Vertrauen als ökonomische Ressource in der antiken Marktwirtschaft - Trust as an Economic Resource in the Ancient Market Economy

Vertrauen als ökonomische Ressource in der antiken Marktwirtschaft - Trust as an Economic Resource in the Ancient Market Economy

Organisatoren
Patrick Reinard / Christian Rollinger, Universität Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.03.2019 - 29.03.2019
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Von
Marcello Ghetta, Alte Geschichte, Universität Trier

Auf welchen Grundlagen basierten antike Vertrauenskonzepte? Wie wird Vertrauen generiert und bewahrt? Wie gestaltet sich Vertrauen zwischen Wirtschaftsakteuren oder zwischen Wirtschaftsakteur und Staat? Wie konnte aus Vertrauen Profit entstehen? Welche Alternativen gab es zu Vertrauen? So lauteten einige der Leitfragen der dreitägigen Tagung, organisiert von den Trierer Althistorikern Patrick Reinard und Christian Rollinger.

Einleitend verwies Rollinger auf den heutzutage inflationär gebrauchten Vertrauensbegriff in Politik (gerade im Zuge des Brexit), in der Wirtschaft (Vertrauen in Märkte) und auf Firmen und Marken namens Fides oder Pistis. Anschließend führte Reinhard zur weiteren Einstimmung in die Thematik ausgewählte Beispiele von Papyri aus dem griechisch-römischen Ägypten an, in denen gerade dann von Vertrauen gesprochen wurde, wenn ein Geschäft fehlschlug. Zudem stellte er Empfehlungsschreiben vor, die dazu dienten, Vertrauen zu generieren.

Den Eröffnungsvortrag der Sektion I hielt JAN TIMMER (Bonn), der einen engen Zusammenhang zwischen Vertrauen und Geldumlauf sieht, denn ohne Vertrauen werde Geld gehortet, eine Kreditvergabe beruhe auf Vertrauen. Timmer führte fünf Fundamente an, auf denen Vertrauen aufbauen kann, etwa die Kalkulation von Folgen und Interessen (kalkulierendes Vertrauen), d. h. Vertrauen, das durch Sprache, Alter oder Reichtum geweckt werden konnte. Zudem führten persönliche Beziehungen zu Vertrauen, z. B. durch Verheiratung der Kinder, wobei Freundschaften aber auch gefährlich sein konnten. Zwei weitere Faktoren waren sowohl die Mitgliedschaft in einer Gruppe als auch institutionelle Arrangements. Zuletzt konnte Vertrauen auf Normen beruhen. So wurden Söhne bereits früh in die Geschäftswelt des Vaters eingebunden.

Während Timmer in seinen theoretischen Ausführungen die Verhältnisse der ausgehenden Republik vor Augen hatte, nahm SVEN GÜNTHER (Changchun) das spätklassische Griechenland in den Blick und erläuterte anhand ausgewählter Quellen (Anonymus Iamblichi, Xenophons Kyropedia, Polyainos und der Münzgesetzgebung des Jahres 375/4) das von der heutigen Zeit zu unterscheidende Vertrauens-Konzept. FILIPPO CARLÀ-UHINK (Potsdam) bezog sich in seinem Vortrag allgemein auf die griechisch-römische Welt und fragte ausgehend von einer breiten Quellenlage nach spezifischen Merkmalen einzelner Epochen. Ihn interessierte dabei das Vertrauen von und zu denjenigen, die von außen auf ein Geschäft blickten. Begriffe wie Tausch, Geschenk, Bestechung, Bezahlung oder Diebstahl bergen allerdings je nach Perspektive Definitionsschwierigkeiten.

Anschließend fragte JONAS SCHERR (Stuttgart) nach den Zusammenhängen von Handel zwischen Römern und „Barbaren“, dem damit verbundenen kulturellen Wandel und dem dadurch entstehenden Vertrauen bzw. Mangel an Vertrauen. In den spätrepublikanischen Quellen ist mehrfach von der „Verweichlichung der Barbaren“ aufgrund des Kontaktes mit den Römern die Rede, ein Topos der instrumentalisiert wurde, aber aufgrund des kulturellen Wandels durchaus eine reale Basis besessen habe. SIMON THIJS (Lübeck) machte darauf aufmerksam, dass auch Geiselnahmen eine Verbindung zum Vertrauens-Konzept besaßen. Geiseln bezeugten die fides des Imperators, und man musste darauf vertrauen, dass der Geiselnehmer die Geisel gut behandelte. Inschriften belegen, wie ehrenhaft Geiselnahmen für Feldherren waren.

