Pleiten, Pech und Pannen in der Geschichte von Familienunternehmen. 15. Arbeitskreissitzung Familienunternehmen

Pleiten, Pech und Pannen in der Geschichte von Familienunternehmen. 15. Arbeitskreissitzung Familienunternehmen

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V., Frankfurt am Main
Ort
Bad Homburg vor der Höhe
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.11.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Sina Bohnen, Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU), Universität Witten/Herdecke

Eine Einführung in die interdisziplinären Tätigkeiten der Werner-Reimers-Stiftung gab der Stiftungsvorstand und Historiker ALBRECHT GRAF VON KALNEIN (Bad Homburg vor der Höhe). Im Hinblick auf das diesjährige Thema des Arbeitskreises zeichnete er den biographischen Werdegang des Unternehmers und Kunstmäzens Werner Reimers (1888-1965) nach und betonte, dass dieser in seiner unternehmerischen Laufbahn des Öfteren „Pleiten, Pech und Pannen“ erlebt habe. So sei Reimers, der das Japangeschäft der väterlichen Handelsfirma übernommen habe, während des Ersten Weltkriegs jegliche Geschäftstätigkeit in Japan untersagt worden. Nach seinem Austritt aus dem Familienunternehmen aufgrund von Unstimmigkeiten habe er das britische Patent für stufenlose Getriebe (P.I.V.) gekauft, sich erfolgreich mit der größten Getriebefirma in Bad Homburg vor der Höhe selbstständig gemacht und die nach ihm benannte Stiftung zur Unterstützung von anthropogenetischen Forschungsprojekten gegründet.

FLORIAN STAFFEL (Paderborn) stellte mit seinem Vortrag zur Unternehmerfamilie Grundig einen Teil seines Dissertationsprojekts vor. Der Unternehmer Max Grundig sowie die von ihm 1930 in Fürth gegründete Firma Grundig, die seit 1972 als Grundig AG firmierte, stünden symbolhaft für das westdeutsche Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit. Staffel identifizierte die Erfolgsfaktoren wie Marktanpassung, Globalisierung und die Unternehmerpersönlichkeit Max Grundigs, die seit den 1950er-Jahren zum rasanten Aufstieg des global agierenden Familienunternehmens und größten deutschen Herstellers von Rundfunk- und Tonbandgeräten als auch Fernsehern beigetragen hätten. Zwischenzeitlich sei das Unternehmen in einzelnen Produktsegmenten sogar zum Europa- und Weltmarktführer mit fast 40.000 Mitarbeitern avanciert. Doch die seit Ende der 1970er Jahre zunehmenden Umsatzeinbrüche und hohen Verluste hätten letztlich 1984 zur Übernahme von Grundig durch den niederländischen Philips-Konzern geführt. Die Ursachen für diese Entwicklung seien laut Staffel vielfältig: Einerseits seien dies die globale, insbesondere japanische Konkurrenz gewesen, sowie die gescheiterten Gegenstrategien in Form von Kooperationsverträgen mit Philips und Thomson-Brandt als auch die mangelnde Anpassung an den Strukturwandel des Unterhaltungselektronikmarkts. Als zentrale Entscheidungsperson im Familienunternehmen – von Staffel als „Adenauer-Syndrom“ bezeichnet – habe der Patriarch Max Grundig es außerdem verpasst, eine geeignete Nachfolgeregelung zu treffen. Stattdessen habe er die Max-Grundig-Stiftung zur finanziellen Versorgung seiner Familie gegründet.

