Die faschistische Herausforderung. Netzwerke, Zukunftsverheißungen und Kulturen der Gewalt in Europa 1922 bis 1945

Die faschistische Herausforderung. Netzwerke, Zukunftsverheißungen und Kulturen der Gewalt in Europa 1922 bis 1945

Organisatoren
Institut für Zeitgeschichte München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.06.2012 - 30.06.2012
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Von
Jana Wolf, Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Technische Universität Dresden

1922 übernahm Benito Mussolini in Italien die Macht, und entgegen optimistischer Prophezeiungen führender Kommunisten trat der Faschismus damit seinen Siegeszug in Europa an. Neunzig Jahre nach dem „Marsch auf Rom“ veranstaltete das Institut für Zeitgeschichte in München gemeinsam mit der Universität Konstanz (Sven Reichardt) und der LMU München (Martin Baumeister) eine internationale Tagung mit dem Titel „Die faschistische Herausforderung. Netzwerke, Zukunftsverheißungen und Kulturen der Gewalt in Europa 1922 bis 1945“, um die bisherige Forschung zu bilanzieren und neue Forschungsfelder zu vermessen.

HANS WOLLER (München) skizzierte die Etappen, Deutungskontroversen und Desiderate der Faschismusforschung. Er betonte die mittlerweile breite Akzeptanz des generischen Faschismusbegriffs. In der älteren Forschung noch häufig ins Feld geführte Differenzierungskriterien hätten aufgrund neuester Untersuchungen immer mehr an Bedeutung verloren. Desiderate machte er bei der Forschung zu transnationalen Netzwerken und Transferprozessen aus. Bisher seien die Beziehungen zwischen faschistischen Bewegungen, deren Austausch sowie ihre Wirkung auch für Ost- und Südosteuropa noch zu wenig untersucht worden. Des Weiteren forderte er eine intensivere gesamteuropäische Betrachtung des faschistischen Konzepts des „neuen Menschen“ und plädierte darüber hinaus für eine stärkere Fokussierung auf die Kriegsphase, da die Forschung sich bisher zumeist mit dem Ursprung, jedoch weniger mit der faschistischen Herrschaft selbst beschäftigt habe.

Die Entwicklungen in der Faschismusforschung seit Beginn der 1990er-Jahre standen im Zentrum des ersten Panels. FERNANDO ESPOSITO (Tübingen) referierte über das Verhältnis von Faschismus und Moderne. Er zeigte, dass sich die Begriffe Modernisierung und Faschismus in der älteren Forschung vor allem durch ihre konträre normative Aufladung analytisch ausschlossen. In den 1990er-Jahren richtete die Forschung ihr Interesse dann zunächst auf die „modernisierende Wirkung“ der Regime und deutete den Faschismus schließlich als Antwort auf die „Krise der Moderne“, der den Zeitgenossen neue, vermeintlich stabilere Ordnungsmuster anbot. Zentrales Instrument, um Ordnung herzustellen, war, so SVEN REICHARDT (Konstanz), die Anwendung von Gewalt. Konsens und Gewalt bildeten im Faschismus zwei Seiten einer Medaille. Gewalt hatte hierbei nicht nur eine destruktive, sondern eine ebenso ordnungsgebende Funktion. Über die Eliminierung des politischen Gegners, der fortbestehenden Gewaltandrohung und der Implementierung „positiver Sozialprogramme“ konnte, so Reichardt, ein Konsens in der faschistischen Gesellschaft erreicht werden. In Kommentar und Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern Indifferenz oder die Abwesenheit politischer Opposition überhaupt als Konsens begriffen werden können oder ob präziser von einem simulierten Konsens gesprochen werden müsste.

