Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit

Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit

Organisatoren
Günther Schulz, Bonn; Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V.; Institut für personengeschichtliche Forschung, Bensheim
Ort
Büdingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.04.2000 - 15.04.2000
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Von
Thilo Nowack, Bonn

38. Tagung "Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte", veranstaltet von Günther Schulz (Bonn) in Zusammenarbeit mit der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V., und dem Institut für personengeschichtliche Forschung (Bensheim) vom 13. bis zum 15. April 2000 in Büdingen.

An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit kam es in den gesellschaftlichen Führungsschichten zu bemerkenswerten Prozessen sozialer Mobilität. Neue Funktionseliten drängten in die Führung der Städte, der Höfe und territorialen Verwaltungen, der Kirche und des Militärs. Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf Vorgänge wie den Aufstieg des Handelskapitals, einer frühen Form von "Professionalisierung" und das Vordringen einer Beamtenaristokratie infolge wachsender Verwaltungsaufgaben. Die Entstehung neuer Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit waren das Thema der 38. Büdinger Gespräche. Dabei fokussierte Tagungsleiter GÜNTHER SCHULZ (Bonn) in seinen einleitenden Überlegungen den Blick auf die Aufstiegsvorgänge selbst, auf deren Ursachen, Leitbilder, Formen und Kanäle, ferner auf die Reaktion der alten Eliten, die Öffnungs- und Abschließungstendenzen. SCHULZ skizzierte einen erkenntnisleitenden Komplex von Fragen als Basis für den Gedankenaustausch des Treffens: Welche Bedeutung für den gesellschaftlichen Auf- oder Abstieg hatten Herkunft, Verwandtschaft und Heiratskreis, Ehre, Vermögen und demonstrativer Konsum, Amt bzw. Funktion, Beruf bzw. Qualifikation, Reisen, Patronage bzw. Nepotismus etc.? Wie änderte sich das Gewicht dieser Faktoren, wie veränderten sich etwa Inhalt und Gewicht des ‚Amtes'? Gab es gemeinsame, allgemeine Entwicklungslinien, die Städte und Territorialgewalten, Geistlichkeit und Militär umspannten? Welchen Einfluss hatten dabei Reformation und Gegenreformation?

Als erste gab MARGARET WENSKY (Bonn) einen Überblick über Städtische Führungsschichten im Spätmittelalter. Die städtische Gesellschaft des Mittelalters war wie jede Gesellschaft gegliedert und unterschied höhere und niedere Gruppen. "Arm und Reich" war ein formelhafter Ausdruck und bezeichnete die gesamte Stadteinwohnerschaft bei wirtschaftlicher und sozialer Differenziertheit und Gleichheit vor dem Gesetz. Die differenzierte städtische Gesellschaftsordnung resultierte aus wirtschaftlichen und sozialen Rangordnungen von Handel und Gewerbe, wobei wirtschaftliche und politisch-soziale Ordnung miteinander verknüpft waren. Die ratsfähige Oberschicht der Städte bildeten - abhängig von der jeweiligen Stadtverfassung - Patriziat und Großkaufleute, Verleger und Unternehmer, gegebenenfalls auch die Vertreter einzelner Handwerke mit hohem Kapitaleinsatz. Auch Akademiker, vor allem Juristen, im Dienst der Städte gehörten zu den Führungsschichten. In den von der Großkaufmannschaft dominierten Städten hatte das Handwerk keinen Zugang zur politischen Führung, in Städten mit Zünften bzw. Zunftverfassung griff ebenfalls ein System der sozialen Rangordnung, das sich an der Wirtschaftskraft und am Sozialprestige der einzelnen Zünfte orientierte. Nach WENSKY war soziale Mobilität möglich. Der Aufstieg in die führende soziale Schicht erfolgte meist über qualifizierte und wirtschaftlich erfolgreiche Berufstätigkeit und vor allem durch Konnubium mit der höheren Schicht.

