J. Sonntag (Hrsg.): Monastische Raumkonzepte

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Titel
Geist und Gestalt. Monstische Raumkonzepte als Ausdrucksformen religiöser Leitideen im Mittelalter


Herausgeber
Sonntag, Jörg
Reihe
Vita regularis, Abhandlungen 69
Erschienen
Berlin 2016: LIT Verlag
Anzahl Seiten
XI, 392 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Gereon Beuckers, Kunsthistorisches Institut, Universität Kiel email:

Seitdem sich die Kategorie des Raumes von der Architektur oder der physikalischen Dimension gelöst hat und einerseits mit Ludwig Wittgenstein als Strukturform von Sachverhalten sowie mit der Feldforschung aus dem geographischen Raum zu einer soziologischen Kategorie erweitert worden ist, ist der Begriff sowohl in seiner deutschen als auch seiner französischen (espace) und englischen (space) Form zu einem Narrativ des theoretischen Diskurses geworden. Der „spatial turn“ spielt in den Kulturwissenschaften seit den 1980er-Jahren eine größere Rolle, insbesondere in der französischen Forschung haben Henri Lebfebvre und Michel Foucault Raum als soziale Konstruktion verstanden, was verstärkt seit Ende des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland aufgegriffen wird. Insofern mag es nur eine Frage der Zeit gewesen sein, bevor sich auch die Mönchtumsforschung dieser Mode stellt. Und in der Tat kann der Begriff des Raumes nicht nur auf die morphologische Gestalt des Klosterbaus, sondern ebenso die allegorische Vorstellung von Klostern wie auch den funktionalen und den liturgischen Raum sowie das monastische Selbstverständnis angewendet werden. Der vorliegende Band bleibt hier sachbezogen und konzentriert sich auf die bauliche Form des christlichen Klosters in den verschiedenen Klösterverbünden, Orden und Kongregationen. Diese werden in einzelnen Aufsätzen mehr oder weniger chronologisch zur Entstehung vorgestellt, wobei zwischen klausurierten und nicht-klausurierten Gemeinschaften unterschieden wird. Das anachoretische Mönchtum spielt keine Rolle, wäre mangels früher Überlieferung und näherer Spezifik des bewohnten Raumes auch kaum zu untersuchen. Auch den weiblichen Konventen wird fast nur bei den Birgitten und den Beginen Rechnung getragen. Ziel war die Klärung, inwiefern sich die religiösen Identitäten von unterschiedlichen Orden und Verbänden in den baulichen Strukturen, Ausstattungen und Gebrauchsweisen widerspiegeln oder möglicherweise von diesen sogar erst grundgelegt wurden.

Der Band startet in einer ersten Sektion mit zwei Beiträgen von Jörg Sonntag und Mirko Breitenstein, in denen die Metaphorik des christlichen Klosters sowie die Konstruktion und Bedeutung innerer Räume wie das „Haus des Gewissens“ im Mittelalter thematisiert wird. Beide behandeln somit den allegorischen Raum, was aber wichtige Aussagen zum Verständnis des gebauten Raumes des Klosters zulässt, der für die geistlichen Institute immer mehr als nur ein Schutz- und Funktionsbau war. Die zweite Sektion gilt den klausurierten Gemeinschaften der Cluniazenser (Kristina Krüger), Regularkanoniker (Matthias Untermann), Zisterzienser (Margit Mersch), Kartäuser (Meta Niederkorn-Bruck) sowie der spätmittelalterlichen Birgitten (Tore Nyberg) und byzantinischen Klöstern (Ekaterini Mitsiou), die dritte Sektion den nicht-klausurierten Orden wie den Franziskanern (Leonie Silberer), Dominikanern (Sebastian Mickisch), Karmelitern (Edeltraut Klueting) sowie den Beginenhöfen (Letha Böhringer). Ein Nachwort von Jörg Sonntag und ein Register schließen den Band.

