Cover
Titel
"Raittung und außgab zum gepew". Kommunale Rechnungspraxis im oberösterreichischen Freistadt. Edition und Kommentar der Stadtgrabenrechnung 1389–1392


Autor(en)
Gruber, Elisabeth
Reihe
Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 14
Erschienen
Anzahl Seiten
243 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Vogeler, Zentrum für Informationsmodellierung in den Geisteswissenschaften, Karl-Franzens-Universität Graz

Das hier vorzustellende Buch hält nicht, was der Titel verspricht – aber im positiven Sinne: Es ist nicht nur die Edition einer 96seitigen Rechnung, sondern auch ein Beitrag zur Geschichte der Stadtmauer und eine Tiefenverzeichnung der mittelalterlichen Rechnungsüberlieferung von Freistadt. Die Autorin hat sich in der Einleitung das Ziel gesetzt, über die mit und in den Rechnungen handelnden Menschen zu schreiben. Dass die von ihr gründlich bearbeitete Rechnung (OÖLA StA Freistadt HS 631) nur ein Projekt der Bewohner Freistadts betrifft, wird aus dem Titel nicht ganz klar: Es geht um den Ausbau der Stadtmauer der heute an der Grenze zu Tschechien situierten Kleinstadt. Am Goldenen Steig gelegen prosperierte sie und war im 14. Jahrhundert zum Zentrum des Mühlviertels aufgestiegen. Die am Ende des 14. Jahrhunderts errichtete Stadtmauer war ein komplexes Bauwerk aus Graben, Zwinger, eigentlicher Stadtmauer und einem dahinter gelegenen Freiraum zu den Häusern, der auch in die Verteidigungskonzeption einbezogen war.

Die Autorin stellt ihren Beitrag in den Kontext von Forschungen zu den gesellschaftlichen Phänomenen, die große Bauprojekte mit sich bringen: Repräsentationsbedürfnisse und Identitätsstiftung sind dabei ebenso von Interesse wie Auswirkungen auf politische Organisation und Finanzgebaren, die solche Bauten im Mittelalter hatten. So macht es Sinn, dass sie die Rechnungsüberlieferung zunächst kontextualisiert. Als erstes wird die Quelle in die Archivgeschichte von Freistadt eingeordnet. Dann stellt die Autorin den wirtschaftlichen, verfassungsgeschichtlichen und politischen Rahmen vor. Die Rechnung ist erst verständlich, wenn man weiß, dass sie als Beleg gegenüber dem Landesherrn diente, welcher der Stadt zur Finanzierung des Mauerbaus auf drei Jahre das Ungeld (eine Art Umsatzsteuer) überlassen hatte. Sie muss also keineswegs das ganze Bauprogramm abbilden. Auch das Wissen über die Rotation der Bauaufsicht und damit der Rechnungsführung macht es leichter, sie zu verstehen. Hilfreich ist schließlich die prosopographische Einordnung der erwähnten Personen, die zeigt, welcher sozialen Gruppe in der Stadt die Baumeister angehörten. Ausführlich zieht die Autorin aus der Rechnung selbst Angaben zum Ablauf der Baumaßnahmen (jahreszeitliche und wöchentliche Verteilung) und zu den Kostengruppen (Schwergewicht auf Personalkosten und Transportkosten). Während diese Angaben eher einer späteren Forschung hätten überlassen werden können, sind die darin enthaltenen realienkundlichen Ausführungen über Baumaterial und Werkzeuge für das Verständnis der Rechnung notwendige Voraussetzung. Umfangreich fällt auch eine bauhistorische Untersuchung aus, zu der Thomas Kühtreiber, Gábor Tarcasay und Michaela Zorko einen „bauarchäologischen Rundgang“ (S. 87–96) beigetragen haben. Dabei wird deutlich, dass die heute vorhandenen – umfangreichen – Reste der Stadtmauer in mehr Phasen entstanden sind, als es die ältere Forschung annahm. Die folgende Einordnung in die militärischen Konflikte, in denen die Mauer im 15. Jahrhundert ihre Aufgabe erfüllte, könnte helfen, diese Schichtungen näher zu bestimmen, doch bleiben der archäologische und der archivalische Beitrag im Band eher unverbunden.

