Wissenschaft im Museum - Ausstellung im Labor

Wissenschaft im Museum - Ausstellung im Labor

Organisatoren
Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Universität Tübingen; Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.04.2010 - 09.04.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Thomas Steller, Bielefeld Graduate School in History and Sociology, Universität Bielefeld

Eines der zentralen Forschungsdesiderate der neueren Museumsforschung ist es, die Wechselwirkung zwischen Präsentationen in Museen bzw. Ausstellungen und wissenschaftlicher Forschung näher zu bestimmen. Diese und andere Fragen standen im Zentrum der Tübinger Tagung „Wissenschaft im Museum -Ausstellung im Labor“. Schon der Titel lässt erahnen, dass die zweitägige Tagung am 8. und 9. April 2010, sich besonders der zweiten Frage, nämlich den Beziehungen zwischen Wissenschaft und Museum, widmete. Sowohl die historische als auch die aktuelle Museumsforschung versucht verstärkt, im Sinne einer multidirektionalen Perspektive, Erkenntnisse über die Rezeption und Wirkung von Ausstellungen und Museen zu erhalten. Im Sinne der neueren Wissenschaftsforschung wird nach den (Rück-)wirkungen von musealen Präsentationen auf die Forschung gefragt, also der „Einwanderung“ der Ausstellung in das Labor. Die sonst eher vernachlässigte erkenntnisstrukturierende Wirkung von Wissensproduktion und Präsentationspraktiken in Museen und Ausstellungen soll so stärker in den Blick rücken. Insgesamt wird so ein vollständigeres Bild der Entstehungs- und Wirkungsbedingungen von musealen Präsentationen und deren Verflechtung mit den sie gestaltenden wissenschaftlichen Disziplinen angestrebt. Die Tagung hatte sich zum Ziel gesetzt, diese Frage anhand von Wissenschaftsmuseen zu bearbeiten. So stellten die beiden Organisatorinnen ANKE TE HEESEN (Tübingen) und MARGARETE VÖHRINGER (Berlin) schon in der Einführung die beiden folgenden Probleme vor: Erstens, wie die Verbindung von Wissenschaft und den Präsentationspraktiken von Museen überhaupt beschaffen sei, wie zum Beispiel Wissenschaft sein müsse, um an die Öffentlichkeit zu treten. Zweitens, wie Objekte, als wesentliche Bestandteile von Ausstellungen, als „epistemische Dinge"1 entstehen und wie sie zwischen Wissenschaft und Museum und umgekehrt wandern. Für die facettenreichen Präsentationen der kleinen Tagung konnten sowohl Referent/innen aus der Museumspraxis als auch aus der Wissenschaftsforschung gewonnen werden.

Zu Beginn stellte ANNEGRET PELZ (Wien) ihre literaturwissenschaftlichen Überlegungen über den Schreibtisch als Museumsobjekt vor. Dieses Möbelstück, so Pelz, befindet sich sonst bei der Untersuchung von kreativen Vorgängen eher unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Der Schreibtisch wird, wie der überwiegende Teil musealer Objekte, als „Semiophore“2 genutzt. Bei seiner Präsentation im Museum wird er aus seinem ursprünglichen Kontext - zum Beispiel der Arbeitswelt eines Forschers oder eines Künstlers - entnommen und im Museum mit neuer Bedeutung versehen. Er steht dort, so Pelz, „als allegorische Requisite des Schreibvorgangs“. Er diene damit im Museum bzw. beim „Schreibortkult“ der Visualisierung des sonst nicht zeigbaren Schreibprozesses. Zugleich sei der Schreibtisch während seines Gebrauchs - möglicherweise im Sinne eines „Gegenverkehrs“ zwischen Wissenschaft und literarischer Produktion - selbst eine Art Labor für den Schriftsteller geworden.