Mit dem „cultural turn“ und dem Konzept der Zivilgesellschaft beleuchtete ROBERT O. PAXTON (New York) zwei weitere Entwicklungen in der jüngeren Faschismusforschung. Den „cultural turn“, der besonders die selbstrepräsentativen Dimensionen der faschistischen Regime in Form von Ritualen, Zeremonien, Kleidung, Sprache und Mythen in den Blick nimmt, deutete er als wichtigen Teil der Faschismusforschung, der jedoch kaum den Erfolg des Faschismus erklären könne und somit immer mit der „practice of power“ verknüpft werden müsse. Als sehr fruchtbar für die Analyse des Faschismus bezeichnete Paxton das Konzept der Zivilgesellschaft. So zeige sich, dass der Faschismus besonders in jenen Regionen erfolgreich war, in denen sich bereits zivilgesellschaftliche Institutionen als Mittler zwischen Staat und Individuen etabliert hatten.

Die Entwicklung und Verwendung des Konzepts der „politischen Religion“ stellte MARTIN BAUMEISTER (München) ausgehend von Eric Voegelin bis zu Emilio Gentile vor. Aufgrund der problematischen Definition des Begriffs Religion und der fehlenden Distanz des faschistischen „Liktorenkultes“ zum Katholizismus überwiegen bisher die Kritiker dieses Konzepts. Baumeister verwies allerdings auf einen neuen Aufsatz zum Franquismus als politische Religion, der belege, dass es sich weiterhin lohne, die Kopplung von Faschisierung der Religion und Sakralisierung der Politik zu untersuchen.

MAURIZIO BACH (Passau) stellte den Idealtypus der charismatischen Herrschaft nach Max Weber in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, mit dem man die Dynamik der faschistischen und nationalsozialistischen Mobilisierung erklären könne. Die Zuschreibung von Charisma bei den politischen Führern ermöglichte die Propagierung einer klassenübergreifenden Vergemeinschaftung der faschistischen Gesellschaft, die wiederum eine Massenmobilisierung zur Folge hatte. In seinem Kommentar verwies WOLFGANG SCHIEDER (Göttingen) auf die Uneindeutigkeit des weberschen Charisma-Begriffs und den konstruierten Charakter des Charismas bei Hitler und Mussolini. Über das Audienzsystem Mussolinis und seine deutschen Besucher referierte Wolfgang Schieder in seinem Abendvortrag. Perfekt in Szene gesetzt, gerierte sich Mussolini als Lehrmeister des Faschismus und warb so für dessen Verbreitung. Der „Duce“ nutzte diese Treffen und Geheimgespräche jedoch auch, um in seinem Sinne politischen Druck auszuüben und die konventionelle Diplomatie zu umgehen.

Die zweite Sektion richtete ihr Augenmerk auf die Entstehungsgeschichte faschistischer Netzwerke, ihre Dichte, Struktur und Reichweite, sowie auf die Akteure dieser Netzwerke und ihre Austauschprozesse. HANS WOLLER umriss die Bedeutung Roms als Zentrum der faschistischen Bewegungen. Obwohl Mussolini den Faschismus zunächst nicht als Exportartikel verstanden wissen wollte, inszenierte er für zahlreiche faschistische Führer bei Audienzen und Aufmärschen den gelungenen Aufbau des Faschismus. Zwar lässt sich ein idealisiertes Faschismusbild und die Übernahme von Riten und Symbolen durch die „Rompilger“ belegen; wie sich diese Transferprozesse jedoch konkret vollzogen, kann noch nicht beantwortet werden. Mit dem Aufstieg des nationalsozialistischen Deutschland etablierte sich ein zweites Kraftzentrum, das Rom als Lernort des Faschismus nicht zu ersetzen vermochte. Die Rivalität zwischen Rom und Berlin führte in den übrigen faschistischen Bewegungen zu Loyalitätskonflikten und ließ letztlich auch die Versuche der Institutionalisierung einer „faschistischen Internationale“ scheitern. Den Versuch, diese Internationale zu schaffen, beleuchtete TOBIAS HOF (München) genauer. Zur Umsetzung dieses Ziels wurde im Sommer 1933 das Comitato d’Azione Universalità di Roma gegründet, welches die Werbetrommel für diese Idee bei faschistischen Organisationen im Ausland rühren sollte. Im folgenden Jahr fand der erste Kongress in Montreux statt – jedoch ohne deutsche Vertreter. Einen zentralen Streitpunkt auf dem Kongress stellte die nationalsozialistische Rassentheorie dar. Aufgrund der Vorbereitungen auf den Abessinienkrieg und dem schwindenden Rückhalt bei führenden faschistischen Akteuren wurde das Projekt schließlich ad acta gelegt. Mit der Ausrufung der Achse Rom-Berlin gab der „Duce“ der bilateralen Kooperation endgültig den Vorzug.

