Widerstand und Opposition im Rheinland 1933-1945

Widerstand und Opposition im Rheinland 1933-1945

Organisatoren
Abteilung für Rheinische Landesgeschichte, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.09.2011 - 27.09.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Jennifer Striewski, Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Landschaftsverband Rheinland

Seit 2009 wird in einem Forschungsprojekt des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte widerständiges Verhalten im Rheinland erfasst und ausgewertet. Erste Projektergebnisse wurden bei der gemeinsamen Tagung des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte und des Instituts für Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Abteilung für Rheinische Landesgeschichte in Verbindung mit dem Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande am 26.09. und 27.09.2011 vorgestellt.

Am ersten Konferenztag standen die Mitarbeiter des Projektes und die Erörterung ihrer Ergebnisse im Mittelpunkt. Der zweite Tag behandelte in fünf Vorträgen Bedingungen und Umfeld widerständigen Verhaltens im nationalsozialistischen Rheinland. Die Diskussionsleitung übernahmen Manfred Groten (Bonn) und Helmut Rönz (Bonn).

Mit einem Einführungsvortrag eröffnete nach der Begrüßung durch MANFRED GROTEN (Bonn) der Leiter des Forschungsprojektes „Widerstand im Rheinland 1933-1945“, HELMUT RÖNZ (Bonn), die Tagung. Dabei bot er eine detaillierte Beschreibung des Projektes. Nach einem Fragenkatalog wurden Widerstandsgruppen und Einzelpersonen erfasst und aufgearbeitet. Ziel des Projektes ist eine möglichst weit reichende Erfassung von Opposition und Widerstand in den Grenzen der Rheinprovinz. Die Ergebnisse werden kartografisch und tabellarisch umgesetzt und im Internetportal Rheinische Geschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Unter anderem ist eine Karte mit Zoomfunktion geplant. Eingeordnet werden die Widerstandsakte in ein differenziertes Gliederungssystem. Die Widerstandskarte wird Ende 2011 online gehen.

Im Anschluss stellte RALF FORSBACH (Siegburg) erste Ergebnisse aus dem Bereich des linken Widerstandes vor. In der ersten Phase des NS-Regimes fanden sich vor allem 1933 und 1934 immer wieder Arbeiter zusammen, um auf öffentliche Häuser kommunistische oder gegen die Nationalsozialisten gerichtete Parolen zu malen, die Arbeiter weigerten sich, der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) beizutreten oder sie verteilten Flugschriften. Linken Widerstand gab es zudem von Seiten Intellektueller. Die Aktionen kamen im Laufe des Jahres 1934, spätestens 1936 zum Erliegen. Mittlerweile hatte die Propaganda der Nationalsozialisten Erfolge gezeigt und das Verfolgungssystem hatte sich weiter entwickelt. Ein regimegefährdendes Widerstandsnetz sei nicht entstanden, da sich Kommunisten und Sozialdemokraten nicht zu einer gemeinsamen Volksfrontpolitik gegen Hitler einigen konnten. Aus den kleineren Gruppierungen wie SAP, SAPD, ISK oder dem im Mai 1933 verbotenen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund handelten nur einzelne Mitglieder widerständig und nicht die ganze Organisation. Erst mit dem Angriff auf die Sowjetunion wurde der kommunistische Widerstand im Rheinland wieder aktiver. Meist waren es Einzelaktionen, durch die sich während des Krieges der linke Widerstand zeigte.

Der Kirchenhistoriker HERMANN-JOSEF SCHEIDGEN (Köln) ist im LVR-Widerstandsprojekt für den religiös motivierten und „kirchlichen“ Widerstand zuständig. Er referierte über erste Teilergebnisse seiner Forschung, die er in Form eines Werkstattberichtes vortrug. Er beschränkte sich dabei auf die Vorstellung einzelner Fallbeispiele, die für die verschiedenen Typen des kirchlichen Widerstands stehen.

