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Titel
Generationenforschung.


Autor(en)
Jureit, Ulrike
Reihe
Grundkurs Neue Geschichte
Erschienen
Göttingen 2006: UTB
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva-Maria Silies, Graduiertenkolleg Generationengeschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Generation ist überall. Diesen Eindruck bekommt nicht nur, wer die Ausrufungen immer neuer Generationen im Feuilleton und der Unterhaltungskultur verfolgt, sondern auch, wer sich mit wissenschaftlichen Konzepten und Strukturierungsversuchen des Generationenbegriffs beschäftigt. Generation scheint sich in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung zu einer Kategorie zu entwickeln, die von immer mehr Wissenschaftler/innenn verwendet wird, die zugleich aber einer permanenten Kritik ausgesetzt ist.

Die neu gegründete, von Manfred Hettling, Martin Sabrow und Hans-Ulrich Thamer herausgegebene Reihe „Grundkurs Neue Geschichte“ hat den Anspruch, „einen Einstieg in die Beschäftigung mit [...] einem bestimmten Sachgebiet“ sowie „einen knappen, auf wesentliche Kategorien, Leitideen, Konzeptionen und Probleme konzentrierten Überblick zu einer Theorie, einem Sachgebiet, einer Epoche, einer propädeutischen Fragestellung“ zu geben.1 Ulrike Jureit wagt dieses Unternehmen in dem Band „Generationenforschung“, und angesichts der weitläufigen und oftmals unreflektierten Verwendung des Begriffs erscheint es mutig, einen Einführungsband zur Generationenforschung zu verfassen, der auf nur 144 Seiten „Ansätze, Konzepte und Methoden vor[stellt] und die unterschiedlichen Gebrauchsweisen generationeller Deutungsmuster [untersucht]“ (Klappentext). Aber es gelingt Jureit, die Ansprüche der Herausgeber zu erfüllen.

In ihrem Einführungskapitel skizziert sie den weiten Verwendungsrahmen des Generationenbegriffs und versucht zugleich, ihn mit anderen Begriffen der historischen Forschung in Bezug zu setzen (z.B. „Erfahrung“, „Verarbeitung“, „historischer Wandel“). Sie weist auf Ungenauigkeiten in der wissenschaftlichen Praxis hin, wenn sie beispielsweise die nicht immer beachtete Unterscheidung zwischen Generation als Selbstthematisierungsformel und als analytische Kategorie einfordert (S. 9).

Im ersten von drei Kapiteln erläutert und diskutiert Jureit Karl Mannheims klassischen Aufsatz „Das Problem der Generationen“.2 Sie legt Mannheims Trias von Generationslagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheit dar und arbeitet zugleich noch nicht ausgetretene Pfade der Deutung heraus. So verweist sie auf den gestalttheoretischen Ansatz in Mannheims Theorie (S. 23f.) und betont, dass dieser Einfluss in der Rezeption bisher zu wenig beachtet worden sei. Erläutert wird auch die historische Entstehung des modernen Generationsverständnisses aus den Umbrüchen der Französischen Revolution.

Im zweiten Hauptkapitel stellt Jureit unterschiedliche Generationenkonzepte vor und konkretisiert diese anhand ausgewählter Forschungsbeispiele, woran sich wiederum die Anschaulichkeit des gesamten Bandes zeigt. So skizziert sie unter der Überschrift „Selbstthematisierungen und historische Bezugsereignisse“ Forschungen von Ulrich Herbert3 und Michael Wildt4, die aus der Verbindung von Generation, Institution und Situation ein Erklärungsmodell für individuelles und kollektives Handeln einer kleinen Gruppe von Personen konzipiert haben. Aber Jureit weist auch auf mögliche Probleme eines derartigen Ansatzes hin: mangelnde „Repräsentativität“ (S. 46), „angenommene Homogenität“ (S. 47), „unspezifische Koppelung generationeller Selbstthematisierungen an historische Bezugsereignisse“ (S. 48). Eine wichtige Funktion von Generationskonzepten sieht sie im „Ordnen von Geschichte“ und vergleicht Generation in dieser Hinsicht mit anderen Kategorien wie Klasse, Schicht oder Geschlecht, ja bescheinigt der Kategorie Generation sogar, den „herkömmlichen Faktoren den Rang abgelaufen“ zu haben (S. 54).

Weiterhin geht Jureit im Folgenden auf pädagogisch-psychologische Generationenkonzepte ein, die einen anderen Blickwinkel als die historisch-soziologische Forschung einnehmen, nämlich eher auf die vertikale statt auf die horizontale Generationenperspektive. Sie orientieren sich an der Familie als sozialer Formation und konzentrieren sich auf die Analyse der für Familie und Gesellschaft in der Gegenwart relevanten Beziehungsmuster. Der psychoanalytischen Generationenforschung widmet Jureit ein weiteres Unterkapitel und konzentriert sich dabei auf die als „Transgenerationalität“ bezeichnete „Weitergabe konflikthafter, unbearbeiteter Inhalte an die nächste Generation durch ausbleibende Ent-Identifizierung“ (S. 74). Dabei wird deutlich, dass sich dies vor allem (vielleicht sogar ausschließlich) auf die Deutung der nationalsozialistischen Vergangenheit durch die Erfahrungsgeneration sowie die Weitergabe an die Kinder- und Enkelgeneration beziehen lässt. Des Weiteren stellt Jureit Generationen als Erfahrungsgemeinschaften dar und holt dabei in der Erklärung weiter aus als bei anderen Konzepten, wenn sie zunächst ausführlich die Unterschiede zwischen „Erfahren“ und „Erleben“ darstellt. Dies dient ihr dazu, Reinhart Kosellecks Modell von Erfahrungsgewinn und Generationenbildung zu erläutern.