MACGREGOR KNOX (London) beleuchtete die Unterstützung und Instrumentalisierung des ethno-nationalistischen Terrorismus durch Italien. Mussolini erhoffte sich durch die Destabilisierung von Staaten wie Jugoslawien deren reibungslosere Eroberung. Das bedeutendste Ereignis terrorismusfördernder Politik sah Knox in dem tödlichen Attentat auf den jugoslawischen König Alexander I. im Jahre 1934 durch die kroatische Ustascha. Mussolinis Hoffnung, von Nationalitätenkonflikten zu profitieren, erfüllte sich letztlich aufgrund eigener militärischer Schwäche nicht.

Über die Rolle Rumäniens im faschistischen Netzwerk referierte TRAIAN SANDU (Paris). Er hob die Bedeutung der Action Francaise für die Gründung der Legion des Erzengels Michael in Rumänien hervor und unterstrich deren nachlassenden Einfluss in den 1930er-Jahren. Aber auch die direkten Kontakte zwischen Vertretern der Eisernen Garde sowie denen Italiens und Deutschlands waren eher schwach ausgeprägt, da sie auf einen kleinen elitären Kreis begrenzt blieben. Zum einen betonte Sandu, dass die ideologische Nähe der Regime den Nährboden für eine Zusammenarbeit bot, er zeigte aber zugleich, dass diese Verwandtschaft kein sicherer Schild gegen die realpolitischen Interessen der faschistischen Staaten war. In seinem Kommentar unterstrich CHRISTOPH CORNELIßEN (Frankfurt am Main) die verhältnismäßig späte Entdeckung der Transfergeschichte und den daraus resultierenden bestehenden Forschungsbedarf.

Im dritten Panel wurden die biopolitische Vision des „neuen Menschen“ sowie die Bedeutung des Rassismus und des Führerkultes für die Faschismen thematisiert. Mit Hilfe zahlreicher Illustrationen führte ROGER GRIFFIN (Oxford) den Tagungsteilnehmern die Selbstinszenierung der faschistischen Führer vor Augen und wies auf gewisse stereotype Bilddarstellungen hin. Die Propaganda setzte den charismatischen Führer, der seine Gläubigen in eine neue glorreiche Zukunft führt, ins Zentrum einer politischen Religion. Anschließend problematisierte DIETER POHL (Klagenfurt) den historischen Ort faschistischer Feindideologien, denn sowohl antikommunistische, antisemitische als auch rassistische Ideen fanden auch in nichtfaschistischen Gesellschaften Verbreitung. Nichtsdestotrotz spielten alle drei Überzeugungen im Faschismus eine bedeutende Rolle. Allgemein akzeptiert war der Antikommunismus, dessen konkrete Ausformungen jedoch bisher kaum untersucht worden seien. Auch der Antisemitismus fand in vielen faschistischen Bewegungen Zustimmung. Während des Krieges wurde unter deutscher Führung sogar versucht, einen „gesamteuropäischen Antisemitismus zu kreieren“. Während der biologistische Rassismus sich vor allem in Deutschland etablieren konnte, blieb dessen Verbreitung in Italien durch den Einfluss der katholischen Kirche begrenzt. Hieran zeige sich, so Pohl, dass die spezifischen Feindideologien maßgeblich durch nationale Kulturen geprägt worden seien.