In seinem Vortrag präsentierte THOMAS URBAN (Witten) am Beispiel des früheren Montan- und Handelskonzerns Stumm AG erste Ergebnisse seines Habilitationsprojekts zur Krisenfestigkeit von Unternehmerfamilien im 20. Jahrhundert. Bereits im 250. Jubiläumsjahr 1965 sei die Anfälligkeit des monostrukturellen Firmenverbunds unter dem Eindruck eines tiefgreifenden wirtschaftlichen Strukturwandels zu Tage getreten. Durch eine jahrzehntelange Entfremdung vom Unternehmen, einer widersprüchlichen Dividendenpolitik und einem Interessenpluralismus habe es die Eigentümerfamilie nicht vermocht, in ihrer Krisenkommunikation – auch gegenüber dem externen Management – eine gemeinsame Sprache zu finden. Stattdessen habe selbst beim Familiensprecher spätestens nach dem Scheitern einer „Schutzgemeinschaft“ für alle Stumm-Familienaktionäre zu Beginn der 1970er-Jahre eine weitgehende Sprachlosigkeit geherrscht. Diese habe das Ende des Konzerns im Jahr 1974 zumindest begünstigt. Stumm sei damit geradezu ein Inbegriff des damaligen medialen „Untergangsnarrativs“ gewesen. Denn insbesondere Der Spiegel und Die Zeit hätten am Beispiel der Liquidation oder des Verkaufs namhafter deutscher, familiengeführter Konzerne dem Familienkapitalismus eine schwere, letztlich unheilbare Krise diagnostiziert. Um die Gültigkeit dieses Narrativs für jenes Jahrzehnt zu überprüfen seien jedoch weitere quantitative Forschungen notwendig, gerade mit Blick auf eine potentiell gehäufte Existenzgefährdung mittelständischer Familienunternehmen.

LENA KNORPS (Aachen) schilderte in der Präsentation ihres Dissertationsprojekts die gescheiterten Werdegänge der jüdischen Brüder Julius und Walter Holländer. Anhand einer Rekonstruktion der Familiengeschichte offenbarte Knorps den Verwandtschaftsgrad der Familie Holländer zu Anne Frank, die mütterlicherseits die Nichte von Julius und Walter Holländer gewesen sei. Als Großindustriebetrieb habe sich das 1858 von Benjamin Holländer gegründete Familienunternehmen B. Holländer im Altmetall- und Schrottwarenhandel in Aachen betätigt und sich an einer Firma für Eisenbahnwaggonbau in Hannover beteiligt. Im Rahmen der Novemberpogrome 1938 seien die beiden Eigentümer Julius und Walter Holländer verhaftet und das Unternehmen im Januar 1939 aufgrund der nationalsozialistischen „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ aus dem Handelsregister gelöscht worden. Die Brüder seien daraufhin in die USA emigriert. Im Hinblick darauf, dass die Deutsche Bank das hinterbliebene, verkehrstechnisch günstig gelegene Betriebsgrundstück der Firma B. Holländer zu einem geringen Kaufpreis erstanden und es kurz darauf an den langjährigen Konkurrenten der Firma weiterverkauft habe, folgerte Knorps, dass der Zwangsverkauf des Grundstücks auch als Arisierung zu bezeichnen sei, was im Anschluss an den Vortrag noch hinreichend diskutiert wurde.

VANESSA STAUFENBERG (Frankfurt am Main) präsentierte anhand von drei Krisen ihre bisherigen Ergebnisse des GUG-Projekts zur 140-jährigen Firmenhistorie der Brauerei Alpirsbacher Klosterbräu im Schwarzwald. Sie zeichnete die Krisenfestigkeit des in fünfter Generation geführten Familienunternehmens und den starken Zusammenhalt innerhalb der Unternehmerfamilie Glauner nach. Die Brauerei war aus dem Gasthaus zum Löwen hervorgegangen, welches bereits seit 1785 und acht Generationen im Besitz der Familie Glauner war. Carl Albert Glauner sen. habe 1880 die Brauerei des Gasthauses wiedereröffnet, die sein Sohn Carl Hermann 1930 übernommen und in der Tradition der Primogenitur an Carl Albert jun. weitergegeben habe. Nachdem die Brauerei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits zweimal kurz vor dem Konkurs gestanden hatte, sei 1985 die größte Krise der Firmengeschichte erfolgt, da innerhalb kürzester Zeit Carl Hermann und sein Sohn Carl Albert jun. als Unternehmenseigentümer verstorben seien. An den aufgezeigten Krisen, wie dem Beispiel der schnellen Übernahme der Brauerei durch den noch jungen, designierten Nachfolger Carl Wilfried, machte Staufenberg deutlich, dass die Familie durch ihre starke Verbundenheit und Wandlungsfähigkeit in der Unternehmensführung bislang jede existenzbedrohende Krise habe meistern können.