Die einzelnen Beiträge hier vorzustellen, würde den Rahmen sprengen. Kristina Krüger legt mit ihrem Beitrag einen Überblick zur benediktinischen Klosteranlage, dem vierflügeligen „Standardmodell“ vor, dessen um einen Kreuzgang angeordneten Bauten und Räume sie innerhalb der Klausur vorstellt, um sich dann den dort stattfindenden Nutzungen zu widmen. Aussagekräftige (wenn auch – wie im ganzen Band – sehr schlecht gedruckte) Abbildungen ergänzen diese stark architektonisch geprägte Zugangsweise. Die folgenden Beiträge gehen mehr von normativen Quellen wie beispielsweise Matthias Untermann von den Consuetudines der Regularkanoniker und Margit Mersch von den Odernsbeschlüssen der Zisterzienser aus. Blickt auch Untermann auf konkrete Klosteranlagen und stellt so die Viefältigkeit heraus, kommt Mersch, die mit den Zisterziensern das bisher sicherlich am intensivsten diskutierte Feld bearbeitet, ohne eine einzige Abbildung aus. Bereits die Regularkanoniker zeigen, dass die Klausuranlage nicht an eine bestimmte Regel wie die Benedikt- oder die Augustinusregel oder an die Gelübde als Mönch bzw. ordinierter Kleriker geknüpft ist, sondern vielmehr als Inbegriff des Monastischen rezipiert und übernommen wird. Dieses Bild lässt sich für das Spätmittelalter durch beispielsweise die (im Band nicht genannten) Augustinerchorherren der Windesheimer Kongregation bestätigen, die dezidiert auf benediktinische und zisterziensische Baumodelle zurückgreifen, obwohl ihre Gemeinschaft ganz andere Aufgaben und eine andere Organisation besaß. Die Frage nach der Spezifik von Klosteranlagen für bestimmte Verfassungs- und Ordensformen wirft Untermann mit dem Verweis auf Einzelbauten am Kreuzgang statt einer geschlossenen Baugruppe für Regularkanoniker auf. Dies berührt Aspekte der Kartäuser, deren Räume Meta Niederkorn vor allem vor dem Hintergrund des eremitischen Ideals liest, für die Liturgie aber beispielsweise die immaterielle Kategorie des ‚„Klangraums“ einführt. Insgesamt liegt allen diesen Anlagen noch eine gewisse Bautypologie zugrunde, die funktional reflektiert und weiterentwickelt, vor allem aber ideel überhöht und allegorisch aufgeladen bleibt.

Hier setzten im Spätmittelalter die nicht mehr klausurierten Orden an, für die Jörg Sonntag die Verlagerung des baulich gebundenen Ideals des Paradieses an das Paradies der Seelen konstatiert. In dem Beitrag von Leonie Silberer zu den Franziskaneranlagen spielt dies noch kaum eine Rolle, denn sie greift methodisch auf das für das Früh- und Hochmittelalter entwickelte Rüstzeug der normativen Quellen und baulichen Analysen zurück. Sebastian Mickisch geht hier für die Dominikaner einen erheblichen Schritt weiter, wenn er gebauten von sozialem und rituellem Raum unterscheidet und mit der Frage der Heiligkeit verknüpft. Hier zeigt sich ein ganz anderer methodischer Ansatz als bei den hochmittelalterlichen Ordensgemeinschaften. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Edeltraud Klueting, die für die Karmeliter in den normativen Quellen ein auffälliges Desinteresse an der architektonischen Form erkennt. Gerade zu diesem Orden fehlt bis heute eine vergleichende Analyse der hier offenbar besonders heterogenen Bauformen und Klausurtypen, die sich nicht selten an den anderen Mendikantenorden orientiert zu haben scheinen, gelegentlich in einem langen Festhalten an Solitärbauten aber auch eremitisches Verständnis transportiert zu haben scheinen. Bei den Beginenhöfen wird dann ganz auf den die früh- und hochmittelalterlichen Klosteranlagen strukturierenden Kreuzgang als funktionalem, baulichen und ideellem Mittelpunkt verzichtet.

