A. Krey: Praxis der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit

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Titel
Die Praxis der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit. Gerichts- und Rechtslandschaften des Rhein-Main-Gebietes im 15. Jahrhundert im Vergleich


Autor(en)
Krey, Alexander
Reihe
Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 30
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 115,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hendrik Baumbach, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Die weltliche Laiengerichtsbarkeit im Alten Reich am Beispiel der Oberhöfe eingehender zu untersuchen, erscheint vor dem gegenwärtigen Erkenntnisinteresse mittelalterlicher und neuzeitlicher rechtshistorischer Forschung aus zweierlei Gründen lohnenswert zu sein: Dieses Thema verspricht den starken Fokus auf die Höchstgerichtsbarkeit (königliches Hof- und Kammergericht, Reichskammergericht, Reichshofrat) merklich zu erweitern und endlich einmal die Tätigkeit nicht gelehrter, das heißt nicht studierter Urteiler zu betrachten. Alexander Krey konzentriert sich in seiner Frankfurter Dissertation auf das Rhein-Main-Gebiet und die exemplarisch ausgewählten Gerichtsorte Frankfurt, Ingelheim, Gelnhausen und das Landgericht Bornheimer Berg, die allesamt für das 15. Jahrhundert mit seinen Randbereichen anhand der überlieferten Gerichtsbücher und Urkunden analysiert werden.

Als methodischen Zugriff stützt sich Krey auf das vergleichsweise junge Konzept der Rechts- und Gerichtslandschaften1, dessen Prämissen, wie den bewussten Verzicht auf das Postulat der Rechtseinheit oder das Fehlen klar abgegrenzter Kompetenzbereiche, er auch für das Mittelalter als gegeben ansieht und konsequent voraussetzt (S. 14f., 89). Ziel seiner umfangreichen Studie sei nun die „Rekonstruktion grundsätzlicher Funktionsmechanismen spätmittelalterlicher Gerichtslandschaften“ (S. 19). Für die Oberhöfe, die er als „Rechtsbelehrungs- und Rechtsauskunftsstellen zur Unterweisung fremder Gerichte“ (S. 15) auffasst, wirft er die nicht sehr überraschende Hauptthese auf, dass diese eine spezifisch spätmittelalterliche Modifikation der Gerichtslandschaft unter Herausbildung neuer Verschränkungen der Gerichte darstellen würden (S. 30).

Nach einer längeren Einführung, welche die Überlieferungssituation ausbreitet und zu den Quellenbeständen Stellung nimmt, gliedert Krey seinen Text in zwei unterschiedlich lange Abschnitte: Der erste behandelt die Wechselwirkungen verbundener Oberhöfe (S. 89-503), der zweite die gemeinsamen Rechts- und Verfahrensgrundsätze an den Gerichten des Rhein-Main-Gebietes (S. 505-597). Mit diesem Aufbau trägt er der sachlichen Trennung in Gerichts- und Rechtslandschaften Rechnung, die sich inhaltlich nicht ganz durchhalten lässt. Besonders im letzten Teil wird – in dem Bemühen um einen präziseren Vergleich der Gerichte – vieles bereits Gesagte von Neuem referiert. Darin spiegelt sich eine Grenze des Konzeptes von Gerichts- und Rechtslandschaften wider: Denn diese nicht der Zeit entnommenen Ordnungsbegriffe lassen sich tatsächlich nur schwer voneinander abgrenzen und wollen beide auf ein ähnliches Phänomen, eine offenere, voraussetzungslosere Vorstellung von Raum und Gericht bzw. Recht, hinaus.