Zuständig für den Bereich bürgerlicher Widerstand, Alltagswiderstand, militärischer und Retterwiderstand sowie Jugendopposition, skizzierte ANSGAR KLEIN (Königswinter) neben einzelnen exemplarischen Beispielen auch die Probleme bei der Einordnung von Widerstands- und Oppositionsakten. Er zeigte, dass es auch im Rheinland Vernetzungen einzelner Widerstandsgruppen untereinander gab, wie z.B. jene des Kölner Kreises mit dem Kreisauer Kreis, dem Goerdeler Kreis oder mit bestimmten Teilen der militärischen Opposition. Ausführlich schilderte er auch die Entwicklung von Begriffen des Widerstandes am Beispiel von „Retterwiderstand“. Auch wenn nicht jeder, der einen Juden über die Grenze schmuggelte, pauschal als Retter und Widerständler gesehen werden kann, so fanden einzelne Juden jedoch Hilfe bei Freunden und Bekannten. Nicht selten waren an solchen Aktionen mehrere Personen oder Familien beteiligt. Bürgerliche und liberale Opposition war im Rheinland seltener zu finden. Vor allem handelte es sich um intellektuelle Zirkel an den rheinischen Universitäten und in den Großstädten, die sich konstituierten und widerständig verhielten. Möglichkeiten der Verweigerung ergaben sich auch im Alltag. Dieser alltägliche Widerstand hatte viele Facetten und reichte von Dissens über Verweigerung bis zu öffentlichem Protest.

Den ersten Tag beendete MICHAEL KIßENER (Mainz). Nach einer Einführung in die aktuelle Widerstandsforschung ging er der Frage nach, wie und ob man von „katholischem“ Widerstand reden kann und ob man eine Region aufgrund der Milieuzusammensetzung widerständiger als eine andere nennen darf. Zwar sei es für die NSDAP in katholisch dominierten Regionen durchaus schwerer gewesen, gute Wahlergebnisse zu erzielen, tatsächlich stand die katholische Kirche in einem durchaus ambivalenten Verhältnis zum Nationalsozialismus. Zahlreiche Streitigkeiten zwischen katholischer Kirche und den Nationalsozialisten entzündeten sich an der Frage nach den eigenen Freiheiten und Kompetenzen, was jedoch nicht stets mit widerständigem Handeln gleichzusetzen ist. Häufig waren diese Konflikte Nährboden für tatsächliche Widerstandsakte im katholischen Milieu. Für eine solche Entwicklung sei aber laut Kißener nicht allein der katholische Glaube ausschlaggebend, sondern ein ganzes Bündel von Ursachen. So könne auch nicht grundsätzlich von einer Milieuresistenz ausgegangen werden. Jedoch habe die Dokumentation der Beispiele von Resistenz und Widersetzlichkeit nicht nur einen Eigenwert, sondern diene auch der Erforschung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, indem so die Grenzen der Volksgemeinschaftsideologie vermessen werden könnten.

Zu Beginn des zweiten Konferenztages fragte THOMAS ROTH (Köln) nach der Arbeitsweise von Polizei und Justiz in Köln. Bereits 1933 begann sich die Gestapo in Köln zu etablieren und die linke Arbeiterbewegung zu verfolgen. Die Überwachung und teilweise Verfolgung katholischer Gruppierungen setzte erst später ein, habe aber stetig an Bedeutung zugenommen. Die Verfolgung oppositionellen Verhaltens durch Polizei und Justiz habe sich im Laufe der NS-Herrschaft radikalisiert. Allerdings sei die Verfolgung von Regimegegnern ein Tätigkeitsfeld mit verschiedenen Akteuren und Kontrollstrategien, wechselnden Verfolgungskampagnen und -schwerpunkten, unterschiedlichen Adressaten und Sanktionen geblieben. Auch die Zentren der Verfolgung und Zonen abgeschwächter Repression wechselten.

