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Titel
Nazi Chic?. Fashioning Women in the Third Reich


Autor(en)
Guenther, Irene
Erschienen
Oxford 2004: Berg Publishers
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
$28.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tina Dingel, Department of History, University of Limerick

Weist die Konsumgeschichte des Nationalsozialismus noch Lücken auf 1, so mutet die Modegeschichte jener Zeit bis auf sehr wenige, eher spärlich beleuchtete Aspekte 2, wie ein „schwarzes Loch“ an. Dies liegt zum einen sicher an der noch nicht abgeschlossenen Etablierung einer kritischen Modegeschichte, die über das reine Nachzeichnen von Änderungen der Bekleidungsgewohnheiten hinausgeht. Zum anderen mag der Grund auch in der vereinfachenden, aber immer noch verbreiteten, Annahme zu suchen sein, die Mode im „Dritten Reich“ sei durch Uniform-Zwang und weitere staatliche Eingriffe außer Kraft gesetzt worden. Allenfalls für junge Frauen sei die Mode während dieser Zeit ein Thema geblieben. 3 Das vom nationalsozialistischen Regime propagierte Bild der deutschen Frau in deutscher Tracht, sprich Dirndl, wirkt insoweit vor dem geistigen Auge nach.

Genau diesem Bild will Guenther in ihrem Buch unter anderem begegnen und zeigen, das Frauen durchaus die Möglichkeit hatten, ihr Erscheinungsbild unter Umgehung staatlicher Reglementierungsversuche und Missachtung ideologischer Grundsätze selbst zu gestalten und sie diese Chance auch nutzten. Damit möchte sie zu einem nuancierteren Bild der Alltagsgeschichte des „Dritten Reichs“ beitragen und dessen inhärente Widersprüchlichkeiten, z.B. zwischen dem Anspruch auf Modernität und der Rückbesinnung auf scheinbar „deutsche Tradition“, sichtbar machen. Zwei weitere Bereiche, die sie in ihrer Arbeit beleuchten will, sind die ideologischen Kämpfe innerhalb der nationalsozialistischen Politik-Hierarchie um Frauenkleidung und Frauenbild und auf der Ebene der Ereignisgeschichte die deutsche Modeindustrie mit ihrem großen und historisch bedeutenden Anteil jüdischer Betriebe und der Maßnahmen, die zu ihrem Untergang führten. Damit hat Guenther für ihre Studie einen breiten Themenbereich abgesteckt. Deshalb und weil sie sich mit ihrer Arbeit in der angelsächsischen Tradition der Geschichtsschreibung auch an ein breiteres Leserpublikum wendet, hält sie es für gegeben, über den Bereich der Modegeschichte hinaus relevante Fakten der deutschen Geschichte mitzuliefern und diese in ihre Erzählstruktur einzubauen.

So gliedert sie ihr Buch in zwei Teile. Der erste Teil umfasst auf fast 90 Seiten die Einleitung sowie zwei Kapitel zur Vorgeschichte. Im ersten dieser beiden Kapitel zeichnet Guenther die Diskussionen um Mode, und hiermit beschreibt sie, wie auch im Rest des Buches, ausschließlich Frauenmode, während des Ersten Weltkriegs nach. Sie konzentriert sich auf den deutsch-französischen Antagonismus, der während des Kriegs zu seinem Höhepunkt kam und auch in der Diskussion um Mode und damit um die Rolle der Frau in der Gesellschaft seinen Niederschlag fand. Während sich die französischen Medien und die Öffentlichkeit über die altbacken gekleidete und mollige deutsche Frau lustig machten, zog man sich in der deutschen Diskussion auf eine moralische Position zurück und beschrieb französische Mode und damit französische Frauen als frivol, vulgär und verschwenderisch. Weibliche Geschlechtlichkeit und Sittlichkeit wurden in diesen öffentlichen Diskussion miteinander verquickt. Im Deutschen Reich wurde konsequenterweise alles Französische abgelehnt und eine „Rückbesinnung“ auf eine nationale Mode wurde propagiert, wobei unklar blieb, was genau das „Deutsche“ an der Mode seien sollte. Ein kurzer Abriss der „Dolchstoß-Legende“ dient Guenther als Einstieg in die Darstellung der schwierigen Situation deutscher Juden während des Ersten Weltkriegs, die sich verstärkt antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt sahen.

Im zweiten Kapitel widmet sich Guenther der „Neuen Frau“ der Zwischenkriegsjahre und der Rolle, die ihre Bekleidung spielte oder zugeschrieben wurde. Sie zeichnet die zeitgenössischen Diskurse um Geschlechterrollen nach, verbindet sie mit Informationen über die sich verändernden Produktionsprozesse in der Modeindustrie und gibt einen Überblick über die Historiografie der „Neuen Frau“ und den aktuellen Forschungsstand zum Thema. Neben der vermeintlichen Maskulinisierung der Frau durch die Mode schafft Guenther es auch, die von den Zeitgenossen wahrgenommene Amerikanisierung zu thematisieren, sowie erneut anti-semitische und anti-französische Haltungen zu erwähnen. Um die prominente Position jüdischer Unternehmer und Angestellter in der deutschen Modeindustrie und die Wurzeln des Antisemitismus für den Leser freizulegen, greift sie weit zurück, bis zum Dreißigjährigen Krieg und liefert einen kurzen Abriss über politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland bis zum Ende der 1920er-Jahre.