In einem letzten Hauptkapitel analysiert Jureit die kollektiven Verständigungen, die zur Ausbildung von Generationen und der Kommunikation darüber nötig sind. Die Herstellung einer Generation, das „generation building“ (S. 87), beschreibt sie als ein im privaten und öffentlichen Raum stattfindendes Kommunikationsgeschehen, das vor allem durch ein an Generationsobjekte gebundenes Gemeinschaftsgefühl charakterisiert sei. Treffend weist sie darauf hin, dass eine enge Korrespondenz zwischen Bildern und der Generationsbildung besteht. Etwas überraschend allerdings räumt sie im Gegensatz zu anderen historisch arbeitenden Generationsforschern5 den nicht mehr durch Kriegsereignisse geprägten postheroischen Generationen wie der „Generation Golf“ oder der „Generation Ally“ breiten Raum ein. Sie grenzt diese zwar von den „heroischen“ Generationsentwürfen ab – die „68er“ gelten als letzte dieser scheinbar verlorengegangenen Gruppen – und betont den lebensweltlichen Bezug sowie die spielerischere Generationsidentifikation. Wie schwer es Jureit aber dennoch fällt, diese Konzepte in ihr eigenes Verständnis von Generation einzubauen, zeigt sich vielleicht daran, dass in erstaunlicher Länge Passagen aus den einschlägigen Werken von Florian Illies6 und Katja Kullmann7 wiedergegeben werden, ohne diese näher zu analysieren. Bei einer weiteren Generationskonzeption, der Generation des Wohlfahrtsstaates, verlässt sich Jureit zunächst auf die in der entsprechenden Forschungsliteratur vermittelte Darstellung, bewertet das Konzept dann aber durchaus kritisch. Sie entlarvt den vermeintlichen „Kampf der Generationen“ als einen ökonomischen und sozialen Verteilungskampf, der lediglich generationell aufgeladen werde.

Wer sich halbwegs intensiv mit der Generationenforschung der letzten Jahre auseinandergesetzt hat, der erwartet wohl nicht, von einem verhältnismäßig schmalen Band neue Impulse zu bekommen. Und doch kann sich hier auch der belesene Generationenforscher an einigen Stellen überraschen und anregen lassen. Wenig Überraschendes hält der Band allerdings für diejenigen bereit, die den von Ulrike Jureit und Michael Wildt herausgegebenen Sammelband zur Generationenforschung kennen.8 Fast jeder der dort enthaltenen Beiträge wird zitiert; manche, wie Kaspar Maases Text zum postheroischen Generationsverständnis, werden auch sehr textnah referiert.

Die kommentierte Auswahlbibliografie enthält dann zahlreiche wichtige Titel zu verschiedenen Forschungsrichtungen und ist damit, wie es dem Reihenkonzept entspricht, gut für den Studien- und Forschungsalltag verwendbar. Wer eine alphabetische Bibliografie wünscht, findet diese im Internet; zu jedem Band der Reihe existiert eine Art Portal, in dem es weitergehende Materialien für Interessierte geben soll.9 Bisher findet sich dort für den Generationen-Band das Inhaltsverzeichnis, die Einleitung und die genannte Bibliografie – aber (noch) nicht, wie bei der Vorstellung auf dem Historikertag in Konstanz angekündigt, ein Seminarplan zu dem Thema, der es Lehrenden ermöglichen soll, ein ganzes Seminar zum Thema „Generationenforschung“ zu konzipieren. Es bleibt zu hoffen, dass dies bald nachgeholt wird, denn so könnte sich die Reihe von Einführungspublikationen anderer Verlage absetzen.

Alles in allem hat Ulrike Jureit mit ihrem Band zur Generationenforschung eine hervorragende Einführung in das Themengebiet vorgelegt, die es Studierenden, Lehrenden und anderen Interessierten ermöglicht, sich in knapper Form einen Überblick zu verschaffen. Weil dabei auch die Probleme und Gefahren der oft diffus verwendeten Generationsthematik angesprochen, aber zugleich forschungspragmatische Handlungsanweisungen gegeben werden, kann der Band jedem empfohlen werden, der sich für die Generationenforschung interessiert.

Anmerkungen:
1 <http://www.grundkurs-neue-geschichte.de>.
2 Mannheim, Karl, Das Problem der Generationen, in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 7 (1928), S. 157-185, S. 309-330.
3 Herbert, Ulrich, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903–1989, Bonn 1996.
4 Wildt, Michael, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002.
5 Vgl. dazu unter anderem: Weisbrod, Bernd, Generation und Generationalität in der Neueren Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 55 (2005) H. 8, S. 3-8, vor allem S. 4, online unter URL: <http://www.bpb.de/publikationen/XF3FP1,0,0,Generation_und_Generationalit%E4t_in_der_Neueren_Geschichte.html>; Niethammer, Lutz, Annäherungen an das Thema „Generationalität“, in: Reulecke, Jürgen (Hg.), Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 1-16, hier S. 14.
6 Illies, Florian, Generation Golf. Eine Inspektion, Berlin 2000.
7 Kullmann, Katja, Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein, Frankfurt am Main 2002.
8 Vgl. Jureit, Ulrike; Wildt, Michael (Hgg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005.
9 Siehe Anm. 1.

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