HORST MATZERATH (Erftstadt) stellte in seinem Vortrag die Kommunalverwaltung in den Mittelpunkt und fragte, ob und wo dort überhaupt Widerstand möglich war. In den meisten Fällen agierten die Kommunalverwaltungen willfährig. Der größte Teil der Verfolgungsakte, die rheinische Beamte trafen, hatten mit Widerstand nur wenig zu tun. In den letzten Kriegstagen kam es in einzelnen Fällen dazu, dass Mitarbeiter der Kommunalverwaltungen versuchten, ihre Stadt kampflos an die Alliierten zu übergeben. Aber auch diese Aktionen richteten sich nicht gegen das System, sondern zielten auf die Erhaltung zukünftiger Lebensgrundlagen. Die Diskrepanz zwischen möglichst enger Anpassung an die neuen Machthaber und dem Willen möglichst viele Freiheiten zu verteidigen (kommunale Selbstverwaltung), führten zwar zu Konflikten, von Widerstandakten im eigentlichen Sinne kann jedoch keine Rede sein.

ANNETTE MERTENES (Bonn) betrachtete das kirchenstrukturelle Umfeld, in dem christliche Widerständler wirken mussten und befasste sich dabei beispielhaft mit der katholischen Kirche. Das ambivalente Verhältnis von Nationalsozialisten und katholischer Kirche mäanderte in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen Ablehnung, dem ständigen Austarieren von Rechtsgrundlagen, sowie ersten Verfolgungen. Während des Krieges verstärkten sich die Widersprüchlichkeiten zwischen Kirche und Staat, die Verfolgung katholischer Geistlicher wurde verschärft, Klostersturm und Verfolgungswellen machten die Hoffnung vieler Katholiken auf einen Burgfrieden mit den Nationalsozialisten zunichte. Die Kirche habe sich im Rahmen einer „antagonistischen Kooperation“ jedoch auch an der Front und in der Heimat am Krieg beteiligt. Nur vereinzelt äußerten sich Geistliche zu Themen der NS-Vernichtungspolitik. Widerstand gegen ihre eigene Verfolgung habe die Kirche zweifellos geleistet. Dabei seien oft jene Gruppen aus dem Blick geraten, deren Verfolgung ungleich radikaler ausfiel. Oft blieb es bei verbalen Protesten und Rettungstaten einzelner Katholiken. Einen Grund dafür sieht Mertens darin, dass die Kirche ihre eigene Kraft tendenziell unterschätzte.

MARTIN SCHLEMMER (Düsseldorf) stellte in seinem Referat die politischen Strukturen gegen Ende der Weimarer Republik und zu Beginn der NS-Herrschaft in der Rheinprovinz mit besonderem Blick auf die Positionierung der Parteien gegenüber dem Nationalsozialismus in den Blickpunkt. Zwar kann man kaum grundsätzlich von einer umfassenden Milieuresistenz gegenüber den Einflüssen des Nationalsozialismus reden, dennoch waren die Wahlkreise Köln-Aachen und Koblenz-Trier im März 1933 reichsweit die einzigen, die nicht von den Nationalsozialisten gewonnen werden konnten. Doch auch wenn die Nationalsozialisten im Rheinland während der Weimarer Republik politisch nur wenig Einfluss gewinnen konnten, so habe es nach Schlemmer an herausragenden Politikern und Parteien gefehlt, die vorbehaltlos und entschieden für die Verfassung eingetreten wären. Zwar gab es Bemühungen der parlamentarischen und demokratischen Mitte- und Linksparteien, gemeinsam dem aufkommenden Nationalsozialismus entgegenzutreten, doch seien diese durch die eigene Unentschlossenheit und Uneinigkeit erschwert oder sogar durch die Auffassung, man könne mit den Nationalsozialisten koalieren, zunichte gemacht worden. Zudem hätten auch im Rheinland seit dem „Preußenschlag“ von 1932 besondere Verhältnisse geherrscht, die den Aufstieg eines totalitären Systems begünstigen sollten. Das Zentrum agierte wie die SPD gegenüber der politischen Konkurrenz ambivalent, unterschätzten beide die NSDAP doch als „vorrübergehendes Übel“. Die DDP beziehungsweise DStP habe sich dem Aufstieg der NSDAP gegenüber hilflos ausgesetzt gesehen, während sich die DVP zunehmend nach rechts orientierte. Im überwiegend katholisch geprägten ländlichen Raum ebenso wie in den Städten Aachen, Trier und Essen dominierte die Zentrumspartei, in den Großstädten die Parteien der Linken. Nach der Machtergreifung 1933 erfolgte sukzessive die Ausschaltung der Parteien.