Bei der Betrachtung der Möglichkeiten zum Aufstieg in die Führungsgruppen der Städte ist die Frage der Diffusionsgrenzen zwischen den sozialen Schichten von zentraler Bedeutung. Dies thematisierte GERHARD FOUQUET (Kiel) in seinem Beitrag "Zwischen Nicht-Adel und Adel. Chancen und Risiken sozialer Mobilität im späten Mittelalter". Hinsichtlich des Begriffs "Adel" stellte FOUQUET zunächst fest, dass die Führungsgruppen der mittleren und großen Städte nördlich der Alpen von ihrem Selbstverständnis und ihren Lebensformen her ohne weiteres als Stadtadel beschrieben werden können. Nach seiner Einschätzung war der soziale Aufstieg von Nicht-Adel zu Adel in den spätmittelalterlichen Städten generell wohl eher die Ausnahme. Die mit Aufstiegsprozessen verbundenen Probleme macht er an den drei Kriterien Reichtum, Teilhabe am Stadtregiment und Konnubium fest. Wesentlich waren auch die für die jeweilige regionale und zeitliche Standortbestimmung von "nobilis"-"edel" prägenden Normensysteme der städtischen Genossenschaften und des korrespondierenden Landadels. Deshalb vertrat FOUQUET die Meinung, dass die Forschung bei der Beschreibung der einzelner Gruppen und der Aufsteigerfamilien nur mit lokal und regional orientierter Personengeschichte weiter kommen könne, die die Tatsache berücksichtigen müsse, dass es in Rechts- und Normenhorizonten unterschiedlich konturierte Sozialgruppen gegeben habe, die in Reichweite und Zeitbezug differenzierte Aufstiegsziele verfolgt hätten. Denn nur auf dieser Basis ist es nach seiner Auffassung möglich, die für die Stadt wie für das Land relevanten Merkmale der sozialen Positionierung zwischen Nicht-Adel und Adel zu beschreiben.

Nach diesen überblicksartigen Vorträgen konkretisierte ANGELIKA WESTERMANN (Karlsruhe) die Thematik an einem Beispiel: In ihrem Referat "Vom adeligen Bergvogt zum landesherrlichen Bergbeamten. Sozialer Aufstieg durch Fachkompetenz in der Vorderösterreichischen Montanverwaltung in der Frühneuzeit" hob sie die beruflichen Fähigkeiten als herausragendes Aufstiegskriterium hervor. Die durch Schenkung Konrads II. 1028 an die Bischöfe gelangte Berghoheit im Breisgau gaben diese als Reichsafterlehen an ihre Vögte, die Herzöge von Zähringen bzw. die Grafen von Freiburg weiter. Diese setzten ihrerseits in Todtnauberg einen Bergvogt ein. Die Bergvögte kamen in der Regel aus dem niederen Adel. Nach der Verpfändung an das Haus Habsburg wurde diese Einsetzungspraxis vorläufig beibehalten. Um 1505 begann mit einem großen Umstrukturierungsprozess in der Montanverwaltung Vorderösterreichs auch ein grundlegender Wandel im Amtsprofil des höchsten Bergbeamten. Das neue, stark gegliederte hierarchische System ermöglichte fortan u.a. auch einen Aufstieg innerhalb der Berg- und Hüttenverwaltung in die Spitzenfunktion eines Bergrichters. Damit war allerdings eine erhebliche Ausweitung der Anforderungen hinsichtlich Fachkompetenz, Fähigkeit und Fertigkeiten im Berg- und Hüttenwesen wie auch in der Verwaltungspraxis verbunden. Als Vertreter des Landesherrn musste der Bergrichter auch die aus dem Bergregal sich ergebenden richterlichen Funktionen ausüben. Hinzu kamen unternehmerische Tätigkeiten, da er u.a. die Grubenanteile seines Landesherren möglichst gewinnbringend bauen musste. Aufgrund dieser ihm im Laufe der Zeit zugewachsenen Machtbefugnisse sowie seiner großen politischen Bedeutung als Vertreter des Regalherrn in Vorderösterreich ist er nach Meinung WESTERMANNS der Funktionselite zuzurechnen. Diese Position wirkte sich nicht nur materiell positiv aus (Höhe der Soldzahlung, Sonderleistungen, Vorteilsnahme u.a.), sondern war auch von hohem immateriellen Wert (Macht- und Elitenbewusstsein, Sozialprestige u.a.) gekennzeichnet.

