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Titel
Zombie Society. Mediale Modulationen der Figur des Zombie in Vergangenheit und Gegenwart


Autor(en)
Kleinschnittger, Vanessa
Reihe
Short Cuts / Cross Media 8
Erschienen
Baden Baden 2015: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michaela Wünsch, Institute for Cultural Inquiry, Berlin

Das in der von Klaus Neumann-Braun, Alex Schmidt und Henry Keazor herausgegebenen Reihe „Short Cuts/ Cross Media” im Nomos-Verlag erschienene Buch ist 2014 als Dissertation am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel angenommen worden. Es ist in vier Kapitel gegliedert, die sich der Herkunft und Genese des Zombies, seiner medialen Entwicklung, dem Zombie in der theoretischen Analyse sowie in der Rezeption widmen. Der Fließtext wird unterbrochen durch zehn „Blickpunkte“ genannte Abschnitte, die durch Rahmen visuell abgesetzt sind. Sie können in Ergänzung zum Text für sich gelesen werden. Diese Zwischentexte, die einen Umfang von etwa einer Seite haben, führen in jeweils eine Forschungsperspektive auf die Figur des Zombies ein, wie etwa Interpretationen dieser Figur als unheimlich, abjekt, grotesk, als MacGuffin oder leere Allegorie. Sie sind allerdings etwas uneinheitlich, denn andere „Blickpunkte“ widmen sich eher Phänomenen statt Interpretationsansätzen, wie dem langsamen oder schnellen Zombie oder Remakes innerhalb des Zombie-Genres. Ähnlich uneinheitlich ist das Verhältnis von reiner Darstellung und eigenen Erklärungsansätzen. So gibt es zwar nach der Einleitung einen Überblick zur Forschungsliteratur. Diese Darstellung des Forschungsstands umfasst einige US-amerikanische Titel und die wesentlichen deutschsprachigen Bände, muss aber leider als unvollständig bezeichnet werden. So geht Vanessa Kleinschnittger kaum auf die in den Sammelbänden vertretenen Positionen ein und lässt wichtige Beiträge wie James McFarlands oder Drehli Robniks Arbeiten zum Thema unerwähnt.1

An der erwähnten Literatur bemängelt Kleinschnittger, dass die Seite der Rezeption bislang nicht berücksichtigt wurde und es keine umfassende Untersuchung zur gesamten medialen Entwicklung der Figur des Zombies gab. Die Verfasserin beabsichtigt, diese beiden Desiderate zu füllen. Tatsächlich ist die Studie sehr umfassend bezüglich des Materials und erfasst fast jegliche Erscheinungsform des Zombies, von der haitianischen Voodoo-Kultur bis zum Computerspiel.

Zunächst geht die Autorin ausführlich auf die Herkunft des Mythos um den Zombie in der Geschichte Haitis und den religiösen Praktiken des Voodoo ein. Insgesamt schildert sie im ersten Kapitel sehr genau und sensibel die Kolonialgeschichte und den Rassismus in Haiti sowie die Rezeption des Voodoo außerhalb Haitis und die Herkunftsgeschichte der Figur des Zombies, die eng mit der Sklaverei verbunden ist. Problematisch ist jedoch, dass sie mangels Literatur aus Haiti selbst „westliche“ Literatur benutzt, um entweder den Rassismus zu kritisieren oder eine „authentischere“ Lesart anzubieten. Auch bleiben Begriffe wie „westlich“ oder „rassistische Färbung“ (S. 68) ungenau. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit Rassismustheorien und Theorien zum Kolonialismus hätte zu einer Präzisierung beigetragen.

