Cover
Titel
Lateinamerika. Eine Einführung


Autor(en)
Werz, Nikolaus
Reihe
Studienkurs Politikwissenschaft
Erschienen
Baden-Baden 2005: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Riekenberg, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Einführungen in die Geschichte und Politik Lateinamerikas in deutscher Sprache sind nach wie vor rar. Jede Publikation in diese Richtung, die wissenschaftlichen Kriterien genügt, ist deshalb zu begrüßen, zumal sie in den universitären Proseminaren und Grundkursen den Dozenten mehr Variationsmöglichkeiten im Materialangebot an die Studierenden unterbreitet. Dieser unmittelbar didaktische Zweck zeichnet auch den vorliegenden Band aus, der von Nikolaus Werz, an der Universität Rostock Professor für Vergleichende Regierungslehre, geschrieben und in der Reihe „Studienkurs Politikwissenschaft“ erschienen ist. Hierbei handelt es sich, um dies vorweg zu nehmen, um einen sehr nützlichen, durchdachten und gut leserlichen Band, der für Studierende der Politikwissenschaft, die sich für Lateinamerika interessieren, von großem Nutzen sein sollte.

Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive verfasst, setzt sich der Band, wie es im Klappentext heißt, zum Ziel, neben einem historischen Abriss eine systematische Analyse der politischen Systeme in Lateinamerika zu liefern. Der Staat und die Regierungsformen bzw. Regimetypen, die Parteien und Wahlsysteme sowie die politische Kultur in Lateinamerika stehen denn auch im Zentrum der Betrachtung. Schaut man in den Band hinein, so zeigt sich, dass er aber noch ein wenig mehr beinhaltet, beginnend bei einer Art landeskundlichem Überblick, der unter der Überschrift „Wo liegt Lateinamerika“ über Land und Menschen, Demografie und Urbanisierung, informiert bis hin zur Erörterung von Gender-Fragen, die hier in einem Teilkapitel zusammengefasst sind, das mit „Frauen“ überschrieben ist. Somit dokumentiert der Band sein Interesse, sich auch anderen als den „klassischen“ Politikgebieten zu öffnen und neuere Forschungsentwicklungen in seine Betrachtung zu integrieren. Weil der Band als Studienbuch konzipiert ist, beinhaltet er neben den inhaltlichen Überblicken überdies spezifische didaktische Teile. Dazu zählen etwa Hinweise auf andere Medien wie Filme, die zu Unterrichtszwecken eingesetzt werden können. Hinzu kommt ein Abschnitt „Worüber es sich zu diskutieren lohnt“, der am Ende jedes Kapitels steht und für Oberstufenschüler/innen oder untere Semester als Einstieg in die nähere Erörterung des Themas gedacht ist. So finden die Leser/innen in dem Band eine für Studienzwecke konzipierte, ansprechende, klar aufgebaute Betrachtung Lateinamerikas aus politikwissenschaftlicher Perspektive. Die Darstellung ist solide und der Informationsgehalt überzeugend.

Kritische Einwände gibt es dennoch, wobei aus meiner Sicht zwei Punkte zu nennen sind. Zum einen hätte man sich bei den Literaturangaben mitunter etwas aktuellere Angaben gewünscht. Die Literatur zum Caudillismus zum Beispiel umfasst einen Aufsatz von 1978 sowie ein Buch von Robert Gilmore über Venezuela, das 1964 erschien (S. 114ff.). Der neueste Forschungsstand zum Thema findet sich darin nicht mehr. Zum anderen bleibt nach meinem Verständnis der Geschichte Lateinamerikas die Darstellung zu sehr den Formen politischer Herrschaft verhaftet und schenkt zu wenig Aufmerksamkeit den Gewohnheiten und lokalen Bedeutungen, die in der offiziellen Selbstinszenierung der politischen Systeme zwar keinen Platz haben, ohne die jedoch politisches Geschehen nicht zu verstehen ist. Hier wäre wünschenswert gewesen, dass der Band sich mehr für den cultural turn in den Lateinamerikawissenschaften interessiert. Der wird im Buch zwar angesprochen (S. 352), aber nicht als eigene Perspektive verfolgt. Vielmehr wird „Kultur“ in dem Studienbuch in traditioneller Weise als ein gesonderter Gegenstandsbereich behandelt, der Aspekte wie die Architektur oder die Literatur (S. 40ff.) umfasst. Zwar mag man einwenden, dass eine kulturanthropologische Perspektive für die Disziplin, um die es hier geht, die Politikwissenschaft also, nicht relevant ist, was ich als Fachfremder nicht zu beurteilen vermag. Aber, so die Frage, können wir die politischen Systeme in Lateinamerika, denken wir etwa an die staatsfernen Gesellschaften im Hochland Mexikos oder der Anden im langen 19. Jahrhundert, ohne Hilfe der Kulturanthropologie tatsächlich für uns „richtig“ deuten? Und müssen wir uns nicht mehr als bislang dafür interessieren, welche Bedeutungen lokale, analphabetische und in ihrer eigenen Nation ethnisch fremde Bevölkerungen mit der Etablierung und Transformation von Herrschaft verbanden? Zumal das Konzept der Politischen Kultur, das in diesem Band ausführlich abgehandelt wird und das dem anthropologischen Interesse am nächsten kommen dürfte, hierfür ja konzeptionelle Berührungen anbietet, sofern darunter in methodischer Hinsicht mehr als Meinungsforschung verstanden wird.

Zusammengefasst leistet der Band einen sehr nützlichen Überblick über die politikwissenschaftliche Forschung zu Lateinamerika mit den ihr eigenen Schwerpunkten. Für Studienzwecke handelt es sich um eine lesenswerte, hilfreiche Darstellung.

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