Die Gerichte, die Krey dem Leser vorstellt, sind geschickt ausgewählt, vermögen sie doch unterschiedliche Grade erfolgreicher Oberhoftätigkeit zu illustrieren. Insbesondere für Frankfurt wird der Einfluss des Rates auf die Etablierung des Oberhofzuges herausgearbeitet und in einen städtischen Territorialisierungsprozess im 14. und 15. Jahrhundert eingebettet (S. 221, 230, 253, 301, 496). Das ist auch aus historischer Sicht eine bemerkenswerte Erkenntnis, welche das vornehmlich auf die Landesherrschaften bezogene Konstrukt der Territorialisierung im Lichte städtischer Politik nachweist. Gelnhausen erreichte dagegen diese Prosperität für ihr Oberhofverfahren nicht. Etwas zu kurz kommen dabei allgemeinere Gedanken zum politischen Verhältnis der wetterauischen Reichsstädte, welche die Vorrangstellung Frankfurts bekräftigen würden. So nahm die Stadt ähnlich wie Nürnberg in Franken einen Großteil der Reichspolitik der umliegenden, als Satelliten erscheinenden Städte wahr. Als Gegenbild zu Frankfurt stellt sich dann Ingelheim dar, für das in sechzigjähriger Überlieferung Rechtsfragen von 70 verschiedenen Gerichten belegt seien (S. 299). Verhindern ließ sich der Niedergang der Oberhoftätigkeit dort durch die Inkorporation in die pfälzische Landesherrschaft jedoch nicht (S. 301f.).

En passant schärft Krey immer wieder den Oberhofbegriff, indem er die Argumentation älterer Studien analysiert, die Quellen abermals vornimmt und in ihrer Beurteilung korrigiert. Endlich aufgeräumt wird auch mit irrigen Vorstellungen von Oberhoffamilien und Oberhofbezirken, die es nicht gegeben habe (S. 294). Es wird deutlich, dass der Terminus Oberhof erst viel später in den Textzeugen auftaucht, wohingegen die Forschung den Ursprung des Oberhofverfahrens fälschlicherweise im Hochmittelalter gesucht hat.2 Generell bedient sich Krey festgefügten, wenig hinterfragten juristischen Kategorien und trennt z. B. Appellation, Urteilsschelte und Oberhoftätigkeit strikt. Dass letztendlich doch alle diese Interaktionsformen (zusammengenommen) Rückschlüsse auf die zum Gegenstand der Dissertation erhobenen Verschränkungen der Gerichte zulassen, wird nicht expliziert, sondern ist allerhöchstens zwischen den Zeilen zu lesen. Die nichtgelehrte Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter wird von Krey betont mit der "Einstufigkeit" ihrer Verfahren im Sinne Weitzels3 charakterisiert (S. 97). Dabei verstellt gerade diese Perspektive die Tatsache, dass die Oberhofverfahren übrigens genauso wie die Schelte mindestens zwei Gerichtsbarkeiten miteinander in Beziehung treten ließen.

Die Sicht auf die Oberhöfe ist in der Arbeit von einem institutionellen Bild geprägt, obwohl die Oberhoffunktion nur einen Bruchteil der Tätigkeit der untersuchten Gerichte ausmachte. Doch handelte es sich bei der Rechtsauskunft eigentlich um eine soziale Praxis. Das klingt auch dann durch, wenn Krey vom „Oberhofverfahren“ (S. 151) spricht oder einräumt, dass es keine Oberhof-, sondern nur Gerichtsprotokolle gegeben habe (S. 487). Der basale Befund, die Oberhoftätigkeit habe eine funktionierende Schöffengerichtsbarkeit vorausgesetzt (S. 175, 496, 599), die schon seit der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden ist, könnte dem Leser besser vermittelt werden. In Sonderheit wird die hierzu von Krey aufgeworfene Frage nach dem Moment der Existenz von Oberhöfen (S. 155) der Komplexität der zweigeteilten historischen Entwicklung von Gericht und Oberhofverfahren nicht gerecht.

Augenfällig wird dies vor allem im vierten Unterkapitel zur professionalisierten Binnenstruktur der Schöffengerichte (S. 303-495). Der bisherige Erzählstrang bricht deutlich, weil Krey die organisatorische Struktur der Gerichte völlig abseits von seinen voranstehenden Überlegungen zum Oberhof erklärt. Vereinzelte Resultate, dass beispielsweise der Gerichtsschreiber als Teil der „notwenigen 'professionellen' Organisation des als Oberhof tätigen Schöffengerichtes“ zu verstehen sei (S. 377), wirken schwach und konstruiert. Als Exkurs liest sich gleichsam die aufwändig vorgeführte Zusammensetzung des Gelnhäuser Rates im späten 15. Jahrhundert (S. 320-329). Zwar wird hier wichtige und beeindruckende Grundlagenarbeit geleistet, zu den Funktionsmechanismen der Gerichtslandschaft und den Verschränkungen der Gerichte wird kaum etwas beigetragen. Dies beweist schließlich die dem ersten Teil nachgestellte Zusammenfassung (S. 495-503), in der das Unterkapitel kaum eine Rolle spielt.