Zum Thema des Aufstiegs und Falls der Pelzindustrie referierte SANDRA TAUER (Frankfurt am Main). Theodor Ernst Thorer (1828-1894), in dessen Familie das Kürschnerhandwerk bereits seit dem 17. Jahrhundert Tradition gewesen sei, war Gründer der Leipziger Rauchwarenfirma, die bis Ende des 20. Jahrhunderts zu den führenden deutschen Unternehmen der Pelzbranche gezählt habe. Der Familienbetrieb, der vorwiegend die Zurichterei und Färberei von Persianern umfasst habe, sei von Thorers Söhnen weitergeführt, international ausgebaut und durch den Aufbau einer eigenen Lammzucht für Persianerfelle im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) erweitert worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei das Familienunternehmen enteignet worden und für den Wiederaufbau nach Offenbach am Main übergesiedelt. Insbesondere in der Wirtschaftswunderzeit habe das Unternehmen von der hohen Nachfrage nach Pelzwaren profitiert, doch seit Mitte der 1980er-Jahre habe sich bereits die wirtschaftliche Krise der Pelzindustrie durch steigende Umsatzeinbußen, hohe Lohnkosten und Entlassungen bei Thorer abgezeichnet, die 1994 zur Insolvenz des Familienunternehmens führen sollte. Als Ursachen nannte Tauer die zunehmende Marktsättigung als Luxusgut in den Industriestaaten, Veränderungen des Zeitgeists sowie die negative gesellschaftliche Assoziation von Pelzwaren, auch durch das Aufkommen von Tierrechtsorganisationen wie PETA und internationaler Kampagnen. Ein weiterer Grund für den Untergang der Pelzindustrie sei die seit dem Mittelalter kaum veränderte Technik des Kürschnerhandwerks gewesen, die Rationalisierungsmaßnahmen erschwert habe. Die Entwicklung der Pelzwarenfabrikation Thorer stehe letztlich nicht nur symbolisch für den Niedergang der ganzen Branche, sondern insbesondere auch für den Strukturwandel und die Industriegeschichte Offenbachs.

ULRICH HEß (Wurzen) stellte die wirtschaftlichen Herausforderungen und Lösungswege des 1872 gegründeten und bis heute in Wurzen bei Leipzig ansässigen Familienunternehmens Richardt Klinkhardt Maschinenfabrik heraus. Anfang des 20. Jahrhunderts sei die Maschinenfabrik nicht nur Kapitalmangel, familiären Auseinandersetzungen und sich stetig verändernden Marktveränderungen ausgesetzt gewesen, sondern habe nach der Weltwirtschaftskrise 1930 Insolvenz anmelden müssen, konnte aber von der Familie weitergeführt werden. Nach dem Kriegsende 1945 und politischen Umbrüchen seien weitere wirtschaftliche Herausforderungen wie Demontagen und die drohende Enteignung in der DDR gefolgt. Als größte Zäsur in der Unternehmensgeschichte beschrieb Heß die Verstaatlichung des Unternehmens 1972 zum Volkseigenen Betrieb (VEB). Richard Klinkhardt jun. (1916-2011), der als Enkel des Gründers bis dahin als Geschäftsführer fungiert habe, sei daraufhin kurzzeitig ausgeschieden, habe seine wirtschaftliche Tätigkeit aber durch intrinsische Motivation in der Krise wieder aufgenommen. In diesem Zusammenhang diskutierte Heß auch die Frage nach dem in Familienunternehmen oft ausgebildeten „Unternehmer-Gen“, das sich Klinkhardt auch aufgrund der politischen Voraussetzungen nicht hätte aneignen können. Ab 1990 sei das Unternehmen reprivatisiert und unter dem Namen Pneumatik-Behälter und -Anlagen GmbH weitergeführt geworden.

Konferenzübersicht:

Florian Staffel (Paderborn): Der Fall Grundig(s) – Eine Wirtschaftswunderikone im Spannungsfeld von Globalisierung, Strukturwandel und Nachfolgeregelung

Thomas Urban (Witten): Die Sprache verloren – Der Niedergang der Familiengesellschaft Stumm AG und das Untergangsnarrativ der 1970er-Jahre

Lena Knorps (Aachen): Erzwungene Pleite – Die Zwangslöschung des Familienunternehmens B. Holländer

Vanessa Staufenberg (Frankfurt am Main): Aufgabe ist keine Option! – Große Krisen von Alpirsbacher Klosterbräu

Sandra Tauer (Frankfurt am Main): Thorer & Co. als Beispiel des Aufstiegs und Falls der Pelzindustrie

Ulrich Heß (Wurzen): Richardt Klinkhardt Maschinenfabrik – Gefährdungen, Lösungen und Motivation