B. Bachrach: Charlemagne's Early Campaigns

Titel
Charlemagne's Early Campaigns (768–777). A Diplomatic and Military Analysis


Autor(en)
Bachrach, Bernard
Reihe
History of Warfare 82
Erschienen
Anzahl Seiten
768 S.
Preis
€ 218
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philippe Depreux, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Etwa 650 Seiten über weniger als zehn Jahre Kämpfe und diplomatisches Handeln sind eine Herausforderung sowohl für den Schreiber als auch für den Leser. Ohne Zweifel ist die Untersuchung Bernard S. Bachrachs zu den ersten Jahren der Regierungszeit Karls des Großen ein Monument der Gelehrsamkeit, aber sie ist auch mühsam zu lesen, denn es geht dem Autor nicht in erster Linie darum, eine Synthese zum jungen Karl als Stratege und Diplomat vorzulegen. Mit diesem Buch betont Bachrach vielmehr aufs Neue seine in mehreren Büchern dargelegte These1 eines Fortlebens der antiken Tradition anhand von zahlreichen Einzeluntersuchungen (d. h. anhand von Einzelbeobachtungen und vielen daraus hervorgehenden Vermutungen) und ohne Scheu vor Wiederholungen innerhalb des Buches.

In einer über 100 Seiten langen Einleitung lässt Bachrach fast alle relevanten Themen der Militär-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte (mit manchen Wiederholungen) Revue passieren. Im ersten Kapitel wird das (schlechte) Verhältnis zwischen Karl und seinen Bruder Karlmann dargestellt. Die neun folgenden Kapitel behandeln in chronologischer Reihenfolge die Eroberung Italiens und Sachsens Schritt für Schritt – mit vielen Rückbezügen auf frühere Kriegszüge unter Pippin III., dessen Handeln als Maßstab genommen wird. Etwas verwirrend wirkt der Titel des letzten Kapitels („The ‚End’ of Saxon War“), auch wenn das „Ende“ des Sachsenkrieges mit Anführungszeichen versehen ist, denn die große Offensive im Jahr 776 beschließt zwar den Band, aber der Sieg Karls war keineswegs endgültig.

Das Buch ist mit vielen Fußnoten versehen und enthält viele wertvolle Literaturangaben. Deswegen ist es verwunderlich, dass im Bereich der Angliederung Sachsens an das fränkische Reich manche wichtigen Publikationen nicht berücksichtigt wurden.2 Vor allem eines ist sehr enttäuschend: die mangelnde Sorgfalt in der redaktionellen Bearbeitung der Fußnoten und Literaturangaben. Es sei z.B. Matthew Innes genannt, der mehrmals unter dem Namen „Innis“ auftaucht, mal mit dem richtigen Vornamen (beispielsweise S. 24 mit Anm. 81, Literaturverzeichnis S. 670), mal in „Michael“ umbenannt (beispielsweise S. 25 mit Anm. 83, S. 93 mit Anm. 348). Bei dem stolzen Preis von über 200 Euro könnte man Besseres erwarten. Doch auch aus anderen Gründen ist dieses Buch problematisch.

Der Haupttenor des Buches lautet, dass nicht nur der kulturelle Rahmen seit der Antike unverändert geblieben sei, denn Karl der Große und seine Berater hätten beispielsweise Cäsar und Ammianus Marcellinus ganz selbstverständlich gelesen, sondern dass sich auch die Gegebenheiten seit der Antike kaum geändert hätten. Aus dieser Prämisse geht hervor, dass man davon ausgehen soll, das Heer Karls des Großen habe nicht schlechter als die römischen Truppen im Gallischen Krieg gehandelt (S. 68f.). Diese von Bachrach postulierte starke Kontinuität zwischen Antike und Frühmittelalter führt den Autor zu einer sehr positiven Einschätzung der frühmittelalterlichen Leistungen, als hätte es keine Alternative gegeben. Dies wird beispielsweise in Hinblick auf den Fortbestand des cursus publicus deutlich. Bachrach geht davon aus, dass man sich überall im fränkischen Reich sehr schnell bewegen konnte, dass die Straßen entsprechend der Verfügungen im Codex Theodosianus weiterhin gut gepflegt wurden. Er beruft sich dabei auf Publikationen zur Antike und zu stark romanisierten Regionen im Frühmittelalter (S. 21–23). Wie ist es aber in Sachsen gewesen, wohin Karl der Große ab 772 jährlich zog?