Im ersten Kapitel des insgesamt fünf Kapitel umfassenden zweiten Teil des Buches, beschreibt Guenther die von den verschiedenen Stellen des nationalsozialistischen Regimes und der Parteiorganisationen propagierten Vorstellungen von korrekter Frauenkleidung, in denen die Trachtenmode und der Verzicht auf Kosmetika die zentrale Stellung einnahmen. Die Rolle der Frau als Mutter, Hausfrau und deutsch-nationale Konsumentin sollte so gestützt werden. Dass das nationalsozialistische Konzept „natürlicher Schönheit“ recht wirklichkeitsfremd war, zeigt Guenther mit ihrer Analyse von zeitgenössischen Frauenzeitschriften, der darin publizierten Werbung für Schönheitsprodukte, sowie der getätigten Käufe. Die Such nach einer „First Lady of the Reich“ unter den Frauen der Nazifunktionäre zeigte, wie wenig diese dem propagierten Schönheitsideal entsprachen und zu entsprechen suchten. Guenther illustriert u.a. anhand von Magda Goebbels und Emmy Göring, letztere durfte für eine Zeit den Titel der „first lady“ tragen, wie Propaganda und Praxis auseinander klafften. Auf der einen Seite die natürliche, arische Schönheit, die keine Kosmetika benutzte und auch nicht benötigte, auf der anderen Seite die Realität in Form der Frauen verschiedener Funktionäre, die sich nicht scheuten, ihre Roben von jüdischen Designern zu beziehen.

Im nächsten Kapitel beschreibt die Autorin die Intensivierung der Verfolgung jüdischer Unternehmer in der Modeindustrie durch die Nationalsozialisten. Besonders beleuchtet sie die Gründung zweier Organisationen, „Adefa“ (Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie) und „Adebe“ (Arbeitsgemeinschaft deutscher Unternehmer der Spinnstoff-, Bekleidungs- und Lederwirtschaft), die sie als Beispiele für Initiativen „von unten“ zitiert, die opportunistisch das politische Klima zur Förderung der eigenen ökonomischen Interessen zu nutzen suchten.

Im dritten Kapitel des zweiten Teils wendet sich Guenther dem Deutsches Modeamt, später Deutsches Mode-Institut (DMI) zu. Dieses war die einzige Organisation der Bekleidungsindustrie, die mit Unterstützung auf ministerieller Ebene des nationalsozialistischen Regimes operierte. Guenther liest die Geschichte der Etablierung und der Entwicklung des DMI als emblematisch für die Widersprüche und Hindernisse, die bei dem Versuch der Erschaffung einer „deutschen“ Mode auftraten.

Bis 1939 pilgerten noch alle deutschen Modeschaffenden und -interessierten nach Paris zu den Modeschauen, um sich dort neue Anregungen für die eigene Arbeit oder den eigenen Stil zu holen. Der deutsche Sieg über Frankreich füllte die Modewelt daher mit heimlichem Entsetzen, da sie ihres Orientierungspunktes beraubt wurde. Die Auswirkungen des Krieges wurden zunehmend auch an der „Heimatfront“ durch Rationierungen spürbar. Nach der neuesten Mode gekleidet zu sein war für die Mehrheit der Frauen nicht mehr die Sorge, sondern die Suche nach passender Kleidung und Schuhen wurde bestimmend. Ab 1941 wurde die Rohstoffversorgung noch schwieriger, es wurde mit Ersatzstoffen experimentiert. Fischhaut wurde versuchsweise als Lederersatz verwendet, Schuhabsätze aus Plexiglas oder Korkresten wurden entworfen, die Herstellung von Kunstfasern vorangetrieben. In den Frauenzeitschriften wurden Tipps zum Recycling alter Kleidungsstücke zu neuen gegeben. Im Kriegsverlauf wurden gezwungenermaßen auch Hosen tragende Frauen von den Nazis akzeptiert, stellten sie doch die wärmste Bekleidung dar.

In einem Subkapitel geht Guenther auf Schicksal der jüdischen Gefangenen in Ghettos und Konzentrationslagern ein. Mode war, wo es um das nackte Überleben ging, nicht mehr von Interesse. Die zynische Ausbeutung weiblicher Gefangener für die Herstellung von modischer Bekleidung für die Frauen der Nazigrößen lässt sie ebenfalls nicht unerwähnt. Die Suche nach einer „deutschen“ Mode lieferte am Kriegsende ein Ergebnis, wenn auch nicht das gewünschte. Trümmerfrauen trugen gezwungenermaßen ein Flickenkleid aus alten Zuckersäcken und dazu eine Handtasche aus Teilen einer Gasmaske.

Guenther erreicht mit ihrem Buch die selbst gesteckten Ziele: sie macht Widersprüchlichkeiten innerhalb des nationalsozialistischen Regimes anhand von Modegeschichte sichtbar, erschließt diese Geschichte für die englischsprachige Leserschaft und macht sie durch eine zusammenhängende Darstellung und umfangreiche Hintergrundinformationen zur deutschen Geschichte für ein breites Publikum zugänglich. Ihr Buch bietet damit eine breite Plattform, von der aus in der Zukunft tiefergehende Analysen gestartet werden können. Wer auf der Suche nach spezifischeren Informationen ist, findet mit den umfangreichen Fußnoten und der umfassenden Bibliografie einen aktuellen Forschungsüberblick.

Anmerkungen:
1 Hartmut Berghoff: Rezension zu: König, Wolfgang: Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft. "Volksprodukte" im Dritten Reich: Vom Scheitern einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft. Paderborn 2004. In: H-Soz-u-Kult, 04.11.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-085>.
2 Siehe das eher populärwissenschaftliche Werk Westphals, Uwe, Berliner Konfektion und Mode, Die Zerstörung einer Tradition, 1836-1939, Berlin 1986; Sultano, Gloria, „Wie geistiges Kokain“, Mode unterm Hakenkreuz, Wien 1995.
3 Sywottek, Arnold, „Zwei Wege in die „Konsumgesellschaft““, in: Schildt, Axel; Sywottek, Arnold, Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1998, S. 269-274, hier S. 271.

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