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Titel
Schule in Österreich. Die Entwicklung ihrer Organisation von den Anfängen bis zur Gegenwart


Autor(en)
Engelbrecht, Helmut
Erschienen
Anzahl Seiten
262 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Leitner, Graz

Helmut Engelbrechts Name ist ein fester Begriff auf dem Gebiet der Erforschung des österreichischen Schul- und Unterrichtswesens, seine fünfbändige „Geschichte des österreichischen Bildungswesens”1 fungiert als Standardwerk. Engelbrechts wissenschaftliche Kompetenz wird zudem noch ergänzt durch seine langjährigen Erfahrungen als Gymnasiallehrer und Direktor eines niederösterreichischen Gymnasiums.

Mit der vorliegenden, postum veröffentlichten Publikation gibt der 2014 verstorbene Engelbrecht eine zusammenfassende Schau der Entwicklung des österreichischen Schulwesens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Indem Engelbrecht Lessings Diktum, dass Geschichte nicht den Verstand beschweren, sondern ihn erleuchten soll, folgt, legt er die Entwicklungsschritte der Organisation Schule seit deren Anfängen im Mittelalter offen und zeigt damit, was alles versucht wurde, um den jeweiligen Anforderungen und Problemen einer ständig sich wandelnden Gesellschaft zu entsprechen. Ausdrücklich hebt Helmut Engelbrecht hervor, auf die Streitfragen des organisatorischen Handelns wie Zentralismus/Autonomie (Dezentralisierung); Vereinheitlichung/Differenzierung; Homo- oder Heterogenität der Schülerpopulation; Fördermaßnahmen oder Selektion: Unterrichtszeit (Vormittagsunterricht, Ganztagsschule, Nachmittagsbetreuung), aber auch auf die Ausbildung der Lehrpersönlichkeiten eingehen zu wollen. Der Schwerpunkt des Ganzen möge jedoch im Überblick liegen und auf das breite Arsenal der vorhandenen Möglichkeiten verweisen.

Das Wort „Schule” hat seine Wurzeln im Griechischen; überraschenderweise bedeutete es zuerst so etwas wie Innehalten von der Arbeit, später dann die Beschäftigung während dieser Mußestunden und schließlich bezeichnete es den Ort, wo ein Lehrer Vorträge hielt und Unterricht erteilte. Unterschiedliche Namen der Schulen bildeten sich heraus, als im Bereich der Städte die Lehrprogramme der katholischen Kirche und in der Zeit der Reformation jene der lutherischen Kirche sich stark ausbreiteten und sich von den Schulen der Bürger unterschieden. Betrachtet man das Schulwesen in soziologischer Hinsicht, nimmt dieses neben Familie, Wirtschaft etc. eine führende Position im Rahmen der wichtigsten Institutionen ein.

Helmut Engelbrecht beginnt mit der, wie er sie benennt, monastischen Phase der Schule des Mittelalters und ihren einfachen Strukturen. Diese umfasste die „Klosterschulen” („Stiftsschulen”) der männlichen und weiblichen Orden, die „Domschulen”, die der Ausbildung des weltlichen Klerus dienten sowie die „Pfarrschulen”, die ihre Hauptaufgabe in der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen zum einfachen Kirchendienst (Ministranten, Chorsänger) sahen. Die älteste österreichische Pfarrschule war jene bei St. Stephan in Wien, die mit großer Sicherheit im 12. Jahrhundert eröffnet worden war.

Mit dem 13. Jahrhundert lässt Helmut Engelbrecht die urbane Phase beginnen, als sich die uns noch heute bekannten gesellschaftlichen Schichten herausbildeten und die Stadt nun als Hauptträgerin des Bildungswesens vorrückte. Am Ende des 15. Jahrhunderts schien es, dass der immer zielbewusster agierenden Lateinschule, die zudem durch Impulse des Humanismus noch an Profil gewonnen hatte, die Zukunft gehören sollte. Verbunden mit dem Vordringen des Protestantismus fiel aber so manche katholische Stiftung aus, zudem bereitete das Gymnasium der Jesuiten weitaus besser auf ein universitäres Milieu vor. Als bedeutendste Leistung im Bereich des Schulwesens sollte sich die schrittweise Einführung eines letztlich dreistufigen Bildungswesens herausstellen.

Die Höherentwicklung des Schulwesens erfolgte durch Konkurrenz, der Primat der katholischen Kirche endete durch die Ausbreitung der Lehre Luthers. Die Anzahl der adeligen Landschaftsschulen und Lateinschulen der Evangelischen verbreiteten sich bedeutend, zur vollständigen Auslöschung des protestantischen Schulwesens kam es im Habsburgischen Herrschaftsbereich jedoch durch die Gegenreformation.

