waren, aber in dem Maße als inakzeptabel, in dem staatliche Instanzen beanspruchten, Außenpolitik zu machen. So nutzten Raphaela Averkorn zufolge hochadlige Frauen in den frontier-Gesellschaften der iberischen Halbinsel des 13. und 14. Jahrhunderts die Handlungsspielräume, die sie qua Herkunft, Bildung und dynastischen Aufgaben hatten, indem sie als Teil eines Arbeitspaares mit Ehemännern oder Geliebten und mit Hilfe ausgedehnter dynastischer Netzwerke Kriege oder territoriale Expansionen organisierten und Verträge abschlossen. Den politisch-strategischen Charakter personeller und kommunikativer Vernetzung betonen auch die übrigen Beiträge über höfische Gesellschaften, so von Katrin Keller und Julia Schwarz, wobei Frauen als Regentin, Herrschergattin, Mutter, Mätresse, Hofdame oder Kammerfrau unterschiedliche und unterschiedlich klar umrissene Funktionsstellen innehatten, in denen sie in ‚inter’- und ‚transnationalen’ Konstellationen Informationen vermittelten, informelle Verhandlungen zwischen männlichen Akteuren ermöglichten, nicht zuletzt weil diese die Gefahr des Ehrverlustes minimierten, oder Heiratsverhandlungen managten. Doch konnten auch in der Vormoderne unübersichtliche Verhältnisse den Spielraum vergrößern, während die zunehmende Professionalisierung (die allerdings vornehmlich in den Beiträgen über das 20. Jahrhundert konkret beschrieben wird) politisches Handeln von Frauen nicht automatisch reduzierte, sondern in Einzelfällen nur veränderte. So arbeiteten adlige Hugenottinnen des 16. Jahrhunderts dann stärker mit dem König oder seinen Amtsträgern zusammen und stützten sich gleichzeitig zunehmend auf ihre eigenen Netzwerke, wie Jane Couchman notiert, während schwedische Adelsfrauen Svante Norrhem zufolge im späten 17. Jahrhundert zumindest anfänglich sogar stärker in diplomatische Kontakte eingebunden waren, weil Gesandte nun länger und mit Familie im Ausland residierten, sodass Kontakte zwischen den Haushalten zunahmen. Erst als die noch im frühen 18. Jahrhundert geltende Normenvielfalt westeuropäischer Gesellschaften mit ihrem Nebeneinander von höfischer und bürokratischer Diplomatie gegen Ende des Jahrhunderts einer (Normen)Hierarchie wich, galten, wie Corina Bastian, Eva Dade und Eva Ott notieren, personale politische Praktiken zunehmend als „irregulär“.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass einige Beiträge über das 19. Jahrhundert primär die symbolische Bedeutung von Geschlecht diskutieren, ohne dass der Band diese Verschiebung jedoch systematisch diskutiert. Sowohl Birte Förster in ihrem Beitrag zur medialen Konstruktion des Königin-Luise-Mythos als auch Norman Domeier in seiner Analyse des Eulenberg-Skandals bestätigen den engen Zusammenhang zwischen zeitgenössischen Symboliken von Nation, staatlicher Macht und Geschlecht im 19. Jahrhundert, wobei die Konstruktion der Herrschergattin als ‚stark’ und die Verfemung von international ausgleichs- statt kriegsorientierten Politikern als ‚homosexuell’ jeweils dazu diente, verschiedene Männlichkeitskonstrukte zu hierarchisieren. Das führt zu der Frage, ob die Bedeutung der Kategorie Geschlecht als symbolischem System in der Moderne systematisch relevanter wurde, um Politik generell als ‚männlich’ zu besetzen, aber nur spezifische Verhaltensweisen als ‚männlich’ zulassen zu wollen. Die Vielfalt des für Frauen auch im 19. Jahrhundert situativ Möglichen entfaltet dagegen Ellinor Schweighöfer am Beispiel der Bürgerstadt Frankfurt am Main während des Deutschen Bundes, denn trotz der nun rigiden normativen Definition von Weiblichkeit als ‚privat’ waren manche Handlungsoptionen von Oberschichtfrauen weiterhin so standardisiert, dass sie als Teil des Öffentlich-Politischen fungierten. Die Revolutionsanhängerin Clotide Koch konnte sogar, auf den Status ihrer Herkunftsfamilie statt den ihres Mannes gestützt, auf diplomatisch-gesellschaftlichen Anlässen Politik für Heinrich von Gagern machen und in dieser Rolle, also nicht nur als Gattin eines Diplomaten, mit ausländischen Vertretern interagieren.