Seine Forschungen zu den "Funktionseliten an den Höfen der Habsburger um 1500" stellte HEINZ NOFLATSCHER (Innsbruck) im darauffolgenden Referat vor: einen quantifizierenden Vergleich auf prosopographischer Grundlage anhand einer Gruppe von insgesamt 108 ersten Entscheidungsträgern der Höfe Kaiser Friedrichs III., Maximilians I., Sigmunds von Tirol und Ferdinands I. Als maßgebliche Kriterien sozialen Aufstiegs definierte NOFLATSCHER die regionale Herkunft, soziale und ständische Solidarität, Familie und Konnubium, die Nähe zum Monarchen, Patenschaft und Patronage, Kreditfähigkeit, die Kirche, den Bildungsgrad, sowie Kompetenz und Professionalisierung vor Ort. Bei der Untersuchung dieser Merkmale kam er zu folgenden Ergebnissen: Noch vor der gemeinsamen regionalen oder sozialen Herkunft war die Verwandtschaft das stärkste Bindemittel der politischen Elite. Karriere durch Konnubium, auf die der Fürst häufig Einfluss nahm, eröffnete am bequemsten den Weg in die Ämter. Die verwandtschaftliche Kohäsion war beim Adel der Untersuchungsgruppe etwa dreimal größer als beim Nichtadel. Die sozial unterschiedlich fundierten Tätigkeiten des Adels und Nichtadels begannen sich über die regelmäßige und professionalisierte Tätigkeit, die Verbeamtung der Inhaber oberster Positionen, anzugleichen. Zudem wurde seit den 1520er Jahren neben juristischer und finanztechnischer Kompetenz auch theologische zu einem Kanal sozialen Aufstiegs am Hof. NOFLATSCHER erkannte in der veränderten Zusammensetzung der politischen Elite eine Tendenz der Aristokratisierung Von Friedrich III. zu Ferdinand I. wurde der Einfluss der Adligen immer größer, während die bürgerlichen Honoratioren nach und nach an Macht verloren.

Einen ebenfalls prosopographischen Ansatz verfolgte LUPOLD VON LEHSTEN (Bensheim) bei seinen Untersuchungen über "Die Entstehung von territorialen Verwaltungseliten am Beispiel der Kanzler". Im gesamten Reich waren die Fürsten fast gleichzeitig bemüht, mit Hilfe der Räte und Juristen im 15. und 16. Jahrhundert die eigenen Rechte zu sichern und auszubauen sowie eine effiziente Verwaltungsstruktur zu entwickeln. Dabei stellten die Leiter der fürstlichen Kanzleien - überwiegend Juristen - als politische Entscheidungsträger, Mitwirkende an der Gesetzgebung bzw. als frühe Verantwortungsträger beim Ausbau der fiskalischen Rechte und Möglichkeiten die politisch einflussreichste Gruppe dar. Das Ansehen des Kanzlers und sein politischer Einfluss in direktem Austausch mit dem Fürsten erreichte in den meisten Territorien im 17. Jahrhundert seinen Höhepunkt, ehe der Geheime Rat und die Entwicklung der Hofgesellschaft die Bündelung der Funktionen des Kanzlers auflöste und sich seine Aufgaben immer mehr auf die Arbeit eines Leiters der Kanzlei einer regionalen Regierung oder eines Ministers bzw. Direktors des Justizwesens reduzierten. VON LEHSTEN untersuchte speziell die Verhältnisse in Burgund, wo im 15. Jahrhundert der Übergang vom geistlichen Schreiber und Protonotar zum weltlichen, akademisch gebildeten Juristen als Kanzler stattfand. Er arbeitete heraus, dass innerhalb der Gesamtheit der Juristen, Räte und der Diener in der Politik, Justiz und Verwaltung des Territorialstaats die Kanzler im Zeitraum 1450 bis 1550 diejenige Gruppe bildeten, für die die Verschiebung der sozialen und ständischen Herkunft und Zuordnung wie Nobilitierung, Aufnahme in das Patriziat der Reichsstädte, in Ritterschaften und Landstände am deutlichsten fassbar wird. Dabei fand dieser Aufstieg vor allem durch Einheirat in die Familien der Amtsvorgänger statt. Die Weitergabe des Amtes an Familienangehörige war häufig anzutreffen.