THOMAS SCHNALKE (Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité) sprach über die Entstehung und Entwicklung des Pathologischen Museums der Charité unter der Leitung von Rudolf Virchow. Virchows „Körpermuseum“ wurde 1901 zur Präsentation von Präparaten eröffnet. Es hatte die doppelte Funktion, diese sowohl der allgemeinen als auch der Fachöffentlichkeit zu präsentieren. Virchow entwickelte für die Präsentation der Präparate ein Schausystem, welches wissenschaftliche Klassifikationen von Anatomie, Morphologie und Krankheitsentwicklung berücksichtigte. Auf diese Weise wurde eine dreidimensionale Verräumlichung wissenschaftlichen Wissens im Museum angestrebt. Zugleich wirkte die Sammlung auf die Praxis des Sezierens und in die Medizin zurück. Einerseits wirkte sie blickbildend für die Wissenschaftler, andererseits wurde die (Vervollständigung der) Sammlung selbst zum Ziel der Arbeit des Prosektors. Denn eine neu eingetroffene Leiche wurde in das bestehende Ausstellungssystem eingeordnet bzw. modifizierte es und erzeugte zugleich neue Desiderate. So stellte die Sammlung und die „Aufstellung von ganzen Reihen“ auch eine forschungsstrategische Entscheidung dar, da die Sammlung im Prinzip ja nie abgeschlossen werden konnte.

LENA CHRISTOLOVA (Konstanz) beschrieb in ihrem Beitrag das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum von Otto Neurath und das „Mundaneum“ von Paul Otlet. Diese seien Vorläufer der Idee der globalen Wissensvernetzung gewesen. Die Idee des „Mundaneums“ als Enzyklopädie des Weltwissens mit flexibler Konzeption, optimierter Zugänglichkeit und Abrufbarkeit von Informationen sowie der Wissensorganisation per Schlagwörtern auf Karteikarten, so ihre These, weise Parallelen zum Hypertext des Internets auf. Mit ihren Museums- bzw. Wissensarchivprojekten seien sowohl Otlet als auch Neurath „Visionäre oder Praktiker einer neuen Wissensgesellschaft“. Ob es sich hierbei um reale Verknüpfungslinien handelte oder um von einander unabhängige Entwicklungen, wurde nicht klar.

In seinem inhaltlich und methodisch kontrovers diskutierten Vortrag befasste sich ALEXANDRE MÉTRAUX (Mannheim) unter anderem mit der Begriffsbestimmung von „Experimenten“. Er plädierte für eine kritische Betrachtung und sprach sich auf dieser Basis für eine Neubewertung der künstlerischen Vorgehenswesen von Malern des Historismus und deren Experimentierfreudigkeit aus. Deren Arbeiten seien wesentlich stärker als bisher wahrgenommen durch experimentelle Vorgehensweisen geprägt gewesen. Dies sei insbesondere im Verhältnis zur so genannten Avantgardekunst des 20.-Jahrhunderts notwendig. Experimentelles Vorgehen sei zu stark nur der avantgardistischen Kunst zugeordnet und zum Teil auch das nicht zutreffend.

TONY BENNETT (Sidney) legte dar, wie Museen als Orte fungieren können, in denen Ordnungen (auch gesellschaftlicher Natur) geprobt werden können. Als „grids of intelligibility“ können sie zum Beispiel auch politische Wirkungen entfalten. Anhand zweier Fallstudien, dem Musée de l´Homme in Paris und dem National Museum of Melbourne, beschrieb Bennett, wie die Formierung von kolonialen Wissensordnungen durch die Anordnung von Objekten in Ausstellungen zu indigenen Völkern erfolgte. Insofern wies er Museen die experimentellen Qualitäten von Laboratorien zu, auch wenn sie selbst keine besaßen. Die so organisierten Wissensbestände zu französischen Kolonialvölkern bzw. Aborigines wirkten durch die Reorganisation sozialer Beziehungen durch politische Akteure auf die Ausgestellten zurück. Dies geschah, obwohl diese zumeist nicht an der Wissensordnung und -formierung beteiligt waren. Zugleich warfen diese Beispiele wieder die Frage auf, was es eigentlich für ein Museum genau bedeute, eine Sammlung zu besitzen. Gerade anhand der rassistischen Präsentationen des Melbourner Museums wurde deutlich, dass spezifische Sammlungsstrategien sehr spezifische bzw. einseitige Ergebnisse hervorbringen können. Die Ausführungen Bennetts sind in verallgemeinerter Form dazu geeignet, Konzeptualisierungen des Austauschs zwischen Museen und anderen gesellschaftlichen Sphären weiterzuentwickeln.