In manchen Punkten sind Bachrachs Äußerungen so pauschal, dass sie seiner Argumentation schaden. Dies gilt etwa für die Durchsetzung des königlichen Willens bis in die lokale Ebene: Wie konnte eine Entscheidung, die während einer Reichsversammlung getroffen beziehungsweise angekündigt wurde, in den jeweiligen pagi umgesetzt werden? Wichtige – aber schwer zu deutende – Quellen dazu sind die Kapitularien. Es ist meines Erachtens nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund heute darüber Konsens bestünde, dass „the pessimists‘ arguments are untenable regarding the efficacy of Charlemagne’s capitularies in having the royal will enforced at the local level“ (S. 25). Dabei werden die „pessimistischen“ Historiker, die Zweifel an der Durchsetzung der in den Kapitularien formulierten Anweisungen haben, nicht namentlich genannt. Als übereinstimmend mit seiner positiven Einschätzung nennt Bachrach Matthew Innes (alias Innis) und Stuart Airlie. Die Debatte wird nur beiläufig erwähnt und nicht eingehend diskutiert, obwohl die Frage um die Effizienz der königlichen Entscheidungen für die Durchsetzung der Entscheidungen im militärischen Bereich durchaus von Belang ist.

Die Behauptung, bei den Mitgliedern der Aristokratie, die „in the service of the state“ (S. 25) gewesen seien, herrsche eine „bureaucratic mentality“ (ebd.), entspricht einer Auffassung, die zwar in den 80er- und 90er- Jahren des vergangenen Jahrhunderts von berühmten Mediävisten vertreten wurde3, die heute aber in dieser Form kaum noch jemanden überzeugt. Es ist meines Erachtens nicht möglich, Bachrach in seinen Schlussfolgerungen zuzustimmen, denn er gestattet sich zu viel Freiheit in der Deutung der sehr spärlichen Informationen, die in den Quellen vorliegen. So sei z.B. auf eine sehr wichtige, im Buch immer wieder erwähnte Struktur hingewiesen: das sogenannte „Magistratus“ (es ist auch von „General Staff“, beispielsweise S. 60, die Rede). Bachrach möchte seine Leser davon überzeugen, dass die Karolinger dieses Wort im Sinne eines Generalstabes wie in neuerer Zeit benutzt haben: „At the heart of Charlemagne’s military administration were the various bureaux of the central government. From a military perspective the most important of these was the Magistratus, Charlemagne’s `General Staff` which meticulously planned all offensive military operations based upon the extensive gathering of intelligence regarding the enemies and would be enemies of the Carolingians“ (S. 650). Dies ist aber falsch: Abgesehen davon, dass Karl der Große weder Wilhelm II. noch Eisenhower war, ist in den Kapitularien das Wort magistratus nur einmal – in einem völlig anderem Kontext – belegt; in Hinkmars „De ordine palatii“, wo „its specific functions are described“ (so die Behauptung S. 60), taucht das Wort gar nicht auf. Was an der angegebenen Stelle von Hinkmar beschrieben wird, ist die Besprechung der politischen Anliegen im Kreis der engeren Berater während der kleineren „Optimatenversammlung“ im Gegensatz zu der großen Reichsversammlung. Darüber hinaus wird von Bachrach vermutet, dass die als „Magistratus“ bezeichnete „Institution“ von Pippin II. gegen Ende des 7. Jahrhunderts ins Leben gerufen worden sei. Der Beleg dafür ist ein Verweis auf eine frühere Publikation Bachrachs.4 Dort wird auf eine Stelle der Annales Mettenses priores hingewiesen, wo tatsächlich das Wort magistratus zu lesen ist – ein Begriff, der in merowingischen Quellenzeugnissen unbekannt war.5 Bei genauer Lektüre der Quelle muss aber betont werden, dass es dort kaum um eine Art „military planning group“ geht, wie Bachrach meint (ebd. S. 350), sondern um politische Berater, die Pippin dazu ermuntern, im Reich wieder Frieden und Ordnung herzustellen. Dem im frühen 9. Jahrhundert schreibenden Annalisten nach wollte Pippin II. zu den Waffen greifen, um die miseri und spoliati zu schützen; gestärkt von diesem Rat rief er das Heer zusammen.