In seinem Beitrag fragte PATRICK BERNHARD (Freiburg im Breisgau) nach Visionen und konkreten Sozialtechniken zur Schaffung eines „neuen Menschen“ im italienischen Faschismus und deren Rezeption oder gar Übernahme im nationalsozialistischen Deutschland. Dabei vertrat er die These, dass bestimmte italienische Maßnahmen große Faszination auf die deutschen Machthaber ausübten. Die Nationalsozialisten kopierten einige der italienischen Aktionen, Faschisten und Nationalsozialisten konkurrierten miteinander und distanzierten sich wiederum voneinander. Im Ergebnis habe diese Entwicklung, so Bernhard, auch zur Radikalisierung der beiden Systeme beigetragen.

Der Frage, ob es in Italien oder Deutschland einen neuen faschistischen Frauentypus gegeben habe, ging PETRA TERHOEVEN (Göttingen) nach. Sie vertrat die Meinung, dass weder nördlich noch südlich der Alpen ein innovatives Frauenkonzept bestanden habe. In Italien waren die Frauen politisch marginalisiert. So blieb auch die Frauenorganisation Fasci femminili bis zuletzt unter männlicher Oberaufsicht. Im Nationalsozialismus hatten Frauen zwar größere Handlungsspielräume als propagiert, beispielsweise als Siedlungshelferinnen oder Gaufrauenschaftsleiterinnen, jedoch wurde auch hier nie Emanzipation im Sinne von Chancengleichheit angestrebt. In der Diskussion wurde unter Verweis auf eine steigende Berufstätigkeit von Frauen im italienischen Faschismus die Frage aufgeworfen, ob diese Darstellung nicht zu einseitig sei.

CHRISTOF DIPPER (Darmstadt) unterstrich in seinem Kommentar die biopolitische Vision vieler Wissenschaftler seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die Zukunft durch „Umgestaltung“ der Menschheit mitbestimmen zu können. Doch die Umsetzung, so Dipper, blieb hinter der Idee der „anthropologischen Revolution“ (E. Gentile) zurück. In der anschließenden Podiumsdiskussion debattierten MAGNUS BRECHTKEN (München), ARND BAUERKÄMPER (Berlin), PATRIZIA DOGLIANI (Bologna), ULRICH HERBERT (Freiburg) und DIETER POHL (Klagenfurt) ebenfalls über die Frage nach den Möglichkeiten der Schaffung eines „neuen Menschen“ und die Hoffnung, eine homogenisierte Gesellschaft formen zu können. Bauerkämper konstatierte, dass sich die Forschung bisher zu sehr auf die Ideengeschichte beschränkt habe. Herbert hegte Zweifel an der Durchsetzung des Konzepts des „neuen Menschen“ und bestritt die Wirksamkeit der Umerziehung. Gleichwohl wurde in der Diskussion breiter Konsens erzielt, dass Realisierungsversuche sowie konkrete Implementierungsschritte in Bevölkerungs- und Erziehungspolitik künftig stärker in den Blick genommen werden müssen.

Im letzten Panel wurde die Bedeutung des Krieges für den Faschismus erörtert. THOMAS SCHLEMMER (München) ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob es einen faschistischen Krieg gegeben habe. Er machte deutlich, dass der Krieg in der Faschismusdebatte der 1970er- und 1980er-Jahre kaum Beachtung gefunden hatte, obwohl der Faschismus nicht ohne Ersten und Zweiten Weltkrieg zu denken sei. Bürgerkrieg, Kolonial- und Lebensraumkrieg, Rassismus sowie Totalität identifizierte er als Strukturmerkmale des faschistischen Krieges. Militärische Auseinandersetzungen dienten jedoch nicht nur der Eroberung neuen Lebensraumes, sondern auch der Hervorbringung eines „neuen Menschen“ in Gestalt des Kriegers. Nach der Beleuchtung des Strukturtypus stellte Schlemmer den Verlaufstypus des faschistischen Kriegs vor und betonte, dass der nationalsozialistische Krieg zwar im faschistischen Krieg wurzelte, aber aufgrund seiner Zielsetzung und Praxis über den faschistischen Krieg hinausging.