Abschließend widmete sich ARMIN NOLZEN (Warburg) der Entwicklung der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie angeschlossenen Verbänden in den Gauen der Rheinprovinz. Bis 1933 lagen die Mitgliederzahlen der NSDAP und ihrer Gliederungen in der Rheinprovinz unter dem Reichsdurchschnitt. Erst nach der Machtergreifung stiegen die Mitgliederzahlen in den rheinischen Gauen an. Dabei war das Wachstum überproportional im Vergleich zu den anderen Regionen des Reiches.

Nach 1933 sei es der Partei aufgrund des starken Mitgliederzuwachses gelungen, einen eigenen Verwaltungsapparat aufzubauen. Die Rekrutierung neuer Mitglieder erfolgte nicht nur unter Zwang. Die große Bereitschaft zum Beitritt erklärt sich Nolzen aus den Vorteilen: Die Partei bot ihren Angestellten ein regelmäßiges Einkommen sowie umfassende Fürsorge- und Versorgungsleistungen. Den ehrenamtlichen Funktionären ermöglichte sie alltägliche Machtausübung und vielfältige Formen sozialer Anerkennung. Ihren einfachen Mitgliedern ermöglichte die NSDAP fachliche Aus- und Weiterbildungen sowie Absicherung ihres eigenen Gewerbes durch öffentliche Aufträge. Hinzu kamen soziale und kulturelle Angebote.

Nolzen konstatierte sechs Methoden der Mitgliederwerbung: Institutionalisierung, Gewalt (z.B. Gleichschaltung), Hilfe, Erziehung, Kontrolle und Mobilisierung. Beim Dritten Reich, so Nolzen, handelte es sich um eine organisierte Gesellschaft, bzw. um eine in der NSDAP organisierten Gesellschaft.

Die Aufarbeitung des „rheinischen Widerstands“ lässt auf neue Ansätze und Fragen zur Forschung hoffen. Nicht zuletzt erfolgen durch dieses empirische Projekt eine Verbreiterung der Datenbasis und eine beispielhafte Erfassung für eine ganze Region. Die Erfassung der Fälle über Onlinekarte und Datenbank ist ein innovativer Ansatz, der nicht nur von der Forschung sondern auch von Bildungsinstitutionen, Schulen und interessierten Laien vor Ort genutzt werden kann, zugleich aber auch sicherlich noch einiges an Diskussionsstoff bieten wird. Überblicke zu allen Vorträgen werden in den Rheinischen Vierteljahrsblättern 2012, ausgewählte Vorträge im Internetportal Rheinische Geschichte veröffentlicht.

Konferenzübersicht:

Manfred Groten (Bonn): Begrüßung

Helmut Rönz (Bonn): Einführung in die Tagung

Ralf Forsbach (Siegburg): Der linke Widerstand gegen das NS-Regime im Rheinland

Hermann-Josef Scheidgen (Köln): Der kirchliche und religiöse Widerstand gegen das NS-Regime im Rheinland

Ansgar Klein (Königswinter): Bürgerlicher Widerstand, Retterwiderstand und Alltagswiderstand gegen das NS-Regime im Rheinland

Michael Kißener (Mainz): Katholisches Rheinland – widerständiges Rheinland?

Thomas Roth (Köln): Widerstand, Verweigerung und Verfolgung. Vorgehen und Arbeitsweise von Polizei und Justiz am Beispiel Kölns.

Horst Matzerath (Erftstadt): Kommunalverwaltung und Widerstand?

Annette Mertens (Bonn): Die Kirchen im Rheinland 1933-1945

Martin Schlemmer (Düsseldorf): Die rheinischen Parteien im Übergang zur NS-Diktatur

Armin Nolzen (Warburg): Die NSDAP und ihre Organisationen in der Rheinprovinz nach 1933


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