Die Generierung von Vertrauen war das Oberthema der zweiten Sektion. Hier hob DOROTHEA ROHDE (Bielefeld) die große Bedeutung von gegenseitigem Vertrauen in den collegia im kaiserzeitlichen Ägypten hervor. Neben Familie, Nachbarn und Freunden vertraute man in finanziellen Notsituationen besonders auf Vereinskollegen, die wiederum ein starkes Vertrauen darin besaßen, dass Gefälligkeiten zurückgezahlt wurden. Ohne Vertrauen waren in römischer Zeit auch Auktionen nicht durchführbar, wie MARTA GARCÍA-MORCILLO (London) darlegte. Denn generell reichten die gesetzlichen Möglichkeiten nicht aus, um Benachteiligungen der Käufer zu verhindern. EIVIND HELDAAS SELAND (Bergen) stellte die Bedeutung der Nahbeziehungen und dem damit verbundenen Vertrauen bei Handelsnetzwerken heraus. Zu privaten und öffentlichen Transaktionen im byzantinischen und frühislamischen Ägypten sind auf Papyri und Ostraka viele Darlehens- und Schuldurkunden überliefert, die belegen, wie STEFANIE SCHMIDT (Basel) ausführte, dass diese Geschäfte nicht allein auf Vertrauen basierten. EMILIA MATAIX FERRÁNDIZ (Helsinki) beschäftigte sich mit der Rhône als Handelweg und den archäologischen sowie epigraphischen Zeugnissen, die Rückschlüsse auf die dortigen Personalstrukturen zulassen. Auch hier wurde, z. B. bei der Zusammensetzung einer Schiffsmannschaft oder beim Verladen der Ware in den Flusshäfen, ein auf Vertrauen basierendes System geschaffen. Nachdem in den bisherigen Vorträgen wiederholt die Bedeutung persönlicher Netzwerke bei Handelsbeziehungen und dem damit verbundenen Vertrauen herausgestellt wurde, fragte KOEN VERBOVEN (Gent) danach, wie es sich mit Geschäften mit Unbekannten verhält, und betont hierbei den Schutz durch die öffentlichen Institutionen.

In der Sektion III rückte JEAN-JACQUES AUBERT (Neuchâtel) mit Sklaven wichtige Akteure im Handel in den Fokus und erläuterte die rechtliche Situation, durch die der Sklavenbesitzer bei Geschäften, die sein Sklave für ihn führte, abgesichert wurde. KERSTIN DROSS-KRÜPKE (Kassel) stellte die auf Papyri erhaltenen Ausbildungsverträge in der Textilherstellung aus dem römischen Ägypten vor. Da es in der Antike keine organisierte Lehrlingsausbildung gab und es zumindest im römischen Ägypten unüblich war, die eigenen Kinder auszubilden, musste man auf die Verlässlichkeit der Beteiligten vertrauen. Auffälligerweise beinhalten die Verträge kein Ausbildungsziel, so dass auch hier auf die Fähigkeiten des Meisters vertraut werden musste.

DENNIS KEHOE (Tulane) analysierte die Organisation des Handels in der römischen Welt im Rahmen der rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, die nicht mit denjenigen der modernen Welt zu vergleichen sind. Denn römische Kapitaleigentümer operierten mit Stellvertretern, die einen großen Handlungsfreiraum besaßen – allerdings in einem gesetzlichen Rahmen, der anhand juristischer und papyrologischer Quellen abgesteckt werden kann. Auch bei der stellvertretenden Geschäftsführung konnten persönliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielen. Mit dem Holzexport im königzeitlichen Makedonien lenkte CHRISTIANE BRAUN (Trier) den Blick auf ein anderes Thema der antiken Wirtschaftgeschichte. Das sehr waldreiche Makedonien war einer der wichtigsten Lieferanten für das im Schiffsbau in großen Mengen benötigte Holz, dessen Eigentümer der König war. So verlieh Perdikkas II. den Athenern und Amyntas III. den Chalkidiern Privilegien bei der Holzausfuhr, um politische Bündnisse zu festigen. Aber auch einzelne Personen erhielten aufgrund persönlicher Beziehungen Holzrechte vom König.