Den Abendvortrag gestaltete STEFAN BRAKENSIEK (Bielefeld) mit dem Thema "Juristen in frühneuzeitlichen Territorialstaaten. Auf- und Abstiegsprozesse am Beispiel Hessens". Das juristische Studium und die Anstellung im Fürstendienst bildeten einen besonders wichtigen Mobilitätskanal innerhalb der ständischen Gesellschaft. Der juristisch geschulte Nachwuchs für die territorialen Funktionseliten wurde typischerweise innerhalb eines engen räumlichen und sozialen Rahmens rekrutiert. Diese Abschließungsneigung wurde allerdings konterkariert: Ständig kamen Beamte hinzu, die aus dem Stadtbürgertum, aus der Subalternbeamtenschaft und aus dem Pfarrerstand aufstiegen. In einer längeren Perspektive bildeten Pfarramt und Amtmannsstellung typische Plattform-Positionen in einem System sozialer Mobilität. Innerhalb mehrerer Generationen vollzog sich sozialer Aufstieg typischerweise aus städtischen Handwerker- oder Krämerfamilien ins dörfliche oder kleinstädtische Pfarrhaus, von dort ins Metropolitanat, dann weiter in die Stellung eines Amtmanns, Sekretärs an einer Oberbehörde, Professors oder Konsistorialrats, schließlich in die Ratsoligarchie von Kassel, Marburg, Hanau oder Rinteln. Es handelte sich hierbei jedoch keineswegs um eine Einbahnstrasse, denn der umgekehrte Weg des sozialen Abstiegs gestaltete sich entsprechend: Der Fall erfolgte in der Regel nicht ins Bodenlose, sondern jeweils in eine rangniedrigere Position als ein reputierliches Auffangbecken.

Seit Mitte des 16. Jahrhunderts stammten die Räte und Amtleute überwiegend aus Familien, die bereits seit mindestens einer Generation fürstliche Diener hervorgebracht hatten, so dass man für das 17. und 18. Jahrhundert regelrechte Beamtendynastien rekonstruieren kann, bei denen sich die Frage stellt, wie die Reproduktion der Elite gewährleistet wurde und auf welche Weise sie ihr oft beschriebenes "Obenbleiben" organisierte. BRAKENSIEK ging mittels einer Rekonstruktion der Beziehungsnetze vor allem auf die Strategien in den Herkunftsfamilien von Beamten ein und fragte danach, wie die Plazierung der Nachkommenschaft innerfamiliär gesteuert und wie die ungleichen Lebensschicksale der Familienmitglieder bewältigt wurden. Nach seiner Meinung gibt es keine durch und durch traditional-ständische Gesellschaft, in der Geburt ein unausweichliches Schicksal bedeutet hätte. Stattdessen kann man im Falle der Beamtenfamilien die Wirkungen eines Erziehungsmodells beobachten, das auf die individuellen Neigungen der Nachkommenschaft in engen Grenzen Rücksicht nahm und dadurch eine gewisse Flexibilität aufwies, das aber zugleich einen ausreichenden Konformitätsdruck ausübte, damit die Plazierungschancen der Familie genutzt wurden. Was sich innerhalb des Mikrokosmos einer Familie als rationale Strategie zur Wahrung von Ehre, gesellschaftlicher Stellung und Einkommen darstellte, wirkte, wenn man sich auf die Makroebene des gesellschaftlichen und territorialstaatlichen Systems begibt, als Beitrag zur Reproduktion der staatstragenden Elite.

