Frauenordination in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Interdisziplinäre Perspektiven

Organisatoren
Sarah Banhardt, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Jolanda Gräßel-Farnbauer, Philipps-Universität Marburg; Carlotta Israel, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ort
München
Land
Deutschland
Fand statt
Digital
Vom - Bis
31.03.2022 - 01.04.2022
Von
Sophie Frühwald, Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Das Forschungsdesiderat der Theologinnengeschichte nach 1945 habe den ursprünglichen Impuls zur Ausrichtung der Tagung gegeben, so begrüßten die Organisatorinnen die Teilnehmenden der Tagung. Ziel des Austausches über die Frauenordination in der Evangelischen Kirche in Deutschland sei die Erweiterung der Debatte – weg von regionalgeschichtlicher Engführung hin zu einer breiteren interdisziplinären Perspektive, die sich im Programm der Tagung ebenso wie in der anschließenden Vorstellungsrunde des Tagungspublikums aus Studierenden, Forschenden, Pfarrer:innen und Interessierten anderer Hintergründe mit unterschiedlichen Zugängen und Konfessionen niederschlug.

SUSANNE SCHÖTZ (Dresden) lieferte mit ihrer Darstellung der Entwicklung weiblicher Erwerbsarbeit seit der Industrialisierung einen breit angelegten Einstieg in das Thema und eröffnete dabei auch den Blick auf die Problematik bürgerlicher Geschlechts- und Familienideale sowie die Tendenzen weiblicher Erwerbsarbeit zwischen Ideal und Wirklichkeit. Die durch die Industrialisierung erfolgte tiefgreifende Veränderung hin zur außerhäuslichen Erwerbsarbeit auch und gerade von Frauen wurde nachträglich u.a. durch die Konnotation von Tätigkeiten als „weiblich“ gerechtfertigt. Schötz kam zu dem Schluss, dass bereits im 19. Jahrhundert der Alltag von Frauen prägend an der Erwerbsarbeit orientiert war.

Aus juristischer Perspektive zeichnete CELINA WINDBIEL (Konstanz) eindrücklich anhand verschiedener Parameter wie der Entlohnung und den Entlassungsregelungen eine Geschichte von Frauen im öffentlichen Dienst, die sich historisch nicht nur mit einem Flickenteppich an Regeln, sondern auch mit vielfältigen Formen von Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts konfrontiert sahen. Während in der Weimarer Republik Zölibatsklauseln zwar abgeschafft wurden, jedoch Personalabbauverordnungen weiterhin die Entlassung von Frauen begünstigten, wurden im Nationalsozialismus Entlassungen von Frauen erleichtert und 1937 gesetzlich einheitlich ermöglicht. Erst mit dem Grundgesetz und dem Bundesbeamtengesetz von 1953 sowie dem Beamtenrahmengesetz von 1957 waren alle geschlechtsspezifischen Bestimmungen aufgehoben. Der immense gesellschaftliche Wandel des 20. Jahrhunderts brachte zwar die rechtliche Gleichbehandlung, und heute arbeiten mehr Frauen als Männer im öffentlichen Dienst, doch bis heute sind Frauen in der Führungsebene deutlich unterrepräsentiert und arbeiten deutlich häufiger in Teilzeit. Sprachlich bildet sich dieser Wandel in der Entwicklung vom „weiblichen Beamten“ zur „Beamtin“ ab.

LAURA HANEMANN (Frankfurt am Main) wendete sich in ihrem soziologischen Beitrag der Konstruktion der Frau im Pfarramt zu und stellte die These auf, dass der Zugang für Frauen zu diesem Amt nur möglich war, weil das Wesen des Pfarrberufes gravierende Veränderungen erfuhr. Eindrücklich zeigte sie die Transformation vom geistlichen zum bürgerlichen Amt auf und nahm dabei besonders die Rolle der Pfarrfrau im Pfarrhaus in den Blick. Diese Pfarrfrau nahm durch die Individualisierung und Familialisierung der bürgerlichen Religion zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Rolle der „Zivilisationshüterin“ ein und beförderte so die Konstruktion einer bürgerlichen Identität der Frau durch Religion. Diese ermöglichte die Übernahme bestimmter Tätigkeiten, die aufgrund zugeschriebener weiblicher Eigenschaften und der Zentralität christlicher Nächstenliebe der Pfarrfrau in der Ergänzung der Arbeit des Pfarrers zufielen, jedoch dem Verständnis nach keineswegs eine eigene Berufstätigkeit darstellten. In der Veränderung des Pfarramtes ab der Mitte des 20. Jahrhunderts geriet dieses Verständnisses der Rollenverteilung im Pfarrhaus zwischen Pfarrer und Pfarrfrau, die so auch teilhat an der Vocatio, ins Wanken. Die Problematik, dass die „Zivilisationshüterin“ selbst Pfarrerin werden will, führt zu dem Bemühen, zwei Rollen gleichzeitig auszufüllen: die des Pfarrers und die der Pfarrfrau, zu der kein Äquivalent für den/die Partner:in der Pfarrerin existiert.