CONSTANTIN IORDACHI (Budapest) untersuchte vergleichend die faschistischen Bewegungen in Rumänien, Ungarn und Kroatien und erläuterte Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede. Alle drei Bewegungen verfolgten das Ziel einer radikalen Transformation der Gesellschaft, waren antisemitisch und inszenierten die Unfehlbarkeit ihrer „Führer“ Ante Pavelic, Corneliu Zelea Codreanu und Ferenc Szalasi. Während die Pfeilkreuzler die Schaffung eines großungarischen Reiches propagierten und die Ustascha einen unabhängigen kroatischen Staat gründen wollte, trat die Legion in Rumänien für die Verdrängung ethnischer Minoritäten aus einflussreichen Positionen ein. Iordachi kritisierte die häufige Marginalisierung dieser Bewegungen als Marionettenregierungen und forderte dazu auf, sie zukünftig dezidiert als Akteure mit eigener politischer Agenda in vergleichende Untersuchungen einzubeziehen.

H. JAMES BURGWYN (Philadelphia) widmete sich in seinem Vortrag italienischen spazio vitale- und deutschen Lebensraum-Vorstellungen auf dem Balkan. Die Italiener beanspruchten auf dem Balkan Lebensraum für ihr Impero und hofften, das Gebiet gegen den deutschen „Drang nach Süd-osten“ verteidigen zu können. Während die Italiener zunächst die Italianisierung der Gebiete durch kulturelle Dominanz vorantreiben wollten, gingen deutsche Soldaten von Beginn an in den von ihnen besetzten Gebieten mit großer Brutalität gegen die „rassisch minderwertige“ Bevölkerung vor. In der Folge von Aufständen verschärfte sich auch die Repressions- und Internierungspraxis der Italiener gegenüber der Zivilbevölkerung. Burgwyn resümierte, dass die Kriegsverbrechen der Italiener auf dem Balkan – abgesehen von der Ermordung der Juden und der Massenerschießungen von Geiseln – vergleichbar mit denen der Deutschen gewesen seien.

Im Fokus des Vortrages von AMEDEO OSTI GUERRAZZI (Rom) stand die Frage nach den Gründen für die Brutalität der Kämpfer der 1943 gegründeten Republik von Salò und den Zielen ihres Kampfes. Um die „Schmach des Verrates“ gegenüber dem Deutschen Reich vergessen zu machen, kämpften sie besonders nach dem Fall von Rom im Sommer 1944 teilweise radikaler und brutaler als die Deutschen gegen Partisanen und Zivilisten, die sie des Verrats bezichtigten. Die „nazifaschistischen Italiener“ überwanden ihren Nationalismus und sahen in den Italienern, die sich nicht der RSI angeschlossen hatten, ihre Hauptgegner. Sie kämpften im Zeichen des Hakenkreuzes für die Errichtung einer „neuen Ordnung“.

WENDY LOWER (München) kritisierte die unzureichende Thematisierung der Mitwirkung von Frauen am Holocaust und beleuchtete an Einzelbeispielen die Handlungsspielräume deutscher Täterinnen in den eroberten Ostgebieten. Ihre direkte oder indirekte Beteiligung an den Verbrechen gegenüber Juden und anderen Opfern der NS-Mordpolitik war häufig ideologisch motiviert. Mitunter geschah dies jedoch auch als bewusste Durchbrechung von geschlechtlichen Rollenmustern. Daran anknüpfend fragte ARND BAUERKÄMPER (Berlin) in seinem Kommentar nach der männlichen Reaktion auf die Beteiligung von Frauen an den Verbrechen.