Auch die Schätzung der Größenordnungen bei einer Mobilmachung (so z. B. die Argumentation basierend auf der Fläche einer zu erobernden Stadt, vgl. S. 96) ist eher eine Glaubensfrage als eine Frage, die für die hier behandelte Zeit mit gut nachweisbaren Zahlen zu beantworten ist. Doch an der Realität seiner Einschätzungen scheint Bachrach keine Zweifel zu haben: Groß war das Heer des Königs. Dies prägt die Art und Weise, wie er die Quellen deutet. So sei beispielsweise der Autor der überarbeiteten Fassung der Annales regni Francorum anderer Meinung als sein Vorgänger gewesen, was die Größe des Heeres während des Feldzuges von 769 nach Aquitanien betrifft: Er spricht von einem exercitus, während im Originaltext von einer kleinen Einheit die Rede ist (cum paucis Francis; siehe S. 116 mit Anm. 37). Es ist kaum möglich, aus den Quellen eine Größenordnung zu gewinnen: Was meint ein mittelalterlicher Autor, wenn er statt eines normalen exercitus von einen „großen“ exercitus spricht? Heißt das umgekehrt, dass ein „kleiner“ exercitus nicht vorstellbar ist? Dies bedürfte eines Beweises.

Mehrmals hat der Leser den unangenehmen Eindruck, Bachrach wisse mehr, als aus den Quellen hervorgeht. Für seine Argumentation ist es z.B. wichtig zu zeigen, dass im Jahr 769 Karlmann die Lage in den Alpen gut im Griff hatte. Deswegen behauptet Bachrach, dass der König den Abt von Novalesa zu sich bestellt habe, um ihm eine wichtige Schenkung zu machen und ihn dadurch an sich zu binden (S. 147). Leider steht in der Urkunde (d. h. in dem von Bachrach als einzige Quelle genannten Beleg) nichts anderes als eine ganz klassische Formulierung, wonach das Dokument auf Bitten des Empfängers ausgestellt wurde. Wer tatsächlich die Initiative ergriffen hat, ist der Fantasie des Lesers überlassen.

Bachrach geht schließlich am Ende seines Buchs davon aus, dass Karl der Große in den 70er-Jahren des 8. Jahrhunderts ganz Sachsen beschreiben und „kartographieren“ ließ (S. 577–582). Bis auf eine Übersichtskarte verzichtet der Autor jedoch auf jede weitere Karte und begnügt sich mit „word maps“ (S. XVII). Der Zugriff auf moderne Darstellungsmöglichkeiten zur Verdeutlichung der strategischen Entscheidungen der Frankenkönige hätte die Nutzbarkeit dieses Buches, das an die Tradition der Jahrbücher des Fränkischen Reiches unter Karl dem Großen anknüpft, gesteigert, denn Karten sind für das Verständnis von Routen und strategischen Entscheidungen besonders nützlich. Dies gilt auch für das Verständnis einer Geschichte der politischen Ereignisse.

Anmerkungen:
1 Bernard S. Bachrach, Merovingian military organization 481–751, Minneapolis 1972; ders., Armies and Politics in the Early Medieval West Aldershot 1993; ders., Early Carolingian Warfare. Prelude to Empire, Philadelphia 2001.
2 So beispielsweise Caspar Ehlers, Die Integration Sachsens in das fränkische Reich (751–1024), Göttingen 2007.
3 Als wichtigster Vertreter dieser Ansicht sei Karl Ferdinand Werner genannt.
4 Bernard S. Bachrach, Charlemagne and the Carolingian general staff, in: The Journal of Military History 66 (2002), S. 313–357.
5 Vgl. Paul Fouracre / Richard A. Gerberding, Late Merovingian France. History and Hagiography 640–710, Manchester 1996, S. 356, Anm. 140.

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