Aus der Beschäftigung mit landeskirchlichen Rechtsordnungen heraus stellte STEPHANIE SPRINGER (Hannover) eine vergleichende Einordnung anhand der verschiedenen Entwicklungsstufen und Bezeichnungen für Theologinnen vor. An den Rahmenbedingungen wie den Bildungszugängen und der allgemeinen Rechtsstellung von Frauen, den Entwicklungen im Staatsdienst sowie der Wirklichkeit und Entwicklung von Frauen in der Theologie zeigte sie eindrücklich, wie auch innerkirchlich das Recht der Wirklichkeit folgt. Schritt für Schritt wurde aus der „theologisch vorgebildeten Frau“ die Pfarramtshelferin, die Vikarin, die Pfarrverwalterin und schließlich die Pfarrerin/Pastorin. Springer wertete den Weg in der Gesamtschau als „pfadidentisch“ mit anderen Bereichen, z.B. dem öffentlichen Dienst, ohne dabei bis heute bestehende Unterschiede aus dem Blick zu verlieren. Die institutionelle Vielfalt aufgrund des jeweiligen Landeskirchenrechts, die fehlende einheitliche theologische Klärung und die Aufladung als geistliches Machtinstrument sind nur einige der Gründe. Eine starke Abgrenzung und eine geschlechtsinterne Konkurrenz zwischen Pfarrfrauen, Gemeindeschwestern, Diakonissen und Theologinnen bremsten den Fortschritt ebenso wie Bestrebungen von Theologinnenverbänden, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu bewahren – eine Kultur der Nichtklage gegenüber der eigenen Kirche sowie der Mangel an einflussreichen männlichen Unterstützern, die in anderen Bereichen häufig eine Beschleunigung möglich machten.

Ein vom Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie organisiertes GENDER LAB wandte sich der Zukunft von Kirche und Geschlecht zu und brachte viele verschiedene Stimmen miteinander ins Gespräch. Auch hier wurde die Vielfalt der Debatten sichtbar, die von der Frage nach einer Entdramatisierung von Geschlechterdebatten durch Pfarrerinnen im evangelischen Bereich, dem Zugang zum geistlichen Amt in der katholischen Kirche bis hin zur Frage nach der Sichtbarkeit queerer Menschen im kirchlichen Dienst reichen. Für das Ziel einer geschlechterinklusiven Kirche der Zukunft brauche es aus Sicht der Diskutierenden biblisch-hermeneutische Positionierungen, einen Diskurs in die Breite kirchlicher Kontexte und eine Kultur der Begegnung und des Zuhörens.

LUKAS BORMANN (Marburg) warf einen neutestamentlichen Blick auf das Thema und stellte die Entwicklungen in der Hermeneutik in den Vordergrund. Dabei sind als Diskursräume Schrift und Ordnung als von den Ordnungen der Welt abhängig im Blick. Anhand vielfältiger Beispiele aus der Exegese insbesondere des 20. Jahrhunderts zeigte er, dass zwei Argumentationsstränge immer wieder aufkommen: eine affirmativ beschränkende Argumentation im Gegenüber und eine egalitär partizipative. Insofern kommt der Bibel eine doppelte Funktion in der Debatte zu: Sie kann sowohl als bremsender Filter wirken oder als beschleunigender Katalysator. Die positiven Auslegungen von Texten wie Gal 3,28 und von Abschnitten, die sich den Frauen in Korinth zuwenden, die das Bild eines frauenfreundlichen Jesus zeichnen, bieten seit Johannes Leipold 1921 bis in die feministische Exegese der 1970/80er-Jahre ihre Unterstützung leider immer wieder zulasten eines differenzierten Blickes auf das Judentum dar, das von ihnen als frauenfeindlich beschrieben wird. Eine neue Argumentation der Grenzüberschreitung wurde durch die feministische Exegese möglich, die sich stärker der agency von Frauen im Neuen Testament zuwandte und ihren Fokus auch auf die apokryph gewordenen Texte richtete. In der Gesamtschau fällt auf, dass auch und gerade im Blick auf die Frauen in der Exegese sehr alte Argumentationslinien immer wieder auftauchen und neu belebt werden, die ihre Nachwirkungen in feinen Diskriminierungen bis heute zeigen.