Insgesamt gibt es seit der Frühzeit des Monastischen eine ideelle Überhöhung und metaphorische Allegorisierung des Klosters sowohl als soziale wie auch als gebaute Einheit. Die Verschiebungen von einer liturgisch-rituellen, teilweise magischen zu einer individualisierten, auf die persönliche Erkenntnis, eine „Seele“ ausgerichteten Frömmigkeit schlägt sich auch hier nieder, wenn das idealisierte, als Paradies gelesene Kloster nicht mehr in der Gemeinschaft und ihrem Bau, sondern in den Gläubigen gesucht wird, was Sonntag besonders betont. Bezeichnend ist, dass etliche Kongregationen/Orden trotzdem meist an dem tradierten Typus der um einen Kreuzgang organisierten Anlage festhalten, dieser gewissermaßen wie ein Signet für reguläres monastischen Leben wirkt.

Die monastischen Raumkonzepte, denen sich der Band widmet, umfassen mehr als den Bautypus des Klosters mit seinen Einzelräumen im Sinne des klassischen, architektonisch definierten Raumbegriffs. In einer soziologischen Begriffserweiterung kann auch die monastische Gemeinschaft sowohl als Summe der Einzelmitglieder des spezifischen Klosters wie auch als einzelne Häuser im Ordensverband als monastischer Raum gelesen werden. Hiervon handelt der Band wenig. Ebenso spielt die Kategorie eines liturgischen Raumes eine wesentliche Rolle: Die hier angesprochenen Gemeinschaften pflegten im Mittelalter alle mehr oder weniger intensiv die monastischen Gebetszeiten, die seit dem 11./12. Jahrhundert vor allem innerhalb des ortsfesten Chorgestühls vollzogen wurden. Liturgischer Kernraum war darüber hinaus der Hochchor als Ort des Hochaltars. Zudem spielten jedoch die Nebenaltäre und andere Orte sowohl im Kirchenraum als auch in der Klausur eine große Rolle. Weite Teile des früh- und hochmittelalterlichen liturgischen Lebens waren durch Prozessionen mit ihren stationes geprägt, die an oft nicht näher architektonisch gefassten Orten gehalten wurden. Der rituelle Vollzug determinierte so den architektonisch nicht unbedingt ausgewiesenen Raum. Kristina Krüger hat dies anhand der Memorialliturgie der Cluniazenser im und vor dem Westbau angesprochen, jedoch gab es noch mehr solcher Orte wie beispielsweise die Stelle der Aufbahrung der Toten meist im westlichen Langhaus, für den die benediktinischen Konvente und viele Kanonikerstifte sogar einen eigenen Hebdomedarius (Wöchner) abstellten. Liturgischer und gebauter Raum sind also nicht immer deckungsgleich und im Jahreskreis prägten punktuelle Riten den Sakralraum in erheblichem Maße mit, wie beispielsweise das ephemäre Ostergrab belegt. Gerade hier fanden jedoch erhebliche Veränderungen im Spätmittelalter statt, als beispielsweise die Langhäuser zunehmend zu gemeindlichen Versammlungsorten und vor allem Bestattungsorten wurden. Für die Klausur gilt das genauso, wenn die sonntägliche Prozession durch den Kreuzgang und die Konventsbauten zunehmend weniger vollzogen wurde, die Prozessionen über die Friedhöfe ohnehin. Diese Liturgien und ortsgebundenen Riten wären als monastische Raumkategorien noch zu diskutieren. Hier besteht weiterhin Forschungsbedarf, der den monastischen Raum nicht nur als architektonischen, soziologischen und allegorischen Raum, sondern ebenso beispielweise als liturgischen Raum etc. thematisiert. Der vorliegende Band mag zusammen mit dem Weingartener Tagungsband „Heilige – Liturgie – Raum“1 hierfür ein wichtiger Anfang sein.

Anmerkung:
1 Dieter R. Bauer u. a. (Hrsg.), Heilige – Liturgie – Raum. Stuttgart 2010.

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