Das zweite Kapitel widmet sich der medialen Inszenierung des Zombies, wobei sich Kleinschnittger sehr ausführlich den frühen, aber wenigen Zombiefilmen der 1930er- und 1940er-Jahre widmet. Diese Schwerpunktsetzung mag dem Interesse an der Voodoo-Tradition der Verfasserin geschuldet sein, denn die Handlungen der wichtigsten Filme dieser Ära wie WHITE ZOMBIE (1932) oder I WALKED WITH A ZOMBIE (1943) sind noch in Haiti angesiedelt. Neben der ausführlichen Besprechung dieser Filme werden die zahlreichen Zombiefilme ab den 1960ern aus den USA und Europa, insbesondere Italien, vergleichsweise kurz angerissen und die Analyse kommt wegen des Anspruchs an quantitativer Vollständigkeit kaum über eine Überblicksdarstellung hinaus. Nur den Filmen des kürzlich verstorbenen George Romero NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) und DAWN OF THE DEAD (1979) wird jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet, was sowohl durch die vergleichsweise umfangreiche Forschung, wie auch durch die außerordentliche Stellung seiner Filme als „state of the art“ (S. 89) durchaus gerechtfertigt ist. In der Analyse von NIGHT OF THE LIVING DEAD fällt der Widerspruch auf, dass die Autorin einerseits behauptet, einzig die (weiße) Hauptdarstellerin Judith O’Dea sei eine professionelle Schauspielerin, sie auf derselben Seite (S. 81) jedoch darauf hinweist, dass der Charakter Ben von dem schwarzen Theaterschauspieler Duane Jones gespielt wird. Zugleich zeichnet sich jedoch auch diese Besprechung durch die Perspektive auf den Rassismusdiskurs aus, der sich in dem Film eher verdeckt niederschlägt und in früheren Analysen oftmals unterschlagen wurde. Doch fehlt auch hier, wie oben angemerkt, ein präziser begrifflicher Rahmen. Weitere Unterkapitel widmen sich Zombiefilmen aus Italien, Computerspielen, dem Zombie als komischer Figur und den Tendenzen im Zombiefilm nach der Jahrtausendwende bis 2015, dem Erscheinungsjahr des Buches.

Erst nach 140 Seiten stellt Kleinschnittger ihre Methode und ihren theoretischen Erklärungsansatz vor, die auf Erving Goffmans Rahmenanalyse und Jürgen Habermas’ These der Kolonialisierung der Lebenswelt basieren. Zunächst leuchtet es nicht direkt ein, warum die Autorin soziologische Modelle zur Alltagserfahrung auswählt, um mediale Inszenierungen zu untersuchen. Da sie aber die Zombie-Thematik auswählt, um zu erklären, wie die Erfahrung der Sklaverei auf Haiti verarbeitet wurde, ergibt dies in diesem Kontext durchaus Sinn. Goffman folgend interpretiert sie den haitianischen Zombieglauben als „primären Rahmen“ (S. 146), die Transformation des Mythos als mediale Modulation. Letztere begreift sie als „Nachformung des Alltagslebens“ (S. 151), in der die Verfassung der wirklichen, sozialen Gruppe beleuchtet wird. „Durch die Nachformung und Spiegelung des Alltagslebens im Modul [...] werden Aussagen über dieses gemacht [...].“ (S. 151) Auf diese Weise werfe das „Modul“ Zombiefilm einen Blick zurück auf „unser vorhandenes System von Vorstellungen und Weltbildern“ (S. 151). Im speziellen reflektiert die Figur des Zombies eine als fremdbestimmt wahrgenommene Interaktion zwischen System und Lebenswelt, die die Verfasserin Habermas folgend als „Kolonialisierung der Lebenswelt“ bezeichnet, die als „Eingriff ins Intime, als Unterjochung und traumatischer Bruch empfunden [wird] – ebenso wie die eigentliche Kolonialisierung für die haitianischen Sklaven“ (S. 167). Der Zombie verkörpert dabei dreierlei: die Imperative der Systemwelt selbst, die Angst davor, vollkommen von dem System assimiliert zu werden und die Apokalypse als Endprodukt der Kolonialisierung der Lebenswelt (S. 170). Die Autorin stellt die These auf, dass in der Rezeption von Zombie-Modulationen, wie sie die verschiedenen medialen Produkte nennt, die Möglichkeit erschlossen wird, sich mit den gesellschaftlichen Zwängen stellvertretend auseinanderzusetzen (S. 173).

