D. Laqua: The Age of Internationalism and Belgium, 1880–1930

Titel
The Age of Internationalism and Belgium, 1880–1930. Peace, Progress and Prestige


Autor(en)
Laqua, Daniel
Erschienen
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 36,53
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabelle Löhr, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V., Universität Leipzig

Forschungen zu Internationalismus und internationalen Organisationen haben sich in den letzten Jahren als beliebte Spielart globalgeschichtlicher Fragestellungen etabliert. Der besondere Reiz dieses Themenfeldes liegt in den analytischen Möglichkeiten, individuelles und kollektives Handeln auf verschiedenen Raumebenen präzise miteinander zu verknüpfen und so in nuce das Ineinander von staatlichen Handeln, zivilgesellschaftlichen Initiativen und der Verrechtlichung nationaler und transnationaler Themenfelder in den Blick zu bekommen. Daniel Laqua ist sicherlich ein Protagonist dieser Forschungen, der mit einer Vielzahl von Beiträgen die thematische Bandbreite internationalistischer Bewegungen sowie das Ineinander transnationaler Bewegungen und nationaler Politik für das frühe 20. Jahrhundert analysiert hat. Umso begrüßenswerter ist diese 2015 als Paperback erschienene Studie, die in ihrer Klarheit und Komplexität gleichermaßen besticht und mit der Laqua es anhand von sechs Fallbeispielen vermag, wichtige Mechanismen und Grundprinzipien internationalistischer Bewegungen herauszuarbeiten.

Analytisch zeichnet sich die Studie durch eine konzise historische Kontextualisierung internationalistischer Bewegungen aus. Im Ergebnis verlieren die untersuchten Internationalismen ihr oftmals selbst gestecktes teleologisches oder utopisches Potential und werden stattdessen als elementare Bestandteile zeitgenössischer politischer Kräfte wie Imperialismus, Nationalismus, Sozialismus und spezifisch europäischen Entwicklungen sichtbar. Räumlich verortet Laqua seine Studie in Belgien, womit er, neben der Schweiz, auf das zweite Eldorado internationalistischer Bewegungen und Versammlungen in Europa seit dem späten 19. Jahrhundert fokussiert. Belgien wird zu einem geographischen und ideologischen Kreuzungspunkt transnationaler Bewegungen und Akteure erklärt, was der Autor an der Vielzahl internationaler Versammlungen und Organisationen mit Sitz in Belgien festmacht.

Die Frage, was unter Internationalismus verstanden oder wie er definiert werden kann, umschifft Laqua geschickt, indem er auf die zeitgenössischen Praktiken und Vorstellungswelten verweist und Internationalismus damit aus der Perspektive der historischen Akteure rahmt. Auf diese Weise tritt Internationalismus als komplexes und teils diffuses Konzept in Erscheinung, mit dem unterschiedliche Gruppen und Interessen versuchten, sich politisch Gehör zu verschaffen und sich in einer immer stärker international verrechtlichten und mehrstufigen politischen Landschaft zu positionieren. Für die historischen Akteure, so Laqua, war Internationalismus etwas real Existierendes, auch wenn für jede Gruppe, Autor oder Aktivisten anders. So erscheint Internationalismus als Bewegung, als politischer Prozess, als Perspektive und als Instrument, mit dem die historischen Akteure ihrer Gegenwart Sinn verliehen. Den Untersuchungszeitraum von 1880 bis 1930 begründet der Autor mit der Etablierung von Nation und Nationalstaat als politische Kraft, die als massenhafte Bewegung in Europa den Rahmen setzte für alle grenzüberschreitenden Initiativen; mit den neuen Transport- und Kommunikationstechnologien und einer daraus resultierenden intensivierten globalen Integration und schließlich mit dem Aufstieg internationaler Verbände und Bewegungen. So plausibel diese Begründungen erscheinen, wäre an dieser Stelle eine Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen wünschenswert gewesen, die mit Verweis auf die beiden Weltkriege und gewaltbereiten Nationalismus die Wirkmächtigkeit und Bedeutung internationalistischer Bewegungen infrage stellen.

Dieses Forschungsprogramm setzt Laqua anhand von sechs Fallstudien um, die sich mit Nationalstaatlichkeit, Empire, Staat und Kirche, Gleichheit, Frieden und Universalismus beschäftigen. Den Kapiteln gemeinsam ist die Fokussierung auf das komplexe Ineinander von nationaler Politik und internationalistischen Anliegen, die für Laqua in den meisten Fällen nicht sich ausschließende, sondern sich wechselseitig bedingende Faktoren sind. Damit bestärkt die Studie eine wichtige Forschungstendenz der letzten Jahre, die das Zeitalter des Nationalismus und einen ersten umfassenden Globalisierungsschub ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht als konkurrierende Forschungsparadigmen, sondern als zwei Seiten derselben Medaille begreift.

Entsprechend geht es im ersten Kapitel um die Art und Weise, wie Internationalismus sich in einen nationalen Diskurs einfügte, der Belgien als internationalen Staat definierte und so nationale, internationale und imperiale Elemente wie selbstverständlich vereinte. Dies wird anhand einzelner Figuren und Ereignisse analysiert wie dem Historiker Henri Pirenne, den beiden ‚bekennenden‘ Internationalisten Paul Otlet und Henri LaFontaine, dem Universal Peace Congress 1894 in Antwerpen und verschiedenen Weltausstellungen, die zwischen 1885 und 1935 in Belgien stattfanden.