In zwei weiteren Referaten wurden die Führungsschichten einzelner Städte behandelt. WOLFGANG HERBORN (Bonn) sprach über die "Entwicklung der Professionalisierung in den führenden Gremien der Stadt Köln". Dort hatte im 14. Jahrhundert eine kleine Schicht von knapp 40 Patrizierfamilien das Stadtregiment inne. Die weitgehend abgeschlossene, geburtsständische Führungsschicht besetzte alle Stellen in den führenden gesamtstädtischen Gremien. Das scheidende Qualifikationskriterium für alle Gremien war die Zugehörigkeit zum Kreis der Patrizierfamilien, was dazu führte, dass sich keine Professionalität herausbilden konnte. Nach dem Sturz des Patriziats im Jahre 1396 wurde als höchstes städtisches Organ ein 49-köpfiger Rat mit zwei Bürgermeistern an der Spitze geschaffen. Das Schöffenkollegium selbst behielt noch bis 1448 seinen geburtsständischen Status, verlor ihn dann aber, weil die Nachfolger der Patrizier daran kein Interesse hatten. Als neues Aufnahmekriterium für das Schöffenkollegium gewann das abgeschlossene juristische Hochschulstudium immer mehr an Bedeutung. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurde es sogar verbindlich. Damit war der Schöffenstand zu einem Berufsstand geworden. Bei den Bürgermeistern, die nach ihrem Amtsjahr vor einer Wiederwahl zwei Jahre lang pausieren mussten, setzte im ausgehenden 15. Jahrhundert eine Professionalisierung ein, als es ihnen gelang, in das zweite wichtige Amt der Stadt einzudringen, das Rentmeisteramt. Der letzte Schritt wurde dann zu Beginn des 17. Jahrhunderts vollzogen, als man mit der Freitagsrentkammer ein drittes wichtiges Amt schuf. Dadurch wurden die Bürgermeister in einen dreijährigen wechselnden Turnus eingebunden, aus dem sie erst mit dem Tode ausschieden. Anders als bei den Schöffen war ein juristisches Hochschulstudium weder für die Bürgermeisterlaufbahn noch für die Mitgliedschaft im Rat Voraussetzung. Wichtigste Qualitätskriterien für den Bürgermeisterkandidaten wurden eine lange Amtszeit im Rat vor der Wahl, ersatzweise die Stellung als städtischer Syndikus, und die verwandtschaftliche Beziehung zu führenden Ratsmitgliedern und Ratsfamilien.

Ein weiteres Beispiel kommunaler Eliten stellte PETER FLEISCHMANN (Nürnberg) vor: "Kainen doctorn lest man zu Nürmberg in rath" (Dr. Christoph Scheurl, 1516). Professionalisierung oder Ausschluss von Führungseliten in Nürnberg? Zum Verständnis der reichsstädtisch nürnbergischen Herrschaft erläuterte er zunächst die oligarchische Struktur des Rats, der im Grund unangefochten vom 14. Jahrhundert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts alle Regierungsgeschäfte geführt hat. Während dieser langen Phase fand, gefördert durch den militärischen Erwerb eines großen Landgebiets (1504) und durch die Einführung der Reformation (1525), eine sehr breite Entfaltung des Ämterwesens in der Frühen Neuzeit statt. In einer prosopographischen Untersuchung der Funktionsstellen konnte FLEISCHMANN zeigen, dass der Rat fast alle wichtigen Positionen in der Verwaltung mit Angehörigen aus den ratsfähigen und "gerichtsfähigen" Familien besetzte. Dabei kann nur bedingt von einem nepotischen System gesprochen werden, denn zur Besetzung höherwertiger Stellen mussten die Anwärter u.a. eine Art praktisch-juristische Ausbildung durchlaufen. Das hatte allerdings zur Folge, dass in Wahrung des geburtsständischen Prinzips universitär Ausgebildete aus Nürnberger bürgerlichen Kreisen oder von auswärts als Führungskräfte ausgeschlossen wurden.

Im letzten Vortrag setzte sich MATTHIAS ROGG (Potsdam) mit der "Entstehung militärischer Funktionseliten im 16. Jahrhundert" auseinander. Auch im Kriegswesen fand an der Wende vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund grundlegender technischer, taktischer, ökonomischer und sozialer Veränderungen ein tiefgreifender Wandel statt. So entwickelte sich etwa in der Eidgenossenschaft auf Basis der tiefgestaffelten "Gevierthaufen" im 15. Jahrhundert eine neue Form der Kriegsführung, die sich gegenüber den gepanzerten Ritterheeren rasch als weit überlegen erwies. Die Schwerpunktverlagerung vom Panzerreiter zum Fußsoldaten führte zu einem tiefgreifenden Strukturwandel mit weitreichenden Folgen für das soziale Gefüge und das Selbstverständnis der Truppenkörper. Die Entwicklung immer komplexerer Strukturen im Militärwesen (Anwachsen der Heeresgröße, Bürokratisierung der Heeresaufbringung und -verwaltung, rechtliche Kodifizierung, Hierarchisierung, zunehmende technische und logistische Anforderungen) verlangte nach einer Funktionselite mit ausgeprägtem militär-professionellem Profil. Für bestimmte Funktionsbereiche (Verwaltung, Finanzierung, Technik) wurden Bildungskenntnisse immer wichtiger. Durch gezielte Propaganda, aber auch persönlichen Einsatz, spielte Maximilian I. als "letzter Ritter" und "erster Landsknecht" für die Modernisierung der Truppenkörper in den Habsburger Erblanden und im Reich eine herausragende Rolle. Die sowohl pragmatische wie auch ideelle Aufwertung des Fußkriegers hatte weitreichende Folgen. Für die als Schlachtenkavallerie nicht mehr benötigten, oft mittellosen Adeligen eröffneten die neu geschaffenen Landsknechtsheere die Chance eines standesgemäßen Broterwerbs mit Karriereperspektive. Auf der Grundlage zweier bislang kaum beachteter Quellengruppen (den mehrblättrigen illustrierten Soldatenserien und den sogenannten "Kriegslehrbüchern") beleuchtete ROGG exemplarisch Struktur, Umfang und Rezeption dieses Prozesses und erarbeitete den Zusammenhang von Elitenbildung und Professionalisierung im Kriegswesen des 16. Jahrhunderts.

