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Titel
Die Karolinger. Herrscher und Reich


Autor(en)
Ubl, Karl
Erschienen
München 2014: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S
Preis
€ 8,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Hageneier, Historisches Seminar, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Das hier anzuzeigende Buch des Kölner Ordinarius Karl Ubl ergänzt die Sparte „Beck Wissen“ der Beck’schen Reihe um einen weiteren dynastiegeschichtlich ausgerichteten Titel und schließt somit die Lücke zwischen den Darstellungen der Merowinger und der Ottonen.1

In der Lehre haben sich sowohl für Studierende als auch Dozierende die bislang erschienenen Bände durchaus bewährt, indem sie in überschaubarem Umfang die mittelalterliche (Reichs-)Geschichte kompakt und zuverlässig aufbereiten und so einen ersten Orientierungsfaden für das weitere Studium darstellen.

Daher ist auch die jüngste Erscheinung dahingehend zu befragen, inwiefern sie solche Ziele erreicht und die entsprechenden Erwartungen des Zielpublikums erfüllt. Denn selbstverständlich kann und soll es kaum Sinn oder Zweck solcher Publikationen sein, den Text mit der Ausbreitung spezieller Forschungsfragen zu belasten oder gar den Leser mit überbordender Thesenfreudigkeit zu verunsichern. Ubls Darstellung der Karolingerzeit ist in diesem Sinne als vollauf geglückt und uneingeschränkt empfehlenswert zu bezeichnen.

Abgesehen von der Einleitung und dem Epilog werden in fünf Abschnitten die wichtigsten Ereignisse und Zusammenhänge der Geschichte des karolingischen Frankenreiches dargeboten. Ein erster Schwerpunkt liegt erwartungsgemäß auf der Zeit Pippins des Jüngeren, des sogenannten Dynastiewechsels von 751 und dem Bündnis des jungen karolingischen Königtums mit dem Papsttum (S. 23–39). Ubl schenkt für diesen Zeitraum kirchlichen und allgemein kulturellen Aspekten deutlich mehr Aufmerksamkeit als den politischen Vorkommnissen und deren Zustandekommen. Ausführlich wird das sogenannte Concilium Germanicum sowie generell das Reformbestreben des Bonifatius thematisiert. „Hierarchisierung und Homogenisierung“ (S. 25) der Kirche und damit der Gesellschaft hätten das Denken und Handeln des angelsächsischen Missionars bei seinem engen Zusammenwirken mit dem Papsttum im Kern geleitet, eine Zielsetzung, die Ubl auch allen karolingischen Herrschern und ihren Helfern von Pippin/Karlmann bis Ludwig dem Frommen attestiert. Die Vorgänge rund um den politischen Umbruch der Jahre 751 bis 754 werden hingegen vergleichsweise knapp erörtert, die an Pippin vollzogene bischöfliche Salbung in ihrem Zustandekommen und ihrer Bedeutung mit einer Gewissheit vorgetragen, die den einschlägigen Kontroversen und Unsicherheiten in der Forschung eher nicht gerecht wird. Politische „Großereignisse“ treten bei Ubl zugunsten der kulturellen Entwicklung in den Hintergrund. Dies stellt sich in den hier nicht näher zu besprechenden Kapiteln zu Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen keineswegs anders dar.

Diese Gewichtung ist durchaus als eine vom Autor bewusst getroffene und nachvollziehbare Entscheidung zu begreifen. Sehr wohl nämlich hat Ubl eine klare Vorstellung und ein konzises Konzept hinsichtlich der eng an das Schicksal der einzelnen Generationen karolingischer Herrscher gebundenen politischen Entwicklung des Frankenreiches.

Die Karolinger, so Ubl einleitend, seien im engeren Sinne gar keine Dynastie gewesen, hätten sich selbst nicht als eine solche benannt und von daher keinen Anspruch auf Exklusivität gegenüber dem fränkischen Adel erhoben, wie man das von den Merowingern in besonderem Maße gewohnt war (S. 6f.). Vielmehr sei das Amtsverständnis der karolingischen Frankenkönige, die Auffassung „Inhaber eines göttlich legitimierten Amtes“ (S. 112) zu sein, an die Stelle der Stilisierung einer Dynastie getreten.

Diesem Grundgedanken durchweg verpflichtet entwickelt Ubl sein (natürlich nicht neues) Erklärungsmodell des Verfalls der königlichen Autorität im Verlauf des neunten Jahrhunderts in konsequenter Weise und erklärt somit, warum „das karolingische Monopol im Jahr 888 sang- und klanglos“ untergegangen sei (S. 112). Denn obwohl sich das Frankenreich auch in Krisenzeiten als „erstaunlich resistent“ erwiesen habe, sei mit der Teilung von Verdun 843 eine auf den dynastischen Zufall zurückzuführende „politische Fragmentierung“ (S. 119) in Gang gekommen. Die so geschaffene und fortgeschriebene „polyzentrische Struktur“ habe für das fränkische Königtum gänzlich „neue Rahmenbedingungen“ geschaffen, die mit der Neuausrichtung der Militärorganisation aufgrund der Normannengefahr (vor allem im Westen) eine „Konzentration von Ämtern in den Händen von einigen wenigen Reichsaristokraten“ hervorgebracht habe. Die „dynastische Notlage von 888“ habe die Situation dann derart verschärft, dass die nunmehr überwiegend nicht-karolingischen Könige sich vor große Probleme gestellt sahen, „auf die Verteilung der Ämter Einfluss auszuüben“ (S. 120). Somit traten in den Nachfolgereichen des Frankenreiches zunehmend neuartige Herrschaftskonzepte hervor, die nicht mehr auf der königlichen Verfügungsgewalt über Ämter und Privilegien beruhten. Die Karolinger und ihr politisches Instrumentarium hatten ausgedient.

Die Bedeutung der Karolinger für die europäische Geschichte ist für Ubl dementsprechend weniger auf dem Feld der politischen Organisation zu suchen, sondern liegt vor allem darin, „den ehemaligen Westen des römischen Reiches mit einer neuen Schicht kultureller Homogenität überzogen zu haben“ (S. 121). Gleichwohl war es für Ubl gerade die enge Verflechtung von Politik, Kultur und Religion und nicht die kulturelle Homogenisierung allein, die die Grundlagen Europas gelegt habe. Die Zeit des karolingischen Frankenreiches und damit auch die Karolinger selbst hätten durch eben diese Verflechtung, durch die „Verknüpfung von Politik und Theologie, Königtum und Bischofsmacht, Gemeinschaft und Glaube ein Erbe voller Widersprüche an spätere Generationen“ (S. 123) weitergegeben.

Dieser Sichtweise kann man sich nur anschließen, das Studium der genaueren Umstände der Salbung Pippins sowie des höchst undurchsichtigen Ablaufs der Kaiserkrönung Karls des Großen an anderer Stelle vertiefen und die Lektüre des Buches allen an der Zeit der Karolinger Interessierten wärmstens empfehlen.

Anmerkung:
1 Martina Hartmann, Die Merowinger, München 2012; Hagen Keller, Die Ottonen, 4. aktualisierte Aufl., München 2008.