Aus systematisch-theologischer Perspektive führte SABINE SCHMIDTKE (Heidelberg) die reformatorische Wendung gegen eine zunehmende geistliche Hierarchisierung an, die jedoch mit ihrem Verständnis des Priestertums aller Gläubigen beginnend bei Luther bis ins 20. Jahrhundert nicht zum Einsatz für die Frauenordination führte. Mit 1. Kor 14,33f. argumentierten Luther und im Anschluss an ihn viele weitere jahrhundertelang misogyn gegen die Frauenordination und laden damit nach Schmidtke der evangelischen Kirche und Theologie eine Schande auf. In der Berufung auf das Gesetz mit 1. Mose 3,16 wird dabei nicht die Schöpfungsordnung, sondern die Konsequenz des Sündenfalls verbunden. Ekklesiologisch problematisch erscheint daran, dass das Amt keine „Erhebung über“ bedeutet und einen Ausschluss von Frauen so nicht rechtfertigt. Aktuelle Debatten über Pfarramt und Ordination müssten aus der historischen Erfahrung heraus Eignungskriterien, die dem Amtsverständnis entspringen, transparenter darstellen und das Spannungsverhältnis zwischen diesem und der menschlichen Fehlbarkeit stärker thematisieren.

Anhand einer genderforschungstheoretischen und biografischen Periodisierung seit den 1970er-Jahren wandte sich ULRIKE WAGNER-RAU (Marburg) den intensiven pastoraltheologischen Debatten zu. Im Rahmen des differenzfeministischen Aufbruchs und der Demokratisierung des Berufsbildes entstanden in den 1970er/1980er-Jahren gerade im Kontext sozialer Bewegungen erste gemeinsame Orte von Frauen, die trotz der rechtlichen Gleichstellung im Pfarrberuf seit 1979 häufig die ersten und einzigen in Theologie und Kirche waren und die untereinander ein hohes Maß an Solidarität prägten. Mit dem Ende der 1980er rückten in einer zweiten Phase stärker die Dekonstruktion und Vielfalt in den Vordergrund, was sich gendertheoretisch insbesondere im Begriff der Intersektionalität sprachlich nachvollziehen lässt. Während pastoraltheologisch die Kulturalisierung der Kategorie Geschlecht auch im Pfarrberuf ins Zentrum rückte, spielte in der beruflichen Realität insbesondere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Differenz zwischen ungeteiltem Auftrag und begrenzter Arbeit eine große Rolle. Seit den 2010er-Jahren kämpfen Genderfragen mit einem Aufmerksamkeitsverlust. Wagner-Rau kam zu dem Schluss, dass Fragen wie die Zukunft der Parochie und andere aktuelle Herausforderungen kaum gendertheoretisch diskutiert werden, ebenso wird wie die Bedeutung des Geschlechts für das Amt bisher kaum in der Forschung beleuchtet. Demokratisierung und Liberalismus sind für den vielfältigen Beruf der Pfarrerin gleichzeitig Bedingung und Folge.

Gisa Bauer (Köln) schloss die Tagung mit einem Kommentar, der die vielfältigen Beiträge noch einmal miteinander ins Gespräch brachte. Diese erzählten die Frauenordination als Ergebnis einer mühsamen, aber angesichts vielfältiger Widerstände enormen Erfolgsgeschichte. Bedeutsam und aktuell blieben die Herausforderungen der Erwerbsarbeit ebenso wie geschlechtlich bedingte Rollenzuschreibungen trotz ihrer Veränderung über die Zeit. Die Erlangung des Amtes sei durch Machtverschiebung und den Druck des Faktischen möglich geworden, seine Erhaltung müsse durch theologische Argumentation gesichert werden. Abschließend betonte Bauer die Unabgeschlossenheit des Erfolgsweges, der weiterer Fortschritte im Kampf gegen Diskriminierung und starre Rollenbilder sowie andauernder Debatten um die Bibelhermeneutik bedarf.

Konferenzübersicht:

Susanne Schötz (Dresden): Frauen in Berufen und Professionen seit der Industrialisierung

Celina Windbiel (Konstanz): „Vom weiblichen Beamten zur Beamtin“: Frauen im deutschen öffentlichen Dienst gestern und heute

Laura Hanemann (Frankfurt am Main): Ambivalenzen, Kräfteverhältnisse und Beharrungstendenzen von Geschlechterungleichheit – Eine soziologische Perspektive auf den Weg von Frauen ins Pfarramt

Stephanie Springer (Hannover): Kirchenrechtliche Fragen auf dem Weg zum geschlechtsunspezifischen Pfarrdienst

Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie (Hannover):
GENDER LAB #1: Geschlechterbilder in Bewegung und die Zukunft der Kirche
Talkrunde mit Sandra Bils, Jochen Cornelius-Bundschuh, Nicolai Opifanti u.a.
Moderation: Antje Buche / Ruth Heß, Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie

Lukas Bormann (Marburg): Grenzüberschreitende Frauen: Umbrüche in der Hermeneutik des NT

Sabine Schmidtke (Heidelberg): Wie allgemein ist das Priestertum? – Eine systematisch-theologische Problematisierung expliziter und implizierter Exklusionsmechanismen lutherischer Amtstheologie

Ulrike Wagner-Rau (Marburg): Geschlechterdiskurs und Pfarrberuf. Pastoral-theologische Verschiebungen

Gisa Bauer (Köln): Tagungskommentar

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