Wiederum Mangel an Vertrauen in einer griechischen Polis in römischer Zeit bezeugen Inschriften aus Kibyra, die FRANK DAUBNER (Trier) vorstellte und analysierte. Für den Gymnasiarch Philagros sind zwei Ehreninschriften überliefert, die u. a. dafür sorgte, dass die Gymnasiarchie auch nach seiner Zeit weiterbestand. Die Inschrift enthält auch rechtliche Bestimmungen, wie Strafandrohungen gegen und die Verfluchung von Personen, die versuchen die Gymasiarchie abzuschaffen, wodurch offensichtlich werde, dass die Bestimmungen auf den Ehrendekreten keineswegs auf Vertrauen beruhten.

Zum Abschluss der Tagung ergriff PATRICK REINARD (Trier) nochmals das Wort und stellte seine Überlegungen vor, inwiefern die auf Papyri aus dem kaiserzeitlichen Ägypten erhaltenen Privatbriefe Hinweise auf Vertrauen als ökonomische Ressource bieten. Es konnte festgestellt werden, dass Grußbriefe oft der Kontrolle dienten, aber auch ein Informationsnetzwerk darstellten, das Vertrauen schaffen sollte. In den Briefen finden sich oft Hinweise auf Preise, allerdings ungenauer Art, wie „billig“ oder „teuer“, und es gibt Diskussionen über Buchführung. Auch dadurch wurde eine Preistransparenz geschaffen, die Vertrauen generierte.

Das Tagungsthema wurde somit unter vielfältigen Aspekten von der griechischen Klassik bis in frühislamische Zeit beleuchtet, nicht nur durch die hier skizzenhaft wiedergegebenen Vorträge, sondern auch durch die anschließenden stets lebhaften Diskussionen. Gerade der Unterschied zur modernen Wirtschaft wurde dabei immer wieder deutlich. Der geplante Tagungsband wird den Forschungen zur antiken Wirtschaftgeschichte sicherlich neue Impulse geben.

Konferenzübersicht:

Patrick Reinard (Trier) / Christian Rollinger (Trier): Begrüßung, Einleitung, Impulse

Sektion I: Vertrauensdiskurse
Moderation: Andrea Binsfeld (Luxemburg)

Jan Timmer (Bonn): Ein riskantes Schmiermittel: Vertrauen in ökonomischen Interaktionen

Sven Günther (Changchun): Trust, Commitment and Performance. Etic and Emic Perspectives on Ancient Business Activities

Filippo Carlà-Uhink (Potsdam): Tausch und Diskurs. Die Einbettung des antiken wirtschaftlichen Handelns ins ‚öffentliche Vertrauen‘ und seine diskursiven Konstruktionen

Jonas Scherr (Stuttgart): Von Handel, Wandel und Vertrauen. Überlegungen zum Hintergrund eines antiken Topos

Simon Thijs (Lübeck): Obsides und fides. Geiseln als Merkmal sozialen Kapitals

Sektion II: Generierung von Vertrauen
Moderation: Kai Ruffing (Kassel)

Dorothea Rohde (Bielefeld): Vulnerabilität, Vereine und Vertrauen. Die kaiserzeitlichen collegia als Resilienzressource

Marta García-Morcillo (London): Building Trust and Transparency at Roman Auctions

Eivind Heldaas Seland (Bergen): Trust networks in ancient trade, transport and travel

Stefanie Schmidt (Basel): Vertrauen ist gut, Vertrag ist besser. Das Generieren von Sicherheiten im privaten und öffentlichen Zahlungsverkehr am Beispiel des byzantinischen und frühislamischen Ägyptens

Emilia Mataix Ferrándiz (Helsinki): „As I went down in the river to trade.“ Trust and Transhipment along the Rhône River in the High Roman Empire

Koenraad Verboven (Gent): Trusting Strangers? How to deal with strangers in the Roman Economy

Sektion III: Vertrauen und Kontrolle
Moderation: Christoph Schäfer (Trier)

Jean-Jacques Aubert (Neuchâtel): Trusting one’s slave? Agency and trade in the Roman world

Kerstin Droß-Krüpe (Kassel): Kontrollmechanismen in der Lehrlingsausbildung im kaiserzeitlichen Ägypten

Dennis Kehoe (Tulane): Agency and the Management of Property in the Roman Empire

Christiane Braun (Trier): Kontrolle und Vertrauen. Holzexport im königszeitlichen Makedonien

Kurze Führung durch die Papyrussammlung der Universität (Spyridoula Bounta und Linda Putelli)

Frank Daubner (Trier): Zinsen, Flüche und Vertrauen? Wie man Stiftungskapital sichert

Patrick Reinard (Trier): Briefe und Vertrauen in der antiken Marktwirtschaft


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