Im darauffolgenden zweiten Teil zu den Rechtslandschaften geht Krey vornehmlich der Frage zur rechtsvereinheitlichenden Wirkung der Oberhöfe nach. Er differenziert, dass es einerseits Fälle gegeben habe, in denen ein Oberhof in der Sache mehrfach eine unterschiedliche Auskunft erteilte (S. 564-566), während andererseits die Einhaltung der dreifachen Ladung und Gerichtsfristen in den erteilten Auskünften explizit eingefordert worden sei (S. 555-564 bzw. 567f.). Inwieweit sich also der rechtsvereinheitlichende Effekt vorderst für den Verfahrensgang und nicht so sehr für den Rechtsgegenstand konstatierten lässt, wird noch an weiteren Beispielen zu erhärten sein; die gebotenen Erkenntnisse sind aber ohne Frage bedeutungsvoll. Dasselbe gilt für die richtige Feststellung, dass Konkretheit und Abstraktheit in den Rechtsquellen des Mittelalters nicht trennscharf seien (S. 508-511).4

In ihrer Gesamtheit liefert die Monographie von Krey zahllose gründlich recherchierte und engagiert belegte Informationen zur Oberhoftätigkeit der Gerichte des Rhein-Main-Gebietes, so besonders zur Bedeutung der Freiwilligkeit im Oberhofverfahren, das keine fixen Zuständigkeiten und bindenden Rechtsauskünfte gekannt habe (S. 299 bzw. 545). Die ohnehin langen Apparate werden bisweilen dadurch überstrapaziert, dass zur verwendeten archivalischen Überlieferung akribisch noch sämtliche Drucke und Regesten geboten werden. Wer die Studie, einschließlich ihrer umfangreichen, leider nicht konsequent nach gedruckten Quellen und Darstellungen getrennten Bibliographie durchsieht, wird sie als ein reichhaltiges Kompendium verwenden können. Dabei hilft das kombinierte, jedoch nicht auf die Anmerkungen bezogene Namens-, Orts- und Sachregister, dessen Handhabbarkeit deshalb verliert, weil Krey zahlreiche Begriffe einzig unter den in der Arbeit allgegenwärtigen Orten, für Frankfurt allein über 210 Schlagworte, subsummiert hat.

In welchem Verhältnis die Laiengerichtsbarkeit und die Tätigkeit der Oberhöfe, die erstaunlicherweise im Titel nicht genannt sind, stehen, wird an vielen Beispielen anschaulich vor Augen geführt, es muss aber vom Leser überwiegend selbst abstrahiert werden. Dass die Praxis der Oberhofverfahren schlussendlich doch eine „Verschränkung zwischen den Gerichten“ belegen würde (S. 600), wie Krey in seiner Zusammenfassung schreibt, scheint von Anfang an plausibel – eine steiler formulierte These wäre dem Durchgang durch die Materie daher zuträglich gewesen. Das Buch ergänzt jedenfalls den 2008 für das frühneuzeitliche Frankfurt erschienenen Sammelband5 um eine mediävistische und für das Rhein-Main-Gebiet weiter gefasste, profunde Detailstudie zu den Oberhofverfahren.

Anmerkungen:
1 Vgl. grundlegend Anja Amend u. a. (Hrsg.), Gerichtslandschaft Altes Reich, Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung, Köln 2007.
2 Vgl. z. B. Gunter Gudian, Der Oberhof Ingelheim, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 81 (1964), S. 267-297.
3 Vgl. aus seinen zahlreichen Arbeiten die Dissertation Jürgen Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel in Deutschland, Köln 1976; zuletzt ähnlich Bernhard Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht zur obersten Rechtsmittelinstanz. Die deutsche Königsgerichtsbarkeit und die Verdichtung der Reichsverfassung im Spätmittelalter, Köln 2014.
4 Vgl. dazu für die Weistümer bereits Bernhard Diestelkamp, Reichsweistümer als normative Quellen, in: Peter Classen (Hrsg.), Recht und Schrift im Mittelalter, Sigmaringen 1977, S. 281-310.
5 Vgl. Anja Amend u. a. (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im römisch-deutschen Reich, München 2008.

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