Drei vorrangige Forderungen ergaben sich aus den Vorträgen, Diskussionen und Kommentaren für die künftige Forschung: Erstens gilt es, die faschistischen Netzwerke, ihre Lern- und Aneignungsprozesse noch stärker zu untersuchen und das in besonderem Maße auch über das Jahr 1939 hinaus sowie in den bisher vernachlässigten Gebieten Ost- und Südosteuropas. Zweitens sollten Realisierungsversuche des Konzeptes „neuer Mensch“ in Detailstudien zur Bevölkerungs- und Erziehungspolitik erforscht werden. Drittens erscheint es geboten, dem häufig beklagten asymmetrischen Forschungsstand zwischen italienischem Faschismus und Nationalsozialismus durch intensivere Erforschung der wiederholt von den Referenten benannten Desiderate zu begegnen. Erst durch die Schließung dieser empirischen Lücken können die im Raum stehenden Fragen zu Wirkung und Gestalt des Faschismus fundiert beantwortet werden.

Konferenzübersicht:

Thomas Schlemmer (München), Hans Woller (München): Begrüßung und Einführung

Sektion 1 – Faschismusdebatte und Faschismusforschung seit 1990

Leitung: Christof Dipper (Darmstadt)

Fernando Esposito (Tübingen): Faschismus und Moderne. Vom ausgeschlossenen Anderen zum Paradigma

Sven Reichardt (Konstanz): Konsens und Gewalt im Faschismus

Robert O. Paxton (New York): Fascism, Culture and Civil Society

Martin Baumeister (München): Faschismus als „politische Religion“

Maurizio Bach (Passau): Charisma und Faschismus. Der Faschismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive

Wolfgang Schieder (Göttingen): Kommentar

Abendvortrag

Wolfgang Schieder (Göttingen): Faszination Faschismus. Nationalsozialistische Führungskader in Audienz bei Mussolini 1931 bis 1945

Sektion 2 – Transfer zwischen Affinität und Differenz. Reichweite, Dichte und Tragfähigkeit faschistischer Netzwerke

Leitung: Sybille Steinbacher (Wien)

Hans Woller (München): Rom als Lernort

MacGregor Knox (London): Mussolini and ethno-nationalist terrorism: The quest for results

Tobias Hof (München): Von der faschistischen „Internationale“ zur Proklamation der „Achse“

Traian Sandu (Paris): The Romanian Case: the Iron Guard as Part of the Fascist Network

Christoph Cornelißen (Frankfurt a.M.): Kommentar

Sektion 3 – Herrschaft und Zukunft. Biopolitische Visionen, Rassismus und Führerkult

Leitung: Margit Szöllösi-Janze (München)

Roger Griffin (Oxford): The fascist Leader – Representation and Cult

Dieter Pohl (Klagenfurt): Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus. Zum Verhältnis von Vorbild, Transfer und Tradition

Patrick Bernhard (Freiburg): Der „neue Mensch“. Diskurs und politische Praxis

Petra Terhoeven (Göttingen): Die „neue Frau“ zwischen Antifeminismus und faschistischer Emanzipationsverheißung

Christof Dipper (Darmstadt): Kommentar

Podiumsdiskussion: Anthropologische Revolution und totalitäre Herrschaft. Möglichkeiten und Grenzen des historischen Vergleichs

Leitung: Magnus Brechtken (München)

Teilnehmer: Arnd Bauerkämper (Berlin), Patrizia Dogliani (Bologna), Ulrich Herbert (Freiburg), Dieter Pohl (Klagenfurt)

Sektion 4 – „Neue Menschen“ und „neue Kriege“

Leitung: MacGregor Knox (London)

Thomas Schlemmer (München): Gab es einen faschistischen Krieg?

Constantin Iordachi (Budapest): Fascism in south-eastern Europe. Romania’s Legion of Archangel Michael, Croatia’s Ustasa, Hungary’s Arrow Cross

H. James Burgwyn (Philadelphia): Fascism and Imperialism: Italian spazio vitale and German Lebensraum in the Balkans

Amedeo Osti Guerrazzi (Rom): Collaboration and Conviction: Fascists as Mercenaries and Crusaders

Wendy Lower (München): Female Fascists as Holocaust Accomplices and Perpetrators

Arnd Bauerkämper (Berlin): Kommentar


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