In der von Helmut Engelbrecht so benannten konfessionellen Phase dominierten die Studia inferiora der Gesellschaft Jesu das österreichische Schulwesen. Das jesuitische Schulsystem war hierarchisch aufgebaut und die Aufgaben jeder Funktion waren bis in Einzelheiten klar umrissen. Die Studia inferiora vermittelten ein grammatisch-humanistisch-rhetorisches Gymnasialprogramm und waren auf pietas und sapientia ausgerichtet. In den Klassen der Oberstufe wurde neben Latein auch Griechisch unterrichtet. Ein Nachteil lag allerdings gerade in der starren Ausrichtung der Ratio studiorum, da sie letztlich den Erfordernissen einer sich ändernden Gesellschaft nicht genügen konnte. Immerhin aber wurden in der Frühen Neuzeit im Schulwesen die Weichen in die Moderne gestellt.

Die Zeit der Zentralisierung des Schulwesens bezeichnet Helmut Engelbrecht als staatlich-obrigkeitliche Phase. In dieser Zeit vielfacher Veränderungen war das Habsburgerreich ein mächtiger Staat geworden, 1718 zählte man etwa 15 Millionen Einwohner. In dieser Schlüsselepoche kam es zur Ablöse der Kirche als gestaltende, ordnende Macht im Bereich der Bildung durch den Staat. Am Beginn der Reformen standen die Universitäten, es folgten die Reformen des Schulwesens. Ausgearbeitet wurde diese „Allgemeine Schulordnung” unter der Leitung von Johann Ignaz Felbinger, Abt des Augustiner-Chorherrenstiftes in Sagan in Schlesien. Die sogenannte „Unterrichtspflicht” wurde eingeführt, die grundlegenden Schulen hießen nun „Trivial-, Haupt- und Normalschule”, die Berechtigung zu Universitätsstudien war weiterhin an die Absolvierung des Gymnasiums gebunden. 1805 wurde die Realschule, die der beruflichen Vorbereitung diente, ins Leben gerufen. Insgesamt brachte die Übernahme des Schulwesens durch den absolutistisch regierenden Staat weitreichende Veränderungen mit sich, die sich vor allem in Vereinheitlichung und Zentralismus niederschlugen. An erster Stelle ist hier die Reform des Primarschulwesens zu erwähnen.

Die zeitlichen Prämissen erforderten in der nun folgenden staatlich-parteipolitischen Phase des Schulwesens eine Auffächerung der Bildungswege. So ist die Zeit von den Jahren der Revolution 1848/49 bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts eine Zeit großer und nachhaltiger schulischer Veränderungen. Politisch war das Kaisertum Österreich, zweitgrößter europäischer Staat, zur konstitutionellen Monarchie geworden, die Rechte und Pflichten der Staatsbürger waren nunmehr klarer umrissen. Industrialisierung und Technisierung zogen einen Bevölkerungsschub nach sich, die Frauen drängten im Bereich der Schul- und Universitätsausbildung mit Vehemenz nach Gleichbehandlung. Der Weg zur Gleichstellung war jedoch lang und mühsam: Als erste öffnete die Philosophische Fakultät der Wiener Universität im Jahr 1897 den Frauen den Weg zum ordentlichen Studium. Das Gymnasium erhielt seine bekannte Form im Sinn einer Umgestaltung zur allgemeinbildenden höheren Schule, die mit der Maturitätsprüfung abgeschlossen wurde. Im Jahr 1908 entstand das Realgymnasium vor dem Hintergrund einer Diskussion über die Reduzierung des humanistischen Lehrstoffes zugunsten naturwissenschaftlicher Fächer.

Die Schulorganisation der Gegenwart interpretiert Helmut Engelbrecht als parteipolitisch-interessensorientierte Phase, die nicht zuletzt auch geprägt ist vom Übergang einer Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Es folgten Anläufe zur inneren und äußeren Umgestaltung der Schule, diese kam vor dem Hintergrund parteipolitischer Meinungsverschiedenheiten bis in die Gegenwart nicht mehr zur Ruhe. Nach 1988 folgten zahlreiche Schulversuche, zudem zeigte sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts schon sehr deutlich, dass Quantität und Qualität im Schulbereich bereits stark auseinanderdrifteten.

Für Helmut Engelbrecht gleicht der gegenwärtige Zustand der Schule einem bereits fertigen Gebäude, das von mehreren Architekten geplant wurde, wovon viel aber nicht umgesetzt worden ist. Ob sich in jüngster Vergangenheit eingeführte Neuerungen wie Zentralmatura und die einheitliche Ausbildung der Lehrenden bewähren, muss die Zukunft zeigen.

Helmut Engelbrechts klar und nachvollziehbar strukturierte Publikation erfüllt das Versprechen ihres Autors – sie verschafft bestens einen kompakten Überblick der Entwicklung des österreichischen Schulwesens von seinen Anfängen bis in die aktuelle Gegenwart und regt zum Nachdenken an: Das System Schule ist stets vor den gesellschaftlichen Herausforderung einer betreffenden Epoche zu verstehen. Mehr oder weniger bewältigt die Schule derzeit diese komplexen Aufgaben noch, im Schulsystem spiegeln sich stets auch Zeitgeist wie politische Zugriffe. Ob die zukünftige Schule den schwierigen Anforderungen weiterhin entsprechen kann, bleibt offen. Doch was wäre die Alternative – non vitae, sed scholae discimus?

Anmerkung:
1 Engelbrecht, Helmut, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, 5. Bde., Wien 1982–1988. Zusätzlich: Bildband 1999.

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