CHRISTIAN VOGEL (Tübingen) zeigte in seinem Referat über das Röntgenhaus Hamburg, dass dieses, wie das Pathologische Museum Virchows, durch sein spezifisches Ausstellungsarrangement blickbildende Wirkungen haben konnte. Das Röntgenhaus entstand 1914 mit der Konjunktur der neuen Bildgebungsmethode des Röntgens in der Medizin und der Anpassung des Krankenhausbetriebes an die neuen technischen Apparate. Das Arrangement von Röntgenplatten, aufgehängt in Reihen vor den Fenstern des Schauraumes des Röntgenhauses zur Durchlichtung und simultanen vergleichenden Betrachtung, war konstitutiv für die die radiologische Wissensproduktion vor Ort. Ihre epistemische Funktion war dabei die Präsentation von Normalkörpern und die dazu vergleichende Betrachtung pathologischer Zustände. Die Flexibilität des Plattensystems ermöglichte jedoch gleichzeitig eine schnelle Neuorganisation und fungierte insofern gegebenenfalls als „Erkenntnismaschine“. Vogel wies weiterhin darauf hin, dass das Museum als Teil der Auseinandersetzung um die Professionalisierung der Radiologie zu verstehen sei. Es sollte die Emanzipationsbestrebungen der bis dahin als Hilfswissenschaft existierenden Radiologie zur Spezialwissenschaft befördern.

ALENA WILLIAMS (New York) sprach über zwei Ausstellungsprojekte der AEG: Das „Hygiene-Museum“ von 1912, im Wesentlichen eine Arbeitsschutzausstellung, und das „AEG - Haus der Technik“. Letzteres löste das auf die Belehrung der eigenen Arbeiter ausgelegte „Hygiene-Museum“ zugunsten eines „showrooms“ zu Marketingzwecken ab. Beides waren Firmenmuseen und versuchten als solche, Widersprüche zwischen Natur, Industrie und modernem Leben zu harmonisieren. Das „Haus der Technik“ hatte dabei eher Messe- als Museumscharakter. Es sollte als ausstellungsgestalterisch elaborierte Industrieausstellung der AEG helfen, neue Märkte zu erschließen und zu gestalten. Das kontrollierte Ausstellungsarrangement mit seinen interaktiven Elementen zielte nicht zuletzt auch auf die Naturalisierung der durch die AEG vertriebenen Technik. Williams verglich dies mit der Funktion heutiger „Science Centers“ bzw. Wissenschaftsmuseen.

Die beiden vorletzten Vorträge befassten sich mit aktuellen Ausstellungsfragen. PHILLIPP AUMANN (Universitätsmuseum Tübingen) warf in seinem Referat noch einmal die wichtige Frage auf, ob ein produktiver Gegenverkehr zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit durch Ausstellungen überhaupt möglich sei, ob also Ausstellungen Orte des Dialogs zwischen beiden Bereichen sein können. Museen sollten jedenfalls, so Aumann, auch der Interaktion dienen und nicht nur der Präsentation. Er berichtete über das aktuelle Ausstellungsprojekt des Universitätsmuseums Tübingen „Dinge des Geistes“. Dieses zeige neben den epistemischen Dingen, die in Wissenschaftsmuseen häufig zu sehen seien, auch die technischen Geräte, Instrumente und Dinge, die der Wissensproduktion dienen. Damit solle Verständnis für die Wege und Bedingtheit von wissenschaftlichen Erkenntnisproduktionen erzeugt werden.

SUSANNE BAUER (Berlin) und MARTHA FLEMING (London) berichteten als Kuratorinnen über die Biomedizin-Ausstellung „Split + Splice“ im Medical Museion der Universität Kopenhagen. Eine der Grundfragen während der Ausstellungsgestaltung sei es gewesen, wie den Besuchern einerseits das Unsichtbare der Biomedizin sichtbar gemacht werden könne und wie Besucher weiterhin dazu angeregt werden könnten, sich mit Wissenschaft persönlich auseinanderzusetzen und eigene Standpunkte zu entwickeln. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage diskutiert, ob Ausstellungen sich übergreifender Narrative bedienen sollten. Die Kuratorinnen hatten sich bewusst dagegen entschieden, um Besuchern die Initiative zu überlassen und multiple Zugänge zum Gezeigten zu ermöglichen. Um wissenschaftliche Prozesse für den Besucher nachvollziehbar zu machen, wurden, wie auch von Aumann gefordert, neben den epistemischen auch die technischen Dinge der Biomedizin gezeigt.