Abschließend fasste GÜNTHER SCHULZ die wichtigsten Ergebnisse der Tagung zusammen. Als eines der Hauptkriterien des gesellschaftlichen Aufstiegs konnten verwandtschaftliche Beziehungen bzw. Einheirat identifiziert werden. Daneben spielten Vermögen und der schwer greifbare ‚Wille zur Macht' durchgehend eine große Rolle. Im Laufe der frühen Neuzeit gewann aber auch der Qualifikationserwerb bzw. die "Professionalisierung" immer größere Bedeutung für den Aufstieg. Gerade der Ausbau der administrativen Verwaltung steigerte den Bedarf an qualifizierten Juristen, die immer weniger theologisch geschult sein mussten.

Im Ausblick auf die nächste Tagung, die die Thematik wieder aufgreifen und weiter ausbauen wird, stellte SCHULZ weiterführende Überlegungen an. Nach seiner Meinung ist es notwendig, die Begriffe ‚Funktionseliten' in Abgrenzung zu ‚Werteliten' zu diskutieren und genauer zu definieren und die Kriterien für die Wahrnehmung von Auf- bzw. Abstiegsprozessen zu schärfen. Des weiteren würde ein Vergleich von Entwicklungen verschiedener Regionen oder Länder spezifische Entwicklungen noch stärker herauszuarbeiten helfen. Die zahlreichen andiskutierten Fragen lassen auf einen interessanten Austausch bei der Fortsetzungsveranstalung im nächsten Jahr hoffen.

Die Beiträge der Tagungen 2000 und 2001 werden im Oldenbourg-Verlag erscheinen: Günther Schulz (Hg.): Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2000/2001 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, Band 25), München 2001.

Konferenzübersicht:

Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit

Margret Wensky, Bonn: Städtische Führungsschichten im Spätmittelalter.
Gerhard Fouquet, Kiel: Zwischen Nicht-Adel und Adel. Chancen und Risiken sozialer Mobilität im späten Mittelalter.
Angelika Westermann, Karlsruhe: Vom adeligen Bergvogt zum landesherrlichen Bergbeamten. Sozialer Aufstieg durch Fachkompetenz in der vorderösterreichischen Montanverwaltung in der Frühneuzeit.
Heinz Noflatscher, Innsbruck: Funktionseliten an den Höfen der Habsburger um 1500.
Lupold von Lehsten, Bensheim: Die Entstehung von territorialen Verwaltungseliten am Beispiel der Kanzler.
Stefan Brakensiek, Bielefeldt: Juristen in frühneuzeitlichen Territorialstaaten. Auf- und Abstiegsprozesse am Beispiel Hessens.
Wolfgang Herborn, Bonn: Entwicklung der Professionalisierung in den führenden Gremien der Stadt Köln.
Peter Fleischmann, Nürnberg: "Kainen doctorn lest man zu Nuermberg in rath" (Dr. Christoph Scheurl, 1516). Professionalisierung oder Ausschluss von Fuehrungseliten in Nuernberg?
Matthias Rogg, Potsdam: Die Entstehung militärischer Funktionseliten im 16. Jahrhundert.


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