Das zweite Kapitel greift den Topos des mission civilisatrice auf, der in der Idee eines internationalen Belgiens bereits angeklungen war, und untersucht dies anhand des belgischen Imperialismus im Kongo. Eingangs betont Laqua die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Internationalismus und Empire, die Angewiesenheit auf transnationale Netzwerke, auf Expertenwissen und die Rolle von Ungleichheit, die sich im Fall von Internationalismus aus einem hierarchisch definierten internationalem Recht speiste. Das Kapitel analysiert dieses Zusammenspiel, indem mit der Antisklaverei-Bewegung die Rolle eines humanitären Internationalismus als rhetorische Begründung für die belgische Intervention im Kongo untersucht wird. Daran anschließend widmet Laqua sich den internationalistischen Hintergründen und transnationalen Netzwerken der Kongo-Kampagne. An dieser Stelle zeigt sich der Gewinn einer präzisen historischen Kontextualisierung, denn indem Laqua keinen Moment den nationalen und imperialen Hintergrund der Aktivisten aus den Augen verliert und einen Zusammenhang mit dem kolonialen Anliegen katholischer Missionen im Kongo herstellt, zeigt sich, dass und inwieweit die Kampagne gegen die Kongo-Gräuel koloniale Hierarchien bestärkte.

Das folgende Kapitel über das Verhältnis von Staat und Kirche greift ein in der Forschung bisher wenig beachtetes Sujet auf. Als fruchtbar erweist sich hier die Gegenüberstellung von Freidenkern und religiösem Internationalismus: Es geht darum, Internationalismus von einer Konnotation als ‚linke‘ Bewegung zu lösen und ihn stattdessen als Strategie und Instrument zu konzipieren, das konservative Bewegungen gleichermaßen zu nutzen wussten, um über die Mobilisierung transnationaler Netzwerke und einem gezielten Gebrauch von Massenmedien ihre Ziele zu erreichen. Im Kapitel über Gleichheit werden mit Feminismus und Sozialismus bekanntere Gegenstände ins Zentrum gerückt. Geht es auf der einen Seite um den Beitrag der belgischen Arbeiterbewegung zum sozialistischen Internationalismus, liegt der Schwerpunkt des Kapitels auf den Zusammenhängen zwischen verschiedenen (hier reformerischen) Internationalismen, die, so Laqua, nicht isoliert agierten, sondern temporär bei ähnlichen thematischen Anliegen, wenngleich nicht konfliktfrei, kooperierten.

Die letzten zwei Kapitel drehen sich um die Themen Frieden und Universalismus, der anhand des wissenschaftlichen und kulturellen Internationalismus daher kommt. Das Kapitel zur Friedensbewegung schlägt einen weiten Bogen vom Völkerrecht über Pazifismus, Streitschlichtung, Krieg und Völkerbund bis zum Verhältnis von Internationalismus und Europäisierung in der Zwischenkriegszeit. Ähnlich wie in den ersten drei Kapiteln analysiert Laqua das Zusammenspiel zwischen staatlicher Politik, transnationalen Bewegungen und internationalistischen Visionen mit dem Ziel, die Nähe von nationalen und internationalen Interessen, die teilweise ähnlichen Instrumente und Praktiken von Diplomatie und nichtstaatlichen Akteuren sowie die Institutionalisierung in internationalen Organisationen aufzuzeigen. Mit Henri LaFontaine und Paul Otlet stehen die wohl bekanntesten belgischen Internationalisten im Zentrum des letzten Kapitels, wobei die große Bandbreite der Aktivitäten dieser beiden Figuren dazu führt, dass dieses Kapitel verschiedene Narrative bietet, deren roter Faden nicht immer erkennbar ist. Dieses Kapitel thematisiert am ehesten die Grenzen und das Scheitern internationalistischer Bemühungen. Laqua macht dies sichtbar am Spannungsfeld zwischen universalistischem Anspruch des International Institute of Bibliography, der Union of International Associations und den mühseligen Versuchen, beide Anliegen in die Arbeit der Abteilung für geistige Zusammenarbeit des Völkerbunds zu integrieren. Hier hebt der Autor hervor, dass solche Anstrengungen nationalen und internationalen politischen Rückhalt benötigten, den Otlet und LaFontaine nicht ausreichend zu mobilisieren vermochten.

Im Fazit geht Laqua noch einmal den Eigenheiten und Verbindungen zwischen verschiedenen Internationalismen nach und fokussiert auf die generationelle Zugehörigkeit der von ihm analysierten Internationalisten. Geboren in den 1850er-Jahren, hatten sie eine ähnliche Ausbildung und können insofern als ‚modern‘ klassifiziert werden, als sie den nicht immer kohärenten Glauben an wissenschaftlichen Fortschritt, an Belgiens Zivilisierungsmission und an eine globale Gemeinschaft teilten. In der neuerlichen Menge von historiographischen Studien zu Internationalismus sticht dieses Buch durch die beeindruckende Breite der Fallstudien sowie durch die Verankerung internationalistischer Strömungen in einem spezifischen nationalen Kontext hervor. Auch wenn Laqua die Bandbreite der Themen, Akteure und Initiativen an manchen Stellen über das Herstellen von Zusammenhängen meistert, die bei genauer Betrachtung etwas mehr Begründung vertragen könnten, besticht das Buch durch die kenntnisreiche und breit angelegte Analyse einer politischen Bewegung, die in ihren Möglichkeiten, Widersprüchen und Grenzen sichtbar wird und die im Ergebnis nicht länger als peripheres Phänomen, sondern als integraler Bestandteil internationaler Politik im frühen 20. Jahrhundert erscheint.

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