Den Abschluss der Konferenz bildete der Vortrag von ULRIKE VEDDER (Berlin). Sie ging von der Überlegung aus, dass Museen per se Orte seien, die in vielerlei Hinsicht auf den Tod bezogen sind. Sie vertrat die These, dass „nicht nur die Dinge, sondern auch deren Epistemologie und damit letztlich „Wissen“, das im Museum konzipiert und wirksam wird, entscheidend durch die Frage nach der Mortifizierung oder Verlebendigung“ geprägt werden. In ihren literaturwissenschaftlichen Ausführungen verglich sie Museen unter anderem mit einem Friedhof und damit mit einem Ort, an dem Kommunikation mit dem Vergangenen, den Toten, zum Beispiel über die dem Lebenszusammenhang entzogenen Objekte, stattfindet. Sie wies auf eine dem Verhältnis Wissenschaft - Museum inhärente Spannung hin. Während Wissenschaft permanent versuche, neues Wissen hervorzubringen, sei das Museum ein Ort der Festschreibung, der Mumifizierung von Wissen.

Die Tagung bot in konzentrierter Form einen Überblick zu einigen Ansätzen der aktuellen Museumsforschung in Bezug auf Wissenschaftsmuseen. Es wurde deutlich, dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen Labor und Museum, zwischen ersterem als Ausgangspunkt der Erkenntnis und zweitem als Endpunkt der Erkenntnis, nicht haltbar ist. Die Begriffe scheinen gerade bei der Beschreibung von Wissenschaftsmuseen zu verschwimmen und bedürfen hier noch einer genaueren Bestimmung. Zur Kernfrage wie „Präsentationspraktiken aus den Museen und Ausstellungen in die Wissenschaftsräume diffundierten“, wie also die Produktion wissenschaftlichen Wissens mit Praktiken der Präsentation im Kern verknüpft ist, haben insbesondere die Beiträge von Schnalke und Vogel Beispiele aufgezeigt. Allerdings lässt sich noch kaum von einer übergreifenden Theoriebildung sprechen. Weitere Kooperationen der Museumsforschung mit der neueren Wissenschaftsforschung lassen hier auf zusätzliche Erkenntnisse hoffen.

Konferenzübersicht:

Anke te Heesen (Universität Tübingen), Margarete Vöhringer (Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin): Einführung

Annegret Pelz (Universität Wien): Schreibtisch im Museum. Arbeitsgerät, Sammlungsraum, exemplarisches Objekt

Thomas Schnalke (Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité): Die Dynamisierung des Sehens. Rudolf Virchow und die Idee eines plastischen Körpermuseums

Lena Christolova (Universität Konstanz): Das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum von Otto Neurath und das Mundaneum von Paul Otlet als Vorläufer der Idee der globalen Wissensvernetzung

Alexandre Métraux (Otto-Selz-Institut Mannheim): Das Labor im Kopf und das Experiment im Ausstellungsraum

Tony Bennett (University of Western Sydney): Laboratories of Difference: Museums, Anthropology, Colonialism

Christian Vogel (Universität Tübingen): Zwischen Labor und Klinik. Im Museum des Röntgenhauses Hamburg 1914/15

Alena Williams (Columbia University New York): „Lernen und Lehren“ at the AEG

Philipp Aumann (Museum der Universität Tübingen): Das Objekt – das Institut – das Museum. Das Verhältnis von Forschung und Museum in der praktischen Arbeit

Martha Fleming (Natural History Museum London), Susanne Bauer (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin): Displaying Observational Practice: Split + Splice as a Mirror Structure between Laboratory and Museum

Madina Dlugaiczyk (RWTH Aachen): Architektur im Labor - Lehrmittelsammlungen an Architekturfakultäten Technischer Hochschulen (Vortrag viel aus)

Ulrike Vedder (Humboldt-Universität zu Berlin, vormals Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin): Aus der Nacht des Museums: Tod und Wissen

Anmerkungen:

1 Hans-Jörg Rheinberger, Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2008.
2 Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988.


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