Im letzten Teil des Buches untersucht die Autorin in der Folgekommunikation der Rezipienten anhand von facebook-Gruppen, ob in der Rezeption die „Rückeroberung der eigenen Identität und Lebenswelt“ und die „Befreiung von systemischen Imperativen“ verhandelt wird (ebd.). Dabei bedient sie sich eines strukturanalytischen Rezeptionsmodells Michael Charltons und Klaus Neumann-Brauns, nach dem Medienrezeption nicht nur der Unterhaltung diene, sondern der „Reflexion lebensweltlicher Deutungsmuster“ (S. 175) am gesellschaftlichen Anderen. Rezipienten werden in diesem Modell als aktiv Handelnde und die Rezeption als soziale Handlung begriffen. Interkommunikative Medienverarbeitungen wie jene in facebook-Gruppen dienen der Aneignung von Medienerfahrung, der Identitätsbildung und Selbstverortung. Obwohl dieses Modell überzeugend ist, da es Medienrezeption als „Balance zwischen Eintauchen ins Mediengeschehen und Distanzierung“ (S. 178) begreift, fällt die eigentliche Analyse unbefriedigend aus. Denn die Beispiele, die Kleinschnittger auswählt, stehen im Widerspruch zu ihrer These, da sie meiner Ansicht nach über einen fan- und genrespezifischen Austausch über spezifische Zombiefilme nicht hinausgehen. Wenn die Verfasserin Kommentare zu der in diesen Filmen typischen Zombie-Survival-Fantasie als Vorstellung einer „Befreiung von einem undurchschaubaren System“ (S. 196) interpretiert, dann steht dies zum einen im Widerspruch zu ihrer These, dass die Zombie-Apokalypse für die vollständige Kolonisierung der Lebenswelt steht, zum anderen finde ich in den angeführten Zitaten aus der facebook-Kommunikation keinen Hinweis darauf, dass die Kommentare diese filmische Fantasie tatsächlich auf die Lebenswelt der Rezipienten übertragen, sondern sie scheinen vielmehr im Rahmen der filmischen Fantasie zu bleiben.

Im Schlusswort fasst Kleinschnittger sehr übersichtlich den Aufbau, die Inhalte und ihre abschließende These zusammen, die darin besteht, dass die zunehmende Beliebtheit des Zombie-Genres mit einer „Eskalation des Konflikts zwischen Lebenswelt und System“ einhergeht, der durch das Genre nicht nur gespiegelt, sondern auch bewältigt wird (S. 201). Obwohl die vorhergehenden 200 Seiten durchaus unterhaltsam zu lesen sind, mögen sich viele Leser auch nach der Lektüre der letzten vier Seiten ausreichend über die wichtigsten Inhalte des Buches informiert fühlen. Wer sich jedoch eingehender für das Zombie-Genre interessiert, wird über dessen Ursprünge bestens informiert und erhält einen ziemlich umfassenden Überblick, was das Genre hervorgebracht hat.

Anmerkung:
1 James McFarland, Philosophy of the Living Dead: At the Origin of the Zombie-Image, in: Cultural Critique 90 (2015), S. 22–63; James McFarland, Profane Apokalypse. George A. Romeros ‘Dawn of the Dead’, in: Julia Köhne / Arno Meteling / Ralph Kuschke (Hrsg.), Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, Berlin 2005, S. 29–46; Drehli Robnik, Das große Taumeln und die kleine Politik: Überlegungen zu einer Dissens-Ästhetik des neueren Zombiekinos, in: Zeitschrift für Fantastikforschung II, 1 (2012), S. 76–97; Drehli Robnik, Kontrollhorrorkino: Gegenwartsfilme zum prekären Regieren, Wien 2015; Drehli Robnik, Miteinander wohnen, auseinander leben. Vitalismus und Politik in Marvin Krens und Benjamin Hesslers Zombiefilm „Rammbock“, in: kolik 14 (2010), S. 116–119; Drehli Robnik, Kino im Zeichen der Zombies. Untote Filmfiguren als Denkbilder in politischen Filmtheorien, in: Michael Fürst / Florian Krautkrämer / Serjoscha Wiemer (Hrsg.), Untot. Zombie, Film. Theorie, München 2010, S. 233–255.