Es wäre interessant zu prüfen, ob sie im Zeitraum nach 1848 Nachfolgerinnen hatte, als postrevolutionäre Eliten (Außen)Politik noch nachhaltiger über Geschlecht als soziale Achse und symbolisches System organisierten. In der räumlichen und funktionalen Ausdifferenzierung von Außenbeziehungen im 20. Jahrhundert jedenfalls akzeptierten die klassischen europäischen Großmächte Madeleine Herren zufolge Frauen als Diplomatinnen deutlich später als bis dato peripher beschriebene Räume oder neue Strukturen wie der Völkerbund. Dass ihr politisches Handeln auch jetzt soziales, kulturelles oder wirtschaftliches Kapital voraussetzte, bestätigt Herren insofern, als die Neukalibrierung internationaler Politik in den zwanziger Jahren vor allem adligen oder großbürgerlichen, international oder höfisch ausgebildeten Frauen Chancen für grenzüberschreitende Tätigkeiten bot. In einem mitreißenden Essay analysiert Susanne Schattenberg die mitunter komischen, meist aber anstrengenden Untiefen, denen die erste offizielle, sowjetische Diplomatin Aleksandra Kollontaj im Schweden und Norwegen der zwanziger bis vierziger Jahre in Sachen Dresscode, Besuchshierarchien und Einladungsritualen begegnete. In einem revolutionären Kontext zur Diplomatin ernannt, reüssierte Kollontaj Schattenberg zufolge diplomatisch deshalb, weil sie aufgrund adliger Herkunft und höfischer Erziehung das Protokoll als diplomatische Einheits- und Kunstsprache mit seinen standardisierten Verhaltensformen beherrschte oder sich elegant zu helfen wusste. Hier zeigte sich die Dauerhaftigkeit eines parallel zur Professionalisierung erhaltenen, in höfischen wie großbürgerlichen Kontexten strukturell ähnlichen diplomatischen Zeichensystems, mit dessen Hilfe politische Gegner zu Vertragsabschlüssen gelangten (mit etwas Nachhilfeunterricht für die neue politische Elite in Moskau) und sich sogar der in der Moderne ideologisch verabsolutierte Geschlechterunterschied nivellieren ließ - sofern das jeweilige Protokoll entschied, die Frau als ‚Mann’ zu behandeln, also ihre professionelle Funktion anzuerkennen, statt sie auf das Geschlecht zu reduzieren.

Von Anfang bis Ende gelesen, vermittelt der Band einen empirisch dichten, anregenden Überblick über die Ursachen und Bedingungen struktureller Handlungsoptionen wie Einschränkungen für Frauen in den Außenbeziehungen systemisch anders verfasster Gesellschaften. Deutlich wird ganz nebenbei auch, wie intensiv die Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts daran mitarbeitete, politisches Handeln hochadliger Frauen in der Vormoderne als ‚unpolitisch’ darzustellen, um sie umso nachhaltiger in einer Moderne ausblenden zu können, deren Normen Weiblichkeit und Politik antithetisch setzten. Statt jedoch immer neu zu konstatieren, dass die seit dem 18. Jahrhundert forcierte normative Dichotomie ‚privat-öffentlich’ für die Vormoderne nicht gelte und Geschlecht als Kategorie in vormodernen Gesellschaften weniger wichtig gewesen sei als Stand, dynastische Rolle und Nähe zum Herrscher, hätte die Thesenbildung mit Blick auf einen Epochenvergleich noch deutlicher zugespitzt werden können. Die immer neu geäußerte These, dass die Entwicklung des (früh)modernen Staates mit Verrechtlichung und Bürokratisierung die Handlungsoptionen für Frauen reduziert habe, legt es außerdem nahe, den Blick zu wenden und nicht nur zu diskutieren, welche Auswirkung die Entwicklung von Staatlichkeit auf die Definition von Geschlecht und die Handlungsoptionen für Männer und Frauen hatte, sondern umgekehrt zu fragen, welche Rolle die Definition der Kategorie Geschlecht denn spielte, um staatliche Strukturen so zu prägen, dass diese Hierarchisierung eintrat. Für diese Fragen aber bietet der durchdachte Band eine gute Ausgangsbasis, indem er zeigt, welchen Mehrwert an Erkenntnis eine reflektierte Frauengeschichte für die Analyse des Politischen bringen kann.

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