Die eigentliche Edition (S. 109–162) folgt den etablierten Transkriptionsrichtlinien für landesgeschichtliche Quellen. Soweit Bildmaterial im Band einen Vergleich ermöglichte, besitzt die Editorin die notwendige paläographische Sicherheit. Nun interessiert sich auch germanistische Forschung für Rechnungen.1 Für diese Nutzer der Rechnung sei darauf hingewiesen, dass die Editorin sich anscheinend entschieden hat, alle über einem u zu findenden diakritischen Zeichen mit einem Akzent (ú) wiederzugeben, auch wenn sie nicht anders als das übergeschriebene e aussehen, das bei anderen Vokalen als dem u als ein solches transkribiert wird (z. B. S. 117, in der Transkription zu pag. 14a).

In der Edition wird hin und wieder deutlich, wie ungünstig die eingeführten Transkriptionsrichtlinien für einen Gebrauchstext sind: Sie gehen davon aus, dass es einen abschließenden gültigen Text gibt und verlegen deshalb gestrichenen Text in die Fußnoten. So verschwindet zum Beispiel der Hinweis, dass Friedrich der Volchrat seine Verzehrkosten zunächst erst aus den Steuereinnahmen beglichen hatte, in Fußnote h. Das weist auf eine Grundproblematik der gedruckten Edition von Rechnungsmaterial hin: Die Bindung an die Druckform erzwingt die Bevorzugung einer Textfassung. Wenn man dann zusätzlich noch die aus der Rechnung erstellten Graphiken im ersten Teil des Textes als händische Kopie von Zahlenangaben aus der Edition in Tabellenkalkulationsprogramme versteht, dann drängt sich die Frage auf, ob nicht wenigstens für diese beiden Probleme eine digitale Edition das bessere Mittel gewesen wäre. Die auf S. 41 angesprochenen Ordnungsprobleme der Prosopographien wären dann auch geringer gewesen.

Im Anschluss an die Edition listet die Autorin die übrige Rechnungsüberlieferung aus dem Stadtarchiv Freistadt zwischen 1396 und 1487 auf. Sie beschreibt jede der im Oberösterreichischen Landesarchiv verwahrten Handschriften ausführlich nach den Standards Handschriftenerschließung. Zusätzlich zu äußeren Merkmalen und extensivem Inhaltsverzeichnis kommentiert die Autorin bauhistorisch relevante Inhalte. Ergänzend zu diesen Handschriftenbeschreibungen kann man in manuscripta.at betaradiographische Bilder der Wasserzeichen finden. Auch hier ist man ein wenig verwundert, dass die Handschriftenbeschreibungen nicht mit in das digitale Angebot aufgenommen wurden.2

Den Band schließen eine Karte und zwei Register (Sachen, Orts- und Personennamen) ab. Sie bedürfen hier einer besonderen Erwähnung, weil sie historische Fachtermini kurz erläutern, und es mit einer hierarchischen Gliederung ermöglichen, nach Gruppen wie Werkzeuge, Tagwerke, Holzgegenstände, Schießscharten oder Mauerwerk zu suchen. Das Sachregister dient damit auch als Verständnishilfe für den Leser des Editionstextes.

Die Edition ist also vieles zugleich: ein gelungenes Quellenwerk, das verschiedenen Fragestellungen zugänglich gemacht werden kann, eine schöne Fallstudie über die Organisation von städtischen Bauaufgaben, und schließlich eine stadthistorische Untersuchung der Befestigungsanlagen einer gerade im 15. Jahrhundert immer wieder militärisch geforderten Grenzstadt. Damit ist sie mehr als das, was der Titel verspricht.

Anmerkungen:
1 Claudine Moulin, Zeichen und ihre Deutung. Zum handschriftennahen Edieren schriftlicher Quellen im interdisziplinären Kontext, in: Claudin Moulin / Michel Pauly (Bearb.), Die Rechnungsbücher der Stadt Luxemburg, Bd. 6, Luxemburg 2012 (Schriftenreihe des Stadtarchivs Luxemburg 6), S. 9–17.
2 Vgl. http://manuscripta.at/m1/hs_detail.php?ID=35237 (16.11.2016).